Wie geht man denn sinnvoll gegen den IS vor?
Welche Lösung ausser der militärischen gibt es gegen solche Leute?
Ich bin nicht generell gegen eine militärische Lösung, aber gegen eine militärische Intervention des Westens und Russlands in Syrien und dem Irak. Die türkische, libanesische und jordanische Grenze müssen freilich geschützt werden und Flüchtlingen, die in diese Länder kommen, muss eine Grundversorgung sichergestellt sein. Das betrifft in erster Linie Nahrung, Kleidung, Unterkunft und humanitäre Einrichtungen. Dies ist aus meiner Sicht die vorrangige Aufgabe des Westens. Im nächsten Schritt sollte man sich ernsthaft Gedanken darüber, wieviele Flüchtlinge wir in Europa aber auch in den USA realistischerweise aufnehmen können, um genannte Nachbarländer zu entlasten. In dem Zusammenhang ist ein Schlüsselwort auch sicherlich
Integration. Wie schaffen wir es einerseits, den ankommenden Menschen "unsere" Werte zu vermitteln und andererseits der eigenen Bevölkerung die Angst vor dem Fremden zu nehmen?
Was nun den militärischen Teil anbelangt, so muss es meiner Meinung nach dringend eine regionale Lösung geben. Egal ob der Türkei, Saudi-Arabien oder dem Iran - keiner der regionalen Großmächte kann es ein Anliegen sein, einen Islamischen Staat in Syrien und dem Irak entstehen zu lassen. Entsprechend muss man sich endlich zusammensetzen (auch mit den Kurden) und gemeinsame militärische Strategien gegen den IS entwickeln. Und genau hier liegt der Knackpunkt: Solange sich diese nicht auf ihren gemeinsamen Feind besinnen, wird in der Region kein Frieden möglich sein. Desweiteren müsste natürlich besprochen werden, wie es
nach dem Krieg weitergehen könnte. Die Staaten Syrien und Irak wie wir sie kennen, so viel scheint sicher, gibt es nicht mehr. Entsprechend könnte und müsste ihr ehemaliges Staatsgebiet nach dem Krieg neu geordnet werden. Da ethnische und religiös weitgehend inhomogene Staaten mit autoritären Regimen in der Region nachweislich gescheitert sind (vom Libanon mal abgesehen), müsste man alternative Konzepte entwickeln. Ich habe im Rahmen eines Seminars zum Beispiel mal vom System des
Panarabischen Konförderalismus gehört. Das läuft auf eine dezentrale Organisation mit weitestgehenden Autonomiegebieten hinaus und wurde vor dem Krieg in einigen kurdischen Gebieten in Nordirak und Nordsyrien bereits erfolgreich angewandt. Dieser Panarabische Konförderalismus könnte unter anderem den Vorteil haben, dass Saudi-Arabien und der Iran jeweils mit ein paar solcher autonomen Gebiete Anknüpfungspunkte in der Region hätten. Baschar Al-Assad müsste sich dann freilich mit der Regierung eines alawitischen Herrschaftsgebiets begnügen. Ob ihm das reicht?
Letztlich muss einem aber auch klar sein, dass man den IS als Stellvertreter des islamistischen Terrors niemals auf militärischem Wege ganz wird besiegen können. Man kann ihm allenfalls seine staatliche Struktur nehmen (was sicherlich auch wichtig ist!). Assymetrische Kriegsführung ist dennoch immer möglich. Wie schützt man sich also am besten davor? Meiner Meinung nach, indem man genau das Gegenteil macht, von dem, was oft unsere instinktive Reaktion ist: Statt Hass müssen wir Menschlichkeit zeigen. Mitgefühl mit den Tätern kann man vielleicht nicht von jedem erwarten, aber zumindest sollte das Mitgefühl und die Solidarität mit den
Opfern immer im Mittelpunkt stehen. Statt den Konflikt müssen wir die Einheit suchen. Meist ist es viel produktiver, sich auf seine Gemeinsamkeiten statt auf seine Unterschiede zu konzentrieren. Statt Angst vor dem Fremden sollten wir Offenheit zeigen. Nun hat die Angst ja durchaus eine wichtige evolutionäre Funktion. Die Entscheidungsträger sollten sich also durchaus fragen, mit welchen Maßnahmen sich diese nicht ganz unbegründete Angst lindern lässt. Meiner Meinung nach hat man zum Beispiel viel zu spät die Grenzkontrollen eingeführt. Und dann auch an den falschen Orten: In Ungarn und Deutschland statt in Griechenland etc. . Durchaus verständlich, dass nach der teilweise dadurch hervorgerufenen chaotischen Lage nun einige die Grenzen ganz schließen wollen, um die Übersicht zu behalten. Die Freiheit muss letztlich aber meiner Meinung nach immer vor der Überwachung kommen. Man kann und darf jetzt nicht alle Flüchtlinge unter den Generalverdacht stellen, mögliche zukünftige islamistische Attentäter zu sein. Wir schützen unsere westlichen Werte sicherlich nicht dadurch, dass wir sie beschneiden. Das könnte ein fataler Trugschluss werden.
Die von mir angeführten Punkte müssen natürlich umso stärker auch endlich in der Krisenregion selber umgesetzt werden. Staaten wie der Libanon beweisen, dass es grundsätzlich möglich ist, verschiedenste Gruppen in einem Gebiet zumindest größtenteils friedlich nebeneinander leben zu lassen. Letztich braucht es aber, wie ich in einem anderen Beitrag bereits kurz anschnitt, vor allem auch einen innerislamischen Dialog, der bestenfalls in eine Art Islamische Aufklärung münden könnte. Besonders wichtig wäre es, die Grenzen zwischen Sunniten und Shiiten endlich zu überwinden. Es geht nicht darum, die Lehre des anderen als metaphysische
Wahrheit anzuerkennen, sondern darum, sie einfach mal stehen lassen zu können. Dazu passen die Koranverse, die ich ein paar Beiträge zuvor zitierte.
Aber nochmal: Es ist nicht Aufgabe des Westens, solch einen Dialog im Islam oder dem Nahen Osten anzuleiten. Er könnte ihn allenfalls ein Stück weit moderieren, wenn das gewünscht wird. Letztlich sind die dort lebenden Menschen selbst dafür verantwortlich, eine stabile, friedliche, pluralistische Gesellschaft aufzubauen. Wir können ihn aber sicherlich ein Beispiel, eine Orientierung geben. Diese Orientierung funktioniert aber nicht, wenn wir aus egoistischen Gründen in die Politik der dortigen Staaten eingreifen und dabei immer wieder unsere eigenen Werte verraten.