SAND KNARTZTE UNTER ihren Füßen. Der blaue Himmel hing über ihnen und eine warme, helle Sonne wärmte ihre Haut. Die Temperatur genießend, atmete Zena erleichtert ein, dann fiel ihr Blick auf die endlose Wassermasse, die vor ihr lag. Ein Wimmern entfuhr ihrer Kehle.
Sie standen am Strand einer kleinen Insel, zu beiden Seiten sah man weitere Eilande aus dem tiefblauen Meer ragen, kleine Gebirge und Wälder aus Palmen, unter deren fleischigen, langen Blättern haarige Holzkugeln hingen.
In Anbetracht der idyllischen Szenerie blätterte die Trauer um den verlorenen Weggefährten von Milan ab wie Eisplättchen an einem schönen Sommertag und er ließ sich seufzend in den Sand fallen und formte mit weiten Arm- und Beinbewegungen die Umrisse eines himmlischen Wesens, fing sich aber schon nach wenigen Augenblicken an, zu winden und zu kratzen. Sandkörner hatten sich in der weiten Robe und bis in seine Unterwäsche fest gesetzt und schnell entkleidete er sich, um in die Wellen zu waten. Verwundert betrachtete Ashara das Schauspiel.
Zena rief mit leicht zitternder Stimme Milan zu, dass er besser aufpassen sollte, wussten sie doch nicht, welche Untiere unter der wabernden Wasseroberfläche lauerten. Dann wandte sie sich zu Ashara und fragte, ob es dem Halbling wirklich gut ginge, oder ob ihm der Abschied von Jeremiah seelischen Schaden zugefügt hatte. Diese Hochs und Tiefs verunsicherten sie. Meister Gunn Gray schüttelte nur schmunzelnd den Kopf und erklärte, dass der kleine Mann halt gerade baden wollte. Mehr nicht.
Doch auch Ashara fand den Aufenthalt im unbekannten Meer alles andere als sicher und während sie dem Halbling winkte, zog Zena schon ihre beiden Säbel vom Rücken und lief einige Schritte in die flachen Wellen hinein. Lauter schrie sie Milan zu, dass er zurückkommen sollte.
Dann spürte sie das Wasser, das ihre Füße umspülte. Tentakel und Fangzähne wanden sich in ihrer Vorstellung schon nach ihr und dem Halbling und schnell sprang sie zurück.
Milan Rosh bekam nicht viel davon mit. Er genoss die Wärme des Meeres und die Sonne. Verspielt tauchte er kurz und zog einen kleinen Krebs an die Luft, der zwischen seinen Fingern zappelte und mit den winzigen Scheren nach ihm griff. Mit einem glücklichen Lachen watete er an den Strand zurück und schob das kleine Tier in die Tasche seiner abgelegten Hose, fing sich dann an, mit der weiten Robe abzutrocknen.
Während sich Milan wieder anzog, schauten sich Ashara und Zena weiter um. Nach einigen Augenblicken erspähte die Elfin eine einfache Hütte, die im Dickicht, das den Strand zur Inselmitte hin abschnitt, halb verborgen lag und bemerkte auch, dass zwei Gestalten von dort auf die kleine Gruppe zukamen.
Sie stieß Zena an, die alarmiert dem Zauberer Bescheid gab.
Zwei großgewachsene, humanoide Wesen mit dunkelroter Haut näherten sich: ein Mann und eine Frau, in einfacher Kleidung, er aber zudem mit einem kurzen Speer und einer seltsam grauen Rüstung am Oberkörper gewappnet. Sie war über und über mit Schmuck aus Schalen und anderen Dingen behangen und beinahe hätte man beide wegen ihrer spitzen Ohren und den grazilen Gliedmaßen für Elfen halten können, wären da nicht die weit auseinander stehenden Augen und die langen Atemschlitze gewesen, die an Stelle einer Nase im Gesicht saßen.
Die beiden Fremden musterten sie von oben bis unten.
Zena schlug Gray und Milan vor, hinter ihr und Ashara Schutz zu suchen, die beiden Einheimischen jedoch legten nur den Kopf schief, als sie die fremde Sprache hörten. Ihre Blicke folgten dem Halbling, der sich an die Beine Asharas drückte und die Frau sagte etwas in einer glucksenden Sprache zu ihrem Gefährten.
Doch trat Gray hinter den Kämpferinnen hervor und sprach ruhig zu den Fremden, begrüßte sie in der Gemeinsprache und als sie ihn nicht verstanden, ging er langsam auf sie zu, berührte den Mann vorsichtig am Arm und wob seinen Zauber. Dann trat er zurück und legte seine Magie auch auf die Gefährten. Als er nun ein weiteres mal die beiden begrüßte, grüßten sie zurück und alle verstanden ihre Worte.
Zufrieden über die Entwicklung hielt der Einheimische seine Handfläche nach oben und zu Gray gestreckt und hieß die Besucher auf ihrer Insel willkommen und als Gray ihm die Hand reichen wollte, um die seine zu schütteln, war der Fremde verwirrt. Anscheinend erwartete er etwas von Gray, was der Zauberer ihm nicht gab und nach einigen Augenblicken machte der alte Reisende die Geste nach. Mit gerunzelter Stirn ließ der Insulaner seine Hand sinken.
Gray stellte seine Mitstreiter vor und als der fremde Mann ihnen nur unsicher lächelnd zunickte, stieß ihn die Frau neben ihm in die Rippen. Sie raunte ihm zu, dass auch er sie vorstellen könnte und lächelte die Besucher dann übertrieben an, streckte nun ihre Hand dem Zauberer entgegen.
Alle waren durch den kurzen Austausch peinlich berührt und erst als Gray in seiner Tasche kramte, zwei kleine, rote Beeren hervor zog und sie in die offene Hand der Frau fielen ließ, entspannte sich die Lage. Die Frau steckte die Früchte lächelnd ein und der Mann stellte sich als Lumumba, seine Gefährtin als Sepheria vor. Dies wäre ihre Insel. Zena steckte ihre Klingen zurück an ihren Rücken.
