Kriegsverbrechen bleibt ohne Strafe
Italien ist empört darüber, dass ein deutscher Staatsanwalt ein Verfahren zum Massaker von Kephalonia einstellt
Dass ein Münchner Oberstaatsanwalt ein Verfahren wegen eines Wehrmachts- verbrechens eingestellt hat, wurde in Deutschland kaum bemerkt. In Italien hat es zu Verbitterung geführt.
Rom - Die Staatsanwaltschaft München I wertete die Beteiligung eines heute 86-Jährigen an der Erschießung italienischer Soldaten auf der griechischen Insel Kephalonia nur als Totschlag und damit als verjährt. Es ist vor allem die Begründung dafür, die in Italien heftige Empörung ausgelöst hat.
Nach 63 Jahren hätte man von der Justiz nicht erwartet, dass sie einen Greis ins Gefängnis steckt, schreibt die linke Zeitung L'Unità. Der Beschluss der Staatsanwaltschaft von Ende Juli aber zeige, "welch perverse Verbindung zwischen der deutschen Gesellschaft und ihrer eigenen Vergangenheit noch besteht". Die linksliberale La Repubblica beklagt, dass die Münchner Justiz auf dem Gedächtnis eines verbündeten Landes "herumtrampelt". Sie schreibe revisionistisch die Geschichte des Zweiten Weltkriegs um, legitimiere eines der grässlichsten Massaker des Dritten Reichs an Italienern und ermuntere Neonazis, so das Blatt.
Solche Reaktionen löst ein Schlüsselwort im Einstellungsbeschluss aus: "Verräter". Dass Oberstaatsanwalt August Stern es in Anführungszeichen setzte, dämpft die Erregung nicht. "Die Helden von Kephalonia Verräter? Diese Entscheidung, die die Wahrheit der Fakten und das Urteil der Geschichte auf den Kopf stellt, ist inakzeptabel", urteilt Verteidigungsminister Arturo Parisi.
Auf der griechischen Insel Kephalonia kamen bei Kämpfen und als Opfer von Exekutionen 9646 Italiener um. Nach dem 8. September 1943, als sich Italien nach dem Sturz Mussolinis vom verbündeten NS-Deutschland losgesagt hatte, wurden auf der Insel zahlreiche Soldaten umgebracht, die sich nicht auf die Seite der Deutschen schlagen oder ihre Waffen abgeben wollten.
Dass deutsche Truppen ihre Ex-Verbündeten niedermetzelten, ist auf der Apenninhalbinsel ein längst nicht aufgearbeitetes Trauma. Der damalige Staatspräsident Carl Azeglio Ciampi nannte 2001 in Kephalonia die Gegenwehr des italienischen Militärs den "ersten Akt der Resistenza in einem vom Faschismus befreiten Italien".
Angeklagter beruft sich auf Befehl
Der einstige Leutnant Otmar Mühlhauser aus Dillingen (Donau) hat eingeräumt, am 24. September 1943 am Kap Theodoro bei Agostoli auf Kephalonia Erschießungen angeordnet zu haben. Er habe lediglich einen Befehl weitergegeben. Dies, so die Staatsanwaltschaft, sei zwar "rechtswidrig und schuldhaft" - aber nur Totschlag, der nach 20 Jahren verjährt: "Es liegt kein Mordmerkmal vor." Ein mögliches Merkmal wären niedere Beweggründe. Bei ihrer Erwägungen verrennt sich der Beschluss in die provozierenden Feststellungen: Italienische Streitkräfte seien keine "normalen" Kriegsgefangenen gewesen. Aus Verbündeten seien sie "zu heftig kämpfenden Gegnern und damit im Sprachgebrauch des Militärs zu ,Verrätern'" geworden - ähnlich wie deutsche Deserteure; deren "Hinrichtung", so wörtlich, "wäre wohl ebenfalls nicht als Tötung aus niedrigen Beweggründen anzusehen."
Der Mailänder Anwalt Gilberto Pagani, der die Tochter eines auf Kephalonia Getöteten vertritt, findet die Münchner Entscheidung "äußerst ungerecht". Damit würden Verteidiger der Freiheit zu Verrätern - das gelte dann auch für die deutschen Widerständler des 20. Juli 1944. Sein Münchner Anwaltskollege Michael A. Hofmann kommt zum selben Ergebnis: "Die Weitergabe eines verbrecherischen Führerbefehls in einem verbrecherischen Krieg war ganz eindeutig Mord. Der damalige Leutnant hätte Nein sagen können und müssen." Hofmann hat gegen die Einstellung des Verfahrens Beschwerde eingelegt. Roman Arens