[Weltraum (Neutral) | Normalraum | Leerer Raum zwischen Telos und Mirial | Passagierschiff ›Laqosha City‹ | Aufenthaltsraum] Beleny ›Dove‹ Phoss, Mitreisende
Die Passagiere der Laqosha City reagierten sehr unterschiedlich auf die unplanmäßige Unterbrechung. Manche, vermutlich die erfahrensten Weltraumreisenden oder diejenige mit dem ausgeglichensten Charakter, schienen sich überhaupt nicht daran zu stören und fuhren mit ihren normalen Beschäftigungen fort. Einige wirkten von der Verzögerung entnervt, wieder andere nervös oder sogar verängstigt. Manch einer befürchtete wohl etwas Schlimmes als Ursache, und auch Beleny Phoss hatte sich bei dem Gedanken erwischt, dass ein Angriff oder ein Unfall der Grund für das Verlassen des Hyperraums sein könnte. Solche Dinge kamen vor. Aber natürlich nicht ständig und nicht an jedem Ort der Galaxie. Die meisten Störungen eines Flugplanes hatten viel harmlosere Ursachen. Als Soldatin und Copilotin fiel es ihr nicht schwer, solche Gedanken wieder abzuschütteln. Immer stärker wurde allerdings ihre Neugier. Diese Eigenschaft hatte sie mit anderen Fluggästen gemeinsam. Mit jeder Minute, die verstrich ohne dass die Passagiere informiert wurden, häuften sich die Fragen an das Personal, das allerdings keine Auskunft geben konnte, wollte oder durfte und lediglich vertröstete, es handle sich um einen unbedeutenden Vorfall und werde sicherlich bald weiter gehen. Beleny verzichtete darauf, selbst die Besatzungsmitglieder und ihrer Droiden zu belästigen, die zweifellos Besseres zu tun hatten. Aber wann immer ihre Mitreisenden Fragen stellten, sich beklagten oder untereinander Gedanken und Spekulationen austauschten, hörte sie zu. Die Serienepisode auf dem Display ihres Pads lief unterdessen weiter, ohne dass ihr große Aufmerksamkeit geschenkt wurde, denn die Augen und Ohren der Kilmaulsi waren auf die anderen Leute gerichtet. Das Gerät diente nur dazu, ihre Neugier zu vertuschen und den Eindruck zu erwecken, dass sie zu den besonders Gelassenen gehörte.
Etwa sechs oder sieben Minuten verstrichen, bis sich ein Feuerschott mit der Aufschrift »Zutritt nur für autorisiertes Personal« öffnete. Es führte, wie man leicht erraten konnte, in den vorderen Teil des Schiffes, in dem sich Quartiere der Crew, das Cockpit und andere Bereiche befanden, die für die Mitreisenden gesperrt waren. Vier Personen kamen heraus. Zwei davon - eine rundliche Mirialanerin und ein sehr durchschnittlicher Bith - trugen die graublauen Kleidung, die sie als Besatzungsmitglieder des Schiffes auswies. Viele interessierte Blicke richteten sich auf sie, auch die großen roten Augen von Beleny Phoss. Sie hob den Kopf und senkte das Tablet, denn sie erwartete, dass sie nun von der Crew informiert wurden, wie es weiter ging. Doch dann fielen ihr die anderen beiden Personen in den Blick. Es handelte sich um zwei Männer, die sie in den letzten Tagen gesehen hatte, ohne dass sie ihr großartig aufgefallen wären: Ein Mensch und ein Weequay. Sie gehörten nicht zur Crew, sondern hatten sich unter den Passagieren befunden. Was machten sie vorne im Nur-für-Personal-Bereich, und warum zur Hölle trugen sie Gürtelholster mit Schusswaffen? Nicht einmal die Besatzung des Transporters war bewaffnet! Beleny gewann den Eindruck, dass der Zwischenstop doch nicht so harmlos war, wie sie erst geglaubt hatte. Sie blieb ruhig auf ihrem Platz sitzen; Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen war nun das letzte, was sie wollte. Aber sie beobachtete das Geschehen sehr genau. Jede Faser ihres Körpers war angespannt; sie rechnete jeden Augenblick damit, dass die Lage irgendwie eskalierte. Die Zusammenhänge verstand sie allerdings noch nicht.