Sie hätten noch nie Leute wie Gray und seine Freunde gesehen, gab Sepheria zu und wollte wissen, woher die Besucher kommen würden. Meister Gray erzählte ihnen kurz von der magischen Reise und ihrem Ziel, die Welt zu erkunden, doch Sepheria verstand nicht, warum sie für ein solches Unterfangen ein Kind dabei hätten. Sie deutete auf einen sichtlich irritierten Milan. Wie alt der Kleine wäre, wollte Sepheria wissen.
Der Halbling sah sie nur humorlos an und meinte trocken, dass er zweiundzwanzig wäre. Warum hielten ihn alle immer für ein Menschenkind?
Lumumba sah ihn verständnislos an. Zweiundzwanzig Monate wären seiner Meinung nach doch recht jung und erst als Gray ihm erklärte, was es mit dem Volk von Milan auf sich hatte, funkelte Verständnis in seinen Augen auf. Er war erwachsen und nach den Erzählungen des Alten gab es in fernen Landen noch viele andere Rassen, die sich stark vom Volk dieser Insel unterschied. Nur Sepheria sah Milan weiter skeptisch an und der Halbling stellte sich trotzig auf die Zehenspitzen.
Sepheria beugte sich zu Lumumba und fragte, ob er dies alles wirklich glauben würde, ihr großgewachsener Freund aber meinte, dass er doch alles klar vor sich sehen würde. Natürlich würde er es glauben. Er wüsste nicht, warum sie sich dagegen wehren würde. Sie sah ihn vorwurfsvoll an.
Gray meinte beschwichtigend, dass sie auch noch nicht alle Wesen der Welt gesehen hatten und desshalb ja hier wären.
Sie nickten ihm beschwichtigt zu und hießen im Licht der neuen Informationen nochmals alle Reisenden auf der kleinen Insel willkommen. Ashara und Zena sahen sich um. Der Strand war schmal, das Palmendickicht nicht allzu tief. Die Nachbarinseln schienen zum Teil großflächiger zu sein, doch was sollten sie hier machen?
Lumumba erklärte, dass auf den anderen Eilanden andere Syvänmeren leben würden - das Volk der Tulivuorisaarelle, wie sie die Inseln nannten. Hier wären sie aber nur zu zweit. Alarmiert hakte Zena nach, ob sie Ausgestoßene wären, doch Lumumba beruhigte die Gharoodo: nur kleine Gruppen würden auf jeder einzelnen Insel zusammen wohnen. Zena, die immer noch Jeremiah und seinen mysteriösen Hintergrund in Gedanken hatte, nahm die Erklärung fürs Erste so hin, obgleich es ihr seltsam vorkam, dass der Einheimische dann mit einer solchen Rüstung ausgestattet war. Oder gab es hier andere Gefahren?
Sie bemerkte, dass Ashara die gleichen Gedanken hatte, sah die Elfin sie doch vielsagend an. Beide blickten auf das Meer hinaus und sie wollten sich gar nicht vorstellen, was für Monster sich dort unter den Wellen verstecken würden.
Mittlerweile hatte Meister Gray schon die beiden Inselbewohner gefragt, ob sie die anderen Syvänmeren besuchen könnten. Sepheria erklärte, dass sie eh noch nicht ihre tägliche Runde gedreht hätten und führte sie zusammen mit ihrem Gefährten am Strand und ihrer kleinen Hütte entlang, hin zu einem kleinen Boot aus Häuten, das auf dem heißen Sand der Insel ruhte.
Doch würde das Boot nicht alle tragen können und wunderten sich die Besucher schon, als Sepheria sie daran vorbei führte und auf eine seltsame Brücke zusteuerte. Sie war in den Felsen und toten Korallenstöcken des Ufers verankert und hing in ihrer Mitte bis unter die Wellen und als sie das schmale Konstrukt betraten, sahen sie, dass es nicht aus Holz gebaut worden war. Es waren die Knochen riesiger Wesen, die hier von Sonne und Salzwasser gebleicht unter ihren Füßen wankte. Gischt umspülte ihre Waden und erstaunt sahen sie, dass auch die anderen Inseln mit solchen Brücken verbunden waren. Wie der Rand eines Kraters zog sich die Inselkette im Kreis und neugierig ging Zena in die Knie und nahm einen Schluck des Wassers. Sie hatte noch nie ein Meer gesehen und sie spuckte das Salzwasser wieder aus, als sie angewidert ihr Gesicht verzog.
Sepheria drehte sich um und öffnete empört ihren Mund zum Protest, marschierte dann aber dennoch erzürnt weiter und Zena sah sie nur verwundert an, während Lumumba nachfragte, was geschehen sei und seine Gefährtin es ihm leise und kurz schilderte. Auch er sah die junge Kriegerin finster an und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
Auf dem anderen Strand war ein breiter Unterstand erbaut worden, zwei Erwachsene und ein kleiner Junge mit dunkelroter Hautfarbe ruhten in seinem Schatten. Als Sepheria die Reisenden auf sie zuführte, erhoben sich die hier heimischen und traten näher, hielten nun ebenfalls ihre Hände nach vorne, die Handflächen nach oben gerichtet. Lumumba griff in seine aus Gräsern geflochtene Tasche und holte einen ausgeweideten Fisch heraus, den er in die Hand des Familienoberhauptes legte.
Diese Syvänmeren hatten keine spitzen Ohren, waren nicht so hoch und schlank gebaut wie Lumumba und Sepheria. Die Nachbarn fingen eine leise Unterhaltung über das Wetter an und erst Milans freundlicher Gruß unterbrach das Gespräch. Mit großen Augen sah die Familie den Halbling und die anderen Reisenden an. Dann fragten sie Lumumba, wer die Fremden denn seien und der erklärte, dass sie plötzlich aufgetaucht wären, kein Benehmen hatten, aber nicht gefährlich seien. Er sah Zena warnend an.
Das Kind der kleinen Familie ging langsam auf Milan zu und begrüßte ihn lächelnd, hielt ihm dann eine fordernde Hand entgegen, die der Halbling nur irritiert musterte. Dann griff er in seine Tasche, zog den kleinen Krebs hervor und legte ihm dem Jungen in die Hand. Mit einem schelmischen Grinsen lief er in den Schutz seines Unterstandes zurück.
