~~~ Naboo-System ~ Naboo ~ Theed ~ Norden ~ Haus der Trineers ~ Küche ~ mit Graham ~~~
Klares, sprudelndes Mineralwasser floß in den Teig, verwäßerte ihn spürbar, doch schnell waren Maße und Wasser wieder miteinander vermengt. Jibrielle nickte dankend, lächelte vage und war froh, dass Graham wieder einen Schritt von der Kochstelle zurück machte. Sie mochte Mirandas Vater zwar irgendwie. Doch zu behaupten, dass sie sich in seiner zumeist furchtbar trostlosen Gesellschaft wohlfühlte, wäre sicher eine Übertreibung oder gar Lüge gewesen. Trotzdem freute es sie, dass er sie offenbar doch nicht nur mit Gleichgültigkeit und Duldung betrachtete, sondern dass er sich vielmehr freute, dass sie bei Mira war.
"Ich glaube wenn man berufen ist, gibt es keine Bewertungsskala, an der man sich wirklich orientieren kann."
sagte Graham und klang dabei ein bisschen so, als führte er eine Unterhaltung weiter, die er schon mit dutzenden anderen Leuten zu diesem Thema geführt hatte. Jibrielle nickte, doch in ihrem Inneren bäumten sich Zweifel auf. Vielleicht war sie zur Jedi berufen, ja. Aber war sie auch hierfür berufen? Woher sollte sie das wissen? War das warme Kribbeln in ihrem Bauch, dass sie beim Anblick von Miranda fühlte, etwa vergleichbar mit dem schicksalhaften Ruf der Macht? Erst wenn sie das verstanden hatte, würde sie sich über vernünftige Bewertungsskalen in dieser Hinsicht gedanken machen können. Wie sie in den Jedi-Orden hineinpasste - wozu sie berufen war, sich einzufügen - das wusste sie. Das war schon immer klar gewesen, oder? Aber wie sie in Mirandas Leben wirklich passen mochte, daran waren Jibrielle in den letzten Wochen große Zweifel gekommen. War sie dazu berufen?
Jibrielle schaltete das große Waffeleisen an, dass leicht erhöht auf der Mikrowelle ruhte, und goß den Teig in die Form. Mit einem Zischen schloß sie den Deckel.
Mit einem leisen knistern öffnete Jibrielle die kleine Waffelform, angelte vorsichtig, sich nicht zu verbrennen, den braunen Teig heraus, schnitt die Waffel mit dem alten, stumpfen Küchenmesser durch.
"Also, du bist dran: Die Ober-Cheerleaderin Janellette; die Theater-Tussi Lauhra oder die schüchterne Streberin Olivia? Shag, Marry, Kill!", sagte sie und ließ die halbe Waffelhälfte mit Daumen und Zeigefinger vor Crystianes Mund baumeln. Sie grinste und biss wie ein wildes Tier zu.
"Löggaa!", sagte Crystiane mit vollem Mund und reckte den Hals, damit ihr nichts herausfiel, und hielt sich gleichzeitig mit beiden Händen auf den Schrank sitzend am Rand der Küchenzeile fest.
"Wie bitte? Und PSSTT, nicht dass uns Jon oder Robijn hier beim nächtlichen Plündern erwischen", kicherte Jibrielle und - als sie glaubte, Crystiane wäre gerade abgelenkt - musterte sie zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag vom Kopf bis Fuß. Der dicke schwarze Liedschatten, der leichte Schimmer auf ihren dünnen, geschwungenen Lippen. Und natürlich die schwarze Nieten-Lederjacke. Der Stil gefiel ihr sehr. Vielleicht würde ihr sowas auch stehen...
"Lecker!", wiederholte sich Crystiane etwas leiser, als sie halb ausgekaut hatte, und nachdem sie sich noch einmal kurz mit Blicken auf die beiden Kücheneingänge versichert hatte, dass inzwischen keiner der Erzieher in der Tür stand, bäugte sie sich zu Jibrielle herunter, zog an ihrem karamelfarbenen T-Shirt, gab ihr ein Küsschen und steckte Jibrielle dann die anderen Waffelhälfte in den Mund.
"Ohw. Gwuuth", dröhnte Jibrielle leise und verschluckte sich vor Lachen fast an der Waffel. Crystiane spülte den Rest Waffel mit etwas Klarem herunter, den sie vorhin beim Convenient Rodianer zwei Blocks entfernt gekauft hatten - da dieser im Vergleich zu Boskos 24 Stunden Shop keine Ausweise verlangte.
