Kommen wir nun zu etwas völlig Anderem:
Heute vor genau 150 Jahren, am 3.6.1864, erreichte die Schlacht bei Cold Harbor im Amerikanischen Bürgerkrieg ihren traurigen und blutigen Höhepunkt, aber der Reihe nach…
Mit der Ernennung Ulysses S. Grants zum Oberbefehlshaber des Unions-Heeres lag die Kriegsführung ab März 1864 erstmals in einer Hand. Grant nutzte seine neue Position, um den Süden aus allen Richtungen anzugreifen, und so endlich die Überlegenheit des Nordens an Menschen und Material auszuspielen, und die Konföderation in einen Abnutzungskrieg zu verwickeln. Während sein altes Kommando, die Armeen auf dem westlichen Schauplatz, geführt von William T. Sherman in Georgia und damit das Kernland der Konföderation einfielen, schlug Grant sein Hauptquartier bei der Potomac-Armee (Meade), dem wichtigsten Großverband auf dem östlichen Kriegsschauplatz auf um endlich den ärgsten Widersacher der Union, General Robert E. Lee und die von ihm geführte Nord-Virginia-Armee auszuschalten. Das Ziel Grants war dabei nicht mehr eine große Entscheidungsschlacht zu suchen, um dann Richmond, die Hauptstadt der CSA, einzunehmen, sondern Lee’s Armee solange in Kämpfe zu verwickeln, bis diese geschwächt genug aufgeben würde, wohlwissend, dass der Norden seine Verluste nahezu problemlos ausgleichen konnte, während dem Süden langsam aber sicher die Ressourcen an Material und wehrfähigen Männern ausgehen würden.
Dazu begann Grant Anfang Mai den sogenannten Überlandfeldzug, der zu einer Reihe blutiger Schlachten (Wilderness, Spotsylvania Court-House) führte, die weder eine direkte Entscheidung brachten und zum Teil gar in taktischen Erfolgen des Südens endeten. Ungeachtet dessen zog sich Grant – anders als seine glücklosen Vorgänger – nach Niederlagen jedoch nicht zurück, sondern weiter nach Süden, und versuchte seinen Gegner zu überflügeln. Dabei kam es vor allem in der zweiten Maihälfte zu mehreren, zumeist von Kavallerie geführten Scharmützeln z.B. am North Anna und bei Yellow Tavern, wo mit JEB Stuart einer der fähigsten und bekanntesten Kavallrieführer des Südens sein Leben ließ.
Am 31. Mai schließlich besetzte Sheridans Kavallerie die strategisch bedeutsame Straßenkreuzung bei Cold Harbor (kein Hafen, sondern ein Gasthaus, in dem nur kalte Speisen angeboten wurden) und wurde sogleich von konföderierter Reiterei unter Fitzhugh Lee angegriffen, die später am Tag durch Infanterie verstärkt wurde. Derart unter Druck geraten bat Sheridan Grant ausweichen zu dürfen, was dieser jedoch mit „Hold on at all hazards“ (Halten um jeden Preis) verbat und Verstärkung für den nächsten Tag zusicherte. Lee griff am 1. Juni zunächst auf dem rechten Flügel der Potomac-Armee das II. (Hancock), V. (Warren) und IX. Korps (Burnside) an, um Grant zu zwingen, Kräfte von der Kreuzung abzuziehen, bzw. zu verhindern, dort zu verstärken. Die Unionstruppen wehrten jedoch alle Angriffe von Lee’s II. Korps (Ewell) ab, weswegen Grant im Verlauf des Tages Hancock auf den linken Flügel beorderte, während das VI. (Wright) sowie das XVIII. Korps (Smith) ebenfalls im Anmarsch auf Cold Harbor waren. Das VI. Korps erreichte den Schauplatz um 9:00h morgens und das XVIII. nach einem Irrmarsch um 14:00h am Nachmittag. Beide Korps sollten sofort zum Angriff auf die Linien der Südstaatler übergehen, waren jedoch durch Gewaltmärsche bei sommerlicher Hitze zu erschöpft, weswegen sich der Angriffsbeginn bis 18:00h verzögerte. In der Zwischenzeit hatte Lee, der die Bewegungen der Unionstruppen vorausgeahnt hatte, Andersons I. Korps auf seinem rechten Flügel in Stellung gebracht, sodass der Angriff der Nordstaatler auf eingegrabene Infanterie traf. Es gelang zwar, die Sicherungslinie zu nehmen, aber kein Einbruch in die Hauptkampflinie. Nachdem die Dunkelheit die Kämpfe verebben ließ, befestigten die Unionstruppen die alte Sicherungslinie ihrer Gegner und gruben sich dort ihrerseits ein.