Meister Gray verabschiedete sich höflich und meinte, dass sie wohl weiter gehen sollten, hatten sie doch noch nicht alles gesehen, was sich zu sehen lohnte. Lumumba verabschiedete sich und Sepheria versprach der Familie, dass sie morgen wieder auf der Insel vorbei schauen würden, dann zogen sie weiter.
Die nächste, ebenfalls aus Knochen gefertigte Brücke, brachte sie zu einer noch kleineren Insel, die beinahe keine Vegetation vorwies und nur eine kleine Hütte stand in ihrer Mitte. Während sie auf sie zugingen, fragte Gray Sepheria nach dem Anführer dieses kleinen Inselreiches. Sie erzählte von einem Mann, der auf dem größten Eiland der Inselkette lebte und auch Ashara lauschte den Worten der Einheimischen, als sie auf einen nahen Berg deutete, dessen Spitze sich weit über den Wellen befand. Ein dichter Wald umrandete den Fells und Seevögel umkreisten den Gipfel.
Ein alter Kerl schälte sich aus der kleinen Hütte, seine Arme und Hände über und über mit Tätowierungen übersät und nur wenig Gewandung am Leibe tragend. Er winkte fröhlich Lumumba und Sepheria zu und auch er erhielt einen Fisch von Lumumba, als sie sich begrüßten. Dann sah er neugierig zu den Reisenden und sprang wie ein Goblin auf Zena zu, die vorsichtig einen Schritt zurück machte. Er musterte sie von oben bis unten und schnupperte an ihr, während sie es über sich ergehen lies.
Ob sie zu Lumumba gehören würden, wollte er wissen und der große Insulaner nickte, während Sepheria allen Burriba vorstellte. Der Alte hielt seine tätowierte Hand auf und schob sie grinsend näher zu Zena.
Schließlich kramte sie einen kleinen Beutel hervor und ließ einige weiße Körnchen in die erwartungsvolle Handfläche fallen. Der Alte sah zufrieden drein und brachte die Gabe in die kleine Hütte. Ashara fragte flüsternd, was Zena ihm da gegeben hätte und während die Kriegerin den Beutel wieder verstaute, erklärte sie der Elfin, dass es sich um heiliges Salz des Alten Mannes der Wüste handelte. Es war ein potentes Mittel gegen böse Geister.
Bevor Burriba wieder erscheinen konnte, zogen sie weiter und ihr Weg endete schließlich auf dem Strand der großen Insel, in deren Mitte der Berg gen Himmel ragte. Und hier sollte der Anführer der Syvänmeren wohnen, wollte Meister Gray wissen. Sepheria nickte und fügte hinzu, dass auch seine Frau die Insel mit ihm teilte.
Am Berg vorbei, den langen Strand entlang, wanderten sie und schon bald sahen sie einen Hügel, der nur wenig Bäume trug. Eine lange Hütte war dort erbaut worden und vor der offenen Türe saß ein bärtiger, faltiger Mann mit weißen Haaren, während ein zufriedenes, altes Weib in einer Hängematte ruhte, die zwischen einer Palme und dem Eckpfeiler der Hütte gespannt worden war.
Mit einem freundlichen Lächeln wurden sie empfangen und zum dritten mal wanderte ein Fisch aus Lumumbas Korb in eine ausgestreckte Hand.
Schnell wurden die Reisenden vorgestellt und gleich gab Lumumba zu bedenken, dass Milan kein Kind wäre, auch wenn Sepheria wieder dagegen sprach und meinte, dass sie solchen Unsinn immer noch nicht glauben würde. Wieder begann eine Diskussion zwischen den beiden und Lumumba erklärte, dass seine Gefährtin ruhig das glauben sollte, was sie direkt vor sich sähe. Auch wenn sie etwas zuvor noch nicht gesehen hätte, würde die Existenz einer solchen Sache dennoch möglich sein. Milan würde vor ihr stehen und es somit beweisen. Sepheria beendete den Streit mit Wort und Geste und gequält stand Lumumba neben ihr.
Der Anführer der Syvänmeren stellte sich als Robar vor und erklärte, dass die Bewohner Tulivuorisaarellas zu ihm kämen, wenn sie Rat suchen oder Heilung benötigen würden. Aber er würde nichts bestimmen, nichts wirklich lenken, außer es war von Nöten.
Woher die Reisenden kommen würden, wollte er wissen, und Gray erzählte von Corsossus und seinen vielen Straßen, von den Völkern und Bewohnern Reshams und immer größer wurden die Augen von Robar und den anderen, verstanden sie doch schon das Konzept von befestigten Straßen nicht wirklich. Und dennoch war ein Funkeln in den Augen von Lumumba zu sehen, sehnte sich sein Herz doch nun nach solchen Landen und Wundern.
Robar bat alle in seine Hütte und als sie sich im Schatten des getrockneten Palmenblätterdachs setzten, fiel den Reisenden auf, dass keinerlei Essen herum stand und dass sie auch zuvor keine Schalen oder Teller mit Speisen gesehen hatten. Ständig wurde Essen verschenkt, aber nie serviert oder zu sich genommen.
Stattdessen wurde ihnen von Robar eine Insel angeboten, oder wenn sie nicht alle zusammen leben wollten, mehrere kleinere Inseln. Dort konnten sie ab nun leben und ein Teil der Inselgemeinschaft werden.
Wie viele der Inseln eigentlich bewohnt wären, wollte Milan Rosh wissen und Robar beschrieb etwa zwanzig Familien, die Tulivuorisaarelle bevölkerten. Lebten die Syvänmeren schon immer auf den Inseln, fragte Milan. Robar nicht, wie seine Vorfahren hier her gekommen wären, aber seit langer Zeit würde sein Volk hier leben. Es gäbe keine Geschichten über diese Zeiten. Die Reisenden sahen sich verwundert an. Waren diese Leute mit ihrer dunkelroten Haut und ihren Nasenschlitzen eventuell Nachfahren von Schiffsbrüchigen? Hatte ein magischer Unfall sie hier her verschlagen oder waren sie mit einem Teleportationszauber nicht ungleich denen Meister Grays auf den Insel erschienen?
Milan fragte weiter nach und Lumumba beugte sich zu seiner Gefährtin und flüsterte ihr zu, dass kein Kind solche Fragen stellen würde. Ein weiterer Beweis für die Wahrheit. Sie atmete genervt aus.
