Bei allem Verständnis für Sorgen und Ängste: Wenn diese dazu führen, dass man nicht mehr zu erfolgversprechenden Handlungen im eigenen Interesse in der Lage ist, muss man auch aufzeigen dürfen, warum sie falsch sind.
Wenn man sich wegen eines Ereignisses, das extrem wahrscheinlich war und vor dem immer wieder eindringlich gewarnt wurde - dem russischen Einmarsch in die Ukraine - so viele Sorgen gemacht und entsprechende Vorbereitungen getroffen hätte wie vor dem extrem unwahrscheinlichen Szenario eines Einsatzes von Atomwaffen und einer direkten bewaffneten Auseinandersetzung zwischen NATO und Russischer Föderation - ja, dann stünden wir heute wohl besser da. Zu spät, aber wir können zumindest jetzt mal etwas Rückgrat zeigen.
Das erinnert an die Umstände des Münchener Abkommens vor 84 Jahren. Es wurden zu diesem Zeitpunkt völlig absurde Schreckensvorstellungen an die Wand gemalt ("Der Bomber kommt immer durch! Ganze Städte werden aus der Luft zerstört werden!"), um die eigene Feigheit und Schwäche zu kaschieren und eine Ausrede zu finden, dem Diktator das zu geben, was er wollte (und ihm nach Ansicht so mancher ja auch zustand).* Ergebnis: Bekannt.
Appeasement. Funktioniert. Nicht. Es hat niemals funktioniert und wird niemals funktionieren. Die russische Aggression gegen die Ukraine wird erst enden, wenn die Russische Föderation dazu nicht mehr die militärischen, politischen und wirtschaftlichen Mittel und Willen besitzt. Nur darüber lässt sich eine Herstellung friedlicher Verhältnisse in diesem Teil Osteuropas mittel- und langfristig erreichen.
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„Seit ich mein derzeitiges Amt übernahm, war es mein wichtigstes Ziel, Europa echten Frieden zu bringen, die Verdächtigungen und Animositäten zu beseitigen, die so lange die Atmosphäre vergifteten. Der Pfad, der zu einer Beruhigung führt, ist lang und voller Hindernisse. Das Problem der Tschechoslowakei ist das jüngste und vielleicht das gefährlichste. Nun, da wir es überwunden haben, meine ich, dass es möglich sein sollte, weitere Fortschritte zu machen auf dem Weg der Gesundung und der Vernunft.“
- Neville Chamberlain
"Wie schrecklich, fantastisch, unglaublich ist es, dass wir hier Schützengräben ausheben und Gasmasken anprobieren müssen wegen eines Streits in einem weit entfernten Land zwischen Menschen, von denen wir nichts wissen."
- Neville Chamberlain, 27. September 1938, 20.00 Uhr im Radio, über die Weigerung der Tschechoslowakei, die Forderungen der Nazis nach Abtretung von Grenzgebieten an Deutschland zu akzeptieren.
Selbst wenn man die ganzen Konflikte während des Kalten Krieges, die auch in Europa ausgetragen wurden, ausblendet, und sich auf den Zeitraum ab 1989 beschränkt: Da hatten wir die blutige Befreiung von der Unterdrückung durch die Sowjetunion und den Kommunismus im Baltikum, Rumänien und Georgien. Den Zerfall Jugoslawiens und die ethnischen Säuberungen. Den Bürgerkrieg in Albanien. Den Nordirland-Konflikt. Den Krieg zwischen der Russischen Föderation und Georgien.