Coruscant

- Coruscant – Untere Ebenen – Shak's Bar – Zimmer über der Bar -

Aus Aleas Zimmer drang gedämpftes Stöhnen. Giselle hatte den tiefen Klang einer männlichen Stimme erkannt, als sie die Treppe zu ihrer eigenen Kammer hinauf gestiegen war. Es war das erste Mal, dass sie mitbekam, dass Alea Besuch hatte. Der Mann, wer auch immer es war, war nicht ihr Freund, oder ihr Liebhaber. Er war ihr Kunde. Giselle war flau im Magen. Ihre Kollegin, die Kellnerin, tat immer äußerst tough und fröhlich, als könnte sie nichts aus der Bahn werfen, aber lebte Alea wirklich freiwillig hier? War sie zufrieden damit, sich für Geld zu verkaufen? Natürlich nicht, lautete die Antwort. Sie wollte genau so sehr von hier fort wie Giselle, sie war nur schon zu lange hier, um noch daran zu glauben, dass sie es schaffen konnte. Giselle wusch sich die Hände in dem kleinen Waschbecken ihrer Kammer. Aus dem Abfluss stank es, doch das war nichts ungewöhnliches. Shak hatte öfter Probleme mit den Rohren im ganzen Gebäude. In den Toiletten lief das Wasser meist erst nach einigen Minuten ab. Giselle hielt ihre Haare im Nacken zusammen und beugte sich hinunter, um aus dem Wasserhahn zu trinken. Sie brauchte nur ein paar kleine Schlucke, um ihren trockenen Hals zu befeuchten. Das Wasser aus der Leitung war zwar trübe und hatte einen abgestandenen Geschmack, doch es war zumindest kostenlos. Shak bestand darauf, dass alle seine Angestellten für die Getränke bezahlten, die sie in der Bar tranken, sodass Giselle dies so gut es ging vermied, andernfalls konnte ein langer Arbeitsabend teuer werden. Müde legte sie sich hin. Ihre Füße schmerzten nach Stunden in den hohen Schuhen, die sie beim Tanzen getragen hatte. Durch die Wände hindurch hörte sie noch immer das Treiben in Aleas Zimmer. Sie dachte daran, zu Exodus zurück zu gehen. Es wäre vermutlich das Klügste, besser als hier zu bleiben allemal. Exodus wäre nicht so grausam ihr nicht zu helfen. Wahrscheinlich würde er sich sogar freuen, weil es sich wie ein Sieg für ihn anfühlen würde. Für Giselle wäre es jedoch eine Erniedrigung. Sie wollte nicht zu ihm zurück kriechen und sein stinkendes Geld nehmen, auf das er sich so viel einbildete. Sie würde alleine zurecht kommen, so wie sie gesagt hatte, und wenn es noch so hart werden würde.

Sie erwachte gegen Mittag mit Kopfschmerzen. Hinter ihrer Stirn hämmerte es und als sie aufstand, drehte sich für einen Moment alles. Giselle schloss die Augen, wartete kurz ab und bewegte sich dann langsam durch das Zimmer. Sie fühlte sich, als hätte sie zu viel Wein getrunken, mehrere Flaschen auf einmal. Alea brauchte lange, bis sie Giselle ihre Tür öffnete. Natürlich, ihr Abend hatte deutlich länger gedauert.


"Heiliger Sith-Lord, was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als hätte dich ein Sternenkreuzer gerammt. Einer von der großen Sorte."

Sie winkte Giselle herein.

"So ungefähr fühle ich mich auch."

Die Vahla bezweifelte, dass Alea viel über Raumschiffe wusste und erst recht keine Ahnung hatte, wie groß ein Kreuzer tatsächlich sein konnte. Sie ließ sich auf einen von zwei Stühlen fallen und legte ihren Kopf auf die Tischplatte. Das fühlte sich besser an. Müde ließ sie ihre Augen durch das Zimmer wandern. Alea hatte sich Mühe gegeben, es wohnlich zu gestalten. Bunte Tücher, groß wie Flaggen, hingen an den Wänden und verbargen Wasserflecken und Risse im Putz. Giselle wusste, dass es unter der Verkleidung so aussah, weil es in ihrem eigenen Zimmer genau so war. In einer Ecke stand ein Kleiderständer, über den in mehreren Lagen die Anziehsachen ihrer Kollegin geworfen waren. Ausserdem gab es eine mittelgroße Kommode, etwas das Giselles Kammer nicht besaß. Das Bett war zerwühlt, aber leer. "Ich habe euch heute Nacht gehört.", hätte Giselle sagen können, doch zu welchem Zweck?

"Was hast du? Kopfschmerzen, Fieber, Halsweh?"

Fragte Alea. Giselle wollte nicken und gleichzeitig den Kopf schütteln, besann sich jedoch eines besseren. Jede Bewegung war unangenehm.

"Kopfschmerzen, ja. Und mir ist insgesamt etwas komisch, aber nicht kalt."

Erklärte sie.

"Also kein Fieber."

"Gegen Kopfschmerzen hab' ich was. Wenn dir außerdem schlecht ist, ist's wahrscheinlich ne' Migräne."

Alea kaute Kaugummi und jedes ihrer Worte war von einem lauten Schmatzen begleitet. Sie begann, in einer Schublade zu wühlen, holte eine Aufbewahrungsbox aus Kunststoff hervor und las die Beschriftung verschiedener Pillendosen.

"Nimm hier eine von. Die wirken Wunder."

Sie warf Giselle die Dose zu. Winzige, weiße Pillen waren darin, rund wie Hagelkörner.

"Hast du so was öfter?"

"Nein."

Alea reichte ihr einen Becher und füllte ihn mit Wasser aus der Flasche.

"Wird schon wieder. Heute Abend bist du wieder fit. Hinlegen und viel trinken, das hilft."

Mit einem Schluck aus dem Becher spülte Giselle eine kleine, runde Tablette hinunter. Sie sah ein, dass sie die letzten Tage vermutlich zu wenig getrunken und auch nicht besonders gut gegessen hatte. Vielleicht kamen die Kopfschmerzen daher. Entweder das, oder...

"Alea, glaubst du, man kann das Wasser hier trinken, aus der Leitung?"

Mit großen Augen starrte ihre Kollegin sie an und ihr Blick war Antwort genug. Urplötzlich wusste Giselle, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte.

"Hast du das gemacht?"

Giselle nickte vorsichtig.

"Ein paarmal."

Gab sie zu. Alea zog den zweiten Stuhl zu Giselle heran und setzte sich ihr gegenüber. Ihr Finger schoben sich in ihren Mund und holten das Kaugummi heraus.

"Ich weiss, du bist nicht von hier."

Sagte sie ernst.

"Du musst eines wissen: in den Unteren Ebenen Coruscants darfst du niemals das Wasser aus der Wand trinken. Niemals. Hier unten filtern sie es nicht so wie für die reichen Schweine da oben. Es ist voller Bakterien, Gift, Öl und Scheísse und es überträgt die schlimmsten Krankheiten. Leute sterben davon."

Sie starrte Giselle an, eindringlich.

"Wasch dir mit dem Wasser die Hände, wasch dir das Gesicht, aber trink es nicht und lass es nicht an deine Pussy. Ein Mann zahlt dir mehr, wenn du gesund bist."

Sie hatte ihr Kaugummi zwischen Daumen und Zeigefinger geklebt.

"Und Shak zahlt dir nichts, wenn du nicht tanzt."

- Coruscant – Untere Ebenen – Shak's Bar – Zimmer über der Bar - Mit Alea -
 
[ Coruscant – Untere Ebenen – Ruby’s Place ]

In kleinen Schlucken nippte Exodus von dem kühlen Getränk, das laut Kellnerin ein Bier sein sollte, und stierte dabei skeptisch in sein Glas. War er wirklich so verwöhnt von den oberen Ebenen oder schmeckte selbst das gebräuchlichste aller alkoholischen Getränke hier unten einfach überall scheußlich? Ruby’s Place hieß der Schuppen in den es ihn heute verschlagen hatte – ein Vorschlag von Zeth. Der Clawdite hatte das heutige Treffen auf Anweisung seines wohlhabenden Auftraggebers vereinbart. Doch Exodus wartete noch auf den versprochenen Gesprächs- und hoffentlich Geschäftspartner. Das grauenhafte Bier bot ihm nicht gerade einen angenehmen Zeitvertreib. Er hasste es zu warten.
Als nach etwa 20 Minuten ein Arkanier in Begleitung eines Schrankes von einem Mann durch die niedrige Tür die Kneipe betrat, wusste Exodus, dass es sich um seine Zielperson handeln musste. Mittleres Alter, kurz geschorenes Haar, schmierige Aura – das war also Shak, vermutlich mit einem Bodyguard-Schläger zum Schutz. Gut möglich, dass er den Mann schon einmal in dessen Laden – Shak’s Bar – gesehen hatte, bewusst erinnern konnte er sich jedenfalls nicht. Allerdings galt seine Aufmerksamkeit auch stets einer von Shaks Tänzerinnen, insofern war dieser Umstand nicht weiter verwunderlich. Die abendlichen Besuche der heruntergekommenen Lokalität waren in sehr kurzer Zeit zu einer Routine geworden. Bei seinem ersten Besuch hatte er von einem Barkeeper gegen einen kleinen Betrag Credits erfahren, wann Giselle üblicherweise auftrat. Damit sie ihn nicht kommen und gehen sah, versuchte er hereinzukommen bevor sie mit ihrer kleinen Show anfing. Doch sie dort oben tanzen zu sehen, war schmerzvoller als er erwartet hatte. Ihm blieb nichts anderes übrig als stets in der dunkelsten Ecke der Bar zu hocken, dabei zuzusehen, wie andere Männer sie angafften und zu versuchen sich dadurch nicht ihren eigentlichen Auftritt ruinieren zu lassen. Wenn er bedachte, wie er Zireon auf dem Empfang von Alateen Engines zugesetzt hatte, konnten diese schmierigen Typen wirklich froh sein, dass er zur Untätigkeit verdammt war. Doch das würde sich bald ändern. Denn Exodus hatte einen Plan.
Der Inhaber von Shak’s Bar und sein Babysitter hatten sich an einen der kleinen Tische von Ruby’s Place niedergelassen, ganz genau so wie von Zeth angewiesen. Exodus schnappte sich sein Getränk, rutschte vom Barhocker herunter und steuerte mit lässigem Gang auf die beiden zu.


„Was dagegen, wenn ich mich dazu setze?“

Der Schrank grunzte und schüttelte den Kopf, Shak hingegen blickte nur kurz hoch. Aus der Nähe fielen Exodus sofort die offen getragenen Blaster der beiden auf. Hier unten gab man sich nicht einmal die Mühe Waffen zu verbergen, wohl in der Hoffnung, dass sie auch ohne aktiven Einsatz furchteinflößend genug wirkten. Andererseits zweifelte Exodus nicht daran, dass der Arkanier mit den kalten Augen seinen Blaster gegen ihn einsetzen würde, wenn ihm nicht gefiel, was der ehemalige Sith ihm zu sagen hatte. In einer fließenden Bewegung zog Exodus einen der Stühle heran und setzte sich an den Tisch. Sein Gegenüber nestelte währenddessen an seiner Jackentasche herum und zog umständlich eine kleine Packung Zigaretten heraus. Mit einem leisen Klacken öffnete er den Verschluss und hielt dem Schrank das geöffnete Päckchen hin.

„Hier.“

Es war ein Befehl, keine Frage und der Bodyguard, obwohl größer, stärker und kantiger als sein Boss, griff ohne Widerwillen zu. Anschließend steckte sich der Arkanier selbst einen der Glimmstängel an. Exodus bot er keine Zigarette an, vielleicht hätte ohne seine Anwesenheit auch der Bodyguard ohne den Tabak auskommen müssen. Es war eine symbolische Geste: Wir sind keine Freunde. Nachdem Shak zwei tiefe Züge genommen hatte und die Zigarette glühend in seine Hand zurückwanderte, beugte er sich zur Exodus hinüber und sah ihn fragend an.

„Also … worum geht’s hier?“

Er wollte also keine Zeit verlieren, zumindest nicht, bevor er wusste, ob es sich lohnen könnte. Exodus akzeptierte das, wenn es auch ärgerlich war, dass Shak ihn 20 Minuten hatte warten lassen und jetzt nicht einmal die Ruhe besaß ein Getränk zu bestellen. Vielleicht gehörte auch das zu seiner üblichen Einschüchterungstaktik. Aber solche Typen kannte Exodus zur Genüge.

„Sie haben eine Tänzerin in ihren Diensten. Giselle.“

Shak lehnte sich wieder zurück und schob nachdenklich die Unterlippe vor. Vermutlich überlegte er, ob er diese Information kostenlos bestätigte oder einen kleinen Betrag dafür verlangen konnte. Aber natürlich gab es da nichts zu bestätigen oder zu verneinen. Giselle arbeitete bei ihm, das wusste Exodus und das wusste Shak. Er zog an seiner Zigarette und blies den Rauch genüsslich in Exodus' Richtung bevor er antwortete.

„Kann schon sein. Und?“

„Wie viel Einfluss haben Sie auf Giselle?“

Shak bleckte die Zähne und strich sich mit der freien Hand über die kurzen weißen Haare. Der Schrank rutschte auf seinem Stuhl hin und her.

„Wieso wollen Sie das wissen?“

„Ich habe meine Gründe. Also?“

Exodus schenkte ihm seinen kühlsten Blick, blieb aber ansonsten ruhig. Den anderen beiden war sicher aufgefallen, dass er keine Waffen trug. Doch ein Mann, der sich nicht zu verteidigen wusste, wäre sicher nicht so selbstbewusst wie Exodus, das musste ihnen ebenfalls aufgefallen sein. Der Arkanier zeigte ein paar Zähne, nur der Ansatz eines Grinsens, leckte sich schließlich über die Lippen und hielt Exodus' Blick.

