Ich hoffe er wird auch eingezogen.
Die Hoffnung muss ich Dir leider nehmen. Laut seinem Anwalt laufen weder Snowden noch seine Lebensgefährtin (mittlerweile ebenfalls russische Staatsbürgerin) Gefahr, einberufen zu werden. Begründung: Sie haben keinen Wehrdienst in den sowjetischen oder russischen Streitkräften geleistet und auch keine sonstige militärische Erfahrung. Solange die Situation also für die Russische Föderation nicht so verzweifelt wird, dass jede(r), der eine Waffe zumindest halten kann, eingezogen wird, steht dem relativ bequemen Leben unter Putins schützender Hand wenig entgegen - als Propagandamittel ist er noch zu nützlich, als dass man ihn an der Front verheizen würde.
Diejenigen, die diesen Luxus nicht haben, begehren mehr und mehr dagegen auf. Es häufen sich Berichte über Brandstiftung bei Rekrutierungszentren, es gab nachweislich einen Schusswechsel in einem Rekrutierungszentrum, als sich jemand für die zwangsweise Einberufung eines Freundes rächte, und in der Republik Dagestan wurden bei Großdemonstrationen mehr als 100 Menschen festgenommen. Die Strategie, "entbehrliche" (aus Sicht des Moskauer Machtzentrums) Minderheiten an die Front zu schicken, könnte Putin noch ganz gewaltig auf die Füße fallen, wenn diese im größeren Stil aufbegehren.
Ich sehe meine Ansicht, dass man Menschen unter nahezu* keinen Umständen zum Militärdienst oder gar explizit dem Dienst an der Waffe zwingen sollte, bestätigt. Zum einen gibt es sehr gute ethische Gründe dafür, zum anderen auch ganz pragmatische: Wer mit Einschüchterung, Drohungen und Zwang dazu getrieben muss, wird niemals einen großen militärischen Wert besitzen - gerade in modernen Streitkräften. Das Vorgehen in der Russischen Föderation ist symptomatisch für das ganze System, das auf Zynismus, Apathie, Korruption und Zwang beruht und trotz aller Propaganda keine genuin inspirierende Zugkraft entfalten kann.
*die einzige Ausnahme, die ich sehe, ist ein apokalyptisches Szenario, in dem man von Auslöschung bedroht ist - beispielsweise die Aufstände im Warschauer Ghetto respektive der Aufstand der Polnischen Heimatarmee. Diese Menschen sahen sich einem Feind gegenüber, der sie restlos vernichten wollte - da ist es legitim, wenn Personen z. B. zum Sanitätswesen gerufen werden, die sich ansonsten verweigern würden.
Großer Sprung zum anderen Thema: Ich kann das Argument, dass manche politische Strömungen bei dem Problem Islamismus wegschauen, nachvollziehen. Und man muss auch nicht persönlich betroffen sein, um seine Meinung zu äußern oder sich zu engagieren - oder muss man arm sein, um auf soziale Schwierigkeiten hinzuweisen? Der Knackpunkt ist aber, dass man zum einen bitte gut definieren sollte, was Islamismus genau ist (z. B. die gewaltsame, aber auch "friedliche" Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Etablierung eines islamischen Staates) und dann darauf achten muss, ob diejenigen, die sich gegen diese Gefahr für die Freiheit äußern, selber keine Gefahr für die Freiheit sind. Ein Stalinist, der gegen Neonazis wettert, ist kein Verteidiger der Freiheit, und ein Neonazi, der gegen Islamisten wettert, ist es ebenfalls nicht.