Für den 2. Juni plante Grant mit allen 5 Korps gleichzeitig anzugreifen, und je nach dem die Nord-Virginia-Armee vom rechten oder vom linken Flügel her aufzurollen. Das Gros der Truppen war jedoch von den Märschen und den Kämpfen vom Vortag noch zu geschwächt, sodass der Angriff auf den 3. Juni um 4:30 in der Frühe verlegt wurde.
Die Nacht nutzten die Truppen auf beiden Seiten, sich – so nicht schon geschehen – umfassend einzugraben. Dabei entstand ein sich über 7km in der Länge erstreckendes Grabensystem, aus zickzackmäßig verlaufenden Gräben und sich in die Tiefe erstreckenden Verbindungs- und Versorgungsgräben.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Juni hatte sich niemand die Mühe gemacht, die Stärke und die Tiefe der konföderierten Befestigungen aufzuklären. Bei den Korps ging man davon aus, dass die Armeeführung aufgeklärt hätte, und die Armeeführung nahm an, die Korps hätten eigenmächtig aufgeklärt, und so nahm das Verhängnis seinen Lauf: Pünktlich um 4:30 griffen das II., VI. und XVIII. Korps mit insgesamt 31.000 Mann auf breiter Front an, und liefen in ein mörderisches Abwehrfeuer der Konföderierten. Das II. Korps erzielte einen Einbruch in die Hauptkampflinie, der jedoch aufgrund zu spät herangeführter Verstärkung nicht stabilisiert werden konnte, die Angriffe der beiden anderen Korps endeten wiederum an der Sicherungslinie des Gegners. Der Angriff der 3 Korps, der schlecht koordiniert war, hatte in nicht einmal 30 Minuten 7.000 Verluste gefordert, manche Regimenter hatten dabei in wenigen Minuten die Hälfte oder mehr ihrer Sollstärke eingebüßt.
Grant erkannte gegen 7:00 Uhr, dass die Konföderierten Befestigungen stärker als erwartet waren, und stellte es Meadefrei, die Angriffe dort einzustellen, wo es sinnlos erschien. Meade wollte zunächst weiter angreifen lassen, doch Hancock und Smith verweigerten den Gehorsam. Wright gab den Befehl kommentarlos bis auf Regimentsebene weiter. Cpt. Thomas E. Barker, Kommandeur des 12. New Hampshire Infanterieregiments tätigte nach Erhalt des Befehls den Ausspruch: „I will not take my regiment in another such charge, even if Jesus Christ himself should order it!“ Viele Einheiten führten den Befehl dahingehend aus, dass sie aus ihren Stellungen auf den Feind schossen, ohne auf die gegnerischen Linien vorzugehen.
Auf dem rechten Flügel hatten das V. und das IX. Korps ebenfalls um 4:30 angegriffen, und einige Einbrüche in die Hauptkampflinie des Feindes erzielt, die jedoch ebenfalls nicht genutzt werden konnten. Gegen Mittag befahl Grant jegliche Angriffe einzustellen und sich auf eine Belagerung einzurichten.