„Sie ist eine meiner Puppen. Ich kann mit ihr spielen.“

„Aber?“

Es gab etwas, das er nicht sagen wollte, zumindest nicht direkt. Der ehemalige Sith griff in die Macht hinaus und übte leichten, für einen Laien unbemerkbaren Druck, auf Shaks Bewusstsein aus. Die Härte, mit der er seine Lippen aufeinander gepresst hatte, löste sich und er begann zu reden. Sein Bodyguard wirkte für einen Augenblick verdutzt.

„Sie will nicht vögeln, ich hab versucht sie zu überzeugen, wenn Sie das meinen. Mag sein, dass sie einen Preis hat. Jeder hat den. Das könnte ich herausfinden.“

„Darum geht es mir nicht.“

Was für eine Lüge. Es ging nur darum. Einzig und allein darum. Doch Ehrlichkeit war in diesem Gespräch unwichtig, auch Sympathie spielte eine untergeordnete Rolle. Shak war ein widerlicher kleiner Gangster und die Tatsache, dass er Giselle offenbar dazu hatte verleiten wollen, ihren Körper komplett zu verkaufen, verbesserte seine Position gegenüber Exodus nicht. Wäre er nicht auf diesen Typen angewiesen, vielleicht hätte er ihm bloß für den Versuch schon einen kleinen Denkzettel verpasst. Doch Exodus beherrschte sich. Musste sich beherrschen.

„Ich will, dass sie leidet.“

erklärte er stattdessen mit finsterer Ruhe.

„Noch ein bisschen mehr als ohnehin schon.“

fügte er erklärend an. Giselle wirkte bei ihren Auftritten lange nicht so vital wie noch auf Fingers Mark. Sie war das sprühende Leben gewesen, doch Coruscant und seine unteren Ebenen saugten sie aus. Irgendwann würde nur noch eine Hülle bleiben, ein Geist der Frau, die ihm einst eine seiner denkwürdigsten Nächte beschert hatte. Doch dazu würde er es nicht kommen lassen. Je schlechter es ihr ging, desto größer würde die Chance, dass sie zu ihm zurückkehrte und sich in seine Obhut begab. Er war auf Coruscant ihr einziger Freund. Eine Tatsache, die er ausnutzen musste.

„Das ist interessant.“

Shak zeigte ihm ein diebisches Grinsen und versuchte gar nicht erst zu leugnen, dass es der Vahla bei ihm nicht gut ging. Exodus vermutete, dass der Arkanier Giselle ohnehin schon schlechter behandelte als nötig gewesen wäre. Den leichten Druck auf Shaks Geist erhöhte er noch einmal, bevor der Arkanier antwortete. Wieder wurde der Schrank ob es entspannten Gesichtsausdrucks seines Chefs unruhig, zog aber nicht seinen Blaster.

„Sie haben den richtigen Mann dafür gefunden.“

„Gut.“

Exodus nickte zur Bestätigung.

„Die Bezahlung läuft über unseren gemeinsamen Freund. Ich will nicht, dass wir zusammen gesehen werden.“

Sie einigten sich auf einen Preis, den Exodus dank seines kleinen Tricks über die Macht auf ein akzeptables Niveau drücken konnte. Als sie final auf den Deal einschlugen, überkam ihn das plötzliche Verlangen sich die Hände zu waschen. Doch Shak war eines jener Zahnräder, die er brauchte, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Giselle würde leiden – noch mehr als ohnehin schon.

* * *​

Bei seinen abendlichen Besuchen in Shak’s Bar hatte Exodus den Inhaber nicht wieder gesprochen, doch Zeth berichtete ihm von den weiteren Abmachungen mit dem Arkanier. Shak bekam sein Geld und Giselles Lebensumstände verschlechterten sich immer weiter, zumindest behauptete sein neuer Geschäftspartner das. Wie üblich hatte Exodus sich heute nach der Arbeit hinunter in die unteren Ebenen begeben, ein schales Bier bestellt und es sich in seiner dunklen Ecke so bequem wie eben möglich gemacht. Gelangweilt drückte er die ungelesenen Nachrichten auf seinem Comm weg und wartete auf den Auftritt der schlanken blonde Tänzerin, nach deren körperlicher Nähe es ihm so sehr verzerrte. Mehr aus Langweile als wegen des Geschmacks leerte er sein Bier in wenigen Zügen und bestellte sich ein zweites Getränk. Als sie die Bühne endlich betrat, wirkte Giselle blasser als üblich. Selbst die anderen Gäste von Shak’s Bar mussten das bemerken. Sie bewegte sich im Rhythmus, natürlich, das lag ihr im Blut. Doch es fehlte der übliche Schwung, die Leidenschaft war ohnehin schon längst verloren gegangen. Es ging ihr nicht gut, seelisch und körperlich, das war leicht zu erkennen. Exodus wusste, dass es seine Schuld war und auch, dass sein Plan tatsächlich funktionieren konnte. Einer der Gäste murrte bereits und wandte sich von der Bühne ab, ein anderer tat es ihm gleich. Das Trinkgeld war, soweit Exodus es verfolgte hatte, geringer geworden, schon in den ganzen letzten Tagen. Mit seinem Auftrag an Shak hatte er eine Spirale in Gang gesetzt, die Giselle verschlingen würde, sollte sich nichts dagegen tun. Doch bald würde die Vahla wieder bei ihm sein, raus aus diesem Loch, weg von den Lüstlingen, die sie begafften und ihr Scheine zustecken wollten und fort von diesem schmierigen Arkanier, den er dafür bezahlte, sie so schlecht zu behandeln. Sie musste nur zur Vernunft kommen.

[ Coruscant – Untere Ebenen – Shak’s Bar ]
 
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- Coruscant – Untere Ebenen – Shak's Bar -

Sie bewegte sich, ohne die Musik wirklich zu hören. Es war sowieso immer das gleiche und die Kundschaft war nicht anspruchsvoll. Sie wollten keine bahnbrechende neue Choreographie, keine excellenten Techniken und es störte sie nicht, wenn Giselle einen Fehler machte. Die meisten merkten es nicht einmal. Sie waren nur für den Alkohol hier, für die Ablenkung und manche von ihnen um ein Stück nackte Haut zu sehen, für Versuchungen jenseits des eigenen Bettes, in dem sie alleine lagen oder mit einer Frau, die längst Opfer der schlechten Umstände geworden war, unter denen sie lebte. Giselle spürte jeden Tag, wie es auch für sie schwerer wurde. Wie auch sie zum Opfer wurde. Sie hatte sich etwas eingefangen, entweder über das schmutzige Wasser, die siffigen Toiletten oder vielleicht das Besteck aus der Bar, an dem regelmäßig vertrocknete Essensreste hingen, die nicht ordentlich herunter gespült worden waren. Sie hatte sich versucht anzugewöhnen, ihr Besteck selbst zu waschen und mit auf ihr Zimmer zu nehmen, damit niemand ausser ihr davon aß, doch als Shak davon mitbekommen hatte, hatte er sie des Diebstahls bezichtigt und gedroht sie raus zu werfen. Ohne Alternative war das für Giselle das Schlimmste, das im Augenblick passieren konnte, daher hatte sie mit ihm gefeilscht, ihm ihre Unschuld erklärt und Shak hatte sich einverstanden erklärt sie weiter zu beschäftigen, wenn sie als Kompensation drei Arbeitstage auf ihren Lohn verzichtete. Widerwillig hatte Giselle zugestimmt. Welche Wahl hatte sie schon? Sie war ihm aus geliefert und er begann dies auszunutzen. Es war genau das, wovor Sheela sie gewarnt hatte. Heute war der dritte Tag. Sie war wie so oft in der letzten Woche sehr müde. Die einseitige, mangelhafte Ernährung ließ sie sich schwach fühlen. Wie schafften die Leute das, die schon immer hier gelebt hatten? Wie konnte überhaupt irgendjemand hier leben? Dazu kam der Schwindel, der manchmal sogar Übelkeit mit sich brachte. Alea sagte, es könne ein harmloser Virus sein, der bald vorüber ging, doch Giselle hatte noch immer ihre Warnung über das schmutzige Wasser aus der Leitung im Ohr. Andere, die das Wasser getrunken hatten, waren gestorben, hatte sie gesagt. Es konnte harmlos sein, oder auch nicht. Giselle hätte einfach niemals hier her kommen sollen.

Sie bewegte sich routiniert, kleine Bewegungen, die sie möglichst wenig anstrengten. Wenn sie sich weit vornüber beugte wurde ihr schwarz vor Augen, etwas das Giselle versuchte zu vermeiden. Gestern hatte Shak sie gerügt, sie solle sich mehr Mühe geben, oder sich ausziehen, wenn sie nicht mehr anders begeistern konnte. Heute war Giselle kurz davor, ihm nachzugeben und es einfach zu tun. Wenn sie sich auszog, dachte sie, musste sie sich vielleicht gar nicht mehr großartig bewegen. Der Gedanke war verlockend, wo sie doch einfach nur in ihr Bett wollte. Inzwischen machte es ihr nicht mal mehr etwas aus, dass die Matratze in ihrer Kammer fleckig war, oder dass sie gestern eine Laus über ihr Kissen hatte krabbeln sehen. Sie wollte sich einfach nur... hinlegen...

Als ihre Beine unter ihr nachgaben, klappte Giselle zusammen wie ein vom Wind verwehtes Blatt Papier. Unsanft fing der Boden sie auf, als sie fiel, auf die Knie zuerst. Alles drehte sich, alles fühlte sich taub an. "Vielleicht," war das letzte, das Giselle denken konnte, "ist dies alles eine große Prüfung." Entweder das, oder die Göttin hatte endlich beschlossen, was sie mit Giselle anfangen sollte. Strafe der Verräterin...


- Coruscant – Untere Ebenen – Shak's Bar -
 
[ Coruscant – Untere Ebenen – Shak’s Bar ]

Giselles Tanz war fahrig und langsam. Sie bewegte sich kaum und wenn, dann in schwammigen Bewegungen und unvollendeten Drehungen. Exodus ahnte, dass es nicht an mangelnder Motivation lag. Ihr war die Eleganz abhanden gekommen, von der er immer gedacht hatte, sie könnte sie niemals verlieren. Als wäre ihr ganzes Strahlen von der Widerwärtigkeit der unteren Ebenen stumpf geworden, blass und glanzlos. Fast konnte man in diesem Moment glauben, sie wäre von hier, genau wie die anderen Tänzerinnen, die so tumb vor sich hin wackelten, die nie etwas anderes gesehen hatten als die gaffenden Gesichter der betrunkenen Männer, die so leicht zu befriedigen waren. Doch sie war nicht von hier, sie war besser als das. Giselle kannte und lebte die Magie, den ein Tanz verkörpern konnte. Und damit hatte sie ihn damals verzaubert. Nun hatte sie schlicht keine Kraft mehr, sie war ausgesaugt, das war offensichtlich. Es würde nicht mehr lange dauern, dachte er bei sich, bis sie zu ihm kommen würde. Nicht mehr lange und sie würde einsehen, dass er ihr einziger Ausweg war.

Doch sie entschied sich anders. Ihr Körper entschied anders. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, klappten ihre Beine weg, versagten Giselle den Dienst und ließen sie auf die Knie fallen. Der Rest ihres schmalen Körpers folgte unsanft, ein leichtes Rumpeln verkündete ihren endgültigen Sturz. Niemand rührte sich. Es verging eine Sekunde, zwei, dann fünf. Keiner stand auf, keiner sprang auf die Bühne. Niemand half ihr. Nur einer von ihnen maulte, sie solle gefälligst wieder aufstehen und tanzen. Exodus saß wie erstarrt auf seinem Hocker und warf einen unsicheren Blick zum Barkeeper. Der Gastwirt zuckte nur mit den Schultern: Nicht sein Problem. Der Fluch der unteren Ebenen. Er selbst konnte nicht aufstehen, er durfte nicht aufstehen.
Er musste aufstehen. Weil es sonst keiner tat.


„Verdammt nochmal!“

Mit einem Ruck wuchtete er sich vom Barhocker herunter, sodass dieser scheppernd zu Boden ging.

„Ruft einen Arzt!“

Die Blicke der Anwesenden zentrierten sich auf ihm, doch sie waren stumpf und kalt. Leichtes Interesse für einen Aufrührer, der die Regeln des Spiels nicht verstanden hatte. Und Belustigung. Kühle Belustigung.

„Einen Arzt?“

Ein rothäutiger Devaronianer, der ganz nahe der Bühne saß, gluckste und schüttelte grinsend den Kopf.

„Hier gibt's keine Ärzte.“

Verdammte untere Ebenen! Ohne Rücksicht auf Verluste bahnte sich Exodus wutschnaubend seinen Weg durch die betrunkenen Gäste. Irgendwer, der meinte angerempelt worden zu sein, versuchte ihn festzuhalten, doch Exodus stieß ihn so heftig von sich weg, dass der Angreifer gegen seinen Tisch knallte und dabei alle Getränke abräumte. Plötzlich herrschte Aufruhr in der Bar, Stimmen mischten sich unter das Klirren der Gläser, wieder versuchte ihn jemand festzuhalten. Aus dem Augenwinkel sah Exodus einen Arkanier mit kaltem Blick und kurz geschorenen Haaren in den Hauptraum der Bar laufen. Doch Shak war ihm jetzt gleichgültig. Der Barbesitzer hatte seinen Zweck erfüllt, vielleicht zu gut.

