- Naboo – Theed – Masaos und Salomés Wohnung – Mit Salomé –
Unten auf der Straße warteten die Fotografen. Es war dunkel, doch Akemi konnte die Lichter ihrer Speederbikes sehen und ihre Silhouetten, wie sie sich vor dem Eingang zum Park bewegten. Der Wohnkomplex, in dem ihr Bruder und seine Frau eine Wohnung besaßen, lag in einem ruhigen Viertel Theeds auf einem Hügel. Die Wohnung befand sich in einem der oberen Stockwerke, mit einem fantastischen Ausblick über diesen Teil der Stadt. Bei Tag konnte man weit sehen und bei Nacht verwandelte sich die Stadt am Fuße des Hügels in ein mystisches Lichtermeer. Eigentlich hatte Masao seiner Schwester untersagt, hierher zu kommen, um die Papparazzi, die ihr so oft folgten, von seinem Zuhause fern zu halten. Er wollte nicht, dass sie sich angewöhnten, hier auf Akemi zu warten, oder ihn und Salomé, oder seine Nachbarn, belästigten. Heute war Akemi trotzdem gekommen. Ausnahmen bestätigten für gewöhnlich jede Regel. Im Licht eines Scheinwerfers sah sie, wie weit unter ihr einer der Männer Kaffeebecher an seine Kollegen verteilte. Sie würden so lange ausharren, bis die Schauspielerin, deren Foto bares Geld für sie bedeutete, später am Abend wieder das Gebäude verließ und in ihren Gleiter stieg. Masao würde sich ärgern, wenn er nach Hause kam und die Fotografen sah, aber das war Akemi ausnahmsweise egal. Er würde sich heute noch über ganz andere Dinge ärgern.
„Möchtest du Sahne auf deinen Sirup?“
Salomés Rufen erreichte Akemi im Wohnraum und vertrieb ihre Gedanken.
„Ja, bitte.“
Sie drehte dem Fenster und allem, was dahinter lag, den Rücken zu und folgte Salomé in die Küche. Hier, wie auch im Rest der Wohnung, wirkte alles aufgeräumt und steril. Grau und weiss waren die vorherrschenden Farben, die Oberflächen von Schränken und Schaltflächen glänzten makellos. Die Einrichtung hatte etwas zeitloses an sich, ohne auffällige Farben oder Muster, die in zehn Jahren niemand mehr sehen wollte, und Akemi kam es so vor, als wären die Möbelstücke von jemandem entworfen worden, der nichts für unnötige Verzierungen oder Verschönerungen übrig gehabt hatte. Minimalistisch nannte man den Stil, hatte Masao ihr erklärt. Als Architekt kannte er sich aus. Er liebte alles, das klassisch und zugleich modern war und passte damit gut zu Salomé, die genau der Typ war, der alle diese Möbel entworfen haben könnte. Akemis Schwägerin war eine zielorientierte Frau, die genau wusste was sie wollte, beruflich wie privat. Sie war geradeaus und offen in ihrer Kommunikation, schmierte niemandem Honig um den Mund und hielt sich nie mit langen, überflüssigen Erklärungen auf. Wann immer sie etwas erzählte, war die Geschichte kurz und prägnant, nicht wie bei Masao, der sich gerne in Details verzettelte. Eigentlich passten sie gar nicht richtig zusammen, aber ihre Beziehung funktionierte trotzdem. Salomé war jedenfalls schnell genervt, wenn ihr etwas zu lange dauerte und zu nichts führte. Umso überraschter war Akemi, dass sie nach fast jedem Details von Richards Heiratsantrag gefragt hatte. Die Sache mit Salomé war, sie wirkte nach aussen hin zwar oft sachlich und kühl, doch in Wirklichkeit war sie, ganz tief in sich drin, eine hoffnungslose Romantikerin.
"Also, wo waren wir stehen geblieben?"
Sie reichte Akemi ihr Glas.
"Vorsicht, heiss."
Akemi zog sich die langen Ärmel über die Finger und packte das Glas mit dem improvisierten Handschuh. Der Sirup war sonnengelb, ziemlich dickflüssig und roch fast übertrieben süßlich. Salomé servierte ihn warm, um den Geschmack der Lippa-Früchte noch zu verstärken.
"Du hattest erzählt, wie Richard das ganze Orchester weg geschickt hat."
Erinnerte Salomé an den letzten Part der Geschichte, den Akemi ihrer Schwägerin während des Essens erzählt hatte, bevor sie beschlossen hatten kurz zu unterbrechen, um den Tisch abzuräumen und sich eine süße Nachspeise aus der Küche zu besorgen. Sie hatten ohne Masao zu Abend gegessen. Wenn er so spät kam wie heute, pflegte er bereits im Büro eine Mahlzeit zu sich zu nehmen.
