Hi folks,
ein echt heisses Thema.
Da der Kuchen aber mit der Fertigstellung des Staudammes gegessen ist, bleibt nur Staunen über die technische Leistung.
Was die immensen Verluste an kulturhistorischen Werten angeht, kann man nichts mehr sagen. Weg ist in diesem Falle Weg.
Man muss aber auch sehen, dass anders als in unserer westlichen Kultur im asiatischen Raum eher das Jetzt und die Zukunft zählt, und Veränderung als positiv angesehen wird, denn dass man unbedingt an Altem festhalten will. Hierzu muss man nur mal die Baumassnahmen betrachten, die in den letzten Jahren vorgenommen wurden. Altstädte in Hong Kong, Shanghai und Peking sind zu einem Großteil einfach plattgemacht worden, mitsamt historischer Gebäude. Nicht, dass es so etwas nicht auch im Westen gegeben hätte (Brüssels vom Krieg weitgehend verschonte Altstadt wurde zugunsten der UNO-Gebäude zu einem grossen Teil abgerissen), aber die Rigorosität, mit der Altes einfach weggefegt wird, gibt es bei uns nicht in dem Ausmass.
Was in China allerdings wenig Beachtung findet ist tatsächlich der Umweltschutz. So ist der Drei-Schluchten-Staudamm geflutet worden, ohne eine Entsorgung der Altlasten vorzunehmen. Ich darf nur daran erinnern, dass ein Tropfen Öl ein Volumen von 10.000 Litern Wasser verunreinigt und unbrauchbar macht. Was an sonstigen Schwermetallen, Unrat und Industrieabfällen ins Wasser gelangt ist, kann man nicht schätzen. Ich bin gespannt, wann man Berichte über die Qualität des Wassers hören wird. Natürlich dienen die Wassermassen vordringlich der Energiegewinnung, aber die Trinkwassergewinnung spielt bei solch einem Projekt auch eine wichtige Rolle. Die weitreichenderen Folgen (Eintragung der Gifte in die umliegenden Regionen durch Grundwasser) lassen sich erst in den nächsten Jahren richtig bewerten. Jedoch gibt es erste Fälle, so ist fast die gesamte Bevölkerung eines Dorfes durch Eintragung von Giften ins Grundwasser an Krebs erkrankt (
http://www.taz.de/pt/2006/06/14/a0124.1/text
Was mich interessieren würde sind die ökonomischen Folgen für die Regionen. 1,2 Mio Menschen einfach umzupflanzen, das kann nicht funktionieren, vor allen Dingen nicht auf einer wirtschaftlichen Ebene. Wo sollen denn die Arbeitsplätze herkommen ? Und Menschen, die sich auf dem Land noch selber in ihren Kommunen und oft funktionierenden, wenn auch ärmlichen Ökonomien über Wasser halten konnten, wie sollen die integriert werden ?
In Anbetracht dessen kann ich verstehen, dass Fu Xiancai und sicher noch andere nicht mehr zurückhalten wollen, weil ihnen die Lebensgrundlage (!) entzogen wurde.
Meine erste Reaktion war selbstverständlich auch, die Schuld bei der ARD zu suchen, da diese auch eine Verantwortung für die Sicherheit der Interviewpartner haben. Man kann ihnen sicherlich vorwerfen, nicht wirklich sensibel mit dem Thema umgegangen zu sein.
So hätte man Fu auch unkenntlich machen können. Das Ergebnis wäre das Gleiche geblieben, und zwar die Information, dass es Ungerechtigkeiten seitens der chinesischen Regierung gegeben hat.
Allerdings hätte man dann dem Bericht einen Grad an Authentizität genommen.
Laut ARD-Bericht hat Fu Xiancai darauf bestanden, seine Aussage zu machen.
Wenn man den Statements glauben darf, hatte er schon eine Vorgeschichte im Bezug auf die chinesischen Behörden, und wusste dass er unter Beobachtung stand.
So bleibt doch nur zu überlegen was die Motivation für jemanden ist, sich in Gefahr zu bringen.
