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Operation »Hannibal«: Mit der Bedrohung Ostpreußens und Danzigs durch den sowjetischen Vormarsch beginnt die größte Evakuierungsaktion der Geschichte. Gesamtleitung der Operationen: Marineoberkommando Ost (GenAdm. Kummetz) mit der 9. Sicherungsdivision (FKpt. v. Blanc) im Raum Danziger Bucht / Kurland, mit der 10. Sicherungsdivision (KAdm. Bütow, ab Februar FKpt. Heydel) im Raum Halbinsel Hela / Pommernbucht. Steuerung der zivilen Schiffahrt durch Seetransportchef (KAdm. Engelhardt).
Als Transportschiffe werden vor allem die großen Passagierdampfer verwendet, die bis dahin als Wohnschiffe in Pillau, Gotenhafen und Danzig verwendet worden sind, so u.a. Cap Arkona (27561 BRT), Robert Ley (27288 BRT), Wilhelm Gustloff (25484BRT), Hamburg (22117 BRT), Hansa (21131 BRT), Deutschland (21046 BRT), Potsdam (17528 BRT), Pretoria (16662 BRT), Berlin (15286 BRT), General Steuben (14660 BRT), Monte Rosa (13882 BRT), Antonio Delfino (13589 BRT), Winrich von Kniprode (10123 BRT) und Ubena (9554 BRT), ferner u. a. die Frachter Moltkefels (7862 BRT), Wangoni (7848 BRT), Neidenfels (7838 BRT), Lappland (7650 BRT), Vega (7287 BRT), Volta (7258 BRT), Göttingen (6267 BRT), Sachsenwald (6261 BRT), Kanonier (6257 BRT), Duala (6133 BRT), Vale (5950 BRT), Wiegand (5869 BRT), Urundi (5791 BRT), Tübingen (5493 BRT), Albert Jensen (5446 BRT), Brake (5347 BRT), Tanga (5346 BRT), Mathias Stinnes (5337 BRT), Goya (5230 BRT), Mendoza (5193 BRT), Cometa (5125 BRT), Eberhart Essberger (5061 BRT) und viele weitere unter 5000 BRT. Auch Hilfskriegsschiffe und Geleitfahrzeuge wurden meist zum Transport von Flüchtlingen ausgenutzt. So können in dieser Zeit erhebliche Transportleistungen verzeichnet werden, die großen Passagierdampfer nehmen je Fahrt zwischen 5000 und 10.000 Menschen an Bord, die Frachter je nach Größe bis 5000. Insgesamt werden 2,5 Millionen Flüchtlinge über die Ostsee in westl. Richtung transportiert (vgl. Kritik von H. Schwendemann), dabei kommen durch Versenkungen und Unglücksfälle etwa 30.000 Menschen ums Leben. In der selben Zeit gelingt nur etwa 500.000 Menschen die Flucht über Land. — Am 25.1. laufen als erste Schiffe von Pillau die Robert Ley, Pretoria, Ubena u.a.m. mit zusammen 7100 Flüchtlingen aus, Ende Januar folgen weitere Schiffe, bis zum 28.1. sind bereits 62.000 Flüchtlinge verschifft. Aber auch Kriegsschiffe gehen mit Flüchtlingen in See. Im Januar ist es der Kreuzer Emden, der zugleich den Sarkophag des Reichspräsidenten Hindenburg nach Stettin verbringt.
Zur Sicherung der Geleite werden im Raum Danziger Bucht bis Kurland von der 9. Sicherungs-Division eingesetzt die 1., 3. und 25. M-Flottille (KKpt. Pinkepank, KKpt. Dr. Kieffer bzw. Kptlt. Vogeler, ab Februar Kptlt. v. Haxthausen) mit je etwa 6 einsatzbereiten M-Booten, die 1. und 17. R-Flottille (Kptlt. Hoff, KKpt. Zaage und ab März Kptlt. Voss) mit je 7-10 R-Booten, die 3. und 17. Vp.-Flottille (KKpt. Böttger, KKpt. Dittmer) mit 6-8 umgebauten Fischdampfern, die 3. und 14. Sicherungs-Flottille (KKpt. Leonhardt, ab März FKpt. Palmgren bzw. KKpt. Petersen) mit zahlreichen kleineren Fischereifahrzeugen und KFK, die 31. M-Flottille (Kptlt. Prater) mit 4 KFK-Gruppen, die 3. U-Jagd-Flottille (Kptlt. Dr. Teichmann) mit zahlreichen kleinen Fischereifahrzeugen, die 13. und 24. L-Flottille (KKpt. Wassmuth, FKpt. Brauneis) mit MFP sowie die 3. und 7. Artillerie-Träger-Flottille (KKpt. Dr. Schröder bzw. KKpt. Dr. Sonnemann) mit SATs, LATs und AFs. — Im Raum Halbinsel Hela bis zur Pommernbucht von der 10. Sicherungs-Division die neu aufstellenden 12. und 2. M-Flottillen (Kptlt. Ostertag, Kptlt. Rosenow) mit modernen M-Booten Typ 43, die 15. R-Flottille (Kptlt. Mergelmeyer) mit neuen R-Booten, die 2. Sicherungs-Flottille (Kptlt. Dr. Reimann) mit zahlreichen kleinen Fischereifahrzeugen und KFKs, die 36. M-Flottille (KKpt. Reinhold) mit umgebauten Loggern, die KFK-Schulflottille und die neu aufgestellte 6. U-Jagd-Flottille (ab März Kptlt. Bittkow) sowie als Transportmittel die 11. L-Flottille (KKpt. Wiegand) mit MFP. In der westlichen Ostsee wird von Kiel aus die 1. Sicherungs-Flottille zur Minensicherung eingesetzt (Kpt.z.S. G. Schulz).