"Ach ja, genau."
Akemi lief puterrot an und Salomé grinste wissend. Sie wartete nur darauf, dass die Geschichte in eine eindeutige Richtung ging
"Danach hatten wir die Pools für den Rest des Nachmittags ganz für uns allein."
Die "Pools" waren die Quellen in den Tropfsteinhöhlen der Gallo Mountains gewesen, natürliche Becken voll warmen Wassers, dem man besondere Heilkräfte zusprach und in dem zu baden wunderbar angenehm war, besonders wenn man gerade zuvor einen Heiratsantrag angenommen hatte und voller Glückshormone steckte. Die Stimmung und der Ort hätten romantischer nicht sein können.
"Klingt, als hätte Richard wirklich an alles gedacht, selbst an Badekleidung."
Das Gesicht, das Akemi auf diese Bemerkung hin machte, brachte Salomé zum Schmunzeln.
"Keine Sorge, ich frage nicht nach weiteren Details."
Sie hob beschwichtigend die Hände und ersparte Akemi, vor Scham im Boden zu versinken. Im Gegensatz zu Salomé, die mit zwei Schwestern aufgewachsen war, war es Akemi nicht gewohnt, mit anderen Mädchen oder Frauen intime Details auszutauschen. Sie hatte nie eine Freundin gehabt, der sie sich in dieser Richtung hätte anvertrauen können und war auch gar nicht sicher, ob sie das gewollt hätte. Farlone war natürlich immer sehr gesprächig und hatte Akemi selbst schon die pikantesten Geschichten aus ihren vielen Beziehungen erzählt, doch das waren stets einseitige Gespräche. Farlone redete wie ein Wasserfall und Akemi hörte zu, wie das stille Wasser, das sie in solchen Situationen war. Sie glaubte, dass sie das von ihrer Mutter hatte. Miu Akanato hätte sicher zugestimmt, dass das, was zwischen Mann und Frau geschah auch zwischen diesen beiden bleiben sollte. Nicht, dass sich Akemi jemals gewagt hätte, ein solches Thema gegenüber ihrer Mutter auch nur anzuschneiden.
"Akemi, ich freue mich für euch, ehrlich."
Salomé hatte zu der ernsten Persönlichkeit zurück gefunden, die sie meistens war.
"Ihr seid ein schönes Paar und ihr versteht euch gut. Ich glaube, ich habe noch nie erlebt, dass ihr mal nicht einer Meinung gewesen wäret."
"Das stimmt, wir streiten eigentlich nie."
Akemi war wieder von der Küche in den Wohnraum voran gegangen.
"Eine gute Voraussetzung, oder?"
Sie setzten sich wieder an den ovalen Esstisch und Akemi stellte ihre Tasse vor sich auf dem Tisch ab. Sie waren fast drei Stunden in den Höhlen der Gallo Mountains geblieben, Richard und sie, während es draussen in Strömen geregnet hatte, hatten den Tag langsam ausklingen lassen und sich später von einem Gleiter abholen lassen, der sie zurück nach Dee'ja Peak gebracht hatte. Das war jetzt fast zwei Wochen her und bisher wusste noch niemand etwas von ihrer Verlobung, ausser der neugierigen Mrs. Barson, die Akemis neuen Ring schon am Tag darauf beim Frühstück gesichtet hatte, und Venecia, ohne die Richard das alles gar nicht hätte planen können.
"Und was habt ihr dann noch gemacht? Seid ihr abends essen gegangen?"
Fragte Salomé nach. Sie wusste es jetzt auch. Akemi hatte entschieden, es zuerst ihrem Bruder und danach ihren Eltern zu erzählen, doch weil sie sich Masaos Reaktion sehr unsicher war, hatte sie Salomé eingeweiht bevor sie mit ihm sprach, und sie um Rückendeckung gebeten.
"Nein, wir haben es uns Zuhause gemütlich gemacht. Richard hat gekocht. Es war wirklich ein richtig schöner Tag, einer den ich nie vergessen werde."
Vom Flur her hörten sie Geräusche, als sich die Appartmenttür öffnete. Die beiden Frauen tauschten einen Blick.
"Da ist er."
Akemi umklammerte ihre Tasse mit beiden Händen. Es war eigentlich unnötig, nervös zu sein, sie teilte ihrem Bruder lediglich eine Neuigkeit mit und hatte sogar schon parat, was sie sagen wollte. Trotzdem fühlte sie sich auf einmal unruhig. Zu heiraten war eben ein großes Thema.
"Guten Abend."
