Aber auch wenn wir die Uhr ein paar Jahre zurückdrehen und die immer unkontrolliertere Gewalt ausblenden, gibt es mehr als genug Themen, die angeblich so verwurzelten Parteien verursacht haben. Das größte Berliner Ding wäre etwa der bundeweit bekannt gewordene
Bankenskandal oder alles um den Bau des BER herum und nicht zuletzt auch lokalere Geschichten, wie Abriss einer städtischen Kita in der Hauptstraße meines Viertels und Verkauf des Grundstücks, wo nun ein Supermarkt samt Parkplatz statt riesigem Kinderspielplatz draufsteht, während zwei Jahre später verschiedene Tagesstätten in leer stehenden Gewerbeflächen eröffnet wurden, weil man auf einmal doch Kitaplätze braucht. Beispiele wie diese sind Legion.
Ich bedaure, dass Du so viele negative Erfahrungen in Deiner Heimatstadt machst. Nur: Wenn man in Berlin nicht in der Lage ist, eine ordentliche Verwaltung, einen soliden Haushalt und eine effektive Bekämpfung der Kriminalität zu organisieren, ist das die Verantwortung Berlins als Stadt und Bundesland, der Politiker Berlins und der Berliner selbst und diese müssen sich den Schuh anziehen, Eigenverantwortung übernehmen und sich bewusst machen, dass neben dem Ende der einstigen Industriehochburg und den Verwerfungen der Wiedervereinigung auch die Tatsache eine Rolle spielt, dass die Regierenden Bürgermeister von SPD oder CDU keinen Druck haben, effizient und engagiert zu Werke zu gehen, weil Berlin von außen gepampert wird.
Man hat 50 Jahre lang West-Berlin mit beträchtlichem Aufwand als Schaufenster gen Osten aufgehübscht und aufgebaut. Seit der Wiedervereinigung fließen aus dem Länderfinanzausgleich Milliardensummen. Nur als Beispiel: Letztes Jahr gingen von 18,3 Milliarden Euro ganze 3,8 Milliarden an Berlin. In Deinem Viertel müssen Kitas improvisiert werden. Ärgerlich, verstehe ich. Weiß Du, was
richtig ärgerlich ist? Die Kitas bei Dir sind gratis. Bei mir nicht (und zu wenige Plätze gibt es obendrauf). Hort? Gratis? Schulessen? Gratis. Museumsbesuch? Gratis. Öffentlicher Nahverkehr? 29-Euro-Ticket. Die Liste geht noch lange weiter. Und nein, dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden und vieles davon ist sinnvoll. Ein fragwürdiger Beigeschmack bleibt aber trotzdem.
Baden-Württemberg durfte 2023 fast 5 Milliarden Euro zahlen. In Südbaden wurde 1952 übrigens mehrheitlich dagegen gestimmt, Teil des neuen Südweststaats zu werden (Nord- und Südwürttemberg sowie Nordbaden stimmten mehrheitlich dafür, also wurde das Bundesland Baden-Württemberg Realität), ich habe hier aber noch nie ein so massives Klagen gehört wie das, wie ungerecht und schlecht man doch mit West-Berlin umgegangen sei.
Wir haben hier unsere eigenen Skandale (siehe Stuttgart 21), den Untergang des Abendlandes malt man trotzdem nicht an die Wand, sondern packt an, wirtschaftet ordentlich und wählt keine Radikalen von Links oder Rechts und erwartet, dass diese alles "besser" machen, einen mit Wohltaten überhäufen und die bösen Ausländer rausschmeißen, die dem braven Deutschen ja gleichzeitig die Arbeitsplätze wegnehmen und den Sozialstaat ausnutzen. In diesem einst tiefschwarzen Bundesland regieren seit geraumer Zeit die Grünen - und weder steuern wir auf Berliner Zustände zu noch ist es hier in anderer Sicht bedeutend schlechter geworden. Es liegt nicht an den angeblich gegen Deutschland und die Deutschen verschworenen Parteien. Es liegt nicht an irgendwelchen geheimen Eliten. Es liegt nicht an bösen Minderheiten. Es liegt daran, wie man die Welt sieht und sie angeht. Statt Suhlen in Selbstmitleid und Hass auf "die da oben" und Treten nach unten wäre Engagement die richtige Antwort.
Im Bund sieht es ähnlich aus, wie man an der aktuellen Haushaltskrise sieht. Wir hatten noch nie mehr Steuereinnahmen, gerade die Einführung der CO2 Abgabe hat zu einem massivem Ansteigen der Staatseinnahmen geführt und auf wundersame Weise reicht ihnen trotzdem das Geld hinten und vorne einfach nicht. Es ist wirklich erstaunlich, wie das immer funktioniert bei den Parteien "unserer Demokratie".
Die sogenannte Haushaltskrise besteht lediglich darin, dass sich die regierenden Parteien uneins sind, wie genau der Staatshaushalt gestaltet werden soll und wie wichtig dabei die Staatsverschuldung ist. "Denen reicht das Geld ja nie" ist als Polemik so platt und einfach, dass es schwer fällt, eine ernsthafte Diskussion darüber zu führen. Es wird debattiert, es werden Prioritäten gesetzt, und dann wird ein Haushalt verabschiedet werden. Wenn Du auf den Tag wartest, an dem es aus dem Bundestag heißt, man schwimme in Geld und es sei mehr als genug für jedes Projekt da, wirst Du noch lange warten müssen, eine solche Rhetorik wird in Deutschland nicht erwartet, sondern "Sparsamkeit" und "effizientes Arbeiten mit begrenzten Mitteln". Es hat seine Gründe, warum die "schwäbische Hausfrau" so gerne als Vorbild genommen wird, egal, wie sehr der Vergleich zwischen Privatperson und Staat auch hinkt.