Als er Giselle endlich erreichte, war hinter ihm ein Chaos ausgebrochen. Ein anderer Gast war von den Scherben der zerbrochenen Gläser getroffen worden und verlangte eine Entschuldigung des Remplers, irgendwer brüllte wütend etwas in Exodus‘ Richtung und ließ die geballte Faust über dem Kopf kreisen. Doch als er Giselle hochhob, drängte das alles in den Hintergrund. Die Berührung ihrer Haut und das Gewicht ihres reglosen Körpers in seinen Armen erinnerten ihn an etwas. Vor seinem inneren Auge erschienen ein Strand und das weite, unendliche Meer. Auf Fingers Mark hatte er sie schon einmal so getragen. Sie war beinahe ertrunken und er hatte sie aus dem Meer gerettet, sie dann durch die stürmischen Wellen verteidigt und schließlich zum sicheren Strand gebracht. Heute war es ganz genauso. Sie war ertrunken und er musste sie retten. Ein zweites Mal kämpfte er sich für Giselle durch die Wellen, obwohl sie nach ihm griffen und nach ihr. Er schüttelte sie ab, rannte durch den gedämpften Vorraum der Bar und schließlich hinaus in die Dunkelheit. Hier in der Nähe stand sein Gleiter und irgendwo dort oben, ganz dort oben war ein Krankenhaus. Exodus drehte sich um die eigene Achse und sah in den Himmel. Sie waren am Meeresgrund, doch der sichere Strand wartete über ihnen. Er hatte ihn einmal erreicht und er würde es wieder schaffen.

Nachdem er die Orientierung wiedererlangt hatte, spurtete er zu seinem Raumschiff, bettete Giselle vorsichtig auf die Rückbank und startete dann die Maschinen. Möglich, dass sich Shak über den Privatdetektiv Zeth D’jek noch einmal bei ihm melden würde. Möglich, dass er Giselle zurückverlangte oder zumindest einen ordentlichen Geldbetrag zur Entschädigung. Sollte er seine Forderungen stellen, Exodus war es egal. Shak spielte in seinem Plan keine Rolle mehr. Ein Ruck ging durch den Gleiter als der ehemalige Sith endgültig abhob. In Höchsttempo donnerte er dem Himmel entgegen, als ihm dämmerte, dass nicht jede seiner Annahmen korrekt gewesen war. Giselle war zu schwach um in Coruscants harter Unterwelt zu Recht zu kommen, damit hatte er im Endeffekt richtig gelegen. Und doch hatte er sich getäuscht: Denn gleichzeitig war sie zu stark. Sie hatte sich nicht gebeugt, war nicht zu ihm zurückgekommen. Ihr Körper war vor ihrem Geist gebrochen. Eine Tatsache, der Exodus‘ Respekt zollen musste. Nur änderte es nichts: Sie gehörte wieder ihm. Und diesmal würde er sie nicht wieder gehen lassen.


[ Coruscant – Untere Ebenen – Gleiter – auf dem Weg nach oben | mit Giselle ]
 
- Coruscant – Gleiter – Mit Exodus –

Ihr Körper fühlte sich taub an, als wäre sie getrennt von allem Physischen dieser Galaxis. Die Schwärze hatte sie ganz verschluckt, wie ein tiefes Loch, in das sie gefallen war. Giselle erinnerte sich an den Sturz. Sie hatte ihn nicht kommen sehen, aber auch nicht gefürchtet. Es war keine Zeit gewesen um nachzudenken. In einem Moment war sie da gewesen, im anderen nicht mehr. Erst jetzt kehrte sie langsam wieder zurück. Sie konnte ihre Zunge spüren und das trockene, klebrige Gefühl in ihrem Mund. Versuchsweise teilte sie ihre Lippen, wandte den Kopf und erlangte Bewusstsein, als sie schließlich die Augen öffnete. Es war noch immer dunkel, jedoch eine andere Art von Dunkelheit, und sie lag auf dem Rücken. Wo war sie? Scheinbar im Sekundentakt flackerten Lichter über ihr. Der Boden unter ihr bewegte sich. Giselle schloss noch einmal die Augen. Das musste noch immer der Schwindel sein. Dann erst hörte sie ihn, den Lärm von Verkehr, und plötzlich verstand sie. Sie war nicht in Shak’s Bar, nicht in ihrer Kammer und auch nicht in Aleas Zimmer. Sie war unterwegs, in einem sich bewegenden Fortbewegungsmittel. Mit aller Kraft stützte sich Giselle auf die Ellbogen, zog sich an der Lehne des Vordersitzes hoch und saugte innerhalb von Sekunden alles auf, das sie sah: der Gleiter, auf dessen Rückbank sie saß, die beleuchtete Stadt, die vor den Fenstern an ihr vorüber zog und den Mann, der hinter dem Steuer des Gleiters saß. Vor allem den Mann.

Sie ließ sich gegen die Polsterung des Sitzes sinken und lehnte den Kopf zurück. Vielleicht hätte sie es wissen müssen. Fragen über Fragen kamen ihr in den Sinn. Wie hatte er sie gefunden? Wohin brachte er sie? Warum? Sie fühlte sich ein wenig besser, besser als zuvor allemal, doch sie hatte Durst. Ein Glas Wasser würde Wunder wirken, wusste sie, vielleicht auch eine Tasse Kaf, selbst wenn es das furchtbare Gebräu war, das Shak verkaufte. Sogar eine süße Limonade würde Giselle trinken, wenn es sein musste. Zucker würde ihren Kreislauf in Schwung bringen. Sie ließ ihre Augen wieder zu fallen, nur für einen Moment. Dann heftete sie ihren Blick auf Exodus‘ Hinterkopf und den Teil seines Profils, den sie erkennen konnte. Sein Mund war eine schmale, grimmige Linie. Sein Blick starr geradeaus gerichtet. Giselle befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge.


“Wenn ich dich frage, wie du mich gefunden hast, wirst du mir dann antworten?“

Brach sie die Stille. Zu sprechen hatte ihr mehr Schwierigkeiten bereitet, als sie gedacht hatte. Allein am Klang ihrer Stimme war zu hören, wie schwach sie noch war. Und obwohl sie in diesem Moment noch bequem in der weichen Polsterung des Sitzes saß, fragte sich Giselle, ob sie es wohl schaffen würde aufzustehen und ohne Hilfe auf ihren eigenen Beinen zu stehen, oder ob sie ein zweites Mal in das schwarze Loch fallen würde, das am Rande ihres Bewusstseins noch immer lauerte wie Schatten, die ihre Hände nach ihr ausstreckten.

- Coruscant – Gleiter – Mit Exodus –
 
[ Coruscant – Untere Ebenen – Gleiter – auf dem Weg nach oben | mit Giselle ]

Die Silhouetten und Lichter der anderen Gleiter rasten an seinem Blickfeld vorbei wie Sternschnuppen. Exodus nahm kaum einen von ihnen bewusst wahr, er verließ sich auf seine Instinkte in der Macht, wich stets im letzten Moment aus und stieg fast nie von der Bremse. Früher einmal, als Kind und Jugendlicher, war er großer Fan von Swoop-Rennen gewesen und hatte auch einige Male selbst in einem der Renngleiter gesessen. Dieser Flug nach oben, zu einem guten Krankenhaus mit guten Ärzten, die sich Giselle anschauen und sie wieder auf die Beine bringen konnten, fühlte sich wie ein solches Rennen an. Immer weiter, immer schneller, einzig fokussiert auf das Ziel. Auch das wilde Hupen einiger Gleiter, die er riskant umkurvte, störte ihn dabei nicht. Tagelang war er dort unten gewesen, hatte Giselle tanzen sehen, hatte bemerkt, wie es ihr immer miserabler ging und sogar noch provoziert, dass ihr Chef und Vermieter sie noch schlechter behandelte. Ihr Gesundheitszustand war ihm dabei nie gleichgültig gewesen. Es war bloß die einzige Möglichkeit gewesen, sie zurück in seine Arme zu treiben, eine andere Wahl hatte sie ihm nicht gelassen. Aber nun, wo er sie wieder hatte und nicht mehr gehen ließ, veränderten sich die Prioritäten. Nun konnte er sich erlauben besorgt zu sein. Und so groß wie seine Sorge war auch das Tempo, das er seinem Gleiter abverlangte.

Erst als Giselle hinter ihm erwachte und ihn plötzlich ansprach, nahm er nach Minuten im Tunnel der Konzentration wieder den Innenraum des Gleiters wahr. Unwillkürlich drosselte er sein Tempo und die Sternschnuppen um ihn herum verwandelten sich zurück in normale Raumschiffe, die gemächlich im Strom nach oben oder unten unterwegs waren. Es dauerte einen Moment, bis er seine Gedanken sortiert und Giselles Frage verarbeitet hatte. Zu seiner Überraschung schrie sie ihn nicht an, meckerte nicht, sprang nicht auf um ihn zu ohrfeigen oder reagierte anderweitig emotional. Stattdessen fragte sie bloß, wie er sie gefunden hatte. Er widerstand dem Drang sich umzusehen und ließ stattdessen einige Sekunden verstreichen, während – verborgen von der Dunkelheit des Cockpits – ein zufriedenes Grinsen seine Mundwinkel umspielte.


„Ich bin der Mann.“

antwortete er schlicht. Der Mann, der mächtig und einflussreich genug war, um stets zu bekommen, was er wollte. Der Mann, der Giselle deshalb als einziger haben würde. Der Mann, der einst ein Jedi und später ein Sith gewesen war und der in der Vahla etwas entdeckt hatte, was sonst niemand sah. Egal wohin es Giselle in dieser Galaxis verschlug – er war der Mann, der sie immer finden würde.
Mehr brauchte seine ehemalige Assistentin nicht wissen. Wen interessierten schon unwichtige Details wie Privatdetektive und geschmierte Barbesitzer, wenn es hier um hier ihre Gesundheit und den Moment ihrer Wiedervereinigung ging?


„Ich bringe dich in ein Krankenhaus.“

erklärte er ihr ruhig den nächsten Schritt und überprüfte ihre Reaktion über die Rückraumkamera des Gleiters.

„Nach deinem Zusammenbruch sollen erst einmal Ärzte deine Zustand überprüfen. Und du musst dich ausruhen.“

Dank seinem wahnsinnigen Tempo hatten sie die oberen Ebenen mittlerweile erreicht. Der Verkehr wurde geordneter, die Bauwerke moderner und hübscher und man konnte sogar schon Teile des Himmels sehen. Coruscants höchste Ebenen vermittelten das angenehme Gefühl von Sicherheit. Hier, in seiner Heimat, konnte nichts mehr passieren, das spürte er. Er hatte die Kontrolle zurück und er würde sie kein zweites Mal fahrlässig abgeben. Der Navcomputer schickte Exodus mit einem leisen Piepen nach Westen und er lenkte den Gleiter umgehend auf den vorgegeben Kurs. Der Wingston Tower war zwar noch ein gutes Stück entfernt, doch das erste brauchbare Hospital befand sich nun in der Nähe.

„Keine Sorge, wir sind gleich da. Wir haben es gleich geschafft.“

[ Coruscant – Obere Ebenen – Gleiter – auf dem Weg zum Krankenhaus | mit Giselle ]
 
- Coruscant - City - Gleiter - Mit Exodus -

Er war der Mann, sagte Exodus. Es war eine arrogante Antwort, arrogant aber auch selbstsicher. Giselle erwiderte nichts, auch nicht, als er ankündigte, sie in ein Krankenhaus zu bringen. Es war sein Auftritt, sein großer Moment. Giselle hatte ihn verlassen, doch er kehrte als strahlender Ritter zurück um ihr zu helfen. Er musste es lieben. Das Schlimme war, dass er Recht hatte. Sie war auf ihn angewiesen, hier auf Coruscant. Sie schaffte es nicht alleine, hatte es nicht geschafft und würde es nicht schaffen. Coruscant war wie der Schlund der Hölle, der dich lebendig verschluckte und dann langsam und schmerzvoll in seinen ewigen Flammen röstete. Und gleichzeitig klang dies nach genau der Art Strafe, die eine Göttin ihrer Dienerin auferlegen würde, die ihre Gebote gebrochen hatte. Giselle hatte frei sein wollen? Hier, das war ihre Freiheit! Wie schmeckte sie?

Sie sagte nichts mehr, bis Exodus den Gleiter schließlich in einem Hangar parkte, der mit dem Hospital verbunden war, hoch oben in den Oberen Ebenen, die so unreell erschienen wenn man seine Tage unten in der Dunkelheit verbrachte, oder sie gar noch nie gesehen hatte, wie beispielsweise Asshia. Vielleicht hätte Giselle nicht nach dem Wie fragen sollen, sondern nach dem Warum. Warum hatte Exodus sie überhaupt gesucht?


"Ich werde nicht ins Krankenhaus gehen."

Sie stieg nicht aus. Er hätte sie vorher nach ihrer Meinung fragen sollen, bevor er sie in seinen Gleiter gepackt und entführt hatte. Sie hatte nie mit ihm gehen wollen, hatte nie darum gebeten, dass er ihr half. Sollte sie jetzt dankbar sein? Er hatte sich zu ihr umgewandt, jetzt wo er den Gleiter nicht mehr steuerte, konnte er sie endlich direkt ansehen. Sie vermisste ihn, realisierte sie, doch sie hatte ihm Lebewohl gesagt, und wenn sie jetzt nicht stark blieb, würde sie es vielleicht nicht noch einmal schaffen.

"Ich weiss, was mit mir los ist."

Fuhr sie fort.

"Ich habe nichts gegessen und zu wenig getrunken. Das ist alles."

Und wenn es doch etwas anderes war, wollte sie es nicht wissen.

"Ich brauche keinen Arzt, der mir das sagt. Wenn du mich jetzt also bitte zurück bringen würdest? Ich habe einen Job, Exodus. Ich muss zurück in die Bar."

"Und weg von dir." In Giselle Augen schimmerte es. Sie fühlte sich kraftlos, nicht nur körperlich. Ihm zu widersprechen forderte ihr alles ab. Zu gerne hätte sie sich ihm überlassen, sich seiner Fürsorge übergeben und ihre Sorgen einfach vergessen. Gleichzeitig wusste sie, dass dies das letzte war das sie tun durfte. Wen sie es tat, würde alles wieder von vorne beginnen und Exodus würde sie besitzen.

