[Kessel, ehemaliger imperialer Gefängniskomplex, Zelle]- Nereus
Als Nereus wieder erwachte, befand er sich in einer Zelle. Im Grunde war diese Zelle nichts weiter als ein spärlich beleuchteter, enger Raum ohne Mobiliar, abgesehen von der instabil wirkenden Pritsche, an der sich scheinbar bereits Zersetzungsprozesse zu Schaffen gemacht hatten. Die Zelle war sogar kleiner als jene an Bord des Carrack-Kreuzers, der ihn auf diesen Planeten hatte bringen sollen. Und dessen Besatzung – ergebene Soldaten des Imperiums – jetzt tot war.
Er trug wieder seine Uniform. Die Risse und das getrocknete Blut erinnerten ihn daran, in welchem desolaten Zustand er sich körperlich befunden hatte und wie es der scheinbar böswillig umprogrammierte Medidroide geschafft hatte, selbst diese Agonie zu einem weiteren Höhepunkt zu treiben, bevor Nereus schließlich ohnmächtig geworden war. Die Restschmerzen, welche nun seinen gesamten Körper heimsuchten, waren im Vergleich dazu harmlos. Als er probehalber Arme und Beine bewegte, gehorchten sie ohne weiteres. Sein Nervensystem schien vollständig intakt. Warum hatten diese seltsamen Personen sich die Mühe gemacht, ihn am Leben zu erhalten? Und wie war es ihnen gelungen, den imperialen Kreuzer in Windeseile auszuschalten? Wenn er doch wenigstens wusste, auf welchem Planeten er sich befand – vielleicht würde das einiges erklären. Bastion jedenfalls konnte es kaum sein...
Plötzlich öffnete sich die Tür am Kopfende der Zelle – automatisch, aber knarrend und allgemein einen eher ungewarteten Zustand machend. Hinter ihr, im Schein der im Vergleich zum diffusen Licht der Zelle grellen Gangbeleuchtung, erschienen zwei Gestalten, beides Nichtmenschen, ein Rodianer und ein Trandoshaner. Der Rodianer hatte eine illegale Disruptorpistole auf Nereus gerichtet, der Trandoshaner war unbewaffnet.
„Mitkommen...“, knurrte die reptilienartige Bestie in holprigem Basic. „Boss will dich sehen, Imperialer.“
Dem ehemaligen Vizeadmiral blieb nichts übrig, als sich zu fügen. Zusammen mit seinen beiden zwielichtigen und nur mäßig kompetenten Bewachern – in seinem Zustand war jeglicher Fluchtversuch ohnehin ausgeschlossen – ging Nereus durch den Gang und stellte fest, dass dieser von Dutzenden Zellentüren gesäumt wurde. Scheinbar war er hier in der Einzelhaftabteilung eines Gefängnisses gelandet, erbaut nach imperialen Standards. Nur wo? Und warum wurde dieses Gefängnis nun von einem Haufen Verbrecher kontrolliert? Nereus’ Gedanken rasten – die meisten großen Gefängnisse des Imperiums befanden auf unwirtlichen Welten, wo die Gefangenen teilweise gezwungen wurden, erniedrigende und vor allem vollkommen sinnlose Arbeiten zu verrichten.
Bis auf einen.
Kessel. Einer der wenigen Orte der Galaxis, wo die wertvolle Droge Glitzerstim, das „Gewürz“, gefunden werden konnte, für die der Schwarzmarkt so gut wie jeder zivilisierten Welt exorbitante Summen bot. Scheinbar verlockend genug, um eine Gruppe Söldner dazu anzuspornen, eine imperiale Garnison auszulöschen. In Anbetracht der vom Rest des Imperiums isolierten Lage Kessels jedoch schien ein solcher Zufall im Nachhinein lediglich eine Frage der Zeit zu gewesen zu sein... Doch wie passte Nereus ins Bild? Warum hatten diese Leute ihn nicht einfach getötet, wie den armen Captain des Carrack-Kreuzers und seine gesamte, 1000 Mann starke Besatzung?
Seine Bewacher hatten Nereus indes unsanft in einen uralten Fahrstuhl gestoßen, mit dessen zweifelhafter Hilfe sie nun die Zellenebene verließen, natürlich nach oben. Dort würde sich das Büro des Gefängnisdirektors befinden – der mittlerweile wahrscheinlich tot war. Wie auch seine Aufseher. Nereus musste bei dieser Vorstellung unwillkürlich schlucken.
Die Etage, auf der sie den Luft wieder verließen, wirkte tatsächlich gepflegter, wenn man von den Einschusslöchern absah, die teilweise auf den Wänden zu erkennen waren. Offenbar hatten hier erbitterte Kämpfe getobt – imperiale Soldaten ergaben sich keinem gesetzlosen Gesindel.
Das Ziel der beiden schweigsamen Nichtmenschen wurde schnell klar. Ein Büro, vor dem sich zwei Weequays – mit scheinbar aus Sturmtruppenbeständen stammenden Blastern bewaffnet – postiert hatten. Achtungheischend baute der massige Trandoshaner sich vor ihnen auf.
„Durchlassen. Wir bringen Imperialen zu Boss.“
Die Weequays machten wortlos Platz und Nereus spürte umgehend den Disruptor des Rodianers im Rücken. So bedurfte es keiner weiteren Worte, ihn zum Weitergehen zu bewegen.