Masao betrat den Raum und sie konnte beteits sehen, dass er genervt war. Er begrüßte seine Frau mit einem Kuss. Akemi präsentierte er ein angestrengtes Stirnrunzeln.
"Hatten wir nicht darüber gesprochen, dass du nur inkognito hier her kommst?"
Natürlich war er wegen der Fotografen sauer.
"Ich weiss, tut mir Leid. Ich hab's versucht."
Antworte Akemi einsichtig. Es war kein besonders guter Start für ihr Gespräch. Masao sah sie verständnislos an.
"Versucht, unbemerkt weg zu fahren, meine ich."
Ergänzte sie.
"Wie gesagt, tut mir Leid. Kommt nicht wieder vor."
"Es ist ja kein Drama."
Salomé zwinkerte ihr zu.
"Willst du dich nicht setzen, Schatz?"
Masao schien zu überlegen, zog seine Jacke aus und warf sie über einen Stuhl. Er stand jetzt hinter Salomé und massierte ihr die Schultern.
"Und mich an euren Frauengesprächen beteiligen?"
Feixte er, jetzt schon besser etwas besser gelaunt.
"Ich wette, du würdest es gar nicht so uninteressant finden."
Salomés Stimme klang pragmatisch. Wo andere Frauen charmant geflirtet hätten, ließ sie pure Sachlichkeit sprechen. Sie war oft unnahbar und Akemi vermutete, dass genau das sie so anziehend für Masao machte. Das, und dass sie ihn intellektuell heraus forderte.
"Ich muss dir was erzählen."
Mit ihrer Ankündigung zog Akemi Masaos Aufmerksamkeit auf sich. Er setzte sich.
"Okay, worum geht's?"
Sein Tonfall verriet, dass er mit schlechten Neuigkeiten rechnete. Die Tasse in Akemis Händen war inzwischen nicht mehr ganz so warm, doch es tat noch immer gut etwas zu haben, woran sie sich fest halten konnte.
"Weisst du noch, als Mama bei eurer Hochzeit sagte, sie hoffte, dass ich eines Tages in ihren alten Brautkleid heiraten würde, aber es bis dahin noch lange hin wäre, weil ich ja noch immer ihr kleines Mädchen bin?"
"Ja... ich erinnere mich."
Erwiderte er vorsichtig. Akemi atmete tief in den Brustkorb ein, wie um sich zu wappnen.
"Tja, ich... bin inzwischen doch nicht mehr ganz so klein."
Es auszusprechen, ihm gegenüber, war noch schwerer als sie gedacht hatte. Mit Salomé zu reden war ihr dagegen ganz leicht gefallen. Masao sah sie an und schüttelte den Kopf.
"Du sagst nicht, was ich denke das du sagst, oder?"
Oh doch.
"Richard und ich haben uns verlobt."
Akemi holte den Ring aus ihrer Tasche. Sie trug ihn noch nicht regelmäßig, weil sie nicht damit hatte fotografiert werden wollen bevor es offiziell war. Jetzt steckte sie ihn sich an den Finger. Sie liebte, wie er glitzerte.
"Ich habe es befürchtet."
Und genau wie sie im Stillen geahnt hatte, verdarb Masao den Moment.
"Hast du überhaupt eine Ahnung, was du tust?"
Er klang ernsthaft sauer. Akemi schluckte und zwang sich, ruhig zu bleiben.
"Hälst du mich für so unreif, dass du das in Frage stellst?"
Konterte sie.
"Ja. Ehrlich gesagt tue ich das."
"Warum?"
Und auf einmal war sie den Tränen nahe. Es sollte eine glückliche Neuigkeit sein, ein wichtiger, wunderbarer Schritt in Akemis Leben.
"Warum kannst du dich nicht einfach mit mir freuen?"
"Weil er verbohrt ist."
Mit einem Blick, der jeden gestandenen Mann zum Schweigen gebracht hätte, zeigte Salomé ihrem Mann, was sie von ihm und seinen Kommentaren hielt. Die Message wirkte: zum Schweigen gebracht verschränkte Masao die Arme vor der Brust, als wolle er sich einigeln. Keiner sagte mehr etwas. Der Ring an Akemis Finger glitzerte einsam vor sich hin, während sie ihre Hand leicht hin und her drehte, um das Licht der Deckenlampe in dem Diamanten zu fangen. Sie hatte mit Widerstand gerechnet, darum hatte sie auch unbedingt hier her kommen wollen, statt sich in einem Restaurant mit Masao zu treffen, wo es in der Öffentlichkeit zu einer unschönen Szene hätte kommen können. Eigentlich wollte sie nur dieses Ereignis in ihrem Leben mit ihm teilen. Sie selbst erinnerte sich daran, wie glücklich sie für ihn gewesen war, als er Salomé geheiratet hatte. Er war von Anfang an verrückt nach ihr gewesen, ohne sich ihrer jemals wirklich sicher zu sein. Selbst als er ihr seinen Antrag gemacht hatte, hatte er mit jeder Antwort gerechnet. Das war Salomé: undurchschaubar und unberechenbar. Akemi hatte sich für sie beide gefreut. Sie war aufgeregt gewesen, eine Schwester zu bekommen. Dass Masao nicht einmal ansatzweise so über Richard dachte, war ihr klar. Die beiden verstanden sich, doch zwischen ihnen lagen Welten. Trotzdem wünschte sie sich, dass ihr Bruder sie unterstützte. Konnte er nicht sehen, wie gut es ihr mit Richard ging?