Robar erklärte derweil, dass die Syvänmeren über die Generationen immer zahlreicher werden würden und irgendwann der so hoch geschätzte Platz auf Tulivuorisaarella ausgehen würde. Alle Inseln würden bewohnt sein und niemand konnte es sich mehr leisten, alleine auf einem Eisland zu leben. Sie müssten eines Tages Vorbereitungen treffen, mutmaßte er, und eventuell neue Inseln aus dem Sand des Meeres formen. Aber wie sie verhindern sollten, dass dieser Sand von den Wellen weggetragen wurde, wusste er nicht.
Lumumba sah Robar verwirrt an. Noch nie hatte der Mann solche Gedanken ausgesprochen und sie fühlten sich fremd an und gewagt. Aber gleichzeitig war der Mann aufgeregt über die Möglichkeiten der Zukunft und so sah er nicht, wie Sepheria nur ihre Augen verdrehte.
Nun erklärte Meister Gray, dass es seine und die Aufgabe seiner mutigen Begleiter war, neue Lande zu erkunden, fremde Orte zu erforschen und neue Völker zu besuchen, ihre Geschichten und Wunder aufzuzeichnen und so mehr über die Welt Emmergens zu erfahren und da er aus Erzählungen von weit entfernten Inselgruppen wusste, die weit hinter den Sonnenschein-Inseln im Westen Reshams lagen, war er mit magischer Intuition mit seinem Zauber hier her gesprungen. Sie würden auch weiterziehen, sobald er sich ausgeruht und alles gesehen hätte...
Robar nickte ihm freundlich zu und lud alle ein, auf den Berg seiner Insel zu steigen und auch Lumumba und Sepheria, die dort noch nie gewesen waren, sollten sie begleiten. Die beiden verneigten sich tief, war dies doch eine große Ehre für sie und auch wenn der Weg auf den Gipfel nicht allzu steil war und sie nicht klettern mussten, war er anstrengend.
Ein frischer Wind trocknete ihren Schweiß, als sie hoch über dem Meer standen und auf die Inseln hinab blickten. Wie ein Krater wirkte nun der Kreis aus Inseln, wie ein versunkenes Massiv, das nun unter dem Wasser lag und nur der Rand hier und da hervor blitzte.
Milan sah zur Sonne empor, die immer noch hoch am Himmel stand und hielt sich seinen laut knurrenden Bauch. Seit seiner Abreise aus dem Tierdorf hatte er nichts mehr gegessen und so hielt er verspielt grinsend seine Hand auf, die Tradition der Syvänmeren nachmachend. Gray schmunzelte und legte ihm eine Beere aus seiner Tasche in die Handfläche, welche sofort im Mund des Halblings verschwand.
Sepheria baute sich drohned vor ihm auf und schmetterte ihm entgegen, wie er es wagen könnte, sie so zu beleidigen. Er wäre vollends verzogen, schrie sie ihren Frust heraus und auch Lumumba schimpfte nun, dass Milan das Letzte sei und ob Robar dieses Vergehen gesehen hätte. Doch der Anführer der Syvänmeren winkte nur lächelnd ab und meinte, dass sie Fremde seien, die die Traditionen der Inseln nicht kannten. Lumumba und Sepheria sahen ihn verwirrt an, während Milan nur panisch von einem zum anderen schaute und auch Gray alarmiert Robar musterte. Ob sie etwas falsches gesagt hätten, wollte der Zauberer wissen, aber Lumumba schüttelte nur den Kopf. Milan hätte falsch gehandelt...
Nicht länger wollte Robar diesen Konflikt zulassen und so deutete er auf die Inseln unter ihnen, auf die kleinen Brücken und vielen Boote, die die Strände verzierten und nur wenige Merkmale der Zivilisation waren aus dieser Höhe zu erkennen.
Doch während das Wasser an den Rändern des Kraters hell und von Korallenstrukturen durchzogen war, erschien das Wasser im Inneren des Kreises dunkel und bedrohlich. Zena fragte, ob dies eine andere Flüssigkeit als das salzige Wasser des Meeres war. Nein, erklärte Robar, es sähe nur wegen der Tiefe anders aus. Und das Wasser sei dort so tief, dass selbst die Sonne sich nicht dort hinein trauen würde.
Sepheria meinte ehrfürchtig, dass es die Sterblichen eh nichts angehen würde, was dort unten war, denn Gott wäre dort zuhause. Robar sah sie lächelnd an.
Ashara sah immer noch die langen Strände entlang und zu ihrem Schrecken entdeckte sie eine riesige Krabbe, die sich am Rand von Robars Insel auf den Strand zog. Schnell krabbelte sie auf massiven Beinen ins Unterholz des Waldes und man hörte aus der Ferne Palmen brechen und umfallen. Die Elfin deutete auf das gepanzerte Monster und Lumumbas Augen leuchteten auf, als er die Krabbe zwischen den Blättern erspähte. Schon immer hatte er einen solchen Giganten erschlagen wollen und nun fragte Milan, ob die Krabbe den Inselbewohnern oder ihren Gästen gefährlich werden könnte.
Robar erklärte, dass es nur eine Krabbe sei. Größer als die meisten und leider auch auf seiner Insel, aber sie war auf der entgegengesetzten Seite seines Hauses und somit war auch seine Frau in Sicherheit. Lumumba sah Robar sehnsüchtig an und der alte Mann verstand, was der Krieger vor hatte. Doch war die Krabbe zu mächtig, um ihr alleine gegenüber zu treten und als er Milan und Gray musterte, war er sich sicher, dass sie dieser Aufgabe nicht gewachsen waren. Zena und Ashara wären eher eine Hilfe bei einem eventuellen Kampf.
Doch Zena wollte nicht einfach einen Kampf herauf beschwören. Sie fragte, ob die Krabbe wirklich eine Gefahr darstellen würde. Robar schüttelte seinen Kopf. Solange sie dort bliebe und sich keinen Syvänmeren als Zwischenmahlzeit auswählte, wäre alles in Ordnung. Eigentlich würden diese Tiere in der Tiefe des Meeres leben und kleinere waren von ihnen schon erschlagen worden, diese hier war aber besonders groß.
Robar hatte aber keine Sorge: die Götter aus der Tiefe würden die Syvänmeren beschützen, falls sich die Bestie näherte. Er nickte Lumumba versöhnlich zu.
