„Spricht es für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz, wenn von allen öffentlichen Seiten auf eine unliebsame
politische Gruppierung eingeschlagen wird? Da mir derartige Erscheinungen bereits vor 1990 nicht gefielen und ich
mich dann automatisch mehr auf die Seite der Geschlagenen als der Schläger stelle, war es mir ein Bedürfnis, der
Sache auf den Grund zu gehen und mich selbst zu überzeugen, was an den allseits Verteufelten so dran ist. Ich hab
mich also am letzten Samstag in die Höhle des Löwen, ins Bürgerhaus nach Hohenmölsen begeben. Da es leicht
regnete, konnte ich unauffällig einen Schirm mit nehmen für den Fall, etwas Stabiles in der Hand haben zu müssen.
Der Eingang war nicht passierbar mit dem Vermerk, die linken Demonstranten hätten die Eingangstür beschädigt.
Über Nebeneingang und den Weg einer fünf Euro teuren Besucherkarte wurde ich eingelassen, hab an der
Garderobe Mantel und „Bewaffnung“ abgelegt und mich in den ziemlich vollen Saal gedrängt. Zu meinem Erstaunen
war der angefüllt mit Menschen, wie man sie an jedem anderen Ort auch begegnen kann. Viele junge Leute, Frauen,
sogar Kinder. Ich war fast etwas enttäuscht: Beinahe wie auf einem SPD-Parteitag! Keine Springerstiefel, keine
Schlägertypen. Und in den folgenden rund eineinhalb Stunden hab ich in den (allerdings manchmal zu lauten)
Redebeiträgen kaum einen Satz gefunden, den ich nicht selbst hätte unterschreiben können! Diese Leute suchen
offensichtlich auch nur nach Wegen, um Deutschland aus seiner kranken Situation heraus zu führen.
Das Deutschland schwer krank ist in seiner Bevölkerungsentwicklung, bestreitet wohl ernsthaft niemand mehr und
nach der Diskussion mit Franz Müntefering letzte Woche in Weißenfels zum Thema blieb bei mir auch nur die
Gewißheit, daß selbst die "qualifizierte" Einwanderung nur eine Krücke für's kranke Deutschland sein kann, aber
keine Rettung vorm Rollstuhl oder Pflegebett bringt. Diese 'rechten' Leute sagen das allerdings sehr direkt und
ungeschönt. Mehr Kinder braucht das Land und mehr Familienfreundlichkeit mit allen notwendigen
Voraussetzungen! Da sind Leiharbeit, Niedriglohn, befristete Beschäftigung natürlich Gift. Übrigens wurde das unter
"meiner" SPD-Regierung eingeführt, bzw. verstärkt! Aber gesunde Familien und Kindern gibt´s nur in gesunden
Verhältnissen. Wer in der Reihe derer, die das bunte Band durch Hohenmölsen anführten, hat selbst schon einmal
unter solchen Bedingungen gelebt? Unter Ministerpräsident Böhmer wurde in Sachsen-Anhalt eingeführt, daß Kinder
von Arbeitslosen nur noch fünf Stunden in den Kitas betreut werden. Gerade wohl diejenigen, die der stärksten
Förderung bedürften! Wer von ihnen hat schon mal an eine Betteltür klopfen müssen, weil er von seiner Vollzeitarbeit
nicht leben kann? Die NPD spricht von Ehestandsdarlehen mit Teilerlaß bei Kinderzuwachs. Dies hab ich noch von
DDR-Zeiten in angenehmer Erinnerung und es hatte wohl trotz Pillenknick mit anderen Maßnahmen im Verbund
auch für eine gute Geburtenentwicklung gesorgt. So verlasse ich diesen Parteitag mit ziemlich gemischten Gefühlen.
Beim Gang zum Markt komme ich an einer Gruppe von Bereitschaftspolizisten vorüber und frage sie, wo es ihnen
besser gefällt: in Hohenmölsen bei der NPD, oder in Gorleben bei manchen Chaoten? Na gut, antworten darf nur der
Pressesprecher, aber ihr fröhliches Grinsen ist Antwort genug! NPD und DVU - undemokratisch sind sie? Wenn ich
die 20 Jahre meiner Tätigkeit als Bürgermeister und Kommunalpolitiker rekapituliere, dann muß ich feststellen, daß
unsere Demokratie wohl mehr Bürokratie geworden ist, nur noch ein formaler Ablauf. Dies kann ich täglich
feststellen, in den Dingen meines Dorfes wie in denen des Landes und der Republik. In jedem Sachgebiet, mit dem
ich mich befassen muß, merke ich, daß wohl das Volk am wenigsten regiert - schon eher die großen Finanz- und
Wirtschaftsgruppen. Die Kleinen zahlen und die Großen kassieren selbst als Versager noch! Das kann ich jeden Tag
neu in der Mitteldeutschen Zeitung lesen.
Wir sprechen diese Dinge manchmal in den Talkrunden vorsichtig an, aber es ändert sich nichts Merkbares. Ein der NPD nahestehender Bürgermeisterkandidat erhält knapp ein Viertel der Wählerstimmen?! Wir entrüsten uns,
wundern uns? Oder im Grunde nicht? Die steigende Zahl von Nichtwählern sagt uns ja, daß immer weniger
Menschen den Parteien der Mitte die Lösung ihrer Probleme zutrauen. Kann man es ihnen verübeln? Ich denke,
wenn die (nur noch formale) Demokratie die existenziellen Probleme der Menschen und des Landes nicht löst, dann
müssen es ja diejenigen versuchen, die eine vielleicht etwas andere Demokratie bzw. Volksherrschaft installieren
wollen. Das können dann auf Dauer auch keine bunten Stoffketten verhindern. Dazu müssen wir zuallererst ins
Gespräch kommen, auch mit den Verteufelten. Scheinbar haben die gar nicht so schlechte Ideen. Zumindest wollen
sie sich nicht mit dem Weg Deutschlands hin zum Altersheim abfinden - Ich auch nicht! Und ich hoffe, viele Andere
ebenfalls nicht. Aber dazu bedarf es radikaler Änderungen, wenn es nicht zu spät sein soll, weit mehr als nur Rente
mit 67 und erhöhter Einwanderung.
Ich hoffe, daß Sie es veröffentlichen und sich eine derartige Diskussion trauen!
Hans Püschel
Bürgermeister in Krauschwitz“