Coruscant – Jedi-Tempel - Kantine, mit Eowyn
„Schlecht“, grinste Ian zurück, „Und das ist noch untertrieben. Unterirdisch trifft es viel eher.“ Ian konnte kein Sabacc spielen, noch nie hatte er auch nur eine Partie gewonnen und die Wahrscheinlichkeit, dass sich daran je etwas ändern würde, tendierte gegen Null. Damals, als er ausgerissen war, hatte man ihm verboten mitzuspielen, als halbes Kind hätte er ohnehin keine Einsätze machen können und später? Ein einziges Mal hatte man ihm aus Mitleid erlaubt, eine Runde mit zuspielen, was beinahe in einer Katastrophe geendet hätte.
„Och, eine Runde über dich zu lästern, wäre vielleicht auch nicht die schlechteste Idee,“ konnte Ian sich nun, nachdem Eowyn ihm die Zunge heraus gestreckt hatte, nicht mehr nehmen lassen. „ich könnte mich bei Riuen darüber beschweren, dass du deine Versprechen nicht hältst,“ fügte er gewichtig hinzu. Dabei stand fest, dass er niemals schlecht über Eowyn reden würde. Ian hatte genug Gespräche mitbekommen, in denen sich Männer über ihre Frauen geäußert hatten und oft waren sie dabei derart abwertend gewesen, dass Ian nur den Kopf hatte schütteln können. Nicht einmal über Alisah hätte er schlecht gesprochen. „Eigentlich war ich mir sicher, dass du Männerabende besser kennst, als dein Lieblingsbuch,“ gab Ian sich dann äußerst überrascht.
Sie kamen, wie so oft, von lustigen, zu sehr ernsten Themen und Ian nickte, als Eowyn vorschlug zurück ins Zimmer zu gehen. Ihre Idee in der Kantine weiter aufzuführen wäre nicht gut gewesen, das Zimmer war beinahe die einzige Alternative. Beide setzten sie sich auf die Couch, was Ian für Sekunden empfindlich an gestern erinnerte. Würde es ihnen heute gelingen, besser zu kommunizieren? Bei diesem Thema? Das konnte nicht gut ausgehen, nicht nachdem, was Ian bereits wusste, was Eowyn da hören wollte.
Ein öffentliches Verfahren. Wenn das Verfahren öffentlich wurde, hatten sie mit weitaus mehr zu kämpfen, als seinem Schuldgefühl. Die Öffentlichkeit würde sich nicht die Mühe machen, ihn zu verstehen, sie würden ihn in der Luft Zerreißen und ihn als das abstempeln, was er einst gewesen war, in ihren Augen immer sein würde. Ein Mörder. Und Eowyn? Würde gegen sie alle kämpfen müssen. Gegen ihr eigenes Unbehagen, gegen das der anderen und wie, wie sollte ihre Liebe das bestehen, wie? Wenn Eowyn erst einmal Feindseligkeiten ausgesetzt war, wenn man sie verachten und beschimpfen würde, dafür, dass sie sich auf jemanden wie ihn eingelassen hatte, was würde dann geschehen? Selbst wenn ihre Liebe standhielt, würde Eowyn standhalten? Würde sie sich dann nicht völlig verlieren? Ian seufzte und sah auf den Boden, damit er seine Gedanken ordnen, damit er Eowyn weiter zuhören konnte. Telos war imperialer Boden, das wusste auch er, genau wie Ian gehört hatte, dass er auf republikanischem Boden nur für das gerichtet werden konnte, was er dort getan hatte. Doch seine Vergangenheit würde ihm anhaften und außerdem, außerdem waren da andere Verbrechen, die sehr wohl auf republikanischem Boden stattgefunden hatten. Und das Virus? Das Virus konnte man ihm als Verbrechen gegen die Zivilisation anrechnen und damit spielte seine Zugehörigkeit längst keine Rolle mehr. Eowyn mochte von unterscheiden sprechen, für sich, aber verschloss sie nicht die Augen? Sie tat es und gleichzeitig wollte sie, dass er sich offenbarte, dass er ihr alles sagte. Wann, wo, wer – grob. Grob, damit sie nicht selbst ins Schwanken kam? Grob, damit sie selbst nicht auch erkennen würde, dass Mörder das einzige Wort war, das sie in Bezug auf ihn dann noch nutzen konnte? Mildernde Umstände. Welche mildernden Umstände hätte es da geben sollen? Es gab keine! Was Allegious getan hätte, hätte Ian sich geweigert? Ians Mundwinkel zuckten, denn sie beide wussten es. Allegious hatte ihm gedroht und Ian hatte Angst um sein Leben gehabt, doch Feigheit war kein mildernder Umstand. Ein Leben gegen viele? Das war keine Entscheidung, die er hätte treffen dürfen und doch