~~~ Haruun Kal ~ Pelek Baw ~ Hort der Jünglinge ~ Trainingsraum ~ mit Nylia ~~~
Erst war alles wie zuvor. Oder fast wie zuvor, nur ohne das weglaufen. Doch bald wurde Nylia nicht mehr von den harmlosen Laserstrahlen getroffen, in ihrem Versuch sie mit ihrem Trainingsschwert abzuwehren, sondern lenkte erst einen, dann zwei, und bald schon regelmäßig die auf sie gefeuerten Schüsse erfolgreich ab. Als sie schließlich soweit war, die Hälfte der Laser zu reflektieren, den meisten anderen auszuweichen und nur noch von jedem zehnte getroffen zu werden, war es Zeit für eine Pause - und Jibrielle war ein gewaltiger Stein von der Brust gefallen. Nylias grimmiges Lächeln sprach Bände. Auch Jibrielles Padawan war Stolz auf sich. Wenn es ihr gelang diesen gesunden Stolz und die Freude über das Erreichte in Selbstvertrauen umzuwandeln, dachte Jibrielle, bestand wohl wirklich noch Hoffnung für ihre so talentierte und doch so instabile Padawan. Breit lächelnd ging Jibrielle mit den zwei Wasserflaschen auf Nylia zu und warf ihr gekonnte eine davon zu, während in ihrem Kopf weiterhin die Gedanken kreisten. Hätte sie überhaupt anders handeln können? Wenn nun Nylia doch ein letztlich hoffnungsloser Fall war, zu Traumatisiert, zu gefährdet von der dunklen Seite? Hätte Jibrielle ihre Freundin aufgeben können, all ihre Chancen auf Selbstverwirklichung und Befreiung von den Schatten der Vergangenheit? Hatte die junge Jedi-Ritterin überhaupt genug Urteilsvermögen, darüber zu richten? Wenn sie schon die Hoffnung für vermeintlich längst verlorene Fälle wie Ijelinn nicht aufgab, wieso durfte sie dann nicht daran glauben, dass Nylia den Weg der Lichten Seite würde finden können? Ob über Ijelinn der Rat wohl schon sein Urteil gefällt hatte? Wie es ihr wohl ging ...
"Es ist ein Anfang, oder?"
sagte Nylia und riss Jibrielle aus ihren Gedanken. Beide sich im Schneidersitz gegenübersitzend, nuckelte Jibrielle gerade an ihrer Trinkflasche und konnte nur energisch Nicken, war ihr Mund doch gerade voll erquickendem Nass. Doch offenbar brauchte Nylia keine weitere Ermunterung, lag ihr doch anscheinend noch viel mehr auf dem Herzen. Noch immer schon sie an sich zu Zweifeln und die Scham über ihre Panikattacke zuvor schien noch nicht verflogen. Sie entschuldigte sich nochmals für ihre Reaktion und versuchte zu erklären, warum ihr diese Dinge manchmal so nahe gingen. Jibrielle hörte aufmerksam zu und wusste nur zu gut, welche Gefühle Nylia dort beschrieb.
"Kennst du das? Man verdrängt etwas mit aller Macht und wenn man es gar nicht erwartet, kommt es hoch und es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengegend."
meinte Nylia und zuppelte mittlerweile so energisch ersatzhandlungstechnisch an dem Etikett ihrer Flasche herum, dass es abriss.
"Meinst du wirklich, ich kann stark genug werden, um es zu schaffen? Um es wirklich zu vergessen und nicht nur immer wieder davor wegzulaufen? Ich... Ich will endlich nicht mehr wegrennen müssen."
Die Jedi-Ritterin nickte ihrer Schülerin zu, lächelte verstehend. Die Einsamkeit ihrer Kindheit, der Terror ihrer Brüder und Schwester im Waisenhaus in den ersten Jahren, die Einsamkeit danach, die entsetzliche Furcht vo Azgeth und der drohende Tod von Chesara, ihr Kampf auf Leben und Tod bei Nylias Rettung, Ord Mantell ... Darth Noirceur, Rins Arm, Dhis Tod, der Terror der Todesangst, Darth Devour. All diese Dinge hatten sie einmal verfolgt und vor allem die Ereignisse bei ihrer Reifeprüfung hatten sie lange nicht losgelassen. Jibrielle hatte Nylia vieles von alledem bereits erzählen können, doch wenn natürlich nicht alle Kindheitserinnerungen und erschreckende Eindrücke von Ord Mantell dabei gewesen waren.