"Okay, also: Ich würde sagen ... Shag Olivia, weil sie es offensichtlich total nötig hat. Und weil diese Newcomerin Akanato echt heiß ist - warum auch immer sie die komische Olivia spielen muss. Naja. Uuuund Marry Lauhra. Auch weil sie super heiß ist, hihi. Aber auch wegen ihrer Stimme. Wenn sie diese Impressions macht, hau ich mich immer weg.", erläuterte Crystiane mit ausladender Gestik und Mimik. Jibrielle liebte es, wie sie in solchen Momenten immer aus sich herauskam. Ihr schien, als würde Crystiane eigentlich nur in ihrer Gegenwart aus ihrer stillen, zurückhaltenden Haut herauskommen und so lebhaft werden, wie jetzt. Und der Alkohol half natürlich auch.
"Bist du dir sicher? Mir kommt's vor, als hätte ich die Olivia-Tussi schon vor "Schokoglasur" irgendwo gesehen. Hmm. Na wurscht.", meinte Jibrielle, als sie ausgekaut hatte, und ließ sich von Chrystiane die Pulle Klaren reichen.
"Ah, und selbstredend Kill Janellette. Weil sie ein dummes Miststück ist. Logisch." fügte Crystiane trocken an. "Und du?"
"Ähhh ... das gleiche wie du." sagte Jibrielle und grinste schief. Mit ihren Finger tippte sie sanft auf Crystianes Oberschenkel herum wie auf einem Instrument.
"Feigling." meinte Crystiane schmunzelnd und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. Jibrielle grinste zurück und errötete leicht. Eine Moment der Stille verstrich, indem nur das TAPP TAPP ihrer Finger zu hören war.
"Ich habe keinen Bock auf Morgen."
"Ja", erwiderte Jibrielle ähnlich genervt, "ich weiß auch nicht, was uns diese komischen Evaluationsgespräche bringen sollen."
"Genau." erwiderte Crystiane und verschränkte die Finger ihrer linken Hand mit Jibrielles auf ihrem Oberschenkel, "ist ja auch nicht so, dass wir nur deshalb von diesen Berufsexperten auch einen der Jobs besorgt bekommen, wenn es soweit ist."
"Eben! Und woher wollen die wissen, wozu wir wirklich geeignet sind. Und was, wenn deren Urteil nicht mit dem übereinstimmt, wozu wir uns wirklich berufen fühlen, oder?"
"Ja ... ja, eben." sagte Crystiane und klang irgendwie noch gelangweilter. Jibrielles Instinkt sagte ihr, dass Crystiane keiner dieser Gedanke wirklich bewegte.
"Connie, die vor einem halben Jahr gegangen ist, hatte mir erzählt, dass sie ihr gesagt haben, sie sollte am Besten in der Gießerei arbeiten, weil sie so große und starke Hände hat. Kannst du dir das vorstellen? Naja, ich weiß jedenfalls schon längst, was ich später mal machen will, das brauch mich keiner erzählen. Ich werde irgendwo bei einem Modebetrieb anfangen, als Schneiderin oder so, und irgedwann bin ich eine der größten Designerinnen, die Coruscant je gesehen hat! Ich sag's dir!", meinte Jibrielle hochtrabend und nun mit fast geflüsterter Stimme, damit sie nicht versehtlich anfing zu brüllen. "Willst du noch eine Waffel, ich habe noch Restteig übrig fürs Waffeleisen."
"Nein danke."
"Und wenn ich dann tolle Kleider und Anzüge designe und damit ohne Ende Credits verdiene, dann kann ich mir auch eine schöne Wohnung in den Oberen Ebenen leisten, in der wir beide uns dann nach der Arbeit entspannen können uuuund ..." sagte Jibrielle und lehnte sich mit der letzten Silbe immer weiter zu Crystiane vor um sich ein weiteres Küsschen zu stehlen. Crystiane lachte und nahm einen weiteren Schluck.
"Und was willst du machen. Später?" fragte Jibrielle und winkte sich von Crystiane die Flasche zu, die inzwischen mehr als halb leer war.