- Coruscant - City - Hangar - Gleiter - Mit Exodus -
 
[ Coruscant – Obere Ebenen – Hangar des Hospitals – Gleiter | mit Giselle ]

„Sei doch vernünftig, Giselle.“

tadelte er die erwachsene Frau, die erschöpft hinter ihm auf der Rückbank saß, und setzte ein strenges, aber auch besorgtes Gesicht auf.

„Du bist auf der Bühne zusammengebrochen.“

erinnerte er sie. Wenn er sie jetzt zurück in die unteren Ebenen brachte, änderte sich gar nichts. Sie würde vielleicht ein, zwei Tage durchhalten und dann wieder zusammenbrechen. Er konnte sie leicht zwingen ins Krankenhaus zu gehen, er müsste es nicht einmal selbst tun. Beiläufig zog er sein Com aus der Tasche und rief die Nummer des Hospitals auf. Ein kurzer Anruf genügte und ein Team von Krankenpflegern würde mit einer Trage kommen, sie darauf festschnallen und als Notfall in die Klinik bringen. Aber so weit wollte er nicht gehen müssen.

„Vermutlich hast du Recht, du bist dehydriert und hast zu wenig Nahrung zu dir genommen. Aber selbst wenn es noch so wenig war – wer weiß, was du dort unten getrunken oder gegessen hast?“

Im Gespräch mit Shak hatte er nicht spezifiziert, auf welche Art und Weise der Barbesitzer Giselle leiden lassen sollte, doch Exodus konnte sich gut vorstellen, dass der Arkanier ihr etwas in die Mahlzeiten oder Getränke gemischt hatte. Die Tatsache, dass sie an ihrem Job festhalten wollte und sogar darauf bestand, wegen dieses ‚Berufs‘ zurück gebracht zu werden, erschreckte ihn beinahe. Es erschreckte ihn deshalb, weil sie diese Welt, in der ein mieses Schwein von Chef über sie herrschte, in der sie ihre Passion fürs Tanzen verkaufte und es ihr körperlich und seelisch schlecht ging, noch der Welt vorzog, die er ihr bieten konnte. Sie wusste, wie gut sie es im Wingston Tower hätte. Und trotzdem wollte sie nicht dorthin, wollte nicht mit ihm kommen. Das war ein Schlag ins Gesicht und vermutlich wusste sie das. Es war ihre einzige und beste Möglichkeit sich an ihm zu rächen. Er hätte sich im Gegenzug auf eine Diskussion über ihren Job einlassen können, hätte sagen können, sie sei eine falsche Stripperin, die sich nicht auszog, eine Vorlage für Fantasien der hoffnungslosen Loser, die täglich kamen. Er hätte sie erniedrigen und es ihr so zurückzahlen können. Aber er ließ es, dieses Mal wollte er nicht streiten.

„Deine Gesundheit ist wichtiger als der Job. Dein Chef wird das verstehen.“

Das Comlink mit der Nummer des Notfallpersonals wanderte durch seine Finger, sein Daumen schwebte über dem Anrufbutton, außerhalb von Giselles Sichtbereich. Sie konnte nur seinen zu ihr herumgedrehten Oberkörper sehen und die besorgt aufeinander gepressten Lippen.

„Bitte komm mit. Bitte tu mir diesen Gefallen.“

[ Coruscant – Obere Ebenen – Hangar des Hospitals – Gleiter | mit Giselle ]
 
- Coruscant - City - Hangar - Gleiter - Mit Exodus -

Wie so oft im Leben gab es mehrere Möglichkeiten. Giselle konnte vernünftig sein, so wie Exodus es wollte. Sie konnte in das Krankenhaus gehen und sich untersuchen lassen, oder aus dem Gleiter aussteigen und den Hangar in Richtung Stadt verlassen. Sie konnte auf Exodus hören, oder stur ihre eigene Entscheidung treffen. Letzteres war, was Giselle am allermeisten wollte: nicht auf ihn angewiesen sein, nicht das tun, wovon er glaubte dass es das Beste war. Er war nicht mehr Teil ihres Lebens, das Kapitel mit dem Namen Wingston darin war geschlossen. Warum sollte sie es wieder öffnen wollen? Ihr Kopf drehte sich zur Seite, weg von ihm, und Giselle starrte hinaus aus dem Fenster. Sie wünschte sich fort, weg von Exodus, und doch tat sie keinen einzigen Schritt, weil Teil von ihr, der Teil der sie schwach machte, froh war, dass er bei ihr war. Eines jedoch konnte sie nicht tun und das war ihm nachzugeben. Die Versuchung war da und sie war nicht klein. Fast hätte er sie so weit gehabt, als er sie gebeten hatte es für ihn zu tun. "Bitte tu mir diesen Gefallen." Es hatte fast ehrlich geklungen.

"Nein."

Giselle schüttelte den Kopf, sah ihn jedoch nicht mehr an. Die Gefahr war zu groß.

"Mir geht es wieder besser. Du hattest Recht. Ich brauche nur ein wenig Ruhe."

Ganz so hatte er es nicht gesagt, doch das Argument kam ihr gelegen und wenn sie ihn damit gleichzeitig zufrieden stellen konnte, indem sie ihm beipflichtete, war das umso besser. Einen rationalen Grund, sich nicht von einem Arzt durch checken zu lassen, gab es freilich nicht, ausser der Tatsache, dass Giselle nicht krankenversichert war und sie auch kein Geld hatte, eine Behandlung zu bezahlen. Und was, wenn das Hospital sie für eine Nacht dort behalten wurde? Sollte sie sich finanziell von Exodus aushelfen lassen, nach allem was er ihr vorgeworfen hatte? Es war um Geld gegangen, als sie gestritten hatten. Eher würde sie auf allen Vieren zurück in Shaks Bar kriechen, als Exodus' Geld zu nehmen. Damit hatte sie ihm einmal Angriffsfläche geboten, aber kein zweites Mal.

"Ich werde mich hinlegen, wenn ich zurück in der Bar bin. Das wird mir gut tun."

Sagte sie als nächstes. Es war nicht einmal ein leeres Versprechen, Giselle war ohnehin schon wieder müde. Wann hatte sie sich zuletzt richtig ausgeschlafen gefühlt? Sie dachte an die alte Matratze in ihrer Kammer, an die dünne, dutzendfach geflickte Decke, deren gestopfte Löcher immer wieder neu aufrissen. Es gab verlockendere Aussichten als das Lager, das sie dort erwartete, doch es war das einzige, das sie hatte. Als hätte ein Gedanke sie geleitet, den sie nicht einmal bewusst gedacht hatte, sah sie plötzlich doch wieder zu Exodus. Ihre Blicke trafen sich für eine Sekunde, für zwei und dann für eine weitere, ehe Giselle den Blickkontakt brach.

"Bringst du mich jetzt wieder zurück?"

Fragte sie schließlich.

"Ich habe dich nicht gebeten, mich zu entführen, weisst du."

Wenn er es nicht tat, dachte Giselle, war sie verloren. Sie konnte nicht zu Fuß zurück gehen. Sie kannte den Weg nicht, wusste nicht mal wie weit es war. Warum war sie schon wieder auf ihn angewiesen, ohne sich auf ihn eingelassen zu haben? Es war nicht ihre verdammte Schuld!

- Coruscant - City - Hangar - Gleiter - Mit Exodus -
 
[ Coruscant – Obere Ebenen – Hangar des Hospitals – Gleiter | mit Giselle ]

Sie gab sich so erwachsen, so reif und so selbstständig – und Exodus wusste, dass sie all diese Eigenschaften normalerweise auch verkörperte. Auf Fingers Mark war sie ihm meist einen Schritt voraus gewesen, hatte ihm dort häufig helfen können, weil sie über ein gutes Beziehungsnetzwerk auf dem Wasserplaneten verfügte. Dort wo Exodus gescheitert war, hatte sie geglänzt: Sie war besser mit den Eingeborenen klar gekommen, hatte die Sympathien der Nautolaner gewonnen und auch auf dem Festland Freunde gehabt. Dieses Netzwerk fehlte ihr auf Coruscant allerdings gänzlich. Und damit wurde auch Giselles Selbstständigkeit zur Fassade. Exodus hingegen konnte auf ein breites Netz an Bekanntschaften zurückgreifen und wenn es nötig wurde, konnte er sich mit seinem Ruf und seinem Geld fast jeden in dieses Netzwerk einkaufen. So wie Shak, den Barbesitzer, der mehr Geschäftspartner als Bekanntschaft war und der aus diesem Grund trotzdem tun würde, was Exodus verlangte. Er könnte ihn in diesem Moment anrufen und ihn erklären lassen, dass Giselle wegen ihres Zusammenbruchs gefeuert war. Er könnte sie das Gespräch sogar selbst führen lassen! Wenn er es nur entsprechend einleitete, würde Shak wissen, dass ihn diese Kündigung zu einem reicheren Mann machte und damit würde sich auch Giselles letzter Hort der Eigenständigkeit in Luft auflösen. Ihr blieb dann nichts anderes übrig, als mit ihm zu gehen oder die Nacht unter einer Brücke oder einem anderen Loch zu verbringen. Aber würde das wirklich helfen? Würde sie das wirklich an ihn binden oder zu ihm zurückbringen? Wenn er Shak anrief, konnte sie sich den Rest denken, vielleicht sogar ihre gesundheitlichen Beschwerden auf ihn zurückführen. Und bei der nächsten Gelegenheit wäre sie wieder weg und er müsste ihr erneut hinterher spionieren und sich einen Plan überlegen, sie zurück in seine Arme zu treiben. Denn so groß und dicht sein Beziehungsnetzwerk auch war: Giselle schien er verloren zu haben.

„Ich habe dich nicht entführt.“

entgegnete er zu ihrem Vorwurf, um Zeit für eine Entscheidung zu gewinnen und vielleicht auch etwas von dem verloren gegangenen Vertrauen.

„Ich habe getan was nötig war. Keiner der anderen Gäste hat auch nur einen Finger gerührt, weißt du?“

Wenn er daran dachte, wurde er wütend. Diese ganzen Idioten hatten nur da gesessen und gegafft – manche nicht einmal das. Die höchste Gefühlsregung unter den Gästen war Verärgerung über mangelnde Unterhaltung gewesen. Giselle hatte keinen dieser kritischen Augenblicke miterlebt. Im Moment des größten Leids war ihr Körper so gnädig gewesen, ihr eine Auszeit zu geben – doch für Exodus hatte die Zeit nicht angehalten.

„Ich wollte mich dir nicht aufdrängen, ich wollte dir zuerst nicht einmal helfen.“

Da sie sich ohnehin denken konnte, dass er ihren Auftritt von einer dunklen Ecke der Bar aus beobachtet hatte, spielte es auch keine Rolle mehr, die Szene genauer zu beschreiben. Die Hilfe hatte seine Tarnung aufgelöst, Giselle musste das nun ebenso klar sein, wie es ihm gewesen war.

„Ich habe die anderen Gäste angefahren einen Arzt zu rufen, doch es kam nur Spott zurück. Einer von ihnen meinte, es gäbe dort unten keine Ärzte. Was hätte ich also tun sollen?“

Mit fragendem Blick sah er zu ihr in den hinteren Bereich des Gleiters. Dann zuckte er hilflos die Schultern.

„Ich konnte dich dort nicht einfach liegen lassen, ich konnte es einfach nicht.“

Ihre Frage ließ er bewusst unbeantwortet. Noch vor wenigen Minuten hatte er sich geschworen sie nicht wieder gehen zu lassen, doch genau das war es, was sie verlangte. Es war eine Wahl, bei der nur verlieren konnte: Zwang er sie in das Krankenhaus zu gehen, würde er sie verlieren. Ließ er sie erneut in die unteren Ebenen zurück, verlor er sie ebenfalls. Exodus unterdrückte ein Seufzen. Die Nummer des Notfallpersonals leuchtete noch immer auf seinem Comlink und es wäre ein leichtes sie unauffällig innerhalb von dreißig Sekunden hier zu haben. Damit wäre das Problem verschoben, wenn auch nicht gelöst. Einen Augenblick lang sah er auf das Display, unschlüssig wie er sich entscheiden sollte. Dann löschte er Ziffer für Ziffer, bis die Anzeige komplett leer war, und steckte das Comlink zurück in seine Hosentasche. Es gestaltete sich ganz anders als er noch bei seinem Abflug gedacht hatte: Nicht er war es, der die Fäden in der Hand hatte. Es war Giselle. Es war immer Giselle.

[ Coruscant – Obere Ebenen – Hangar des Hospitals – Gleiter | mit Giselle ]
 
[Hyperraum | auf dem Weg nach Coruscant | KG "Jela" | LTK "Massive" | Deck 1 | Brücke] Cpt. Bru-Th Agoch, Lt. Cmdr. Saris, Brückencrew


Gelassenheit demonstrieren und jedem anderen Offizier das Gefühl vermitteln, dass alles in bester Ordnung war, beides erwartete man von einem guten Kommandanten der Neuen Republik, also tat Bru-Th sein Möglichstes, um seine innere Anspannung zu verbergen, und rührte gemächlich und unbeeindruckt weiter den Löffel in der Tasse Kaffee. Den handgemahlenen Bohnenkaffee hatte Master Chief Petty Officer Langdon ihm bereits vor Stunden hingestellt und er war weder warm, noch hätte Bru-Th ihn so getrunken, doch darum ging es nicht in dem Moment, wo die Kampfgruppe Jela und mit ihr die Massive im Coruscant System in den Normalraum zurück wechselte.

