[Lianna | Lola Curich | unweit der Jedibasis | Nen-Axas Wohnung] Nen-Axa mit Familie
»Ich find' die Yuno nett«, sagte Jem am Frühstückstisch.
Nen-Axa ging darüber hinweg, dass sein kleiner Sohn bei dieser Feststellung die Ich-Form benutzte, obwohl nach Maßstäben der Arcona das ›Wir‹ angebrachter gewesen wäre. Obwohl er und Las Eru sich bemühten, den beiden Kindern die Besonderheiten ihrer Kultur näherzubringen, nahmen sie immer mehr Gewohnheiten ihrer nicht-arconischen Freunde an. Das mussten sie akzeptieren: Eine Beeinflussung durch die Umwelt, in der sie aufwuchsen, verhindern zu wollen, wäre nicht nur ein Kampf gegen Windmühlen, sondern würde Jem und Noi auch zu Außenseitern machen. Sie wuchsen auf Lianna auf, und es schadete ihnen nicht, wenn sie sich hier integrierten. Auch wenn es manchmal schwer war, hinzunehmen, dass einige Werte und Gepflogenheiten ihrer Heimatwelt dadurch auf der Strecke blieben.
»Das finden wir auch«, bestätigte der Familienvater.
Er war froh, dass sich am Vorabend die Gelegenheit geboten hatte, private Zeit mit Yuno Odan zu verbringen. Sie hatte ihn und Cethra nun von einer anderen Seite kennenlernen können als während des gemeinsamen Einsatzes, und umgekehrt. Man sagte, dass der Beruf des Kopfgeldjägers oft vom Abschaum der Galaxis ausgeübt wurde, und in manchen Fällen mochte das auch stimmen, aber Yuno war - ebenso wie Cethra - ein unübersehbares Gegenbeispiel. Genau wie Nen-Axas Padawan hatte auch die Zabrak moralische Grundsätze und einen angenehmen Charakter. Der Abend hatte sicherlich dazu beigetragen, beiderseitig Vorurteile abzubauen. Außerdem hatten sie alle die Möglichkeit gehabt, nach Gefahr, Kampf und Tod wieder auf angenehmere Gedanken zu kommen. Es hatte sich also in mehrfacher Hinsicht als gute Entscheidung erwiesen, Yuno mit zu ihm nach Hause einzuladen.
Wider Erwarten waren die Kinder trotz der späten Stunde noch wach gewesen: Sie ins Bett zu schicken, bevor ihr Vater und seine Padawan zu dem versprochenen gemeinsamen Abendessen eingetroffen waren, hatte Las Eru vor eine nicht zu meisternde Aufgabe gestellt. Sie wurden eigenwilliger, und das zeugte von einer gesunden Entwicklung. Obwohl die Kinder beim Eintreffen der Jedi und der Kopfgeldjägerin schon ziemlich müde gewesen waren, hatte gute Stimmung geherrscht. Cethra war während der Zeit als Nen-Axas Padawan schon öfter mit seiner Familie in Kontakt gekommen und die Kinder freuten sich immer darauf, sie zu sehen. Da Noi und Jem von Natur aus aufgeschlossen und vertrauensvoll waren - ein hohes Gut in dieser oft so feindseligen Galaxis - hatten sie auch die junge Zabrak sofort in ihre Spiele und Gespräche mit einbezogen. Das war vielleicht ein wenig anstrengend gewesen, aber Nen-Axa hatte nicht den Eindruck gehabt, dass Yuno damit überfordert gewesen wäre, und deshalb den Dingen ihren Lauf gelassen. Las hatte dann bald das Essen auf den Tisch gebracht, und wie es schien, hatte es den beiden Gästen geschmeckt. Der alte Arcona verstand sich gut darauf, so zu kochen, dass es auch humanoiden Zungen mundete - obwohl sich in seiner Küche und in der ganzen Wohnung nicht das kleinste Körnchen Kochsalz fand, denn was das Thema NaCl anging, war Nen-Axa zu keinerlei Kompromissen bereit.
Als die Kinder schließlich im Bett und die beiden jungen Frauen auf dem Weg zum Raumhafen gewesen waren, hatte der Jedi seinem alten Freund noch beim Abwasch und Aufräumen geholfen und sich dann ebenfalls zur Ruhe gelegt, um nach diesem körperlich und emotional anstrengenden Abend wieder zu Kräften zu kommen. Besonders lang geschlafen hatte er nicht, aber das war er gewohnt; beim Aufstehen hatte er sich dennoch fit gefühlt und bereit für einen neuen ereignisreichen Tag, der mit dem gemeinsamen Frühstück begann.
»Was ist ein Kopfgeldjäger?« wollte Noi wissen. Offenbar war der Begriff am Vorabend gefallen und sie hatte ihn sich gemerkt, konnte sich aber keinen Reim darauf machen.
»Ein Kopfgeldjäger ist jemand, der gesuchte Verbrecher fängt«, antwortete Nen-Axa.
»Wie ein Jedi?«
»Eher so wie ein Privatdetektiv.« Die Kleinen kannten ein paar kindgerechte Kriminalgeschichten, wussten mit diesem Vergleich also wohl etwas anzufangen. »Wenn die Polizei einen Bösewicht sucht und eine Belohnung aussetzt, versuchen Kopfgeldjäger, ihn zu finden. Sie leben dann von den Belohnungen. Auch Cethra ist früher Kopfgeldjägerin gewesen. Solche wie sie und Yuno arbeiten oft auch mit der Polizei zusammen. Aber nicht alle Kopfgeldjäger sind gut. Manche von ihnen machen selber verbotene Sachen und sind genauso schlimm wie die, die sie verfolgen.«
»Kann ich Kopfgeldjäger werden, wenn ich groß bin?« fragte Jem in seiner kindlichen Ahnungslosigkeit.
