Der 22. September 1862 ist ein wichtiges Datum im Amerikanischen Bürgerkrieg. An diesem Tag vor 148 Jahren verkündete Präsident Abraham Lincoln die sogenannte Emanzipationserklärung (Emancipation Proclamation), nach der alle Sklaven in den sich mit der Union im Krieg befindlichen Konföderierten Staaten mit Wirkung des 1. Januar 1863 frei sein sollten. Dies stellte einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Abschaffung der Sklaverei in Nordamerika dar, wenngleich deren tatsächliche und vollständige Abschaffung freilich erst durch die Ratifizierung des 13. Verfassungszusatzes im Dezember 1865 erfolgen sollte.
Zwar war die Sklavereifrage einer der wesentlichen Punkte, der zur Entfremdung zwischen den Nord- und den Südstaaten und somit in den Sezessionskrieg geführt hatte, jedoch war Lincoln 1861 nicht mit dem Ziel in den Krieg gezogen, die Sklaven zu befreien, sondern die Union zu erhalten. Zwar lehnte Lincoln die Sklaverei aus religiösen und moralischen Gründen ab, jedoch war er zu sehr Realpolitiker. Ihm wird der Ausspruch zugeschrieben, daß es ihm egal sei, ob er nun alle Sklaven befreie oder keinen einzigen, wenn er damit nur die Union erhalten könne.
Mit dem Beginn des Krieges 1861 standen die Nordstaaten jedoch vor dem Problem, wie man mit entlaufenen oder erbeuteten Sklaven umgehen sollte. Rechtlich gesehen galten diese Menschen als „Eigentum“ der Sklavenhalter im Süden, und somit als Kriegsbeute. Um diesen Umstand zu regeln erlies die Regierung im Norden im August 1861 den ersten Konfiskastionsakt, der die Beschlagnahme kriegswichtiger Güter der Rebellen einschließlich der Sklaven regelte, jedoch nichts über den rechtlichen Status dieser Menschen und wie mit ihnen zu verfahren sei aussagte. Dennoch sträubte sich Lincoln lange gegen weitere Schritte. Zum einen wollte er die Leute in den Grentzstaaten Maryland, Kentucky, Delware und Missouri nicht verärgern, die zwar Sklavenhalterstaaten waren, aber trotzdem zur Union hielten, zum anderen musste er die Bedürfnisse seiner Wähler aus der weißen Unterschicht im Auge behalten, die durch ein Millionenheer an freigelassenen Sklaven unliebsame Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt befürchtete. Mit anhaltender Kriegsdauer geriet Lincoln jedoch innerparteilich unter Druck, da der radikal-abolitionistische Flügel der Republikaner immer stärker die Abschaffung der Sklaverei als Kriegsziel einforderte. Daher wurde als nächster Schritt im Juli 1862 der zweite Konfiskationsakt erlassen, der u.a. besagte, daß entlaufene Schwarze, die der US-Armee beitraten für immer frei sein sollten und somit die Aufstellung der ersten Schwarzen-Regimenter ermöglichte. Gegen die Verkündigung der Emanzipationserklärung sträubte sich Lincoln jedoch noch. Dazu brauchte er dringend einen größeren militärischen Sieg auf dem östlichen Kriegsschauplatz, damit die Verkündung der Sklavenbefreiung nicht als Verzweiflungstat angesehen werden würde. Dieser kam dann schließlich mit der Vertreibung der Truppen General Lee’s aus Maryland in der Schlacht bei Antietam (17.9.1862).
Nachdem eine Einigung mit den Grenzstaaten über einen freiwilligen Verzicht auf die Sklaverei sowie eine Entschädigung für die Sklavenhalter dort fehlgeschlagen war, erstreckte sich die Emanzipationserklärung lediglich auf die Sklaven, die in den Staaten lebten, die sich in Rebellion gegen die Union befanden. Daran kann man gut ablesen, daß hier eher kriegswichtige Gründe eine Rolle spielten, als moralische Fragen. Die Regierung Lincoln erhoffte sich von diesem Schritt folgendes:
Unruhe im Hinterland des Feindes. Wenn auch ein großer Aufstand ausblieb, so flohen bis zum Ende des Krieges jedoch fast eine halbe Million Sklaven auf das Gebiet der Union. Für den ohnehin dünn besiedelten Süden, dessen weiße Männer fast alle an der Front kämpften, ein nicht zu unterschätzender Aderlass an Arbeitskräften.
Zusätzlich sollte der Kampf der Union zum einen bei der eigenen kriegsmüden Bevölkerung, vor allem aber im Ausland, auf eine höhere moralische Stufe gehoben werden. So waren besonders die europäischen Großmächte England und Frankreich wirtschaftlich in hohem Maße von billigen Baumwollimporten aus dem Südstaaten abhängig und auch aus geopolitischen Interessen wären diesen beiden Mächten mehrere Einzelstaaten auf dem Gebiet der heutigen USA weitaus lieber gewesen, als eine starke Union. Im Jahr 1862 spielten die Regierungen von England und Frankreich dann auch tatsächlich mit dem Gedanken im Falle eines sich abzeichnenden militärischen Sieg des Südens die Konföderation diplomatisch anzuerkennen und aktiv in den Krieg einzutreten. Militärisch wurde dieser Schritt durch Lee’s Niederlage bei Antietam vereitelt. Zwar war der Süden noch lange nicht geschlagen, aber es zeichnete sich ein längerer Konflikt ab, in dem der Süden aufgrund seiner geringen Bevölkerungsdichte und seiner schwachen Industrialisierung früher oder später unweigerlich unterliegen musste. Durch die Emanzipationserklärung verschob sich nun zusätzlich der Fokus innerhalb der Öffentlichkeit der europäischen Staaten, weg vom Kampf um abstrakte Rechte der Einzelstaaten hin zu einem Kampf an dessen Ende die Abschaffung der als anachronistisch und unmoralisch empfundenen Sklaverei stand, sodaß eine Anerkennung der Konföderation die Regierungen Englands und Frankreichs einem immensen öffentlichen Druck ausgesetzt hätte.
Der praktische Nutzen der Emanzipationserklärung war jedoch gering. Die Sklavenhalter auf dem Gebiet der Konföderation taten natürlich einen Teufel, ihre Sklaven zum 1.1.1863 einfach freizulassen und auch für entflohene Sklaven änderte sich gegenüber den Bestimmungen des zweiten Konfiskationsaktes de-facto so gut wie nichts.
Für die endgültige Abschaffung der unwüdigen Einrichtung der Sklaverei in Nordamerika war diese Erklärung jedoch ein überaus wichtiger Schritt, bekannte sich die Union doch damit erstmals eindeutig dazu, im Falle eines Sieges diesen Anachronismus zu beenden, was den Weg zum 13. Verfassungszusatz ebnete, der die Leibeigenschaft nicht nur auf dem Gebiet der ehemaligen Konföderation, sondern auch in den Grenzstaaten verbot.
Lincoln – der der Sklavereifrage zumindest politisch stets eher indifferent gegenüberstand – wurde durch diesen Schritt in weiten Teilen der öffentlichen Wahrnehmung zum Befreier der Sklaven stilisiert und gilt bis heute (neben George Washington) als der beliebteste Präsident in der Geschichter der USA.
Der komplette Text der Emanzipationserklärung (engl.) findet sich
HIER.
C.