Das Schiff war, wie Lt. Cmdr. Saris befohlen hatte, in der zweithöchsten Alarmstufe und entsprechend waren alle Besatzungsmitglieder auf Kampfstation. Kurz schloss der Kommandant und Jedi Meister die Augen und konzentrierte sich auf die Personen um ihn herum, mit denen er zusammen diente und berührte sanft, wie eine Vornskr Mutter ihren Wurf behütete, die Gedanken der anwesenden Offiziere, um ihnen die Besorgnis und Anspannung, und alle übrigen, störenden Emotionen ein Stück weit zu nehmen. Bru-Th selbst atmete dabei tief ein und aus. "Ja, so ist es bereits deutlich besser", sprach er leise zu sich selbst, als er sah, wie Ensign Frey die vor Anspannung steifen Hände ausschüttelte und einer der zwei Marineinfanteristen, welche während der Alarmstufen eins und zwei den Brückenzugang bewachten, begann sich merklich zu entspannen. Er quittierte die Besserung mit einem leichten Nicken.


"Captain, wir sind wieder im Normalraum. Die Abweichung zu den vom Nav-Computer errechneten Daten ist unerheblich. Alle Schiffe der Kampfgruppe sind auf Position",

gab der hochgewachsene Ensign zu Protokoll und die optischen Sensoren bestätigten dies. Die Massive befand sich einen Kilometer, also gut zweieinhalb Schiffslängen hinter der Prometheus im relativen Zentrum der Kampfgruppe, diente sie doch in erster Linie als Trägerschiff. Rechts neben der Massive kreuzte die nur unwesentlich kleinere Halcyon, das Schiff von Commander Garnik. Noch einmal rührte Bru-Th seinen erkalteten Kaffee, dann stellte er das Getränk endlich zur Seite und stand auf.

"Lt. Cmdr., signalisieren Sie der Prometheus, dass wir voll einsatzbereit sind. Lt. Tuum, aktivieren Sie die Langstreckensensoren, aktive Ortung. Übersehen wird man uns ohnehin nicht und ich will verdammt sein, wenn die Imperialen nicht gerade dasselbe tun."

Der Anblick, der einst vulkanisch geprägten Welt, die nun mehr als eine Billionen Individuen beheimatete, ließ ihn kurz über die Umstände seines letzten Besuchs sinnieren, doch die rauchige Stimme seiner XO verhinderte ein echtes Abtauchen in die Irrungen und Wirrungen seiner eigenen Vergangenheit. Saris schloss von hinten zu ihm auf und überreichte ihm ein Datapad.

"Commodore Ven ordnet an, nachdem wir jetzt im System sind, Kurs auf Coruscant selbst zu nehmen, Marschgeschwindigkeit 30 MGLT. Der anliegende Vektor führt uns dicht an Muscave vorbei. ... Sir, ich vermute, der Commodore möchte nicht, dass wir den ankommenden Transitverkehr der Perlemianischen Handelsstraße kreuzen."

Bru-Th presste Lippen aufeinander und nickte zustimmend.

"Da haben Sie vermutlich Recht, Kytana. Der ein oder andere Handelsfahrer neigt beim Anblick republikanischer Schiffe dann doch zu ... sagen wir mal, irrationalem Verhalten, bedenkt man, dass dieses System viele Jahre vom Imperium gehalten und verwaltet wurde. Tja, aber den Schrecken werden wir denen heute wohl zumuten müssen."

"Ich glaube nicht, Captain", entgegnete die rothaarige XO bestimmt und vollführte mit der Hand eine abwinkende Bewegung. "Den meisten Händler und Logistikunternehmen dürfte der Wechsel der Obrigkeit herzlich egal sein. Ändern wird sich für sie doch wenig. Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass die Republik die herrschenden Ungerechtigkeiten etwas geschickter kaschiert als das Imperium, doch ihren Anteil wird auch sie wollen."

Es war nicht gerade so, dass dieses Thema in Gesprächen mit der Lt. Cmdr. jetzt das erste Mal aufkam, doch anstatt abermals ein flammendes Plädoyer für die Republik und die Werte, die sie vertrat, zu halten, schürzte Bru-Th nur die Lippen und monierte mit einem Hauch von Resignation in der Stimme:

"Ich habe da einen anderen Standpunkt, Lt. Cmdr., aber das diskutieren wir nicht jetzt aus. Mister Tuum, ist der Scan abgeschlossen?"

"Sir, ich habe ihn gerade abgeschlossen."

Ein leises Knurren des Cathar gepaart mit einem hektischen Tanz seiner Tatzen über die Bedienoberfläche verriet Bru-Th, dass sich der Lieutenant vielleicht noch gerne ein oder zwei Minuten Zeit zur Vorbereitung genommen hätte, doch die Daten waren zu wichtig, um auf sie zu warten.

"Wenn Sie Ihr Datapad zur Hand nehmen würden, Captain, Lt. Cmdr.? Ich habe die Kontakte grob versucht zu ordnen, beginnend nach ihrer militärischen Bedeutsamkeit. Ihre ermittelte Position überspiele ich gerade auf den Holoprojektor. Die Sensoren registrieren die Signaturen von drei Sternenzerstörern der Imperial II-Klasse und einem weiteren der Imperial I-Klasse. Im oberen Orbit von Coruscant befinden sich zudem vier schwere Golan-III Verteidigungsplattformen und im Orbit von Muscave und Stentat jeweils zwei Jägerbasen."

Allein die schiere Anzahl der imperialen Einheiten hätte Bru-Th unter normalen Umständen die Falten auf die Stirn getrieben, doch sich in seine Rolle als Captain einfügend, ließ er die Meldung stoisch über sich ergehen und machte nur hier und dort auf dem Datapad für sich einige Notizen.

"Zu den kleineren militärischen Einheiten gehören in numerischer absteigender Reihenfolge: sechs Korvetten der CR90-Klasse, fünf Carrack-Kreuzer, vier Vindicator-Sternenzerstörer, drei Dreadnoughts, drei Strike-Kreuzer sowie zwei Eskortträger und zwei Marauder-Klasse Korvetten. Die Zahl der noch kleineren, systemgebundenen Patrouillenboote kann ich nur schwer einschätzen, Captain, da ständig welche in unseren Sensorbereich eintreten und ihn wieder verlassen. Ich würde von einer Zahl zwischen fünzig und siebzig ausgehen. Die Anzahl der zivilen Schiffe würde ich auf etwa 110.000 schätzen, jedes Schiff ab einer Größe von fünfzehn Metern zählt dazu."

Die Dimension ihrer Aufgabe schoss bei diesen Zahlen jedem Offizier wie Blei in die Stiefel und auch Bru-Th räusperte sich erst, um seine trockene Kehle wenigstens etwas zu befeuchten, bevor er dann doch gänzlich unbeeindruckt dem Lieutenant dankte. Eine Schweißperle auf seiner Stirn strafte sein Verhalten Lügen.

"Sie sehen, meine Damen und Herren, es gibt viel zu tun. Lieutenant Tuum, Sie wiederholen den Scan jede halbe Stunde und gleichen ihn mit den Daten der anderen Schiffe ab. Bedeutende Änderungen melden Sie unverzüglich dem XO. Sie warten nicht erst, sondern gehen sofort zu Lt. Cmdr. Saris."

Der Blick des hochrangigen Jedi fiel auf seine Stellvertreterin, die noch immer die unglaublichen Datenmengen sichtete, dabei missmutig die Mund zusammenkniff und leise fluchte, wie es ihre Art war, wenn es um Stressabbau ging.

"Captain?"

"Rufen Sie die Prometheus und erbitten Sie für mich ein Gespräch mit dem Commodore. In weiser Voraussicht begebe ich mich in Konferenzraum eins und werde das Gespräch dort entgegen nehmen. Danach haben Sie die Brücke, Kytana."

Er hatte ein Recht darauf zu erfahren, was Ven vorhatte, es sei denn, der Commodore wollte, dass er wie eine Marionetten an Bändern zappelnd ein schnöder Befehlsempfänger war, ohne die Möglichkeit für initiatives Handeln. Doch das konnte Bru-Th sich im Schweiße der ihnen gestellten Aufgabe beim besten Willen nicht vorstellen. Eilig schritt er durch die Tür zum Konferenzraum.


[Coruscant System | in der Nähe von Muscave | KG "Jela" | LTK "Massive" | Deck 2 | Konferenzraum eins] Cpt. Bru-Th Agoch


 
- Coruscant - City - Hangar - Gleiter - Mit Exodus -

Giselle war nicht sicher, ob sie hören wollte, was Exodus ihr erzählte, dass sie mitten auf der Bühne zusammen gebrochen war und ihr niemand geholfen hatte ausser ihm. Natürlich hatte sich niemand verantwortlich gefühlt. Man lernte schnell, wie es in den Unteren Ebenen zuging. Niemand kümmerte sich um die Dinge, die ausserhalb des eigenen Radius passierten. Niemand. Alea war freundlich zu Giselle gewesen, hatte ihr hier und da geholfen, doch das waren kleine Angelegenheiten gewesen. Selbst wenn sie heute Abend da gewesen wäre, Giselle war nicht sicher, ob die Twi'lek etwas unternommen hätte. Besser war, sie wusste es nicht und darum wollte sie auch Exodus' Schilderung nicht hören. Zu wissen, dass niemand geholfen hatte, machte einsam und ließ Giselle sich noch verlorener fühlen als sie so schon war.

"Du wolltest mir eigentlich auch nicht helfen?"

Sie glaubte, sich verhört zu haben, aber genau das hatte Exodus gerade gesagt. Giselle versuchte, darin einen Sinn zu erkennen.

"Du spionierst mir nach, folgst mir in die Bar in der ich arbeite, willst dich mir aber nicht aufdrängen. Und als ich ohnmächtig umfalle, kannst du dich nur gerade eben dazu durchringen, etwas zu tun."

Fasste sie zusammen und hoffte, dass sich dies in Exodus' Ohren genau so unstimmig anhörte wie in ihren eigenen. Eigentlich hätte sie schon längst aufgeben sollen, sein Verhalten zu verstehen. Es war längst nicht das erste Mal, dass sie ihm nicht folgen konnte und anstrengend war es noch dazu. Die Vahla presste Zeige- und Mittelfinger gegen ihren Kopf und rieb sich die Schläfen. Sie verfielen wieder in ihren routinierten Schlagabtausch, kaum dass sie sich gegenüber standen oder saßen. War sie nicht genau davor geflüchtet?

"Exodus."

Giselle atmete durch.

"Ich weiss, dass mir da unten niemand geholfen hätte und mir niemand helfen wird. Es spielt keine Rolle. Es ist der einzige Ort, den ich zur Zeit habe und deshalb werde ich dorthin zurück gehen."

Sie rieb sich noch immer die Schläfen, mit gedehnten, kreisenden Bewegungen, und hatte die Augen dabei geschlossen. Es war einfacher so, fast als könnte sie sich verstecken und auch seiner Beobachtung entkommen. Wenn sie die Augen zu hatte, war es für ihn schwieriger zu erraten, was sie fühlte oder dachte.

"Also, bringst du mich jetzt zurück?"

- Coruscant - City - Hangar - Gleiter - Mit Exodus -
 
[ Coruscant – Obere Ebenen – Hangar des Hospitals – Gleiter | mit Giselle ]

Das hier lief komplett in die falsche Richtung. Statt sie zu besänftigen, stachelten seine Worte Giselle sogar eher noch an. Dafür, dass sie eben noch schwach und zerbrechlich gewirkt hatte, brauste sie nun erstaunlich stark auf, allerdings auch gleichzeitig damit beschäftigt sich die Schläfen zu massieren. Es strengte sie an mit ihm zu reden. Vielleicht lag es an dieser Anstrengung oder an ihrer mangelnden Konzentration, dass sie seine Worte anders auffasste, als von ihm intendiert. Ihm lag auf der Zunge zu sagen: „Du hast das falsch verstanden“. Aber diese Art von Belehrung käme im aktuellen Kontext wohl nicht besonders positiv an. Also musste er es diplomatischer versuchen.

„So habe ich das nicht gemeint.“

Seine Stimme klang mittlerweile wesentlich leiser als noch zu Beginn ihres Gesprächs. Es ging nicht mehr darum sie zu irgendetwas zu zwingen. Das konnte er nicht. Es musste darum gehen sie zu besänftigen, um über diesen Weg zu erreichen, dass sie nicht sofort wieder verschwand. Sie war einmal gegangen und sie würde es wieder tun. Sie würde aus diesem Gleiter steigen und sich erneut ein neues Leben aufbauen, dessen war er sich nun sicher.

„Ich wollte sagen, dass … ich schlicht keine andere Wahl hatte, als dich zum Krankenhaus zu fliegen.“

Mittlerweile hatte er sich auf seinem Sitz fast komplett zu ihr herumgedreht. Da sie die Augen geschlossen hielt, konnte er jedoch keinen Blickkontakt zu ihr aufbauen. Seine Worte mussten genügen.

„Es wäre mir lieber gewesen, jemand anders hätte es getan. Ich wusste, dass du sauer auf mich sein würdest, also wollte ich die Anderen motivieren dir zu helfen.“

Missmutig presste er die Lippen zusammen und wog den Kopf hin und her. Sie war so nah, dass er sie am liebsten berührt hätte, um dieses wohlige Kribbeln zu fühlen, dass sie immer bei ihm auslöste. Doch Giselle hatte eine fast physisch spürbare Mauer um sich herum hochgezogen, von der er noch nicht wusste, wie er sie durchbrechen konnte.

„Vielleicht …“

setzte er vorsichtig an.

„…war ich da ein bisschen voreilig. Dir geht es besser als ich angenommen hatte. Dort unten wirkte es ein wenig dramatischer.“

Für gewöhnlich war Exodus Wingston nicht kleinlaut, er war selbstsicher und überzeugt von seinen Taten – zumindest nach außen. Heute musste er eine Ausnahme machen. Es kam noch keiner echten Entschuldigung gleich, denn nach wie vor glaubte er, auf Basis der verfügbaren Informationen nicht besser hätte handeln können, doch rückblickend musste er ihr eine gewisse Überreaktion zumindest zugestehen. Vielleicht brauchte sie tatsächlich keinen Arzt. Vielleicht brauchte sie nur Ruhe und eine ordentliche Mahlzeit.