Lee hatte die Nacht vom 2. auf den 3. Juni dazu genutzt, den Vorteil der inneren Linien zu auszuspielen, indem er ein entsprechendes Grabensystem hatte anlegen lassen, in dem er seine Soldaten schnell zu den Brennpunkten der Schlacht verschieben konnte. Er wusste aber gleichtzeitig, dass dies seine letzte Chance war, den Gegner vom Überschreiten des James-River abzuhalten.
Am 5. Juni ersuchte Grant Lee einer Bergung der Toten und Verwundeten zuzustimmen. Lee jedoch bestand auf einem formellen Ersuchen um eine Waffenruhe, wohlwissend, dass im Niemandsland sogut wie keine konföderierten Verwundeten lagen. Örtliche Bergungen unter der Parlamentärsflagge gestattete er jedoch. Erst als Grant am 6. Juni seine Niederlage eingestand und um eine Waffenruhe nachsuchte, stimmte Lee der Bergung zu. Als die Waffenruhe am Abend des 7. Juni in Kraft trat, gab es jedoch fast nur noch Leichen zu bergen. (Grant brachte seine rücksichtslose Kriegsführung und sein Starrsinn unter den einfachen Soldaten den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Butcher“ (Metzger) ein.)
Die beiden Armeen lagen sich noch bis zum 12. Juni gegenüber. Scharfschützenfeuer, Stoßtruppunternehmen, Mörser- und Artilleriebeschuss verdoppelten in diesen Tagen die Opferzahlen nochmals nahezu. Bereits am 6. Juni hatte Grant das Anlegen eines zweiten Grabensystems angeordnet, um den Abzug seiner Truppen zu verschleiern. Diese Bewegung gelang, und am 13. Und 14. Juni überquerten das IX. und das XVIII. Korps den Fluß auf einer 2200m langen Pontonbrücke, die unter dem Schutz der Kavallerie errichtet worden war. Die folgenden Bewegungen beider Armeen beendeten schließlich den Überlandfeldzug, der in die 9-monatige Belagerung des Verkehrsknotenpunktes Petersburg mündete, an deren Ende schließlich die Entscheidung zugunsten der Union stehen sollte, genau wie Lee es befürchtet hatte.
Die Schlacht bei Cold Harbor und besonders der Angriff des 3. Juni sind in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, nehmen sie doch bereits 50 Jahre vor selbigem die Schrecken des Ersten Weltkrieges vorweg. Besonders zeigte der 3 Juni, dass der Sturmangriff auf eingegrabene Infanterieeinheiten sinnlos ist, und allerhöchstens unter kaum tolerierbaren Verlusten einen Erfolg bringt. Eine entsprechende Lehre zogen die Militärs aus diesem Umstand bis 1914 jedoch nicht, wie die Stellungskriege in Flandern, an der Somme und Verdun zeigen sollten. Viele Historiker sehen in Cold Harbor daher die erste „moderne Schlacht“, die das Ende der napoleonischen Kriegsführung bedeutet.
Grant war bei dem fatalen Angriff der Täuschung aufgesessen, sein Gegner sei durch die vorangegangenen Schlachten bereits so geschwächt, dass es nur noch einer großen Anstrengung bedürfe, ihm den Rest zu geben. Er übersah dabei, dass die Nord-Virginia-Armee größtenteils aus kampferprobten Veteranen bestand und trotz nummerischer Unterlegenheit noch immer ein ernstzunehmender Gegner auf dem Schlachtfeld war.
An der insgesamt misslichen Lage der Konföderation änderte sich trotz des taktischen Erfolges bei Cold Harbor freilich nichts. Die kurzzeitige Hoffnung, den Ausgang der Präsidentschaftswahlen im Norden zu beeinflussen wurde durch Shermans siegreichen Atlanta-Feldzug zunichte gemacht. Trotz der Niederlage blieb Grant in der strategischen Offensive, und es sollte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der Süden die Waffen streckt.
C.