Der wollte aber immer noch nicht aufgeben. Er bat Robar, ihn zur Krabbe zu senden, mit oder ohne Hilfe anderer Krieger. Der alte Mann erklärte, dass sie letzte große Krabbe zwar sehr gut gemundet hatte und dass auch Lumumba ein großer Krieger sei, wie seine Rüstung aus der Haut des von ihm erlegten Schattenhais zeigen würde. Dennoch war es falsch, einen solchen Kampf zu provozieren, wenn keine Gefahr und kein Hunger drohte. Lumumba sah uneinsichtig zu Boden.
Mit offenem Mund starrte Milan auf die graue Rüstung, die wie eine zweite Haut über dem Oberkörper Lumumbas lag. Das war die Haut eines Schattenhais? Er hatte schon vieles über solche Meereswesen gelesen, doch die raue Textur dieser Rüstung faszinierte ihn. Er wollte sie berühren, doch traute er sich nicht, den verärgerten Krieger zu stören und zog seine Finger zurück.
Alle sahen noch zur Krabbe, die sich nun weiter den Strand hinunter bewegte, einen großen, toten Seevogel in einer ihrer Scheren hinter sich herziehend und wieder wollte Robar das Thema auf andere Gebiete lenken.
Ja, die Götter würden im Krater wohnen, setzte er an Sepherias vorangegangener Erklärung an. Einige meinten, dass es viele Götter seien, manche sprachen von riesigen Schlangen, andere waren davon überzeugt, dass es gar keine Götter gäbe.
Lumumba meinte nur leise, dass er noch keinen Gott gesehen hätte und amüsiert lachte Robar. Er hatte vergessen, dass der Krieger zu den Ungläubigen gehörte.
Wieder andere sprachen nur von einem Gott. Sepheria gehörte zu diesen Leuten, doch war dies für Robar undenkbar. Zu viele Aspekte hatte die Natur, als dass es nur einen einzelnen Gott geben konnte. Dennoch gab es keine Beweise und niemand wusste, wer nun Recht hatte.
Lumumba glaubte nur das, was er wirklich sehen konnte, erklärte er und erneut entbrannte eine Diskussion zwischen ihm und Sepheria und erst als sie fauchte, dass die Schwester der Mutter einer Freundin ihrer Großmutter einen Arm verloren hatte und dieser nachgewachsen wäre und dies ohne einen Gott nicht möglich sei, verstummte Lumumba kurz. Dann schüttelte er seinen Kopf und schnaubte, dass er dies nicht gesehen hätte. Sepheria funkelte ihn wütend an.
Robar, der erkannte hatte, dass dieser neue Streit auf seinen Themenwechsel zurück zu führen war, wandte sich zu Gray und seinen Mitstreitern und meinte enttäuscht, dass bis jetzt alle Expeditionen in den Krater fehlgeschlagen waren. So tief konnte niemand tauchen, nicht einmal Lumumba und die anderen guten Fischer der Inseln. Sie konnten die schönsten Perlen aus der den Gewässern ziehen, aber für ein solches Unterfangen waren ihre Lungen nicht gemacht. Der rothäutige Krieger nickte seufzend.
Lange Zeit sagte Gray nichts und als ihn seine Begleiter fragend ansahen, erkannten sie das Funkeln in seinen Augen, das ihnen schon einige male Ärger eingebrockt hatte. Ashara blickte flehend gen Himmel und Milan ließ ein Wimmern erklingen, während Zena nur tief einatmete und sich für das nächste große Abenteuer bereit machte.
Dann drehte sich Gray mit einem breiten Grinsen zu Robar. Er könnte das Problem mit dem Atmen regeln, versprach er ihm. Dafür musste sich aber Lumumba als Führer in der Tiefe zur Verfügung stellen. Der Zauberer glaubte zwar nicht, dass dort unten wirklich Götter leben würden, aber er war hoch interessiert, was es dort unten zu finden gäbe.
Robar erklärte, dass er zu alt für ein solches Abenteuer wäre, doch wollte Lumumba unbedingt die Reise in die Tiefe wagen und auch Milan war neugierig, was sie dort unten fänden. Zena erklärte sich trotz des Gefühls der Angst im Angesicht des Meeres bereit, Milan zu beschützen und auch Sepheria und Ashara wollten sie begleiten.
Aber wollten sie nun gleich aufbrechen oder sich noch etwas ausruhen?
Sie blickten zum Strand zurück, wo die Riesenkrabbe den halb gefressenen Seevogel in die Wellen zog und auf der dem Krater abgewandten Seite im Meer verschwand, dann bot Robar Gray eine kleine, verlassene Hütte auf einer unbewohnten Insel an, um sich dort kurzzeitig nieder zu lassen. Der Zauberer nahm dies dankend an und zusammen stiegen sie vom Berg und wanderten über einige Inseln, bis sie auf dem kleinen Eiland ankamen, auf dem ein kleines, hölzernes Gebäude unter der Sonne stand.
Robar versprach den Gästen seiner Inseln, dass im Laufe des Tages andere Einwohner vorbei kommen und ihnen Vorräte bringen würden und ließ dann Sepheria und Lumumba bei ihnen, während er sich auf den Weg zurück zu seiner Hütte machte.
Über die nächste Stunde kamen immer mehr Syvänmeren über die kleinen Brücken oder mit Booten herbei und brachten Gastgeschenke, Essen und andere Dinge. Alle hatten die dunkelrote Haut und die Atemschlitze anstelle einer Nase, doch ansonsten gab es viele Unterschiede: spitze Ohren und runde Ohren, schlank und drahtig oder leicht untersetzt. Dickes, schwarzes Haar und wilde Bärte, die beinahe wie die von Zwergen wirkten. Alle hießen die Reisenden willkommen und übergaben ihnen Körbe mit blauen Rüben, Fische, eine kleine Perle und eine schön gefertigte Kiste, deren Inhalt darin herum rollte. Sogar Lumumba gab Gray noch einen seiner Fische und dankbar nahmen sie die Geschenke an.