„Ich bringe dich zurück – morgen.“

erklärte er schließlich, auch für sich selbst überraschend.

„Bis dahin solltest du dir etwas Ruhe gönnen. Nicht im Krankenhaus, sondern im Gästezimmer unseres Penthouses. Du wirst dort ungestört bleiben, versprochen.“

[ Coruscant – Obere Ebenen – Hangar des Hospitals – Gleiter | mit Giselle ]
 
*NPC-Post für Voth
[ Coruscant - Untere Ebenen - Ebene 1138- Vergnügungsviertel - Straße - Senior Operative Nek Huntz ]

Schnaufend bahnte sich das grünhäutige Wesen seinen Weg durch die geschäftigen Straßen. Alle paar Meter schubste er Passanten beiseite, die teils laut fluchend umfielen. Doch das war ihm egal. Seine volle Aufmerksamkeit gehörte den flüchtenden Zielpersonen, die er um jeden Preis fassen wollte. Ein Knacken in seinem Ohr-Comlink kündigte einen eingehenden Funkspruch an und die bekannte Stimme von CS-410 ertönte wenige Atemzüge später. Der Sondendroide, der den Spitznamen „Darkey“ trug, war eine relativ neue Errungenschaft des imperialen Geheimdiensts und offenbar eine kleine Spielerei ihrer Vorgesetzten. Anders konnte Nek sich nicht einmal im Geringsten erklären, wie man auf die Idee kommen konnte, einem Droiden einen Rang und somit eigenständige Privilegien zu verleihen.

„Verstanden, CS-410, war seine etwas patzige Antwort. Nur weil irgendein Uniformträger im Bureu auf die Idee kam, diesen Blechhaufen wie ein denkendes Wesen zu behandeln, musste der Trandoshaner nicht ebenso handeln. Er dachte gar nicht daran, dieses Ding bei seinem allgemeinbekannten Kurzform zu nennen. Darkey. Was war das auch für ein bescheuerter Name? So würde man vielleicht ein streunendes Haustier nennen, aber doch keinen Droiden.

Mit erstaunlichem Tempo sauste eben jener, getragen durch seinen vorteilhaften Repulsorantrieb, an seinem Kopf vorbei. Von ‚unbemerkter Verfolgung‘ konnte dabei jedoch keine Rede sein. Denn kaum hatte die schwarzummantelte Maschine ansehnlich aufgeholt, entdeckten ihn die beiden Flüchtenden. Ein grüner Energieblitz aus der Mündung eines der Terroristen verfehlte nur knapp sein Ziel. Wunderbar. Warum flog der Operative nicht einfach geradewegs in eine der Zahlreichen Müllpressen dieser Ebene? Die Wahrscheinlichkeit einer verfrühten Verschrottung würde so nur unwesentlich steigen, besah man sich sein waghalsiges, beinahe kopfloses Verhalten. Hätte der reptilienartige Agent nicht vor Anstrengung aus allen Atemöffnungen gepfiffen, wäre ihm vermutlich ein verzweifeltes Kichern herausgerutscht. Eine tolle Hilfe war dieser Droide.

Gerade in diesem Moment setzte der Droide jedoch zu einem Sturzflug an und - Nek traute seinen Augen kaum - traf einen der beiden tatsächlich am Kopf. Unter lautem Schmerzensschrei stürzte dieser zu Boden, während sich der andere hektisch umsah, um auszumachen, was passiert war. Während der Trandoshaner weiter versuchte sich einen Weg durch die Masse aus unterschiedlichsten Bewohnern der unteren Ebenen zu bahnen, ertönte ein erneuter Com-Spruch seines unerwartet erfolgreichen Helfers ein.

„Halte sie fest, ich bin gleich da!“, knurrte er als Entgegnung.

„Aus dem Weg! Weg da!“

Mit dem Blaster, den er in seiner rechten Hand trug, schoss er zwei Mal in die Luft, in der Hoffnung, die Menge würde so auf ihn aufmerksam werden und eine Gasse bilden, durch die er hindurch schlüpfen konnte. Stattdessen verschlimmerte sich seine Situation jedoch nur, da nun ein jeder wild und erschrocken kreuz und quer lief, mit einer anderen Person kollidierte und so ein nur noch undurchdringlicheres Knäuel bildete. So wurde das einfach nichts. Hastig sah er sich nach links und rechts um, suchte mit seinem formidablen Jägerinstinkt nach etwas, dass ihm Abhilfe verschaffte, und entdeckte es in einer etwa einen Meter breiten Abwasserleitung, die entlang einer Mauer zu seiner Linken verlief. Der schmutzige Aufbau der unteren Ebenen, wo Gebäude, Leitungen und Straßen unzivilisiert und völlig wirr verliefen, kam ihm also hier zum Vorteil. Mit ein paar Schritten Anlauf und einem großen Satz sprang er also hinauf, klammerte sich wie ein wildes Tier mit allen Vieren an der Leitung fest und sprintete so nach vorne, über die tummelnden Passanten hinweg. Der Platz, an dem CS-410 seine Gefangenen festhielt, war unverkennbar, denn kreisrund hatten sich bereits Schaulustige um das Spektakel versammelt, und markierten so für jedermann ersichtlich den Ort des Geschehens. Anstatt beide Terroristen jedoch zu betäuben, oder anderweitig unschädlich zu machen, verließ er sich jedoch auf das einfache Stellen - ein Fehler, wie sich unmittelbar herausstellte. Der Kapuzenträger, Dan Kilian, holte zum Schlag aus und traf den Droiden mit dem Kolben seiner Waffe im Flug. Für einen kurzen Moment außer Gefecht gesetzt, konnte dieser die Flucht des Mannes nicht verhindern, der nun zwischen den Schaulustigen untertauchte und verschwand. Nek blieb nichts anderes als zuzusehen, wie sich seine Beute aus dem Staub machte.

Als er die Wasserleitung endlich überquert hatte, sprang er mit einem großen Satz ab und hatte nur noch ein rundes Dutzend Meter vor sich, das er sprintend hinter sich ließ, ehe er den Droiden und die Frau erreichte, die der Senior Operative nun schon seit zwei schlaflosen Tagen verfolgt hatte. Das blonde Menschenweibchen schien bewusstlos zu sein, im Gegensatz zu Darkey, der seine internen Systeme offenbar wieder berappen konnte.

„Irgendwelche Schäden, Operative?“, stellte er die Droiden-Äquivalent-Frage nach dem Befinden seines ungewöhnlichen Partners. Die Unerfahrenheit des Operative hatte dafür gesorgt, dass der Anführer der aufrührerischen Terrorzelle entkommen war, doch ohne seine Hilfe hätte Nek nun nicht einmal die Frau, dessen Namen sie noch in Erfahrung bringen mussten. Er war relativ zuverlässig, dass sie mit ihrer Hilfe jedoch den Aufenthaltsort des Widerstands in Erfahrung bringen würden und so nur bedingt betrübt über das Gesamtergebnis.

„Senior Operative Huntz und Operative Darkey erbitten Abholung. Eine Gefangene. Ebene 1138, Planquadrant 8373.“
, raunte er nun in sein Comlink. Sobald die Zentrale ihnen ein Fahrzeug schickte, und sie zurück im Geheimdienstunterschlupf waren, würden sie ein paar Fragen an die Blondine haben.

„Eignest du dich eigentlich auch als Verhördroide?“

[ Coruscant - Untere Ebenen - Ebene 1138- Vergnügungsviertel - Straße - Senior Operative Nek Huntz, Operative Darkey, Gefangene ]
 
- Coruscant – City – Hangar des Hospitals – Gleiter – Mit Exodus –

War das ein Kompromiss, den sie da aus seinen Worten heraus hörte? War Exodus Wingston tatsächlich bereit, einen Schritt zurück zu treten und nicht auf das Recht zu bestehen, von dem er glaubte, er hätte es? Gewiss kam es selten genug vor, dass er zurück steckte, aber jetzt tat er es, auch wenn es nur wage danach klang. Er hätte Giselle fragen können, ob sie die Nacht in seinem Gästezimmer verbringen wollte oder ihr die Unterkunft höflich anbieten können. Nichts davon tat er. Typisch für Exodus klangen seine Worte noch immer wie ein Befehl. Er fragte nicht, er ordnete an. Giselle jedoch war längst über den Punkt hinaus, sich darüber auch noch zu ärgern. Es brachte nichts und gerade jetzt fehlte ihr wirklich die Kraft dazu. Mit ihm in dieses Krankenhaus zu gehen stand an oberster Stelle auf der Liste der Dinge, die sie auf keinen Fall tun wollte. Nicht mit ihm, nicht ohne ihn. Sie wollte nicht einmal daran denken. Alles andere erschien dagegen nur wie kleineres Übel, selbst, ihn zurück in sein Penthouse zu begleiten. Dabei musste Giselle im Grunde nichts von alldem tun, erinnerte sie sich. Sie konnte tun und lassen was sie wollte. Es lang nur daran, wie Exodus sich aufführte, dass man dies in seiner Gegenwart hin und wieder vergaß. Die Erkenntnis aber beruhigte sie. Sie war nicht mehr seine Angestellte. Er traf keine Entscheidungen für sie. Alles was sie tat, tat sie für sich und weil sie es wollte.

“Danke, für dein Verständnis.“

Erwiderte sie, bemüht, sein Entgegenkommen zu honorieren. Sie hatte doch auch kein Interesse an dieser angespannten Stimmung zwischen ihnen, auch wenn sie nicht wusste, wie diese jemals wieder verschwinden sollte – oder wozu. Bevor Exodus heute aufgetaucht war, waren sie fertig miteinander gewesen, zumindest war das Giselles Annahme gewesen. Dass er das anders sah, hatte er deutlich bewiesen. Warum? Das fragte sich Giselle noch immer. Warum hatte er ihr hinterher spioniert? Warum hatte er sie beschattet? Coruscant war voller Frauen: jünger, älter, hübscher, besser gebaut, erfolgreich im Job und genug von ihnen würden mehr als nur zu gerne das Bett mit ihm teilen. Warum also stellte er ihr nach? War es, weil sie ihn abgewiesen hatte und dies ein interessantes Spiel ergab, weil er sie nicht haben konnte? Aber das hätte er. Er hätte alles haben könnten, alles oder nichts. Wie sah das bei ihr aus? Wollte sie noch alles? Auf gewisse Weise, ja. Es erschien Giselle irrational, aber sie konnte nicht leugnen, dass sie sich noch immer zu Exodus hingezogen fühlte. Sie wünschte sich, sie hätten irgendwo auf dem Weg zwischen Fresia und Coruscant einen anderen Pfad eingeschlagen, einer der sie einander näher brachte anstatt sie beide zornig zu machen. Vielleicht hätten sie dann eine Chance zusammen gehabt.

“Eine Nacht in deinem Gästezimmer?“

Sie hätte sofort Nein sagen sollen. Es war das erste und einzige Wort, das über ihre Lippen hätte kommen sollen.

“Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist…“

Sie fuhr sich durch die Haare, öffnete die Augen, und da war er. Was sah sie in ihm? Er war der Mann, der sie auf starken Armen tragen konnte, der Mann, der sich vor nichts fürchtete. Er war der Mann, der einer Frau alles bieten konnte was sie begehrte und sie beschützen würde vor allen Gefahren. Er war eifersüchtig, ja, und besitzergreifend. Er nahm sich, was er wollte, aber er gab auch zurück. Er teilte Gedanken und Träume und er hörte ihr zu. Außerdem mochte sie, wie er aussah. Etwas in seinen Augen war immer durchdringend und stark und manchmal wenn er einen Scherz machte, tanzte darin Belustigung. In diesen Momenten mochte sie ihn besonders. Exodus hätte sie in Ruhe lassen können, nachdem sie ihn verlassen hatte, so wie sie es gewollt hatte, doch indem er es nicht getan hatte, hatte er ihr heute geholfen. In gewisser Hinsicht konnte sie ihm also wohl selbst für seine Sturheit dankbar sein. Es war schwierig, stark zu bleiben, wenn sie all diese Dinge dachte und beinahe unmöglich, wenn er sie so direkt anschaute und sie seinem Blick nicht ausweichen konnte. Seine klugen Augen hatten sie längst durchschaut. Sie liebte ihn noch immer. Nach allem was zwischen ihnen geschehen war, hatte sie ihn noch nicht endgültig los gelassen. Ein Stück weit hasste Giselle sich selbst dafür. Sie wusste auch, dass eine Nacht nichts verändern würde. Nicht zum Positiven… aber auch wohl kaum zum Negativen. Wie viel schlimmer konnte es schon noch zwischen ihnen werden? Das Schlimmste, das passieren konnte war, dass er sie diesmal wirklich gehen lassen würde und im Grunde, war das doch genau das, was Giselle von ihm verlangte. Wenn sie ihn nicht ganz haben konnte, dann wollte sie ihn gar nicht und er sollte nichts von ihr bekommen. Alles oder nichts.

“Eine Nacht also. In Ordnung, ich komme mit dir mit“

Lenkte sie schließlich ein. Was konnte schon passieren? Das Bett war weicher als das in Shaks Bar, der Raum wärmer. Sie würde heiß duschen können, etwas Gesundes essen, sich ausruhen. Sie würde wieder fit sein, für morgen Abend, wenn Shak sie bis dahin nicht gekündigt hatte. Es waren gute Gründe, Exodus‘ Angebot anzunehmen, auch wenn sie alle nur vorgeschoben waren. Ob er geahnt hatte, dass sie ihn nicht zurück weisen würde? Giselle hatte nie einen Mann gekannt, der sich seiner Sache so sicher war wie er.

