- Lianna - Lianna City - Thalias Wohnung - Badezimmer - Mit Jesper -
Es war kalt in dem kleinen Badezimmer. Thalia versuchte zu sparen wo sie konnte und hatte die Heizung in diesem Raum abgestellt. Noa stand in der Mitte des Raumes, direkt vor dem Waschbecken, die Hände hinter ihrem Kopf verschränkt wie eine Gefangene.
"Ich weiss nicht, ob das so richtig ist."
Jesper stand vor ihr, sein Blick kritisch. Mit einer Hand hielt er das Ende des Verbands fest, den er um Noas noch immer wunden Oberkörper gewickelt hatte. Die Schmerzen waren besser geworden, erträglicher, und die Brandverletzungen hatten dank des Bactas zu heilen begonnen, doch noch war es zu früh um auf einen Verband zu verzichten. Rámon hatte Noa klar gemacht, dass jede Form von Kleidung auf ihrer noch empfindlichen Haut brennen und die noch frischen Wunden sofort wieder aufscheuern würde. Das wollte sie auf keinen Fall riskieren. Sie war froh, dass der Heilungsprozess voran schritt und sie sich im Alltag wieder halbwegs normal bewegen konnte.
"Scheiss egal, hauptsache es hält."
Noa sah das pragmatisch. Rámon war der Arzt in der Familie, er hätte den Verband innerhalb von Sekunden fachgerecht anlegen können und sie glaubte, dass auch Pablo es zumindest annähernd so gut geschafft hätte. Jesper und sie waren jedoch Laien. Er machte es so gut er konnte und das musste reichen.
"Hm, ich glaube, es muss noch straffer. Gestern hatten wir es auch ein bisschen fester, oder?"
Überlegte er laut.
"Ich glaube ja."
Geduldig hielt Noa weiter ihre Arme nach oben. Seit sie Coruscant verlassen hatten, hatte ihr Schwager ihr jeden Tag geholfen den Verband zu wechseln. Normalerweise wäre das etwas gewesen, mit dem sich Noa vertrauensvoll an ihre Schwester gewandt hätte, doch Cloé war nicht verfügbar für sie. Sie hüllte sich in eisernes Schweigen, hatte eine Dornenhecke zwischen sich und Noa gesäht, die über Nacht gewachsen war und jedes Durchkommen zu ihr unmöglich machte. Noa hatte es einmal versucht, aber Cloé konnte mindestens so dickköpfig sein wie sie selbst. Sie war ausserdem verletzt und das war eine riskante Mischung bei jeder der beiden Cortina Zwillinge.
"Ich fühle mich ein bisschen wie eine Königin."
Noa hatte ihre Arme jetzt herunter genommen und hielt sie von ihrem Körper gespreizt, damit Jesper genug Platz hatte um den Verband um sie herum zu manövrieren. Er war fast fertig, nachdem er die letzten Wickelungen noch einmal korrigiert hatte.
"Als würdest du mir beim Ankleiden helfen, weisst du?"
Sie grinste.
"Und ich bin deine Kammerzofe, oder wie? Wenn du mich gleich bittest, dir in deinen Pullover zu helfen, nehme ich Reißaus."
Sie lachten beide. Lianna war gut, was das anging. Noa hatte noch keinen Grund gehabt, ihre Entscheidung, hierher zu kommen, zu bereuen, abgesehen von ihrem Zwist mit Cloé. Sie hoffte, dass diese Entwicklung anhielt, denn die wichtigste Prüfung stand ihr tatsächlich erst noch bevor. Noa wollte noch am gleichen Nachmittag ihren ersten Besuch in der Basis der Jedi hinter sich bringen und auch wenn alleine die Aussicht darauf, ein solches Privileg genießen zu dürfen, sie nervös machte, war dies längst nicht der alleinige Grund für ihre Aufregung. Mit ein bisschen Glück würde sie Cris treffen und wenn schon nicht von selbst, dann weil sie sich nach ihm erkundigte. Er war einer der Gründe, warum sie hier war. Sie wollte ihn wieder sehen, so schnell wie möglich.
"So, fertig."
Mit einem Klicken schloss Jesper den winzigen Verschluss und fixierte damit das lose Ende des Verbands.
"Warst du nicht sogar mal Königin? Ballkönigin?"
Er grinste und sein Ausdruck hatte etwas gemeines. Jesper liebte es, Noa mit alten Geschichten zu ärgern. Sie verdrehte die Augen.
"Für fünf Minuten, ja. Und das nicht mal legal."
"Weisst du, es gibt einen Begriff für so was. Das nennt man Thronraub."