Keiner der Besucher blieb jedoch lange und sie zogen weiter im Kreis, um zur nächsten Insel zu gelangen und verschwanden in den Ferne, während Milan hungrig die Körbe untersuchte. Stücke der haarigen Holzkugeln waren darinnen und ihr weißes Fruchtfleisch roch süß und frisch. Dicke Blätter, die Sepheria Memm nannte, waren dabei und auch sie ließen einen aufregenden Duft verströmen.
Sich die Lippen leckend nahm Milan sich ein Memm-Blatt und biss mutig hinein. Es schmeckte wie gebratenes Fleisch und glücklich schloss er seine Augen.
Die wütende Stimme Lumumbas ließ ihn aufspringen. "Jetzt macht er es schon wieder," waren die erzürnten Worte, die in seine Richtung schossen und angewidert verließ nun auch Sepheria die Hütte, schlug die dünne Türe hinter sich zu. Vorwurfsvoll und mit Verachtung blickte Lumumba noch einmal zum entsetzten Halbling und folgte seiner Gefährtin dann. Beide waren sichtbar wütend auf den kleinen Archäologen, der wusste aber nicht, wieso...
Ashara sah den beiden verwundert nach. Was war mit ihnen los? Würden die beiden nicht essen, oder warum regten sie sich jedes mal auf, wenn jemand etwas zu sich nahm. Gray sah sie nachdenklich an und mutmaßte dann, dass sie vielleicht nicht vor anderen Leuten essen würden. Zena zuckte mit den Schultern und meinte, dass die beiden da wohl durch müssten. Schließlich waren sie und die anderen hungrig.
Hinter der Hütte standen Sepheria und Lumumba und hörten durch das dünne Holz der Wände die Diskussion der Reisenden. Sepheria spuckte die Worte schon beinahe heraus, als sie meinte, dass es ekelhaft wäre, wie sich diese Leute benehmen würden. Dass sie so vollends anders wären. Lumumba sah sie nur lange an und stellte sich die vielen Orte vor, die diese Reisenden schon gesehen hatten...
Milan verteilte in der Hütte die Memm-Blätter und die weißen Ecken der Haarkugeln und alle speisten in Ruhe und entspannten sich. Sie sammelten Kraft für ihren nächsten Schritt, den Abstieg in die Tiefe und die Reise, die sie in unbekannte Gebiete führen sollte. Das Leben war gut und das Abenteuer ein lohnenswertes und als Ashara fragte, wann Gray den Atemzauber sprechen wollte, meinte er nur schläfrig, dass er am Nachmittag die Kraft finden würde.
Satt spielte Milan mit der Kiste, die sie geschenkt bekommen hatten und er bewunderte das fein geschnitzte Holz und die geschliffenen Rundungen. Als er eine der Formen mit seinem tastenden Finger berührte, gab es ein Klacken und über ihm entfaltete sich ein ledriges, langes Boot, das von einer Hüttenwand zur anderen ragte und nur noch ein erstickendes Röcheln des Halblings zuließ. Panisch schlug er nach der offenen Kiste, die immer noch an einer der Seiten hing und traf zu seinem Glück erneut das Symbol, das den Spuk überhaupt erst ausgelöst hatte und mit einem satten Saugen faltete sich das Boot wieder in die Kiste.
Milan lag schwer atmend auf dem Boden der Hütte, während sich die anderen ebenfalls aufrappelten. Wie die wenigen Hocker und Regale waren auch sie durch das Boot an die Wand gequetscht worden und sahen sich nun irritiert um.
Ob er da was tolles gefunden hatte, scherzte Meister Gray, als die Türe aufgerissen wurde und die beiden Syvänmeren hereinsprangen. Lumumba hatte seinen Speer in den Händen bereit, Sepheria ihre Finger in komplizierten Formen verformt, wie Schlangen aufgebäumt und zum Schlag bereit. Als sie Milan sahen, der fasziniert die kleine Kiste an sich drückte, entspannten sie sich sichtbar.
Was passiert war, wollte Lumumba wissen, doch seine Gefährtin deutete nur auf den Halbling. Er hatte die Kanuschachtel ausgelöst, meinte sie und schüttelte amüsiert ihren Kopf.
Später standen sie alle am Strand der kleinen Insel. Milan hatte die meiste Kleidung abgelegt und auch Ashara und die beiden Syvänmeren hatten sich ihrer Ausrüstung entledigt. Nur Zena stand noch in voller Montur im Sand und betrachtete unsicher die Wellen des Meeres.
Dann schritt Gray auf sie alle zu und sprach alte Worte, die voller Macht waren. Ein dünnes Feld aus Luft legte sich auf die Körper der Abenteurer und drang bis in ihre Lungen. Luft wurde wie von selbst in den Kreislauf gepumpt. Gray nickte ihnen zufrieden zu und meinte, dass sie am besten bis Sonnenuntergang zurück sein sollten. Zwar sollte der Zauber bis tief in die Nacht anhalten, doch wollte er nichts riskieren.
Dann wateten sie ins warme Wasser, während Gray ihnen nachschaute. Schon verschwanden Milan und die anderen in den Wellen, als Zena noch zögerte. Sie hatte sich in ihrer Heimat mit dem Gedanken abgefunden, bei einem Sturm von Sand begraben zu werden. Aber von Wasser? Von so viel Wasser?
Dann biss sie ihre Zähne zusammen, schritt mit starrem Blick voran und spürte bald, wie das Unbekannte über ihrem Kopf zusammenschlug. Dann stand sie an einem Abgrund, der sich steil in die Tiefe dahin streckte und in dem ihre Begleiter langsam kraulend verschwanden.
Ein weiterer Schritt und sie sank ihnen nach. Nach wenigen Metern wurde es stockdunkel.
Dann ein helles Licht unter ihr. Milan Rosh hatte mit seinen Künsten einen hellen Stern in die pechschwarze Tiefe geholt und im Schein seines Zaubers schwammen sie weiter und weiter hinunter, während Zena fast panisch ihnen nach sank.
Die Wände des Kraters waren übersät mit Korallenstrukturen, Seesternen und anderen Geschöpfen der Tiefe, die hier nach Nahrung suchten. Schimmernde Fischschwärme wichen den seltenen Gästen aus und riesige Schwämme boten Platz für Krebse und kleine Tintenfische. Sie durchschwammen eine große Zone, in denen sich unzählige Quallen tummelten.