“Aber ich schlafe im Gästezimmer, Exodus, und nirgendwo sonst.“

Denn wer war sie, einen Kompromiss abzulehnen?

- Coruscant – City – Hangar des Hospitals – Gleiter – Mit Exodus –
 
[ Coruscant – Obere Ebenen – Hangar des Hospitals – Gleiter | mit Giselle ]

„Okay.“

Exodus atmete tief aus. Selbst aus diesen zwei kurzen Silbern konnte man seine Erleichterung heraushören. Es war ihm wieder einmal geglückt Giselle zurückzuholen, obwohl er selbst nicht ganz verstand wie. Seine Bestätigung besiegelte ihre Abmachung: Sie schlief im Gästezimmer, nicht bei ihm, und sie würde sich dort ungestört ausruhen können. Es war nicht das, was er sich gewünscht hatte, aber es war ein Anfang. Eine Nacht würde er bekommen. Eine Nacht um zu retten, was noch zu retten war.

„Danke.“

Aus irgendeinem Grund fühlte er sich ihr zu Dank verpflichtet. Sie hatte ihre Starrköpfigkeit für den Moment abgeschaltet und seinem Drängen, auf ihre Gesundheit zu achten, nachgegeben. Das war gut, das war wichtig. Es nützte niemandem, wenn sie in den unteren Ebenen von Coruscant zwischen harten Arbeitsschichten und schlechten Lebensbedingungen zermalmt wurde. Giselle verdiente – trotz allem, was sie sich geleistet hatte – ein besseres Leben als das. Sie verdiente, was Exodus ihr bot. Nach und nach würde er sie an dazu bringen müssen, das zu verstehen und einzusehen. Wie immer gewährte ihm die Vahla nicht viel Zeit dafür, doch er war für jede Stunde dankbar, die sie sich in seiner Nähe befand.
Ohne weitere Worte startete er die Maschinen und manövrierte den Gleiter behutsam aus dem Hangar des Hospitals heraus. Ein wenig aus Sorge, sie könnte sich doch noch einmal umentscheiden, aber auch, weil es in diesem Moment nicht viel zu bereden gab, schwieg Exodus für den restlichen Flug zum Wingston Tower. Auf Grund der vorangeschrittenen Uhrzeit gab es nur noch wenige Augenzeugen von Giselles temporärer Rückkehr zu den Wingstons und so konnten sie ungestört den Hangar und die Eingangshalle passieren. Erst als sie das Penthouse betraten, mussten sie sich einer Reaktion zu diesem Besuch stellen. Im Wohnraum der Luxusetage, der von sanftem indirekten Licht in angenehme Orange-Töne getaucht war, sahen Alad Wingston und Exodus‘ Halbschwester Miku zu ihnen auf. Die beiden hatten es sich lesend auf der ausladenden Couch gemütlich gemacht. Obwohl es in den meisten Fällen vorkam, rechnete Exodus nicht immer damit seine Familie vorzufinden, wenn er nach Hause kam – und auch heute hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht. Alad war bei ihrem ersten Besuch nicht besonders begeistert von Giselle gewesen, sogar ganz im Gegenteil. Zuletzt hatte er seinen Sohn sogar dafür beglückwünscht, die Vahla weggeschickt zu haben und Exodus hatte seine ehemalige Assistentin wütend verteidigt. Nun war sie also wieder da, hier in ihrem Haus, in ihrem Wohnzimmer und würde in ihrem Gästezimmer die Nacht verbringen. Anders als sein Vater kannte Miku die Tänzerin noch nicht und so war es Exodus‘ Halbschwester, die als erstes eine knappe Begrüßung aussprach.


„Hallo!“

Die junge Frau schenkte Giselle und Exodus ein höfliches Lächeln. Alad Wingston sagte hingegen nichts. Seine buschigen Augenbrauen hatten sich zusammengezogen und sein Blick strahlte Missbilligung aus.

„Hallo!“

erwiderte Exodus die Worte, unsicher auf welches Terrain er sich hier begeben hatte. Miku war stets Yunas Verbündete gewesen, doch gleichzeitig musste auch ihr klar sein, dass es zwischen dem einstigen Liebespaar endgültig aus war. Yuna hatte mit ihrem Künstler-Freund und dessen Tochter im „Victorias“ den Eindruck einer kleinen, glücklichen Familie vermittelt. Es war also völlig natürlich, dass Exodus sich nach anderen Frauen umsah. Vielleicht befürwortete Miku es sogar. Also wollte er es mit Höflichkeit versuchen und sah zunächst zu der Vahla hinüber.

„Giselle, das ist meine Halbschwester Miku.“

Und an seine Schwester gewandt erklärte er der Vollständigkeit halber:

„Miku – das ist Giselle. Sie wird heute Nacht unser Gast sein.“

Alad Wingston entfuhr ein leises Schnauben, doch dann gab der alte Mann vor, sich wieder in seine Literatur zu vertiefen. Exodus‘ Blick fiel auf die Lehne der Couch, über die er Giselle bei ihrem ersten Besuch des Penthouses noch wild küssend geworfen hatte. Es war zunächst nichts daraus geworden, weil sein Vater sie gestört und damit die Leidenschaft im Keim erstickt hatte. Erst später war Exodus doch noch zum Zug gekommen, denn die Flamme zwischen ihnen war auch durch die kurze Unterbrechung nicht gelöscht worden. Doch wie sah es jetzt damit aus? Verspürte Giselle noch dieselbe Sehnsucht, wenn sie ihn betrachtete, oder waren die Funken zwischen ihnen tatsächlich ganz gestorben? Heute Nacht würde er es zumindest nicht mehr herausfinden. Sein Versprechen durfte er unter keinen Umständen brechen.

„Tja nun, also …“

sprach Exodus Giselle von der Seite an und warf einen knappen Blick zu seinen beiden Verwandten. Weder sein Vater noch seine Halbschwester machten Anstalten ihnen das große Wohnzimmer zu überlassen.

„Möchtest du noch etwas essen?“

[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Penthouse | mit Giselle, Alad und Miku ]
 
- Coruscant - City - Wingston Tower - Penthouse - Großer Wohnraum - Mit Exodus, Miku, Alad -

Kaum war sie wieder hier, in dem luxuriösen Penthouse der Wingstons, zwischen Ledersesseln und Hightech-Geräten, da wollte Giselle sofort wieder weg, nicht wegen Exodus oder den Erinnerungen an ihren letzten Streit, den dieser Ort mit sich brachte, sondern wegen seines Vaters. Alad Wingston hatte seine Meinung über Giselle nicht geändert und scheute sich auch nicht, seine Missbilligung zum Ausdruck zu bringen. Es ist nur für eine Nacht, wollte Giselle ihm sagen, morgen wird es sein als wäre ich nie da gewesen. Doch natürlich schwieg sie. Exodus stellte sie seiner Schwester vor, einer freundlich aussehenden Brünetten. Sie begrüßte sie mit einem "Hallo", lächelte ihnen zu, wirkte dabei allerdings deutlich reserviert. Giselle begriff. Was auch immer Miku denken mochte, sie konnte sich natürlich nicht gegen ihren Vater stellen oder ihm in den Rücken fallen. Trotzdem versuchte Giselle, ihr Lächeln und ihre Begrüßung zu erwidern, wobei ihre leise gesprochenen Worte im Raum verklangen und kaum mehr wahr zu nehmen war als die Bewegung ihrer Lippen. Alad Wingston musste sie schlicht ignorieren. Sie befand sich in keiner Verfassung, sich sein beleidigendes Verhalten zu Herzen zu nehmen. Es gab zu viele andere Dinge, auf die Giselle sich konzentrieren musste: sich aufrecht zu halten, zum Beispiel, nicht wieder umzukippen. Manchmal drohte die Welt vor ihr wieder zu kreisen und dunkler zu werden, beim Aussteigen aus dem Gleiter und im Turbolift auf dem Weg hinauf zum Penthouse war es fast passiert. Um den entgegen zu wirken hatte Giselle tief eingeatmet, sich leicht vornüber gebeugt um das Blut zurück in ihren Kopf laufen zu lassen und die Schwärze entschieden weg geblinzelt. Sie hatte keine Kraft, sich über Exodus Vater zu ärgern, nicht heute. Dennoch war die Situation, als niemand mehr etwas sagte, reichlich unangenehm und dass Exodus sie fragte, ob sie etwas essen wollte, war zwar zu erwarten gewesen, doch unter den gegebenen Umständen hätte Giselle am liebsten abgelehnt. Sie fühlte sich schon wieder mehr wie ein Eindringling und nicht als Gast, und das obwohl sie eigentlich nicht einmal hatte hier sein wollen.

"Ich würde gerne eine Kleinigkeit essen, aber nur wenn es keine Umstände macht."

Erwiderte sie höflich. Sie hatte großen Hunger, mehr als sie den ganzen Tag über wahr genommen hatte. Mittags war ihr komisch gewesen gewesen, zu flau im Magen um etwas zu essen.

"Zuerst möchte ich mich aber kurz frisch machen."

Sie vermied es, an sich herunter zu sehen. Giselle trug ein kurzes schwarzes Kleid, einseitig tief geschlitzt und mit glitzernden Pailetten entlang des V-förmigen Halsausschnittes. Ihre langen, knochigen Beine steckten in petrolblauen Sandaletten mit sich den Knöchel hinauf windenden schwarzen Riemchen. Ihre Haare mussten wüst aussehen, jedenfalls fühlten sie sich so an, und es hätte Giselle nicht gewundert, wenn ihr Make-Up verlaufen wäre. Sie hatte sich noch im Gleuter mit den Fingern unter den Augen entlang gewischt, doch ohne Spiegel war es unmöglich zu sagen, ob es was gebracht hatte.

"Ich gehe schon mal vor in deine Räume."

Sagte sie und konnte nicht verhindern zu denken, wonach sich das in Alad Wingston Ohren anhören musste.

"Ich kenne den Weg noch."

Giselle hoffte, dass er wirklich in seine Lektüre vertieft war und nicht nur so tat. Sie sah niemanden an, als sie den Raum verließ. Sie wollte sich setzen, die Schuhe ausziehen und für einen Moment die Augen schließen.

- Coruscant - City - Wingston Tower - Penthouse - Exodus Privaträume -
 
[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Penthouse | mit Giselle, Alad und Miku ]

„Es macht keine Umstände.“

betonte Exodus zu Giselles Einschränkung, nur etwas zu essen haben zu wollen, wenn es nicht zu viel Arbeit machte. Sein strenger Blick galt bei diesen Worten seinem Vater. Alad Wingston verhielt sich, als hätte er jegliche Regeln der Höflichkeit vergessen. Dabei war diese Eigenschaft stets ein Fokus bei der Erziehung seines Sohnes gewesen. Höflichkeit, so hatte er Exodus stets eingeprägt, war die Basis eines respektvollen Miteinanders. Aber der Geschäftsmann konnte auch unnachgiebig und hart sein, wenn er etwas wirklich durchsetzen wollte. In dieser Hinsicht war Alad seinem Sohn sehr ähnlich – oder Exodus seinem Vater, je nachdem aus welchem Blickwinkel man es sah. Ob Adrian diese Eigenschaft ebenfalls vererbt bekommen hatte? Der Junge war wenig aufbrausend oder dominant, stattdessen meistens in sich gekehrt und durchaus für Kompromisse offen. Andererseits hatte Exodus ihn hinsichtlich der Suche nach seiner Schwester auch als sehr beharrlich kennengelernt. Vielleicht steckte also wirklich etwas von ihm in seinem Sohn …

„Das war nicht besonders höflich.“

tadelte der ehemalige Sith seinen Vater, nachdem Giselle den Raum hatte und damit außer Hörweite war. Beim seinem letzten Ausrutscher gegenüber der Vahla hatte Exodus dem älteren Mann noch in ihrer Anwesenheit eine Entschuldigung abverlangt, heute wollte er seinen Gast jedoch möglichst von ausartenden Konflikten fernhalten. Sie sollten sich entspannen und ausruhen.

„Du kannst sie nicht jedes Mal behandeln, als wäre sie eine Aussätzige.“

Sein Vater antwortete nicht, sondern gab weiter vor in seiner Lektüre zu lesen. Heute Abend würde er nicht mehr nachgeben, so viel war Exodus klar. Vermutlich war Giselles Outfit aus Shaks Bar bei der Werbung um Akzeptanz nicht besonders hilfreich gewesen, doch eigentlich sollte dies bei einem Mann wie seinem Vater keine Rolle spielen. Alad Wingstons Offenheit wich immer häufiger Verbohrtheit – der Verbohrtheit eines alten Mannes. Es war ein schmerzendes Erlebnis, mitansehen zu müssen wie das Alter an dem Mann nagte, den er so lange bewundert hatte. Doch auch ein Alad Wingston mit all seinem Geld und seinen Erfolgen war vor den Spuren des Alters nicht gefeit.
Seufzend marschierte Exodus an der Couch vorbei in Richtung der Küche. Die Kochmöglichkeiten, die dieser Ort bot, waren mannigfaltig, aber ein Spezialist der Essenszubereitung war Exodus Wingston nun wirklich nicht. Wie meist, wenn er spätabends noch Hunger bekam, betätigte er einen kleinen Schalter auf Hüfthöhe, der eine tiefe Kühlschublade ausfahren ließ. Eine reichhaltige Auswahl an verschiedenen Gerichten, jederzeit bereit aufgewärmt zu werden. Exodus fuhr mit den Augen über die Packungen und deren Beschriftungen. Giselle hatte angegeben, nur eine Kleinigkeit essen zu wollen, doch er vermutete auch darin pure Höflichkeit. So kraftlos wie sie auf der Bühne zusammengeklappt war, musste sie ein regelrechtes Loch im Magen haben. Also griff er nach einem – nach der automatischen Zubereitung hoffentlich saftigen – Bha’lir-Steak, das mit einigen Beilagen in der kleinen Packung verkauft wurde. Exodus zog einen Plastikbeutel mit noch kaum definierbarem Inhalt aus dem Karton und legte ihn in die Garstation. Anschließend nahm er sich ein Tablett, postierte darauf Besteck, ein großes Glas und eine Karaffe mit Wasser. Es dauerte nur knapp eine Minute, ehe Exodus das Steak und die restliche Mahlzeit aus der Garstation ziehen, den Beutel vorsichtig ablösen und auf einem Teller positionieren konnte. Voilà!