Wie er vermutet hatte, war ihr Ziel das ehemalige Büro des Gefängnisdirektors, pragmatisch und unspektakulär eingerichtet. Wer auch immer hier noch vor kurzem über die Insassenlisten gewacht hatte, war ein streng nach Dienstvorschrift vorgehender Funktionär gewesen, dem seine Aufgabe wichtig gewesen war. Vielleicht hatten diese Kreaturen deshalb angegriffen – weil kein Imperialer Offizier sich mehr hatte bestechen lassen.
Neben dem Sessel des Direktors stand eine Kreatur, die Nereus bereits kannte – der verschlagene Twi’lek, den er bereits in der Krankenstation gesehen hatte. Jetzt fiel ihm auch das rituell anmutende Vibroschwert an dessen Gürtel auf. Auf dem Sessel selbst saß – eine Falleen. Kaum hatten Nereus und seine beiden Bewacher den Raum betreten, erhob sich die körperbetont gekleidete Frau aus dem Sessel und lächelte zufrieden.
„Wir bringen Imperialen...“, bemerkte der Trandoshaner neben Nereus überflüssigerweise. Fast meinte der ehemalige Offizier des Imperiums einen Hauch Spott in ihrem Lächeln zu bemerken.
„Sehr schön, Cradossk...“, erwiderte sie mit melodischer Stimme. „Du hast dich also beherrschen können und ihn nicht auseinandergenommen wie all die anderen...“
Falls sie mit dieser Andeutung eine Reaktion von Nereus provozieren wollte, wurde sie enttäuscht. Fast einladend deutete sie auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch des Gefängnisdirektors.
„Setzen Sie sich doch. Ich hoffe es macht Ihnen nichts aus, dass ich vorerst darauf verzichten muss, Ihnen etwas anzubieten...“
“Wie pragmatisch“, erwiderte Nereus trocken. “Doch Sie werden mich wohl erschießen müssen ohne vorher irgendwelche Informationen zu erhalten...“
Trotzdem – fast herausfordernd – setzte er sich. Ihr konstantes Lächeln allerdings begann, ihn zu beunruhigen. In dieser Beziehung zog er den unverhohlenen Hass vor, mit dem der Twi’lek ihn musterte.
„Cradossk, Avaro... ihr könnt gehen...“
Folgsam entfernten die beiden Schläger sich, worauf die Falleen wieder auf ihrem Sessel Platz nahm und die Hände ineinander faltete.
„Da Sie ja offensichtlich nicht viel von Smalltalk halten, will ich direkt zur Sache kommen... Sie sind uns, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, ein Rätsel...“
Sie zuckte mit den Schultern.
„Eigentlich ist es Zufall, dass Sie den Absturz der Punisher überhaupt überlebt haben, doch ein Gefangener Offizier des Imperiums an Bord eines imperialen Schiffes reichte, unsere Neugierde zu wecken. Leider fanden sich im Bordcomputer keinerlei Daten, die uns weiterhalfen. Nur der Marschbefehl nach Kessel...“
Nereus bemerkte, wie die Falleen abwesend mit einer Reihe Schmuckstücke herumspielte, die vor ihr auf dem Schreibtisch lagen. Erst einen Moment später erkannte er, dass es sich dabei um imperiale Rangabzeichen handelte... Trophäen des Gemetzels, höchstwahrscheinlich.
„Ich nehme jedenfalls an, dass Sie wichtig sind. Ein hochrangiger Deserteur vielleicht? Gewöhnliche Versager werden vom Imperium für gewöhnlich sofort exekutiert, nicht wahr?“
Er entgegnete ihrem Blick stumm.
„Sie könnten Ihren Wert unter Beweis stellen und sich so bessere Konditionen erkaufen...“, fuhr sie fort.
“Warum sollte ich? Früher oder später wird das Imperium sich zurückholen, was ihm gehört.“
Diese Erwiderung veranlasste die Falleen zu einem spontanen, spottdurchtränkten Lachanfall.
„Das Imperium? Oh nein, ich glaube doch, dass gewissen Interessengruppen innerhalb ihres glorreichen Imperiums vorerst andere Ziele am Herzen liegen. Ich bin mir sogar vollkommen sicher. Und diese Interessengruppen bestimmen, wo die imperiale Flotte auftaucht und lästig wird – und wo nicht.“
Nereus antwortete nicht.
„Schön...“ Etwas wie leichtes Bedauern war kurz auf ihren humanoiden Zügen zu erkennen.
„Sie haben viel Zeit, es sich zu überlegen, Imperialer.“
Wie auf einen unhörbaren Befehl hin öffnete sich die Tür hinter Nereus und zwei Personen – wahrscheinlich wieder seine „Eskorte“ – traten ein.
„Bereitet ihn auf die nächste Schicht vor...“, befahl die Falleen knapp. Sofort wurde Nereus von zwei kräftigen Reptilienarmen aus dem Besucherstuhl gerissen. Der Twi’lek grinste höhnisch und hielt dieses Grinsen, bis die Tür des Büros sich hinter Nereus und den beiden Bewachern zischend wieder schloss...
[Kessel, ehemaliger imperialer Gefängniskomplex, Gang]- Nereus, Wachen