Aber was kann das sein ?
Im Falle von Bauer Fu muss es etwas sein, was vielen Menschen fehlt.
Nämlich Zivilcourage.
Wikipedia schrieb:
Der Begriff Zivilcourage setzt sich aus den beiden Wörtern zivil (lateinisch civilis, 1. bürgerlich – nicht militärisch, 2. anständig, annehmbar) und courage (französisch, Beherztheit, Schneid, Mut) zusammen. Er kann als bürgerlicher, anständiger Mut übersetzt werden, mit dem ursprünglich ausschließlich das entsprechende Auftreten gegenüber nicht-zivilen Autoritäten (Militär, Polizei) gemeint war. Diese Auslegung erfuhr seit dem 2. Weltkrieg eine Veränderung - heute wird unter Zivilcourage das Auftreten gegen oder für die herrschende Meinung verstanden, mit dem der Einzelne, ohne Rücksicht auf sich selbst, seine persönlichen Werte oder die Werte der Allgemeinheit vertritt.
...
In westlich orientierten Gesellschaften zeigt derjenige Zivilcourage, der die Wertorientierungen der jeweiligen Gesellschaften, wie z. B. die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte", offen und ohne Rücksicht auf eigene Nachteile vertritt. Dies erfordert Mut, da derjenige, der Zivilcourage zeigt, die Repressionen der Herrschenden, der herrschenden Meinung oder des Mobs herausfordert.
Ich finde die Folgen seines Handelns mehr als traurig, aber es ist ein Beweis dafür dass er jemanden stört. Wer das ist, kann von uns hier im Westen nur schwer bewiesen werden.
Aber wenn hier die Frage nach einem Beweis für die Schuld der chinesichen Regierung aufgeworfen wird, muss man doch die Gegenfrage stellen, ob die Unschuld der Regierung belegt werden kann ?!
Und man muss fragen, wer denn wahrscheinlich ein Interesse daran haben kann, Fu zum Schweigen zu bringen.
Was eine in einem anderen Posting angesprochenere "subtilere" Vorgehensweise angeht, was kann denn subtiler sein, als konstant den offiziellen (!) Weg zu gehen, und versuchen durch Rechtsmittel zu seinem Recht zu kommen ? Seit 1994 hat Bauer Fu das nämlich getan.
Was bitte ist denn dann ein "subtilerer Weg" ?! Flugblätter drucken, diese in der Nacht verteilen, eine Untergrundbewegung gründen, oder sich einen Sprengstoffgürtel umschnallen und sich in die Luft jagen ?
Ich sehe Fu als einen wichtigen politischen Aktivisten in China, und wer weiss was seine Tat noch auslösen kann. Es sind immer einzelne, mutige Menschen, die eine Veränderung auslösen. Und er betreibt seine Proteste vollkommen gewaltfrei, für sich und seine Leidensgenossen kämpfend. Er ist der Letzte, der mit Repressalien der Regierung rechnen müsste, weil er nur auf seine Rechte als Bürger der Volksrepublik (!) pocht. Kann dann in irgendeiner Form Unrecht sein, seine Meinung international kund zu tun ?
Hier noch ein Link zur ARD-Seite. Hier ist auch als Transkript im Bericht die Aussage der chinesischen Regierungssprecherin zu finden
http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,,OID5619748_REF1,00.html
Bei Eingabe von "Fu Xiancai" bei Google finden sich zum Glück noch mehr Einträge zum Thema. Wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte ich mir ziemlich Gedanken zu Google gemacht (also noch mehr als jetzt)
Zurück OT Staudamm :
Objektiv betrachtet kann eine ökologisch verträgliche Energieerzeugung nur vernünftig sein, allerdings hat die Grösse des Projekts IMO nichts mehr mit reiner Wirtschaftlichkeit zu tun, sondern bedient auch die Sehnsucht Chinas nach stärkerer Akzeptanz und Bewunderung im Rest der Welt.
Gruß,
Michael