Ohne einen weiteren Blick zur Couch lief er zurück zu seinem eigenen Wohnbereich, in dem Giselle bereits wartete. Während er mit einer Hand das Tablett balancierte, betätigte er mit der anderen den Türschalter und spähte in den kleinen Korridor hinein. Die Tür zum Gästezimmer war noch geöffnet und Licht fiel in den Flur, gerade so, dass es einen getrockneten Weinfleck an der Wand beleuchtete. Vor seinem inneren Auge stand Giselle plötzlich vor ihm und stieß ihm das Tablett aus der Hand. Die Weinflasche zerstob auf dem Boden in tausend Splitter und die rote Flüssigkeit breitete sich in Windeseile auf dem Parkett aus. Davon bekam er allerdings nichts mehr mit, weil Giselle einen leidenschaftlichen Kuss folgen ließ, in den er versank, in dem er ertrank.
Doch als er blinzelte, war diese Vorstellung verschwunden und die Vahla saß noch immer ruhig auf dem Bett des Gästezimmers. Exodus klopfte an die Wand neben der geöffneten Tür und trat herein. Das Tablett stellte er auf dem kleinen Tisch ab, der am Fußende des Bettes an der Wand platziert war.


„Ich muss mich für meinen Vater entschuldigen.“

Eines hatte er heute begriffen: Druck und Dominanz würden Giselle nicht an ihn binden. Sie war der Hölle kaum entkommen und hatte trotzdem sofort von ihm weggewollt, bloß weil er ihr seinen Willen hatte aufzwingen wollen. Das funktionierte nicht. Sie war zu stark und starrköpfig dafür.

„Seine Ablehnung geht nicht gegen dich persönlich. Er möchte nur einfach keine andere Frau an meiner Seite sehen als Yuna.“

Und dabei war Giselle nicht einmal die Frau an seiner Seite. Nicht mehr zumindest, vielleicht war sie es auch noch nie wirklich gewesen. Exodus setzte sich auf den Stuhl neben den Tisch und hielt so einen gewissen Abstand zu seinem Gast.

„Dabei ist es ja nicht einmal so.“

stellte er aus einem jähen Pflichtgefühl heraus klar. Giselle sollte nicht denken, er hätte seinem Vater erzählt, dass sie ein Paar wären. Dann tippte er mit dem Zeigefinger gegen das Tablett. Das Steak dampfte und verbreitete trotz seiner Tiefkühl-Herkunft einen herrlichen Duft im Raum.

„Hier ist etwas zu essen für dich.“

Obwohl auf der anderen Seite des Tisches noch ein weiterer Stuhl stand, erhob er sich und bot Giselle seinen Platz an.

„Wenn du möchtest, kann ich dir Gesellschaft leisten. Ansonsten werde ich mich ebenfalls zurückziehen.“

Es war eine neue und ihr doch bekannte Freundlichkeit, die er an den Tag legte. Dominanz hatte nicht funktioniert, denn ohne es selbst zu bemerken, dominierte sie ihn. Er konnte sie nicht an sich binden, nicht indem er ihr die Welt zu Füßen legte und nicht, in dem er ihr Fesseln anlegte. Vielleicht war ein Mittelweg die beste Wahl, vielleicht musste er auch aufhören zu sehr über Strategien nachzudenken. Vielleicht musste er einfach Exodus sein. Und ihr eine Nacht Ruhe gönnen.

[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Penthouse – Exodus‘ Privaträume | mit Giselle ]
 
– Coruscant – City – Wingston Tower – Penthouse – Gästezimmer –

Das Gästezimmer war sauber und aufgeräumt. Das Bett war frisch bezogen, die Kissen aufgeschüttelt und im Bad hingen saubere, strahlend weiße Handtücher. Kein Körnchen Staub und nicht die geringste Spur von Schmutz waren in der Nasszelle oder dem Waschbecken zu finden. Nichts ließ erkennen, dass Giselle jemals zuvor hier gewesen war. Sie streifte ihre Sandalen von den Füßen. Es war ein dankbares Gefühl von Komfort, barfuß auf dem kühlen Boden zu laufen und sie fühlte sich sogleich sicherer auf den Beinen. Sie hatte nichts dabei, keine Waschlotion, keine Zahnbürste und nicht einmal frische Unterwäsche, doch im Bad standen die wichtigsten Utensilien bereit, wie in einem Hotel. Sie wusch sich die Hände und betrachtete sich zum ersten Mal, seit sie ihre Kammer über Shaks Bar verlassen hatte, um im Schankraum für die Gäste zu tanzen, im Spiegel. Sie sah nicht furchtbar aus, nicht so schlimm wie sie erwartet hatte, nur ein wenig wüst und etwas blasser als sie normalerweise war. Dort unten, in die Unteren Ebenen, gelangte keine Sonne. Es gab kein Tageslicht. Mehr als alles andere vermisste Giselle den Himmel. Es würde schön sein, morgen früh aufzuwachen und sehen zu können, dass es wirklich Morgen war. Sie sparzierte zurück in den Schlafraum, setzte sich auf das Bett. Sitzen tat gut. Schon kurz darauf hörte sie eine Tür, Schritte, und dann betrat Exodus das Zimmer. Mit ihm kam der köstliche Duft von Gebratenem. Er stellte das Tablett, dass er mitbrachte, auf dem kleinen Tisch ab.

“Danke, das ist nett.“

Bemerkte Giselle. Sie hatte noch nicht gekostet und wusste doch, dass es das beste Essen seit Tagen sein würde. Exodus verhielt sich ausgesucht höflich. Er entschuldigte sich sogar für das Verhalten seines Vaters, das im Grunde nichts neues für Giselle war. Aber auch, dass er es für unpassend hielt, war nicht überraschend. Bei ihrer ersten Begegnung mit Alad Wingston hatte Exodus seinen Vater sogar zurecht gewiesen, weil ihm nicht gefallen hatte, was dieser gesagt hatte. So viel hatte sich gar nicht verändert, dachte Giselle. Sie waren alle noch immer die selben, wollten alle noch immer das selbe wie zuvor - doch jeder von ihnen wollte etwas anderes.

“Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir dafür sorgen, dass ich deinem Vater morgen nicht noch einmal begegne.“

Erwiderte sie pragmatisch.

“Ich verschwinde morgen einfach so früh wie möglich.“

Giselle wusste nicht, was besser war: gehasst zu werden dafür wer sie war, oder gehasst zu werden, weil sie nicht jemand anderes war? Auf ersteres hätte sie immerhin Einfluss gehabt, dachte sie. Yuna würde sie jedoch niemals sein können. Es spielte jedoch auch keine Rolle, oder sollte keine mehr spielen. Sie konkurrierte nicht mit Yuna. Exodus und Giselle hatten keine Verbindung mehr zueinander. Er gab sich sogar Mühe, das noch einmal zu betonen, als wollte er sie daran erinnern, sich keine falschen Hoffnungen zu machen. Giselle lächelte, mehr oder minder verständnisvoll und mit einer Spur von Wehmut im Blick. „Ja, Exodus, ich habe es verstanden.“, dachte sie bei sich. „Und darum muss ich so weit weg von dir wie möglich.“

“Ich wäre lieber allein.“

Lautete die für ihn hörbare Antwort auf sein Angebot, ihr Gesellschaft zu leisten. Das zu sagen, fiel ihr auf einmal erstaunlich leicht. Sie musste sich von ihm distanzieren, zuerst geographisch und dann emotional. Außerdem wollte sie allein sein, kein Gespräch führen, niemanden ansehen müssen, an nichts denken. Sie wollte nur essen, sich unter die warme Dusche stellen und dann schlafen, tief und fest.

“Keine Sorge, wenn ich etwas brauche, melde ich mich.”

Schob sie hinterher. Sie glaubte nicht, dass das der Fall ein würde – sie war die letzten Tage schließlich auch ohne ihn zurecht gekommen. Nicht ganz, sagte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Heute hatte er ihr geholfen. Sie hätte sich noch einmal bei ihm dafür bedanken können und für einen kurzen Moment dachte sie auch, sie würde es tun, doch dann schwieg sie und wartete darauf, dass er den Raum verließ.

– Coruscant – City – Wingston Tower – Penthouse – Gästezimmer – Mit Exodus –
 
[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Penthouse – Exodus‘ Privaträume | mit Giselle ]

Es bedurfte einiger Arbeit, stellte Exodus nach Giselles Worten niedergeschlagen fest, bis wieder so etwas wie Vertrauen zwischen ihnen herrschen würde. Seine ehemalige Assistentin zeigte sich zwar nun doch dankbar für die Hilfe, lehnte seine Anwesenheit aber trotzdem ab. Vermutlich war er es selbst Schuld. Der Druck, den er auf sie ausgeübt hatte, war zu groß gewesen und hatte das Band zerstört, das zwischen ihnen auf Fingers Mark entstanden war. Obwohl es in Tagen und Wochen noch nicht so lange her war, dass sie gemeinsam am Strand gesessen hatten, kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Ein anderes Leben, ein anderer Mann.

„In Ordnung.“

sagte Exodus leise und bestätigte damit alle ihre Wünsche: Allein zu sein, Alad Wingston nicht noch einmal begegnen zu müssen und sich erst dann wieder zu melden, wenn sie etwas brauchte. Sie wollte nicht mehr sein als ein stiller Gast, ungesehen, unbemerkt. Sie war nicht mehr seine Liebhaberin, nicht sein gute Freundin und nicht einmal mehr seine Mitarbeiterin. Giselle war nichts mehr von alledem, weil sie ablehnte eine dieser Rollen zu haben. Er wusste nicht, wann er die Chance gehabt hatte, sie zumindest in irgendeiner Form langfristig in sein Leben zu holen. Heute musste er einsehen, dass er diese Momente schlicht verpasst hatte.

„Ich bin noch eine Weile draußen, auf der Dachterrasse.“

Exodus straffte die Schultern und machte einen Schritt zur Tür.

„Du bist hier also ganz ungestört.“

Das war doch, was sie wollte, oder nicht? Immerhin hierfür musste sie ihm einmal Punkte auf ihrem gedanklichen Konto gutschreiben. Er schenkte ihr ein letztes schwaches und irgendwie trauriges Lächeln und verließ dann das Gästezimmer. Den Wohnraum, in dem er noch immer seinen Vater und seine Halbschwester vermutete, mied er, als er den Weg zur Dachterrasse suchte. Die kühle Luft der Nacht schlug ihm angenehm entgegen, als er die Tür nach draußen öffnete. Die Terrasse war schwach beleuchtet, Coruscant unter ihm leuchtete hingegen wie immer taghell. Nur wenn er nach oben blickte, empfing ihn die Dunkelheit. Die oberen Ebenen des Planeten boten Licht und Schatten, Tag und Nacht, während im Kern der Stadt alles gleichförmig war – immer erleuchtete irgendeine Reklame die Dunkelheit, aber Lichtstrahlen fanden nach dort unten nur selten ihren Weg. Exodus fühlte sich sinnbildlich mit den oberen Ebenen verbunden. Wenn man hier oben wohnte und in die Tiefe blickte, fühlte man sich wie der König der Welt. Alles lag einem zu Füßen, man hauste und lebte dort, wo der Rest des Planeten hinzukommen strebte. So war es auch mit Giselle gewesen. Für eine Zeit war es gut gewesen und Exodus war der Illusion erlegen, über sie bestimmen zu können. Doch die Vahla wollte das Sonnenlicht nicht, wenn sie es nur unter seiner Kontrolle bekommen konnte. Sie wollte das karge, gleichförmige und traurige Licht der unteren Ebenen, solange sie nur selbst darüber bestimmen durfte. Und nun war für ihn die Sonne verschwunden, viel schneller als von ihm erwartet. Was hätte er also anders machen sollen? Ihr die Kontrolle überlassen? Wenn Exodus eines in seinem bisherigen Leben gelernt hatte, dann niemals die Kontrolle abzugeben. Immer wenn er das getan hatte, waren ihm die guten Dinge des Lebens entglitten. Sein Vertrauen in Yuna war mit ihrem Betrug in seiner Abwesenheit bestraft worden. Auch als Giselle auf dem Empfang hatte ziehen lassen, war sie direkt in den Armen eines anderen Mannes gelandet. Was brauchte es also, Kontrolle oder Vertrauen? Exodus lehnte sich seufzend über das Geländer der Terrasse und starrte hinunter in das immerwährende Licht des Stadtplaneten. Am liebsten wäre er sofort zu Giselle marschiert und hätte sie gefragt: Was willst du von mir? Was soll ich tun?
Doch wenn er das tat, widersetzte er sich wieder ihrem Wunsch nach Ruhe und die Vahla würde ihm weder Gehör noch eine Antwort schenken. Es war eine Zwickmühle, vielleicht war es sogar schon zu spät und Giselle für immer verloren. Exodus ließ seinen Blick nach oben wandern. Der Himmel über Coruscant schien heute sternenlos. Mit unruhigem Blick suchte er in der Dunkelheit nach einem kleinen Lichtfleck, einem Stern, der sich auch in der Dunkelheit zu leuchten traute und fragte sich, ob er eigentlich jemals etwas im Leben richtig machen würde.


[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Penthouse – Dachterrasse | allein ]
 
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