Mangels Argumente, die für ihre Unschuld gesprochen hätten, streckte Noa ihm die Zunge raus. Sie griff nach ihrem Pullover und zog diesen über ihren Kopf und anschließend mit größter Votsicht über den frisch gewechselten Verband. Sie hatte eigentlich nur ein Argument zu ihrer Verteidigung zu sagen:
"Ich war betrunken, okay? Es war ein Glück, dass ich überhaupt wusste wo ich war."
Sie erinnerte sich zurück. Dass Cloé auch immer alle diese peinlichen Geschichten weiter tratschen musste! Es war auf der Abschlussfeier zur Beendigung ihres letzten Schuljahres gewesen. Alle Schüler waren bis zur Unkenntlichkeit heraus geputzt gewesen, in hübschen Kleidern, Gewändern und Anzügen und es hatte ein reichhaltiges Buffet gegeben, Musik und Tanz und natürlich die obligatorische Wahl des Königspaares. Es war ein albernes Prozedere, eine lange Tradition deren einziger Zweck darin bestand, dass die populären Kids sich gegenseitig feierten, während die Außenseiter wie immer zusahen. Noa war weder das eine noch das andere gewesen. Sie hatte irgendwo in der Mitte gesessen, bei denen die keinen Bock auf Schule hatten und nach ihren eigenen Regeln spielten. Den Großteil der Abschlussfeier hatte sie mit Lioba in einer aufgebrochenen Abstellkammer gesessen und süßen Likör getrunken. Anschließend hatten sie sich mit Liobas Freund getroffen und dicke Zigarillos geraucht als gehörten sie zu irgendeiner Mafia. Sie hatten von Anfang an gewusst, wer die Wahl zur Ballkönigin gewinnen würde - jeder hatte es gewusst - und als Milly Alessia die Krone überreicht bekam, hatte Lioba Noa entschieden am Handgelenk gepackt, sie in Richtung der Bühne gezogen und sie aufgefordert, sich von dieser blöden Schnepfe endlich zurück zu holen was ihr zustand. Auf der Bühne stand neben Milly Alessia deren König: Luke Baily, der Typ, der Noa für Alessia sitzen gelassen hatte, weil sie süße Grübchen und ihre Eltern Kohle hatten. Wie ein Sturmkommando imperialer Truppen hatten die beiden Freundinnen die Bühne gestürmt und Milly Alessia mitten in ihrer blumigsten Ansprache unterbrochen. Lioba hatte ihr das Mikrofon entrissen und Noa zur rechtmäßigen Königin erklärt und Noa hatte die billige Plastikkrone aus den blonden Locken ihrer Widersacherin gerissen und sich selbst aufs Haupt gesetzt. Anschliessend waren sie kichernd geflüchtet, unter den gröhlenden Jubelrufen ihrer Freunde, die in den hinteren Reihen der sprachlosen Schülerschaft standen, unter dem entsetzten Blick des Königs, dem keifenden Geschrei seiner Angebeteten und Noa mit einer schief sitzenden Krone auf ihrem Kopf.
"Ihr habt es nicht weit geschafft oder?"
Jesper sah sie fragend an.
"Nee. Man hat uns aufgegriffen und der Veranstaltung verwiesen."
Noa grinste und zucktemit den Schultern.
"Es war eh eine lahme Party."
"Ähem. Cloé sagt, es war die tollste Feier, bis du und deine betrunkenen Freunde alles zerstört haben. Danach musste sie sich für den Rest ihres Abends Beschwerden über ihre verrückte Schwester anhören."
"Jaah, ich erinnere mich. Ich hatte am nächsten Tag einen schlimmen Kater, aber Cloé hat nicht aufgehört, permanent auf mich einzureden. Glaub mir, ich wollte nichts sehnlicher als dass sie endlich die Klappe hält!"
Die Erinnerung brachte Noa zum Lachen. Es war lange her. Sie hatte ewig nichts von Lioba gehört, begann gerade ihr neues Leben auf einem neuen Planeten und Cloé...
"Es ist schon komisch."
Sagte sie, plötzlich ernst.
"Heute wünsche ich mir, dass sie endlich wieder mit mir spricht."
Sie begegnete Jespers Blick im Spiegel über dem Waschbecken und bildete sich ein, Zuversicht darin zu erkennen. Im Großen und Ganzen war Noa Chanelle Cortina mit ihrem Leben, wie es heute war, zufrieden, doch was Beziehungen anging wünschte sie sich dann und wann den Status der Vergangenheit zurück. Wer tat das nicht? Missverständnisse und Veränderungen bildeten Mauern zwischen einstigen Freunden, Vertrauensbrüche schufen Abgründe zwischen Geliebten und Meinungsverschiedenheiten und Ärgernisse konnten eine Schwester dazu bewegen, eine Dornenhecke zu pflanzen. Was nun passieren sollte, fühlte Noa, lag ganz bei ihr. Sie konnte entweder zurück weichen oder sich durch das Gestrüpp schlagen und sich die Hände dabei blutig reissen.
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