Und ich sehe auch nicht, dass die AfD einen faschistischen Regimewechsel durchführen wird, selbst wenn sie irgendwo an die Regierung kommt. Dafür ist die Bevölkerung, was Struktur und ideologische Einstellung angeht im Vergleich zu 1933 viel zu unterschiedlich. Da kann man noch so viel "Nazi, Nazi, Nazi" schreien. Und nein, ich habe das Buch von Herrn Höcke weder gelesen noch habe ich es vor. Genauso wenig werde ich diesem Mann jemals zujubeln oder das blaue Hemd anziehen, um mal eine Rhetorik von vor 80 bis 90 Jahren auf ein modernes Beispiel anzuwenden.
Die AfD als harmlose Ablenkung von den "wirklichen Verantwortlichen für die (vermeintliche) Misere des Landes" ist schon eine steile These. Ja, bis jetzt hat die AfD hat keine Regierungsverantwortung übernommen. Und weiter? In Thüringen steht sie bei 29 %. In Sachsen bei 31 %. In Brandenburg bei 29 %. Aus einer derart starken Oppositionsrolle heraus (und auch dort, wo sie schwächer ist), sabotiert die AfD seit Jahren die demokratischen Prozesse und nutzt jede Gelegenheit, um ihr Gift in der politischen Landschaft zu versprühen. Ich verweise nur mal auf die Anfrage zum Thema
Behinderung. Jetzt dieses Gebaren bitte mit den erklärten Zielen und Aussagen des Herrn Höcke, der in der Partei zusammen mit Frau Weidel den Ton angibt, verknüpfen. Dann einmal vor Augen führen, welche Mehrheit die AfD in den drei genannten Bundesländern entweder mit dem BSW oder einer umgekippten CDU erreichen würde oder was sie im Zweifel schon als stärktes Kraft für Möglichkeiten besitzt.
Sicher, man kann sich ganz bequem hinstellen und sagen, dass das einem gleichgültig ist. Man kann sich weigern, sich über das Personal, die Inhalte, die Ziele und die politische Stärke dieser Partei zu informieren, obwohl das kinderleicht ist. Man kann in den Äther raunen, dass die "wahre Gefahr" von der EU käme, von ominösen geheimen Eliten, von was auch immer. Das entspricht nicht der Realität. Das ist kurzsichtig. Und schlussendlich fällt einem diese zynische Apathie auf die Füße, weil man durch das Erstarken der AfD Gefahr läuft,
wirklich in einem autoritären, unfreien System zu enden oder das freiheitlich-demokratische, in dem wir leben, so zu sehr schwächen, dass es nicht mehr funktioniert. Aber bei vielen Menschen habe ich mittlerweile das Gefühl, dass das billigend in Kauf genommen wird, solange man nur seinen persönlichen Frust irgendwie destruktiv entladen und sich zumindest für eine Weile ein bisschen clever und mächtig fühlen kann.
Wir haben heute ein wahres Meer von so genannten Antifaschisten und wenn ich mir deren Verhalten so ansehe, kann ich dem damit verknüpften Zitat von Ignazio Silone mehr und mehr abgewinnen.
Das berühmte Zitat, das ihm zugeschrieben wird, mehr auch nicht. Aber nehmen wir ruhig mal ein belegbares Zitat von Silone zur Hand:
„Welchen Wert haben da all Ihre Proteste gegen die fascistische Polizei und fascistische Gerichte? Welche Aufrichtigkeit Ihre Wortergüsse über die elementaren Rechte des Menschen, über die Würde des Menschen und über die Verteidigung der Kultur? Welchen moralischen Wert der sogenannte Humanismus, den Sie vertreten? […] Würde ich jetzt schweigen, so hätte ich nicht mehr den Mut, eine einzige Zeile gegen die fascistischen Diktaturen zu schreiben. […] Was wir vor allem brauchen, ist eine andere Art, das Leben und die Menschen zu betrachten. Ohne diese ‚andere Art…‘ würden wir selber Fascisten werden, meine lieben Freunde, nämlich rote Fascisten! Nun, was ich Ihnen ausdrücklich erklären mußte, ist, daß ich mich weigere, ein Fascist zu werden, und wenn es auch ein roter Fascist wäre.“
– Ignazio Silone: Brief nach Moskau vom 30. August 1936.
Man beachte die Jahreszahl: Silone verfasste diese Zeilen während der stalinistischen Schauprozesse in der Sowjetunion und all der anderen Gräueltaten des real existierenden sozialistischen Systems. Wo in Deutschland auch nur
ansatzweise eine vergleichbare Situation herrschen soll oder realistisch möglich ist, sehe ich selbst dann nicht, wenn ich anfangen würde, entgegen aller objektiven Maßstäbe schon die Union als "linksgrünversiffe Sozialisten" zu bewerten.
Zum Thema Islam und deutsche Muslime: Wenn ein Kalifat gefordert oder Parteien gewählt werden, die dieses über die Abschaffung oder Aushöhlung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erreichen wollen, stehen die Personen, die das tun, selbstgewählt außerhalb des Rahmens eben jener Ordnung und müssen überwacht und bei Straftaten entsprechend sanktioniert werden. Ansonsten macht es keinen Unterschied, ob man als deutscher Staatsbürger Christ, Muslim, Jude, Buddhist, Hinduist, Atheist oder etwas anderes ist - entweder ist man verfassungs- und gesetzestreu oder man ist es nicht, Punkt.