Als nur noch wenige Tiere und Pflanzen zu sehen war und der Druck des Wassers unangenehm stieg, als nur noch einige im Dunkeln leuchtende Fische Schutz zwischen Felsspalten suchten und dem hellen Licht des Halblings entflohen, sahen die Taucher eine breite Öffnung im Kraterrand. Wie ein Tunnel grub er sich tiefer in den schwarzen Stein und schnell schwammen sie in den Gang hinein. Zena folgte ihnen, indem sie ihren Körper beugte und die Strömung den Rest machen ließ. Langsam sank sie in den felsigen Schlund.
Am Boden des Tunnels schwammen nun alle zusammen und als Zena etwas sagen wollte, kamen nur Luftblasen und dumpfe, verzerrte Laute aus ihrem Mund. Sie deutete in die Höhle und landete auf dem glatten Boden. Nach einigen Schritten mit ihren schweren Stiefeln trat sie auf nachgebendes Geröll. Doch als Milan sein Licht aufflackern ließ, sahen sie, dass es kein Kies oder Sand war, sondern Edelsteine und Münzen. Einige der Steine waren geschliffen, andere in einem unbehauenen Zustand und die Münzen hatten die Prägung längst vergessener Königreiche und Handelsstädte.
Fasziniert hob Milan eine eckige Münze auf und auch Sepheria griff nach einem silbernen Geldstück und wunderte sich über das Profil eines Menschen, das sie dort erblickte. Hatten so viele andere Völker diese Auswüchse im Gesicht? Warum hatten so wenige Wesen Atemschlitze wie die Syvänmeren?
Einige Münzen wanderten in die Taschen des Halblings und Sepherias, während Zena mit gezogenen Säbeln am Grund des Tunnels stand und in die Dunkelheit starrte.
Dann durchdrang eine unglaublich tiefe Stimme die Köpfe der Taucher und meinte, dass hier schon lange niemand mehr gewesen sei. Sofort zog auch Ashara ihre Klinge und schwamm neben Zena, die entschlossen ihre Stellung hielt, während Sepheria und Lumumba weiter zum Mund des Tunnels schwammen.
Milan, der viele Bücher gelesen hatte und sich mit solchen Sachen auskannte, befürchtete, dass sie in den Hort eines Drachens geraten waren und mit wilder Gestik machte er den anderen begreifbar, dass sie in großer Gefahr waren. Es gab Unterwasserarten dieser großen Reptilien, wusste er und gegen einen wütenden Drachen sah er gerade keine Kampfmöglichkeit.
Eine Strömung entstand im Tunnel, der die Taucher außer Zena bis hin zum Höhleneingang zog und eine Bewegung war in der Finsternis zu erkennen. Ashara hatte sich an einigen Korallen an der Gangwand festgehalten und Milan suchte Schutz zwischen Sepheria und Lumumba. Sie sahen verängstigt zu Zena, die mit beiden erhobenen Säbeln in die Dunkelheit starrte.
Eine erstaunlich kleine Schnauze schob sich in den Schein der Lichtkugel, die immer noch vor Milan schwamm. Sie erinnerte weniger an die klassischen Bilder in den Enzyklopädien über Tiere und Pflanzen Reshams, sondern mehr an das Maul eines Aals. Wieder drang die tiefe Stimme in ihre Gedanken. Sie begrüßte Zena mit einer gewissen Vergnügen und fester nahm die Kriegerin ihre Klingen in den Griff.
Was sie mit den Zahnstochern wolle, fragte der Drache und das mit vielen feinen Zähnen bewehrte Maul verzog sich zu einem verstörenden Grinsen. Der Rest des Wesens folgte nun dem Kopf ins Licht und die tellergroße Augen spiegelten Milans magisches Licht wieder. Der Hals war lang und wie ein riesiger Aal geformt. Dahinter war ein massiger Leib, groß wie ein Zuruler Elefantenbulle und über und über mit Schuppen besetzt, die wie Edelsteine funkelten. Mächtige Gliedmaßen, ein muskulöser Schwanz und Flügel wie Fischflossen vollendeten das Bild, bei dem die Herzen der Abenteurer zu sinken drohten.
Lumumba zweifelte an seiner Überzeugung. War dies Gott, so wie Sepheria ihn schon immer in der Tiefe des Kraters gewusst hatte? War dies der Beweis für alles, was er bis jetzt von sich weisen wollte?
Die Stimme rollte weiter durch ihren Geist. Er hieß Thsirvaenmerenial, erklärte der Drache und in Gedanken stellte sich Ashara sich ebenfalls vor. Auch Sepheria verneigte sich soweit das Wasser dies zuließ und war geehrt, Gott oder zumindest einen Gottesboten begegnen zu dürfen. Egal, welche Gestalt er hatte...
Ob sie wegen seinen Schätzen hier wären, wollte der Drache wissen und als sich Milan und Sepheria schuldig anschauten, fügte Thsirvaenmerenial die Frage hinzu, ob sie ihm etwas dafür geben wollten oder ob er ihnen die Steine und Münzen schenken sollte. Während Zena immer noch jede Bewegung des Drachen überwachte, fand Ashara als erste ihre Worte. Sie waren neugierig und wollten wissen, wer hier unten leben würde. Dies schickte sie in Gedanken zum großen Aalkopf, der erneut ein breites Lächeln aufsetzte.
Sie wollten nicht stören, setzte nun auch Zena hinzu, die anscheinend auch Asharas Erklärung im Geiste vernommen hatte.
Er lebe schon lange hier, schickte Thsirvaenmerenial nun in die telepathische Verbindung, und er hätte seit einiger Zeit geschlafen. Ob sie ihn geweckt hätten, erkundigte sich Ashara und der große Aalkopf nickte beinahe menschlich. Sie hätten die Münzen aufgehoben und das hätte er mitbekommen. Bisher hatten nur Fische die kleinen Objekte für Nahrung gehalten und sie nach einem neugierigen Schnappen wieder ausgespuckt, aber dies hier war etwas Neues gewesen, das ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.
Endlich fand auch Milan seinen Mut wieder und schickte seine Gedanken in den magischen Bund. Neues wäre gut, erklärte er und Thsirvaenmerenial antwortete, dass er vermutlich Recht hatte. Etwas Neues war wirklich gut.