hatte er es getan. Da war keine Chance gewesen, sich gegen Allegious zu stellen. Der Noghri hätte ihn auf der Stelle umgebracht. Lange vorher, lange vorher hätte Ian erkennen müssen, dass er auf der falschen Seite gestanden und gekämpft hatte. Doch keine Reue, kein noch so aufrichtiges Bedauern würde auch nur irgendetwas ändern. Da war eine andere Wahl gewesen. Von Anfang an. Die, sich niemals ausbilden zu lassen. Die, zu verschwinden. Die, gar nicht erst zurückzukehren. Jedes Mal hatte er die falsche Wahl getroffen, jedes Mal. Welche Ausrede sollte er suchen, um sich zu entschuldigen? Es gab keine Entschuldigung. Da waren keine mildernden Umstände! Warum konnte Eowyn ihn damit nicht in Ruhe lassen! Präzedenzfälle. Wen wollte sie da finden? Alisah, die sich, außer bei den Sith gewesen zu sein, kaum etwas hatte zu Schulden kommen lassen? Ian war Executor gewesen, weit oben in der Rangfolge und Ian hatte nie davon gehört, dass jemand seines Ranges die Seiten gewechselt hatte. Der Atem des Dunkelhaarigen änderte sich und sein innerer Widerstand wuchs. Doch wie konnte er Eowyn widersprechen, wenn sie suchen würde? Sie war überzeugt von ihrer Idee und entweder er konnte sie dabei unterstützen, indem er ihr half, oder aber er konnte sie bloß behindern. Sie kämpfte mit so unfairen Waffen, mit so unfairen Waffen, als sie sagte, dass sie ihn liebte und ihre Hand zu seiner Wange führte. Sie hatte keine Ahnung, wie sehr er genau das liebte, sie hatte ja keine Ahnung, was diese Berührung in ihm auslöste. Diese zarte Berührung, die so anders war, als all die Schläge die er hatte einstecken müssen. Ihre Worte taten unendlich weh, denn sie trafen jeden einzelnen Punkt, jeden verdammten, einzelnen Punkt. Einen Menschen gefunden zu haben, der ihn von herzen liebte. Jemanden gefunden zu haben, der ihm verzieh. Jemand, der mehr in ihm sah. Jemand, der ihn begleitete und nicht wieder alleine ließ. Ian musste schwer schluckend und seinen Blick erneut abwenden. Sie kämpfte mit unfairen Waffen, ja, sie kämpfte mit unfairen Waffen.
„Du solltest nicht mich dafür bewundern, sondern dich,“ sagte er leise. „Und nicht du wirst mich verletzen, sondern ich dich. Du wirst mir diese Dinge vorwerfen,“ sagte er kaum hörbar, denn der Schmerz erstickte seine Stimme. „Du wirst mir diese Dinge vorwerfen, weil es richtig ist, das zu tun.“ Nichts würde ihn von dieser Überzeugung abbringen, nichts. Die Chance von der Eowyn sprach, barg vor allem die Chance, sie zu entzweien und diese Tatsache noch einmal erkennend, musste Ian schwer schlucken. Wenn zu überleben bedeutete, von ihr getrennt zu sein, wollte er das dann überhaupt? „Ich war 22,“ hörte er sich schließlich sagen, als sich seine Umgebung veränderte, als Eowyn verschwand, als sich die Wände des Zimmers auflösten und die Hauswand vor ihm erschien. Die Hauswand ihrer gemeinsamen Wohnung. Tahiris und seiner Wohnung. „Ich habe den Ring dabei gehabt, ich wollte ihr an diesem Tag meinen Antrag machen, ich hab ihn so oft geübt, so oft vor dem Spiegel gestanden, wieder und wieder. Ich habe mich beeilt von der Arbeit nach Hause zu kommen, ich hatte übersetzen müssen, nicht in der kleinen Werkstatt, sondern außerhalb.“ Irgendein Auftrag, der so sinnlos gewesen war. Ein komplizierter Text, der ein Droide viel schneller hätte entziffern können. Und er war viel zu spät gewesen, viel zu spät, weil sich alles hinaus gezögert hatte. „Irgendetwas war anders, irgendetwas habe ich gespürt, ein Unwohlsein, etwas hat nicht gestimmt, es war so deutlich und ich so spät, ich war schon eine halbe Stunde überfällig und ich habe mich beeilt.“ Heute wusste Ian, dass es eine Warnung der Macht gewesen war, dass sein ungutes Gefühl nicht einfach so dagewesen war. „Ich hatte Tahni gerade wieder erreicht, als es schlimmer wurde. Und als ich ankam… als ich ankam hab ich gesehen, dass die Türe aufgebrochen war. Ich hatte ein Vibromesser dabei, so wie immer, aber ich hab es nie benutzt. Ich… ich hab es nie für etwas anderes benutzt, als dafür irgendwelches Obst oder Brot zu schneiden. Es war ein Geschenk, aber als ich die Türe sah, habe ich danach gegriffen. Ich hab es genommen.