Haupthindernis für die Transporte ist die brit. Luftminenoffensive der RAF in der westlichen Ostsee und bis vor die pommersche Küste, die zu häufigen Sperrungen der Zwangswege innerhalb der 20-m-Linie und zu erheblichen Verzögerungen während der Minensucharbeiten der 1. und 2. Sicherungs-Flottille führt. (Einsätze der RAF-Minengeschwader siehe 6.- 29.1.) Im übrigen ist die Luftgefährdung in der ersten Zeit nur gering, da die sowj. Fliegerkräfte noch weitgehend im Landeinsatz gebunden sind.
Völlig unzureichend ist die Sicherung gegen die in der Ostsee operierenden sowj. U-Boote, da zunächst keine kampfkräftigen U-Jäger vorhanden sind, bis in der zweiten Hälfte des Februar die 11. und 12. U-Jagd-Flottille verlegt werden. Lag der Schwerpunkt des sowj. U-Boot-Einsatzes bisher auf dem Weg nach Kurland (Einsätze der sowj. U-Boote siehe 7.- 31.1.), so operieren einzelne große Boote nun schon im Raum vor der Danziger Bucht und bei der Stolpe-Bank, und zwar im Gebiet des Tiefwasserweges, sie meiden dagegen die seichteren Küstengewässer, in denen die RAF regelmäßig ihre Minensperren erneuert und zahlreiche Verluste verursachen. Im Sperrgebiet »Geranium« vor Swinemünde sinkt am 29.1. das Geleitschiff F5, am 31.1. der Tender Memel (1157 BRT, etwa 600 Flüchtlinge ertrinken) sowie das Lazarettschiff Berlin (15.286 BRT, das seine Verwundeten tags zuvor an Land gegeben hat und sich nun auf dem Rückmarsch nach Pillau befindet, 1 Toter), und am 2.2. der Frachter Planet (5821 BRT, keine Personalverluste).
Am 28.1. versenkt K-51 (Kpt. 2. Rg. Drozdov) bei Bornholm den dänischen Dampfer Viborg (2028 BRT). S-13 (Kpt. 3.Rg. Marinesko) erzielt vor der Stolpe Bank seinen größten Erfolg: Am 30.1. sollen die beiden großen Passagierdampfer Wilhelm Gustloff (25.484 BRT) und Hansa (21.133 BRT), die als Wohnschiffe der 2. U-Bootslehrdivision genutzt werden, mit allem Personal und mit Flüchtlingen Gotenhafen/Gdingen mit dem Ziel westliche Ostsee verlassen. Es gibt keine ausreichende Geleitsicherung, die Hansa bleibt wegen eines Maschinenschadens liegen, und so fährt die Wilhelm Gustloff allein mit dem kleinen Torpedoboot Löwe (ex-norw. Gyller) als Geleitschutz aus, wegen der Minengefahr ebenfalls auf dem Tiefwasserweg. Nach neuesten Schätzungen sind mehr als 10.500 Menschen an Bord: 918 Mitglieder der 2. ULD, 373 Marinehelferinnen, 173 Besatzungsmitglieder, 162 verwundete Soldaten and mehr als 8800 Flüchtlinge (Männer, Frauen and Kinder).
In der Nacht trifft S-13 die Wilhelm Gustloff mit 3 Torpedos, so dass das Schiff schnell sinkt. Der Schwere Kreuzer Admiral Hipper (Kpt.z.S. Hengist), mit einer Besatzung von fast 1500 Mann und weiteren 1500 Flüchtlingen an Bord), begleitet von dem Torpedoboot T 36 (Kptlt. Hering, ebenfalls mit Flüchtlingen an Bord), passiert die Unglücksstelle, muss aber wegen der U-Bootgefahr mit hoher Geschwindigkeit ablaufen. Die Löwe (Kptlt. Prüfe) rettet 472 Menschen und bringt sie nach Kolberg. T 36 meldet, dass es 2 Torpedos nur mit knapper Not ausgewichen sei, drängt zuerst das U-Boot mit Wasserbomben ab und rettet dann 564 Menschen, die es nach Saßnitz bringt. Der Dampfer Gotenland (mit etwa 4000 Flüchtlingen von Libau an Bord) rettet 2 Menschen, der zu seiner Sicherung mitlaufende Minensucher M 387 rettet 98, Minensucher M 341 (Oblt.z.S. Rickmers, mit 144 Flüchtlingen an Bord) rettet 37, der Dampfer Göttingen (Kapt. Segelken, mit 2464 Verwundeten and 1190 Flüchtlingen an Bord) rettet 28 und das sichernde M 375 rettet 43 Menschen, das kleine Torpedofangboot TF19 rettet 7 Menschen und das Vorpostenboot V 1703 noch 1 Kind. Von 1252 aus dem Wasser geretteten Menschen sterben 13 an Bord der Schiffe. Die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten fordert mehr als 9300 Opfer. Am nächsten Tag verlassen die großen Passagierdampfer Hansa (21.133 BRT), Hamburg (21.691 BRT), Cap Arkona (27.571 BRT, mit 8000 Flüchtlingen an Bord) und weitere Schiffe die Danziger Bucht und erreichen die westliche Ostsee.