Wie lange hatte der Drache geschlafen, fragte Milan und kurz schlossen sich die großen Fischaugen nachdenklich. Das letzte, woran er Thsirvaenmerenial erinnern konnte, war das Erlöschen des Vulkans. Kein Feuer war mehr aus seinem unterseeischen Schlund gedrungen und das Meer hatte sich um ihn herum beruhigt.
Der Halbling sah ihn bewundernd an. Das muss vor unglaublich vielen Jahren geschehen sein, wenn man sich die Inseln heute ansah. Er schickte seine Aufregung in den Bund und merkte, wie der Drache reagierte.
Thsirvaenmerenial wollte die Welt dort oben sehen. Diese neue Welt, die während seines Schlafes über ihm entstanden war. Er fragte, ob der Vulkan bis an die Oberfläche gekommen war.
Was ein Vulkan sei, wollte Ashara wissen und schnell umschrieb Milan die feuerspuckenden Berge der Elfin, die nur fasziniert nickte. Nein, kein Feuer würde mehr aus dem Schlund quellen und Milan bestätigte, dass der Vulkan vergangen war. Thsirvaenmerenial nickte und meinte, dass er für den Aufstieg bereit sei. Den Wert der Münzen könnte er nicht einschätzen, alle könnten sich aber welche mitnehmen, wenn sie das wollten. Sie sollten ihm nur die meisten zurück lassen, dann wäre alles in Ordnung.
Milan sah sich um und grinste, dass sie vermutlich keinen direkten Wert mehr hätten. Nur noch einen historischen, einen für Forscher und Historiker.
Zena ließ ihre Klingen sinken, sah dem Lächeln der breiten Mauls und dem rhythmischen Pulsieren der Kiemen zu. Der Drache bemerkte ihren Blick und verengte zustimmend die Augen. Vorsicht wäre immer eine gute Sache, soviel musste er der Kriegerin beipflichten.
Dann schwamm er langsam an ihr vorbei und in den Krater hinaus, wo er sich in der Dunkelheit drehte und tanzte.
Zena stapfte zu Milan, zog ihn auf ihren Rücken und fing an, die mit Korallen bewachsene Wand des der steilen Wand nach oben zu klettern, während Ashara, Sepheria und Lumumba ihnen nach schwammen.
Verspielt seine Kreise drehend begleitete sie der Drache, der ihnen nun anbot, ihn einfach Meren zu nennen, wusste er doch, dass die meisten Völker ihre Probleme mit drakonischen Namen hatten.
Immer höher kamen sie und bald schon war das Licht der Abendsonne kräftiger als der Schein von Milans Zauber und wieder wurden sie von Fischen und anderen Tieren der See umrundet, während Meren ihnen still und aufmerksam folgte. Jedes Detail der Welt saugte er begierig auf, betrachtete die kleinen Schwärme, die ihn umspielten und strich sanft über die Anemonen, die sich in ihre Mäntel zurück zogen.
Als sie schließlich aus den Wellen auftauchten, sahen sie Meister Gray an einem nicht weit entfernten Strand einer anderen kleinen Insel mit einer Familie im Sand sitzen und reden.
Tropfend und schwer durch das Salzwasser in ihrer Kleidung schleppte sich Zena an Land und setzte dort Milan ab. Sie deutete auf den Krater und ächzte Gray zu, dass sie Besuch bekommen würden, als sich schon der schlanke Drachenkopf aus dem Wasser erhob. Ein Wirbel entstand und von vielen anderen Inseln kamen erstaunte rufe und die Reisenden sahen, wie allerlei Syvänmeren an die Strände liefen, um dem Spektakel zuzusehen.
Auch Ashara und die anderen waren nun an Land angekommen und jedes mal, wenn einer sich aus dem Wasser zog, gab Gray der Familie eine kleine Beere aus seinem Beutel und als Lumumba sich vor die Inselbewohner stellte, ließ er einen der mitgenommenen Edelsteine in die Hand des verwunderten Familienoberhauptes fallen.
Dann explodierte das Wasser im Krater in einem Kegel aus Gischt und Tropfen und hoch in die Luft schraubte sich Meren, seine Flügel wie die eines gerade schlüpfenden Schmetterlings um sich geschlungen und ein Regen aus Meereswasser und kleinen Perlen ergoss sich auf die ganze Inselkette. Überall pflückten Syvänmeren die feinen Kugeln aus dem Sand oder rieben sich verwundert den Kopf und mit einer tiefen Stimme verkündete der Drache, dass dies wohl als Gastgeschenk genügen sollte. Gray lachte, kannte das riesige Wesen wohl anscheinend die Tradition des Volkes von seinem kurzen Kontakt mit den Tauchern und war er erfreut, dass es auch solche Begegnungen mit Drachen gab.
Dann beugte er sich nach unten und hob eine der Perlen auf, sah sie kurz flüsternd an und steckte sie zufrieden pfeifend in seine Tasche. Milan grinste, kannte er mittlerweile diese Reaktion und wusste er, dass Gray etwas magisches in den Händen gehalten hatte.
Die tiefe Stimme Merens donnerte über die Inseln, dass sie sich bald wieder sehen würden, dann gab es einen hellen Blitz und in einer Pseudobewegung verschwand der Drache in einem Schatten, der sich im nächsten Augenblick in der Abendsonne aufgelöst hatte.
Robar kam auf sie zugeeilt, ließ eine kleine Schnitzerei in die Hand des Familienoberhauptes fallen und drehte sich dann zu Gray. Sie hätten die Existenz der Götter bewiesen, verkündete er strahlend und auch wenn ihm der Zauberer nur amüsiert zuzwinkerte und murmelte, dass es sich lediglich um einen Drachen handelte, wirkte der Anführer der Syvänmeren vollends begeistert. Die Gäste könnten sich eine der größeren Inseln als Wohnraum nehmen, wollten sie sich hier niederlassen, versprach er und Gray winkte nur lachend ab.
Lumumba beugte sich zum Ohr seiner Gefährtin und hauchte ihr zu, dass sie Recht gehabt hatte. Es gab wirklich solche Dinge, die man lange Zeit nicht oder gar nie sehen konnte.
Sepheria grinste ihn wissend an und schaute dann in den Himmel, wo Meren verschwunden war.