“ Ian schloss eine Hand zur Faust, gerade so, als greife er erneut nach dem Messer, seine Hand wanderte sogar zu der Stelle, an der er es einst am Gürtel getragen hatte. Nicht ein einziges Mal sah Ian Eowyn bei diesen Worten an, sah an ihr vorbei, die Augen starr irgendwohin gerichtet. „Ich bin … in die Wohnung gegangen… leise, vorsichtig“ und Ians Stimme wurde leise. „Ich hatte noch nie so gefühlt, Angst, Sorge, es war… es war so deutlich und ich war so leise und dann war ich in der Wohnung, ich wollte nach ihr rufen, aber die Tür war doch aufgebrochen und… und ich wusste, wenn jemand in der Wohnung ist, wenn jemand in der Wohnung ist, ich würde auf mich aufmerksam machen. Ich bin leise gewesen, ich hab kein einziges Geräusch gemacht, aber… aber dann habe ich etwas gehört,“ und Ian zuckte augenblicklich zusammen. Das Geräusch war furchtbar gewesen und Ian hatte es sofort begriffen und seine Hand hatte sich fester um den Griff der Waffe gelegt – so wie er nun seine Hand fester um etwas schloss, was sich überhaupt nicht daran befand. „Die Tür… zum Wohnzimmer… war angelehnt und durch den Spalt… da… sie lag auf dem Boden und da war Blut … und ihre Kleidung war zerrissen und da waren vier und einer, einer… einer von dem dieses Geräusch kam…“ Sprach er überhaupt noch laut? War da überhaupt noch eine Stimme? Nur ein Krächzen? Das einzige was diesmal nicht da war, war Wut und Ians Augen begannen zu brennen, von dem Starren, von den Tränen, die sich darin bildeten. „Sie lag da und, und… und er stand gerade auf und dann… dann.“ Dann endete Ians Erinnerung. Er sah, wie der Mann sich von Tahiri erhob, sah, wie er seine Hose in die Höhe zog, hörte das Lachen, sah dieses Lächeln, aber dann war da nur noch Schwärze. „Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich schwöre, ich weiß es nicht. Ich… ich hab sie angefleht zurück zu kommen, ich hab sie bedeckt, aber ich weiß nicht, ich weiß nicht, sie ist nicht zurück gekommen, sie ist nicht aufgewacht, sie lag einfach nur da und sie… ich, sie waren alle tot, aber ich weiß nicht, das Messer, ich weiß nicht.“ Und da, rückte Ian ein großes Stück nach hinten, damit Eowyn ihn jetzt bloß nicht anfassen würde, damit sie unter keinen Umständen ein Bild sehen konnte, eine Erinnerung, die sie nicht haben durfte, auch wenn er sie sonst kaum wahrnahm, ihre Reaktion gar nicht sehen konnte.
„Corellia. Die Zerstörung des Jedi Ordens, ich war 26 und es war die erste Mission auf die Noctious mich mit sich nahm. Ich habe gegen einen Kel’Dor gekämpft, aber er war schwächer als ich, er hätte nicht bestehen können. Ich… hab ihm den Arm abgeschlagen, ihm gesagt, er solle wieder mit mir kämpfen, wenn er besser wäre, ich habe sein Lichtschwert an mich genommen und… ich war dabei auf Corellia.“ Heimatzerstörer. Er war ein Heimatzerstörer, genau einer dieser Sith, von denen Eowyn auf Nar Shaddaa gesprochen hatte. Jemand, der ihr alles genommen hatte. Ians Gesichtsausdruck veränderte sich, wurde schmerzvoll, noch während er all diese Tatsachen erkannte. „Wir haben später gegen Rebellen gekämpft, auch auf Corellia, aber ich war der schlechtere Kämpfer.“ Corellia. Der Siegesball. All das. Danach… „Arnexia. Eine Zitadelle, dessen Spitze ich erreichen sollte, Wind, und Norfax. Es war meine Prüfung zum Apprentice. Die Norfax griffen an, ich…“ Spielte es eine Rolle, ob sie Tiere waren? „Aber das war Verteidigung, das war… das… das war kein Mord.“ Er hatte nicht gewusst, wie seine Prüfung ablaufen würde, was Noctious vorhatte. „Noctious hat einen übernommen, ich weiß es, er hat es beeinflusst und es noch stärker gemacht. Ich musste gegen sie kämpfen und die Spitze der Zitatdelle erreichen.“ Vielleicht war diese Sache harmlos, doch Eowyn hatte alles wissen wollen, jede Tat, die von Relevanz war und damit würde er auch alles erwähnen.
