Militärgeschichte

Zurück in die Zukunft: Bundeswehr beschafft (wieder) Leichte Kampfhubschrauber
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat am 18.11.2024 den ersten von derzeit 62 geplanten (mit Option auf 20 weitere) Leichten Kampfhubschraubern Airbus H145M in Donauwörth entgegengenommen. Der ein oder andere wird jetzt mit Recht einwerfen: Moment, was hat diese Nachricht bei Militärgeschichte verloren? Darauf zwei Antworten: 1. Geschichte fängt vor einer Minute an. 2. Die Wurzeln für diese Entscheidung liegen im Kalten Krieg und dessen Comeback.

Zunächst eine kleine Übersicht über die Vorgeschichte des Airbus H145M: Es handelt sich dabei um die militärische Variante eines Mehrzweckhubschraubers, der bereits seit 1979 im Einsatz ist, unter anderem bei Polizei, Feuerwehren und Rettungsdiensten. In Deutschland zählen dazu unter anderem der ADAC, die Deutsche Luftrettung und verschiedene Landespolizeien. Ursprünglich entworfen und produziert wurde er von Messerschmitt-Bölkow-Blohm und Kawasaki, später übernahmen Eurocopter bzw. Airbus die Produktion. Die militärische Version UH-72 Lakota wird seit 2006 von den Streitkräften der USA (primär der Nationalgarde) zur Pilotenausbildung, Krankentransport, Such- und Rettungseinsätze und Materialverlegung verwendet. Er löste dabei den durch den Vietnamkrieg berühmt gewordenen Bell UH-1 Iroquois ab. Seit 2017 ist die militärische Variante H145M beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) im Einsatz, für diesen Zweck stehen 15 Maschinen bereit. Ebenso sind 7 Maschinen für Such-und Rettungseinsätze bei der Bundeswehr im Dienst.

Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Notwendigkeit einer robusten Abschreckung durch Befähigung zur konventionellen Kriegsführung unter Industrienationen geriet auch die Heeresfliegertruppe der Bundeswehr in den Fokus. Dieser nutzt derzeit aktiv 51 Maschinen des Schweren Kampfhubschraubers Eurocopter/Airbus Tiger. Der Tiger-Kampfhubschrauber, der nach sehr langer Entwicklungs- und Lieferzeit (erster Prototyp 1991) und zahlreichen "Kinderkrankheiten" ab 2005 der Heeresfliegertruppe zugeführt wurde (die letzte Maschine wurde 2018 übergeben), erwies sich als schwere Enttäuschung: Neben dem (teils verschmerzbaren) Fehlen einer Bordkanonen bei der deutschen Version schlug die geradezu grotesk niedrige Einsatzfähigkeit hart zu. Bis heute zählt der Tiger zu den Waffensystem mit der niedrigsten Einsatzbereitschaft. Nicht nur die Bundeswehr verzweifelte an den zahllosen technischen Mängeln, fehlenden eigenen Wartungsmöglichkeiten und der schlechten Unterstützung durch Airbus: In Australien waren von 16 Maschinen selbst Jahre nach der Einführung nur maximal 3 einsatzbereit, weshalb die australischen Streitkräfte die "Hangar Queen" rasch ausmusterten. In Deutschland wurde beschlossen, den Tiger nur noch bis ca. 2030 zu nutzen und auf größere Modernisierungen und Verbesserungen zu verzichten.

Ein Ersatz musste im Rahmen der "Zeitenwende" her, und nach Überlegungen, z. B. den bewährten Schweren Kampfhubschrauber AH-64 Apache aus den USA zu beziehen, fiel die Entscheidung schließlich...erneut auf Airbus. Dieses Mal sollte jedoch der Airbus H145M, der sich beim KSK zumindest grundsätzlich bewährt hatte und eine höhere Einsatzbereitschaft als der Tiger aufweisen konnte (niedrige Messlatte, aber immerhin), als Rettung in der Not dienen. Gedeckt vom Sondervermögen trieb Verteidigungsminister Pistorius die Beschaffung von 62 (mit Option auf 20 weitere) Leichten Kampfhubschraubern voran.