"Ich kenne das Gefühl. Aber ich glaube auch, dass ein gesunder Geist gar nicht anders kann, als diese Dinge zu verdauen, wenn es auch manchmal sehr lange dauert und Krämpfe verursacht. Man muss ja irgendwie damit umzugehen lernen. Wirklich vergessen können wir wirklich einschneidende Erlebnisse, glaube ich, sowieso nicht - wie du schon sagst, bestenfalls verdrängen. Was wir aber nur Verdrängen, dass wird immer wieder hochkommen und macht über uns haben. Vieles von dem, was ich auf Ord Mantell erlebt habe, hat mich lange verfolgt und beschäftigt. Ich habe dir ja schon viel davon erzählt. Besonders hat mich dabei aber vor allem meine eigene Panik erschreckt, meine eigene rasende Angst vor dem Tod. Ich habe aber eingesehen, dass ich diese Erfahrung nicht ignorieren darf. Damals habe ich eine Seite an mir kennen gelernt, die, wenn ich sie ernst nehme, mich nie wieder überraschen kann - zumindest nicht unvorbereitet. Das mag irgendwie auch eine Binsenweisheit sein, aber ich glaube, dass man wirklich aus allen Erfahrungen klug werden kann - ganz besonders aus den schlimmen. Denn zum einen, so ging es mir zumindest immer, lernt man viel über sich selbst, und zum anderen, lernt man viel darüber, was es heißt, ein denkendes und leidensfähiges Wesen zu sein. Es gibt sicher keinen besseren Weg, sein Mitgefühl für andere zu erweitern. Und nicht zuletzt merkte ich, dass ich die Herrin meines eigenen Schicksals bin, dass, indem ich aus der Vergangenheit lerne, meine Zukunft selbst gestalten kann ... dass mich meine Vergangenheit nicht beherrscht und dass die Zukunft völlig offen ist ... ärmhh ja ... genug jetzt aber mit meinem Monolog ..."
sagte Jibrielle, zum Ende hin verlegen, als sie merkte, wie sie ins philosophieren geraten war. Robijn schien sie da an Bord der Blue Nighingale doch mit irgendwas angesteckt zu haben, dachte Jibrielle belustigt und schaute genau zu Nylia herüber, ob ihre Worte irgendeinen unterschied gemacht hatten. Sie hoffte inständig, dass Nylia den Glauben in sich und in ihre Fähigkeit zu Wachsen fand. Was konnte sie mehr dafür tun als ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und ihrerseits an ihre Padawan zu glauben?
Sie setzten schließlich das Training fort, ließen die Lichtschwerter aber für den heutigen Tag ruhen, um über das Erlebte zu Meditieren. In der Macht zu Baden half, die Erfahrungen zu prozessieren, dass muskulare und nervliche Gedächtnis zu stimulieren und so das Lichtschwert besser als weitere Gliedmaße vom Körper aufnehmen zu lassen.
Am Abend erfuhr Jibrielle von Chesaras Abreiseplänen. Sie und ihre beiden Padawane wollten in Kürze nach Lianna zurückkehren, und Jibrielle und ihre ehemalige Meisterin kamen darüber überein, dass es das beste wäre, wenn Jibrielle und ihre eigene Schülerin vorerst hier blieben. Jibrielle argumentierte, dass Nylia momentan wirklich an einem empfindlichen Punkt ihrer Selbstfindung stand und dass diese überschaubare Kultur des Jedi-Horts auf Haruun Kal großen Molochs wie Lianna vorzuziehen war. So konnten Jibrielle und ihre Padawan hoffentlich besser zusammenwachsen und Nylias Selbstvertrauen wie in einem Gewächshaus heranwachsen. Jibrielles unausgesprochener Grund war jedoch auch, dass sie sich ihrer eigenen Abhängigkeit von Chesara nur allzu deutlich im klaren war und wusste, dass sie sich nach und nach würde von ihrer Mentorin abnabeln müssen. Sie musste lernen auf eigenen Beinen zu stehen und das ging nunmal nicht, wenn sie Chesara weiterhin auf Schritt und Tritt folgte und ewig an ihrem Rockzipfel hing. So verabschiedeten sich ehemalige Meisterin und Padawan voneinander, Jibrielle drückte Chesara bei der Umarmung wieder herzlich, ließ jedoch betont schnell genug wieder von ihr ab. Sie wollte nicht, dass Chesara dachte, dass sie immernoch so weich und abhängig und unselbstständig war. Sie unterdrückte sogar zu weinen.