"Ach weiß nicht, mal sehen." meinte Crystiane und schaute etwas abwesend auf die Flasche, dann auf die graue Tapete an der Wand. "Vielleicht kriege ich ne gute Stelle als Sekräterin irgendwo. Oder beim Amt. Aber mit etwas Glück, verdient mein Göttergatte dann genug, sodass ich vielleicht irgendwann gar nicht mehr arbeiten gehen muss. Dann kann ich mich um die Kinder kümmern und er geht mir nicht den ganzen Tag auf die Nerven. Win-Win für alle!", fügte sie achselzuckend hinzu. Jibrielle schaute sie an und nickte mit einem steifen Grinsen.
"Was machen wir nu mit dem Restteig? Und ich weis nicht, wieviele Jedi es genau gibt, oder ob du beide Meister kennst, aber eines weis ich genau..."
sagte Graham und Jibrielle wurde aus der jähen Erinnerung gerissen. Nur mit halben Ohr hatte sie Graham gelauscht, doch schnell wurde ihr wieder bewusst, wovon er gesprochen hatte. Sie wollte schon - um nicht total geistesabwesend zu erscheinen - einen Kommentar dazwischensprechen. Dass sie beide Meister nie kennengelernt hätte. Wem auch immer diese Info nützen würde. Doch zum Glück konnte sie sich noch zurückhalten und Miras Vater aussprechen lassen.
"Du bist die Mächtigste von allen, du stärkst mein Mädchen mit deiner bloßen Anwesenheit."
"Ähh..."
stammelte Jibrielle und wandte sich leicht von Graham ab und tat so, als würde sie etwas in der Schublade zu ihrer Linken suchen.
"Ähh, danke Graham."
Als sie im Schub zufällig eine Art Pfannenwänder fand, wusste sie, dass sie ihn gewiss für die Waffeln gut gebrauchen konnte. Das Öffnen des Waffeleisens und Herausnehmen des vielleicht gerade so lang genug gebratenen Teigs gab ihr Zeit, nichts weiter sagen zu müssen.
"Wo kommst du her Jibrielle?"
fragte Graham und klang erneut überraschend ehrlich interessiert. Nun, es war die gewohnt schwierig zu beantwortende Frage. Die kurze Variante war...
"Ich bin auf Coruscant aufgewachsen. In einer Wohneinrichtung mit vielen anderen Kindern meines Alters, und anderer Altersgruppen. Ja und dann, als ich volljährig war, kam ich schon irgendwann zu den Jedi. Gefühlt fing damit mein Leben erst so richtig an, verstehst du? Im Heim habe ich mich viele Jahre auch zuhause gefühlt. Aber vieles hat da auch noch gefehlt und nicht gepasst. Klar ist das heute teilweise auch noch so aber ... der Orden war irgendwie ... irgendwie wie Familie für mich."
Jibrielle lächelte Graham zu, platzierte die drei fertigen Waffeln auf einen Teller und rührte die zweite Hälfte des Teigs noch einmal gut durch. Sie musste daran denken, wie Chesara sie damals mitten im Chaos des Honey House zutritt gewährt und sie ohne mit der Wimper zu zucken zu ihrer Schülerin gemacht hatte. Wie sie mit Adrian zusammen Nylia befreit hatte und so ihre eigene zukünftige Padawan zu den Jedi geholt hatte. Und wie sie auf Bandomeer an der Küste vor Chesara kniete und nicht fassen konnte, dass sie sich jemals von ihrer Meisterin würde trennen müssen, wenn auch nur symbolisch oder offiziell. Sie hatte das Gefühl, wenn Graham ihr die gleiche Frage noch einmal stellen würde, müsste sie eigentlich mit "Von den Jedi auf Coruscant oder egal woher" antworten. Chesara und die anderen hatten ihr damals mehr als ein Dach über dem Kopf oder eine Aufgabe gegeben. Die Jedi waren mehr als ein Zuhause oder eine Berufung. Sie waren etwas, von dem sie niemals zurücktreten konnte. Der Orden hatte sie erwählt und sie hatte ihn erwählt.
"Dad? Ich gehe mal kurz nach draussen, eine Rauchen.. Jibrielle ist sicher noch Joggen oder so, ich mach dir gleich ein schönes Frühstück."
hörte Jibrielle es plötzlich in die Küche schallen. Sie drehte sich um und sah durch die offenen Türbögen der Küche Miranda im Flur mit ihren Klamotten kämpfen und schien sie nicht bemerkt zu haben. Bis jetzt. Sie drehte sich zu ihrem Vater und ihrer Freundin um und schien auf einmal um Worte verlegen.