»Wenn du gern Verbrecher fängst, wäre Polizist noch besser, oder? Du wärst bestimmt ein guter Polizist.«
Nen-Axa hoffte, damit abwenden zu können, dass er demnächst von besorgten Lehrern in die Schule bestellt wurde. Der Berufswunsch ›Kopfgeldjäger‹ konnte Pädagogen sicherlich in einige Unruhe versetzen.
Für den Moment war das Thema jedenfalls beendet, denn die Aufmerksamkeit der Kleinen hatte sich schon wieder anderen Dingen zugewandt. Sie waren fertig mit Früstücken und wollten noch ein wenig spielen, bevor sie das Haus verließen. Heute war Las Eru an der Reihe, sie in die Schule zu bringen, weil er das gut mit einem routinemäßigen Arztbesuch verbinden konnte. Als die drei unterwegs waren, blieb Nen-Axa alleine in der Wohnung zurück.
Er setzte sich an den Computer und begann, den Bericht des Einsatzes vom Vortag zu verfassen. In zwei Ausführungen: Eine davon war für den Rat bestimmt und konzentrierte sich auf die Aspekte, die für den Orden relevant waren, besonders seine Einschätzung der Leistungen seiner Schülerin, aber auch eine Warnung wegen der Erkenntnisse, die er über kriminelle Umtriebe im direkten Umfeld der Basis erhalten hatte. Der Bericht an die Socherheitsbehören kam hingegen gänzlich ohne persönliche Einschätzungen aus und benannte nur die Fakten. Dabei verschwieg er weder die Rolle von Prik noch die von Yuno Odan. Er wollte die Aufklärung der Diebstähle und des Mordes unterstützen, nicht ihr im Wege stehen. Noch waren die Erinnerungen an das Erlebte und Gesprochene frisch und das Schreiben ging flüssig vonstatten. Doch noch bevor er fertig war, erhielt er eine Nachricht von seiner Padawan: Auch sie hatte einen Bericht verfasst und ihm diesen zugeschickt. Damit erhielten die Behörden noch mehr nützliche Informationen. Nen-Axa hoffte, dass sie damit etwas anfangen konnten, und zugleich, dass den beiden Jedi und der Kopfgeldjägerin lange Befragungen auf dem Revier somit erspart bleiben würden. Er ging aber fest davon aus, dass man sie spätestens bei einer Gerichtsverhandlung gegen die gefasste Raubmörderin als Zeugen laden würde. Die Aussage von Jedi hatte einiges Gewicht und die Staatsanwaltschaft von Lianna würde darauf bestimmt nicht gern verzichten.
Als alles fertig war, schickte er die Dokumente an das zuständige Polizeirevier. Den Bericht für den Orden adressierte er allerdings nicht an den Jedi-Rat in seiner Gesamtheit, sondern an Rätin Eleonore. Er fügte ein persönliches Schreiben an seine ehemalige Meisterin hinzu, das nur teilweise mit dem Einsatz vom Vortag zu tun hatte. Es gab noch eine andere Angelegenheit, welche seiner Meinung nach die Aufmerksamkeit des Rates erforderte. Es dauerte nicht lange, bis er eine Antwort erhielt, und über deren Inhalt freute er sich außerordentlich. Erst jetzt - es war bereits später Vormittag - machte er sich mit guter Stimmung auf den Weg zur Jedi-Basis.
Er fand Cethra nicht sofort. Zwar konnten die Empfangsdroiden vermelden, dass sie sich nach deren Kenntnis in der Basis befand, aber sie war weder in der Kantine noch in ihrem Zimmer und offenbar auch nicht in einem der Trainingsräume. Nen-Axa vermutete sie eventuell in einer der Meditationskammern, und da er sie dort nicht stören wollte, verzichtete er darauf, sie anzufunken. Noch war Zeit. Obwohl das Wetter heute kühl war und umzuschlagen drohte, ging er in den Garten. Eine spontane Begegnung mit seinem alten Freund Durk bot ihm die Gelegenheit zu einem netten Gespräch. Und als ihn schließlich ein Regenschauer zurück in das Gebäude scheuchte, lief er seiner Padawan über den Weg.
»Hallo Cethra!« grüßte er. »Danke für deinen Bericht: Wir haben ihn weitergeleitet.
Wie geht es dir heute? Ausgeruht und gut gefrühstückt? Wir haben nämlich etwas mit dir vor. Wir haben eine Verabredung in der Ratskammer, und du sollst mitkommen, um Rätin Eleonore Ta'Asul kennenzulernen. Sie hat uns ausgebildet und wir haben ein gutes Verhältnis zueinander, aber in letzter Zeit haben wir uns zu selten gesehen. Ich würde ihr gern endlich meine Padawan vorstellen.«
Genau wie er trug Cethra heute wieder die typische Jedi-Kleidung, und an ihrem Gürtel hing ihr selbst gebautes Lichtschwert. Gut: Viel mehr brauchte sie nicht bei diesem Treffen. Dass es dabei um weit mehr ging als nur ein Kennenlernen, sagte er ihr allerdings nicht. Er wollte, dass sie seiner alten Meisterin möglichst unvoreingenommen und natürlich gegenübertrat, ohne sie gleich in der Rolle zu sehen, die sie heute einnehmen würde: Die einer Prüferin.
[Lianna | Lola Curich | Jedibasis] Nen-Axa, Cethra Jayne