Die kommenden Wochen waren Jibrielle und Nylia also auf sich allein gestellt - von dem bunten Treiben des Horts der Jünglinge um sie herum einmal abgesehen. Da Nylia als Padawan aber natürlich viel älter und sie und ihre Meisterin auf ganz anderen Niveaustufen trainierten, bekamen sie recht wenig vom Alltag der Jedi Akademie in Pelek Baw mit. Jibrielle hatte das Training vor allem auf die Verteidigung gegen Laserschüsse und das Meditieren konzentriert, denn zum einen hatte Nylias Verbindung zur Macht sich bislang noch immer als zu störanfällig für Irritationen erwiesen. Zum anderen hatte die Selbstverteidigung Nylias und damit die Sicherstellung ihres körperlichen Wohls oberste Priorität. Bevor sie auch nur daran denken konnten, gemeinsam irgendwelche Missionen anzugehen, musste Nylia vor Laserfeuer so sicher sein wie möglich. Außerdem, so bemerkte Jibrielle Nylia gegenüber ganz gerne, hantierten nunmal neunundneunzig Prozent der Galaxis mit Blastern herum - nicht mit Laserschwertern. Schließlich aber, nachdem Chesara nun schon fast drei Wochen weg war, beschloss Jibrielle, war es Zeit für den Schwertkampf. Und für etwas anderes. Einen Tapettenwechsel.
"Guten Morgen!"
sagte die Jedi-Ritterin, als ihre Padawan zu ihr in den Trainingsraum kam. Wie üblich legten sie ihre erste Trainingseinlage vor dem Frühstück ein. Leichtfüßig sprang Jibrielle von dem Tisch, auf dem sie gesessen hatte, herunter und kam zu ihrer Schülerin geschlendert.
"Bevor wir loslegen, wollte ich mit dir noch über einen Vorschlag reden. Ich glaube, wie haben jetzt lange genug auf Haruun Kal herumgehangen. Wir brauchen mal wieder eine Veränderung. Letztlich ist ja nicht nur das Schüler-Meister-Verhältnis wichtig, sondern eine Padawan brauch auch Kontakt und Austausch mit ihren Mitpadawanen. Findest du nicht auch? Ich jedenfalls halte es hier auf Haruun Kal langsam nicht mehr aus ... die Luft ist sooo stickig! Wenn du also einverstanden bist, schnappen wir uns gleich morgen den nächsten Linienflieger nach Lianna."
lachte Jibrielle gequält und wischte sich den Schweiß von der Stirn. War das feuchtwarme Wetter auf Haruun Kal anfangs noch unerträglich gewesen und man sich schnell daran gewöhnt hatte, war es nach ein paar Wochen anhaltend unerträglich.
"Deswegen schlage ich vor, dass wir wieder zur Basis auf Lianna zurückkehren. Da haben wir auch ein viel größeres Repertoir an Möglichkeiten für unser Training. Glaub ich. Ich finde, du hast in den letzten Wochen enorme Fortschritte gemacht. Deine Meditationen sind inzwischen unglaublich tief und deine Verbindung zur Macht ist stark und konstant. Außerdem macht dir die Abwehr von Blasterschüssen gar keine Probleme mehr. Deswegen machen wir heute zum Abschluss des Haruun Kal Tribs noch was Neues."
meinte Jibrielle, zwinkerte Nylia zu und holte heute mal nicht nur ein sondern zwei Trainingsschwerter hinter ihrem Rücken hervor.
"In den letzten Wochen hast du gelernt, was es zu bedeuten vermag, dass man vom Lichtschwert auch als "Schild" spricht. So das natürlich auch als Metapher gemeint ist, dass wir mit dem Lichtschwert die Schutzlosen schützen, ist es auch sehr buchstäblich gemeint. Denn auch Wenn es Lichtschwert heißt, ist es in unseren Händen erstmal nur ein Werkzeug für manigfaltige Zwecke. Und wenn wir uns gegen Blasterschüsse verteidigen, wird es nunmal zum Schild. So dünn der Lichtstrahl auch sein mag - das spielt keine Rolle. Du hast gelernt, wie du die Klinge um deinen Körper herumbewegen kannst, sodass die Breite keine Bedeutung mehr hat, dass dich dein Schwert in Gänze abzuschirmen vermag. Heute aber fangen wir damit an, dass du das Lichtschwert eben auch als Waffe benutzt, zum Angriff. Während auch hier die Verteidigung essentiell ist, macht sie nur noch die Hälfte aus. Die andere Hälfte attackiert."
sagte Jibrielle und gab Nylia eines der beiden Schwerter. Es war dasselbe, mit dem sie von Anfang an trainiert hatte. Jibrielle stellte sich drei Meter entfernt von ihrer Padawan auf und aktivierte ihre eigene hellblaue, harmlose Klinge.
"Auch hier wird wieder der erste Schritt der Schwierigste sein. Aber keine Bange. Ich werde mich erstmal nur verteidigen und du übernimmst den Angriff. Los gehts. Versuch mich zu treffen. Vertraue der Macht, höre auf deinen Körper, gib dich seinen Ideen und Intuitionen hin."
~~~ Haruun Kal ~ Pelek Baw ~ Hort der Jünglinge ~ Trainingsraum ~ mit Nylia ~~~
Yeay mein Fünfhundertster Beitrag!^^ *tröt*