Immer mehr deutsche Popbands propagieren in ihren Liedern ein "unverkrampftes" Nationalgefühl. Und das mit großem Erfolg: So hielt sich beispielsweise das Lied "Wir sind wir" Wochen in den Singlecharts. Wie dies zu bewerten ist, darüber wird in der Musikszene erbittert gestritten.
Von Sarah Strohschein, tagesschau.de
"Wir sind wir" singt eine getragene Stimme, Trümmerfrauen bauen das zerstörte Berlin auf, ein einbeiniger Wehrmachtssoldat humpelt eine Straße entlang. Das Musikvideo von Techno-DJ Paul van Dyk und Wolfsheim-Sänger Peter Heppner lässt weniger an MTV und Viva als an eine Dokumentationssendung denken. Und doch läuft es regelmäßig auf beiden Kanälen.
Das Lied hält sich seit Wochen in den Single-Charts. Sein Thema: Deutschland und die Deutschen nach 1945. "Ich frag mich, wer wir sind", singt Heppner. "Wir sind wir. Aufgeteilt, besiegt und doch, schließlich leben wir ja noch." Die Deutschen als Opfer: Das Land aufgeteilt von den Alliierten und die Menschen besiegt - nicht befreit. Kein Wort über den Holocaust, stattdessen wird die deutsche Erfolgsgeschichte präsentiert: Der Wiederaufbau, das Wunder von Bern, die Wiedervereinigung.
Liebeslied an Deutschland
Das Video ist nur der neueste Ausdruck eines Trends, der Musikszene und Feuilletons seit Monaten beschäftigt: Immer mehr Bands propagieren einen "unverkrampften" Nationalstolz. Den Anfang machte die Formation Mia mit einem Liebeslied an Deutschland und seine Nationalfarben. In "Was es ist" singt Frontfrau Mieze: "Ein Schluck vom schwarzen Kaffe macht mich wach, dein roter Mund berührt mich sacht, in diesem Augenblick es klickt, geht die gelbe Sonne auf." Und später: "fragt man mich jetzt woher ich komme, tu ich mir nicht mehr selber leid, ich riskier was für die Liebe, ich fühle mich bereit."
"Die Rechten finden das toll"
"Es ist was es ist: Saudämlich" urteilte die "taz" über den Text. Ähnlich äußert sich die Band Blumfeld. Auf ihrer Webseite veröffentlichte sie eine Stellungnahme zum Thema "Deutschland. Nation. Heimat und Popmusik." Dort geht sie mit den Kollegen hart ins Gericht. Wer sich etwas davon verspreche, einer "deutschtümelnden Öffentlichkeit den kleinen Finger oder mehr zu reichen" dürfe mit Blumfelds Zustimmung nicht rechnen. "Wir haben es stets abgelehnt, uns in die heimatsduselige Front all derer einzureihen, die es für angebracht halten, sich in ihrem Denken, Fühlen, Singen und Handeln positiv auf Deutschland zu beziehen." Auch Anetta Kahane von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin, Expertin für Rechtsextremismus in Deutschland, betrachtet die Entwicklung mit Sorge. "Die Rechten finden das toll: Sie nehmen genau wahr, dass Nationalstolz plötzlich etwas normales wird."
Die Reaktionen der Neonazis zeigen, dass sie recht hat. So freute sich beispielsweise das NPD-Organ "Nationale Stimme", dass sich Mia für "ein entspannteres Verhältnis zur eigenen Nation" stark mache. Die Vorherrschaft der Linken in der Jugendkultur sei damit "spürbar angekratzt", schrieb das Blatt.
Kokettieren mit rechtem ImageGanz neu ist das Phänomen jedoch nicht. Schon lange existieren Bands, die bewusst mit einem rechten Image kokettieren und riesige Fangemeinden quer durch alle Bevölkerungsschichten haben. Seien es die Musiker von Rammstein, die martialisches Auftreten zu ihrem Markenzeichen gemacht haben und in ihren Liedern das "R" stets so rollen, dass die Erinnerung an Reichsparteitage nicht ganz abwegig ist. Oder die Gruppe Böhse Onkelz, die kein Geheimnis daraus macht, dass sie in den achtziger Jahren fester Bestandteil der deutschen Skinhead-Szene war und Lieder mit Titeln wie "Türken raus" oder "Deutschland den Deutschen" veröffentlichte. Heute tut die Band ihr damaliges Auftreten auf ihrer Website als Jugendsünde ab und beeilt sich zu versichern, dass sie sogar bei "Rock gegen Rechts"-Konzerten auftrete.
Rechtsradikale Fans greifen Schülerin an
Auch die Mia-Bandmitglieder betonen stets, dass sie mit Rechten nichts am Hut haben - und dass sie nur eine Diskussion in Gang bringen wollten. Doch seine Fans kann man sich nicht aussuchen. Bei einem Mia-Konzert in Bielefeld hätten drei Rechtsradikale eine dunkelhäutige Schülerin angegriffen, berichtete die örtliche Presse. Die Organisatoren eines später stattfindenden Festivals, auf dem Mia spielen sollte, baten das Management daraufhin schriftlich um eine Stellungnahme. Eine Antwort erhielten sie nicht.