Bei dieser grundsätzlich sinnvollen Entscheidung gibt es jedoch auch eine Reihe von Problemen: Der Airbus H145M kann als Leichter Kampfhubschrauber im Bezug auf Bewaffnung, Traglast, Reichweite, Schutz der Besatzung und eine Reihe von anderen Faktoren einen Schweren Kampfhubschrauber nicht gleichwertig ersetzen. Für 51 Tiger kommen also 62 H145M (die keineswegs alle nur für Kampfeinsätze verwendbar sind), es scheint unwahrscheinlich, dass die Option auf 20 weitere Maschinen genutzt wird. Selbst bei höherer Einsatzbereitschaft (wobei auch die Mängelliste beim H145M unangenehm lang ist) wird dadurch keine Stärkung der Heeresfliegertruppe erreicht, sondern lediglich ein Abmildern des Fähigkeitsverlusts. Positiv sind die etwas leichtere Luftverlegbarkeit des H145M (zwei Maschinen pro Airbus A400M waren allerdings auch für den Tiger möglich), die Optionen für eine flexible Bewaffnung, die einfachere Wartung und die bereits gesammelte Erfahrung bei der Pilotenausbildung zu vermerken. Insbesondere die Möglichkeit, die Panzerabwehrlenkwaffe Spike-LR 2 mit einer Reichweite von etwa 10 km einzusetzen, ist eine wie aus dem Krieg in der Ukraine gelernt zukunftsweisende Möglichkeit.

Nun der versprochene Schwenk in den alten Kalten Krieg: Der Tiger wurde ursprünglich als "Panzerabwehrhubschrauber 2" bei der Bundeswehr eingeführt. Während der Zeit der Konfrontation von NATO und Warschauer Pakt war bei der Bundeswehr ein Leichter Kampfhubschrauber im Dienst, der "Panzerabwehrhubschrauber 1" Bo 105 P. Es handelte sich dabei um die militärische Version des Mehrzweckhubschraubers Bo 105 von Messerschmitt-Bölkow-Blohm. Dieser war seit 1970 in Deutschland unter anderem beim ADAC, DRF Deutsche Luftrettung, Bundesgrenzschutz und Bundesinnenministerium im Einsatz, international ebenfalls bei vielen Polizeien und Rettungsdiensten. Die Bundeswehr nutzte die militärische Variante BO 105 M als Verbindungs- und Beobachtungshubschrauber und dann ab 1980 als Panzerabwehrhubschrauber, inspiriert von der AH-1 Cobra der amerikanischen Streitkräfte. Insgesamt wurden 212 Maschinen beschafft, die die Panzerüberlegenheit des Feindes durch blitzschnelle und überraschende Angriffe aus maximaler Reichweite heraus ausgleichen sollten. Der Bundeswehr war dabei bewusst, dass der B 105 P sehr verwundbar war, da er über so gut wie wie keine Panzerung verfügte und daher selbst durch leichte Waffen beschädigt oder zerstört werden konnte.

Hier also der Treppenwitz der Geschichte: Mit einem Abstand von 44 Jahren müssen angesichts der Notwendigkeit einer glaubwürdigen Abschreckung ursprünglich zivil genutzte und von Messerschmitt-Bölkow-Blohm entworfene Mehrzweckhubschrauber, die zunächst für allgemeine Aufgaben bei der Bundeswehr genutzt wurden, eilig zu Leichten Kampfhubschraubern umgerüstet werden, um die gröbsten Lücken zu stopfen. Geschichte, so heißt es gerne, wiederholt sich nicht. Aber sie reimt.


EDIT: Pardon für den Doppelpost, inhaltliche Trennung notwendig.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ein Ersatz musste im Rahmen der "Zeitenwende" her, und nach Überlegungen, z. B. den bewährten Schweren Kampfhubschrauber AH-64 Apache aus den USA zu beziehen, fiel die Entscheidung schließlich...erneut auf Airbus.

Das ist einfach seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten die größte und offensichtlichste Beruhigungspille für die deutsche Rüstungslobby und ich hasse alles daran. Wir kaufen einen Rettungshubschrauber mit angelöteten Spike-LR2, damit die Abgeordneten aus den Airbus-WKs schön die Schnauze halten, während wir gleichzeitig Großverbände der Apache-Nutzernation Niederlande in Divisionen der Bundeswehr integrieren und mit Polen der nächste Nachbarsstaat AH-64 beschafft. Buchstäblich jede andere Option wäre besser gewesen als das. Da das Ganze auch nur als Übergangslösung gedacht ist, haha, stellt sich auch die Frage, wovon die großen Beschaffer träumen. Wieder irgendeine Goldrandlösung aus Europa, die dann in 120 Jahren einsatzbereit ist und ähnlich schnell zuläuft wie der A400M?
 
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