Telos. Telos war das nächste. Über Telos wusste sie Bescheid!
„Telos,“ krächzte er dann. „Ich war 30 und es war geplant, von Anfang an, war es geplant. Ich wollte mich rächen, ich, ich wollte mich einfach nur rächen,“ und als Ian leise zu weinen begann, waren es Tränen der Reue. „Ich… ich ging dort hin, mit Torryn, um mich zu rächen, um alles zu bereinigen. Mein Vater,“ und es war das erste Mal seit Ewigkeiten, dass er das Wort benutze, „hatte Geburtstag und er und alle waren da. Meine Brüder, meine Mutter, die Frauen und Kinder von ihnen. Ich… ich hab gedacht, ich… ich hab gedacht, nein gehofft, sie hätte, sie würden… sie haben sich nicht entschuldigt. Er wollte, dass ich gehe, er hat verlangt, dass wir alle gehen. Wir… wir haben Iouna getroffen. Torryn und ich und Kossekos, eine Echse, die ich mitnahm.“ Machte all das einen Sinn? Ian hatte keinen Schimmer, doch er hatte seinen Redefluss gefunden. „Ich hab ihnen gesagt, dass sie die Frauen und Kinder weg bringen sollen, ich habe ihnen gedroht und sie haben mir gedroht und sie sind der Aufforderung nicht nachgekommen, also habe… ich habe Halven gegen einen Baum geschleudert und dann haben sie die Kinder und Frauen Weg gebracht. ‚Mögen die Feierlichkeiten beginnen‘“ Das waren die Worte gewesen, die alles eröffnet hatten, die Worte, die den Freispruch gegeben hatten. „Das waren die Worte, mit denen ich erlaubt hatte, dass … dass wir sie alle umbringen.“ Ians Hände begannen zu zittern, ebenso seine Stimme, doch er zwang sich, weiter zu sprechen, auch wenn er Eowyn nicht ansehen konnte, auch wenn er sie gar nicht spürte, auch wenn es war, als wäre er weit von ihr. „Hinrichtung,“ kam es schließlich heraus, denn welches Wort traf es eher? „Mit der Macht und als der erste… als ich den ersten, als ich ihn umgebracht habe, habe ich nichts mehr gespürt, nichts. Die Macht, ein Blaster und… und mein Lichtschwert. Ich hab… ich hab nicht…“ Ian musste seine Hände unter seinen Achseln verstecken, damit er sie nicht sehen konnte. „Meine Mutter, meinen Vater und drei Brüder. Und die ersten beiden… haben gelitten.“ Seine Hände zu verbergen half, das Zittern zu unterbinden. Doch das Gefühl des Elends blieb. Was war da noch gewesen? Was war da noch gewesen?
Morla’un.
Nicht acht. Zehn. Es waren 10 gewesen und Ian wollte kein Wort mehr sagen, wollte nicht mehr sprechen, wollte verschwinden. „Ryltoh,“ Ians Stimme klang von weit her. „Torryn, Iouna und ich. Eine Falle. Wir sollten geopfert werden… Irgendeine Bruderschaft, sie brauchten einen Körper. Verrat und wieder Mord. Zwei weiter. Der eine.. er, ich. Valaras und Kalan.“ Mit einem Mal erinnerte er sich an die Namen. „Kalan hat Valars tödlich verwundet, ich habe ihn gerächt, ich… es wurden neun. Neun. Valaras hätte seine Verletzung nicht überlebt, ich hätte ihn nicht retten können, also habe ich ihm geholfen. 10. Es waren 10.“ War da noch etwas? Noch jemand? Ian versuchte sich zu konzentrieren, doch das Zittern hatte Überhand genommen und wenn er nicht irgendetwas tat, wenn, wenn er nicht irgendetwas tat. Und da stand er auf und mit dem Aufstehen, kehrte endlich wieder Coruscant zurück und auch Eowyn.
„Damit kannst du nichts anfangen,“ richtete er erstmals wieder direkt an sie. „Das kannst du nicht verwenden. Das… das macht nur alles deutlicher. Es wird beweisen, dass ich ein Mörder bin, es wird ihnen Angst machen, es wird sie dazu bringen, nach einem Todesurteil zu schreien, und es…“ wäre richtig. „Es war nicht jemand anders, Eowyn,“ sagte Ian schließlich, seine Stimme endlich unter Kontrolle bringend. „Ich wünschte, dem wäre so, aber es war ich.“
Coruscant – Jedi-Tempel - Zimmer, mit Eowyn