"Alles was du siehst, ist unser Altersunterschied, stimmt's?"
Wollte sie wissen.
"Ja."
Er gab sich nicht die Mühe, es zu leugnen, was ohnehin sinnlos gewesen wäre.
"Aber sollte das nicht eher mein Problem sein? Wenn ich damit doch zurecht komme, warum machst du es dann zum Thema?"
"Das ist ein gutes Argument."
Mischte sich Salomé wieder ein und diesmal war es an Masao, ihr einen giftigen Blick zuzuwerfen. Scheinbar hatte er seinen Mut wieder gefunden.
"Schlägst du dich jetzt auf ihre Seite?"
Fragte er angefressen. Sie verzog keine Miene.
"Ich sehe die Situation von einem neutralen Standpunkt aus."
"Siehst du, das kann ich nicht. Ich bin ihr großer Bruder, ich bin nicht neutral."
"Das ist wahr."
Salomé griff nach seiner Hand.
"Aber vergiss nicht, dass alle kleinen Schwestern eines Tages erwachsen werden."
In seinem Blick konnte Akemi sehen, dass er sich gegen diesen Gedanken wehrte. Masao war lange ihr Beschützer gewesen. Er hatte sie über Monate hinweg gesucht, als sie mit 15 Jahren verschwunden und Cris zum Geheimdienst gefolgt war. Er war es gewesen, der ihre Familie in dieser Zeit zusammen gehalten hatte. Später war er ihr Manager geworden, hatte sich sogar beruflich um sie gekümmert, bevor er diese Aufgaben an Gynt abgegeben hatte. Es war nicht einfach für ihn, los zu lassen, und Salomés Worte machten Akemi dies zum ersten Mal so richtig bewusst. Trotzdem war er nicht für sie verantwortlich. Dass er Bedenken hatte, war sein gutes Recht. Er hatte sie ihr mitgeteilt. Nun war es an Akemi zu entscheiden, ob sie seinen Rat befolgte oder nicht.
"Du hast gesagt, ihr würdet keine gemeinsame Zukunft planen."
Erinnerte er sie.
"Du wolltest das nicht."
"Das ist lange her."
In der Zwischenzeit hatte sich viel verändert. Masao seufzte.
"Wenn es das ist, was du willst..."
Er zuckte mit den Schultern.
"Du brauchst meine Zustimmung nicht."
Obwohl es wohl ein Entgegenkommen sein sollte, klang Masaos Stimme ungewohnt distanziert.
"Nein, das ist wahr, aber ich hätte sie gerne gehabt."
Er sah sie lange an, schüttelte den Kopf.
"Willst du, dass ich etwas sage, das ich nicht so meine?"
Es blieb bei diesen Worten. Akemi hatte nicht mehr viel darauf geantwortet. Dunkle Schatten tanzten auf der Straße. Die Reporter waren weniger geworden. Einige der Papparazzi hatten die Warterei aufgegeben und waren aufgebrochen zu sich lohnenderen Zielen. Trotzdem schlug Akemi grelles Blitzlichtgewitter entgegen, als sie den Gebäudekomplex verließ und in ihren Gleiter stieg. Abgeschirmt von ihrer Sonnenbrille zwengte sie sich an den Fotografen vorbei in den Schutz ihres Fahrzeugs, zurück hinter die getönten Scheiben. Auf Fotos wirkte sie in solchen Momenten unnahbar, wie der Star der sie war. Heute war einer der wenigen Tage, an denen sie sich kein bisschen so fühlte. "Gib ihm etwas Zeit.", hatte Salomé ihr beim Abschied geraten und sie feste gedrückt. Akemi dachte an Richard, der in Dee'ja Peak geblieben war um zu schreiben, und wie sehr sie sich darauf freute, wieder bei ihm zu sein, auch wenn Masao es noch so wenig verstand.
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