"Oh! Hi Schatz, ichhabschonvorewigkeitenmitdemrauchenaufgehörtundmachesauchnichtmehraberesistgerade so stressig!"
Jibrielle tauschte einen kurzen Blick mit Graham aus und glaubte, eine Mischung aus Ratlosigkeit und Amüsement auf seinem Gesicht zu erkennen. Sie konnte sich ein Grinsen auch nicht verkneifen. Sie blickte wieder zu Mira und winkte ihr.
"Guten Morgen, Mira! Ist kein Problem, mach ruhig. Sollte das zur Gewohnheit werden, müssen wir da zwar nochmal drüber reden. Weil rauchen echt ein bisschen ecklig ist. Aber erstmal ... kannst du frische Luft schnappen gehen."
meinte sie und zwinkerte Mira zu, selbst nicht wissend, warum sie gerade so breit bis über beide Ohren grinsen musste.
"Aber zieh dich warm an. Und steck die langen Haare unter die Jacke, nicht dass du dir was wegholst!"
rief sie Mira noch nach und blickte ihr plötzlich mit glasklarem Blick hinterher. Ihr Grinsen schmolz zu einem wohligen Schmunzeln. Das war etwas, von dem sich nicht zurücktreten wollte. Nein. Konnte. Mira war ein Stück Leben, dass sie gefunden hatte, für das sie sich entschieden hatte. Und ob sie es sich eingestehen wollte oder nicht: Sie wusste, dass Mira sie längst erwählt hatte. Sie wusste auch, dass sie sich das nur noch eingestehen musste. Warum hatte sie Mira also noch nicht gewählt? Was würde es kosten, dass sie sich dessen bewusst werden würde? Noch einmal blickte sie Graham an. Sie wollte ihm sagen "Ich bin dankbar, dass ich bei euch sein kann. Dass ich bei Mira sein kann.", sagte aber nichts, weil sie wusste, wie furchtbar kitischig das geklungen hätte. Stattdessen wendete sie sich wieder dem Teig und dem Waffeleisen zu. Ihr seliges Schmunzeln hatte noch ein wenig weiter bestand, bis es von ernsteren Erinnerungen wieder eingeholt wurde.
Jibrielle nahm den kleinen Topf mit dem Teig und den unzähligen Kratzspuren am eisernen Innenrand und stellte sich wieder ans Waffeleisen.
"Ich ... ich glaube, ich mache mir noch schnell eine Waffel. Bin auch schon müde. Am ... am besten gehst du dann einfach schonmal hoch." sagte Jibrielle in nebensächlichen Ton und ohne Crystiane anzusehen.
"Okay." sagte Crystiane, etwas besser gelaunt als zuvor, und sprang von der Küchenzeile. Ihr schwarzer Liedschatten, den sie heute zum ersten Mal aufgetragen hatte, wirkte gefährlich und monströs attraktiv. Dabei hatten ihre sanften Augen sonst schon so unfassbar anziehend gewirkt. Sie blickte Jibrielle tief in die Augen, grinste sie keck an, griff sie bei der Hüfte und drückte ihr einen festen und leidenschaftlich langen Kuss auf. Jibrielle genoß ihn sehr. Bis er wieder vorbei war. Ein knackendes Geräusch vom Obergeschoss überraschte die Beiden und Crystiane sprang wie gestochen zur Seite, auffällig unauffällig gegen den Schrank gelehnt und guckte, ob jemand in die Küche kam. Als nach ein paar Sekunden klar war, dass nur irgendjemand oben aufs Klo gegangen war, kicherte Crystiane.
"Okay, bis gleich", flüsterte sie und machte sich auf den Weg zu den Gruppenschlafräumen. Jibrielle blieb mit dem Topf und Restteig zurück. Langsam öffnete sie das Waffeleisen und goß den Teig hinein.
"Jibrielle?" sagte eine körperlose Stimme von irgendwo. Sie schloss das Waffeleisen und hörte den Teig unter dem heizen Metall zischen.
"JIBRIELLE!!!"
rief Graham ihren Namen. Plötzlich sah sie das Waffeleisen vor sich stehen. Es dampfte und stank. Zusammen mit dem Teig steckte ihr Haar darin.
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