»Werte Passagiere, im Namen der gesamten Crew bitte ich um Entschuldigung« sagte die Mirialanerin, die einen konzentrierten, aber gestressten Eindruck machte. Mimik und Gestik ihres Kollegen konnte Beleny nicht interpretieren. »Ich muss Sie leider bitten, uns zu den Beibooten zu folgen.«
›Beiboot‹, so nannte man hier die Rettungskapseln, wie Beleny aus den Sicherheitshinweisen wusste, die sie bei Antritt des Fluges unterschrieben hatte.
»Was soll das heißen?« protestierte zuerst der fette Dorneaner, der sich vorhin schon als erster über die unplanmäßige Verzögerung beschwert hatte. »Vorhin hieß es, wir fliegen gleich weiter!«
»Es gibt leider Komplikationen«, fuhr die Frau fort, nun mit sichtbar gequältem Gesichtsausdruck. Die Männer hinter ihr wirkten nervös. »Wir müssen das Schiff vorübergehend verlassen. Aber keine Sorge, wir...«
Weiter kam sie nicht, denn sofort stürmte einhalbes Dutzend Passagiere mit Fragen und Protesten auf sie ein. Die beiden Bewaffneten nahmen das zum Anlass, vorzutreten. Der Weequay war ziemlich groß und breitschultrig, aber auch sein Gefährte machte den Eindruck, als wäre mit ihm nicht gut Kirschen essen. Während der bisherigen Reise waren sie Beleny nicht in solcher Weise aufgefallen; sie fragte sich, ob sie gut geschauspielert hatten oder ob es an ihr lag. Mit strenger Miene und der Hand an den Pistolengriffen stellten sich die Männer den Passagieren entgegen und der Mensch erhob im Befehlston das Wort:
»Keine Widerrede! Sie gehen jetzt nach Steuerbord und steigen in die Kapseln ein! Bleiben Sie ruhig und folgen Sie den Anweisungen, dann nimmt diese Sache ein gutes Ende!«
Jetzt dämmerte wohl auch anderen Reisenden, mit was für einer Situation sie es zu tun hatten. In manchen Gesichtern war Schrecken zu lesen und einige Leute hatten es plötzlich eilig, in der Gruppe Deckung zu suchen. Eine blassblaue Ortolanerin drückte zwei Kinder an ihren speckigen nackten Oberkörper. Auch der Dorneaner kuschte nun. Aber nicht alle im Raum waren so leicht einzuschüchtern - oder vielleicht verstanden einfach nicht alle, was los war.
»Das ist ungeheuerlich!« keifte eine ältere Frau. »Wir haben alle für die Reise bezahlt! Ich will sofort wissen was hier los ist, sonst gehe ich nirgendwo hin!«
Ein Grauhaariger neben ihr, wahrscheinlich ihr Mann, nickte fleißig. Aber auch noch zwei oder drei andere Leute zeigten deutlich ihre Unzufriedenheit. Der Weequay zog seine Waffe - kein Modell das die Kilmaulsi kannte, Form und Größe nach handelte es sich aber um ein durchschlagskräftiges, für militärische Zwecke entwickeltes Exemplar. Nun begriff auch der letzte, dass die Situation überaus gefährlich war. Sie wichen vor der Waffe zurück. Erschreckte Laute waren zu hören. Doch noch immer setzte sich die Gruppe nicht in Bewegung, um den Anweisungen der Bewaffneten zu folgen. Sie schienen vor Schreck wie erstarrt und hatten offenbar keine Ahnung, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollten. Beleny wäre am liebsten selbst in der Menge untergetaucht, denn sie sorgte sich, wie die Männer (die sie für Piraten hielt) auf sie reagieren würden. Sie trug die beigefarbene Dienstuniform des republikanischen Militärs. Aber da sie schon tagelang auf dem Schiff waren, hatten die Verbrecher sie wohl ohnehin schon bemerkt und als das erkannt was sie war: Eine Soldatin, aber in zu niedrigem Rang, um beispielsweise als Geisel von großem Wert zu sein. Sich zu verstecken brachte nichts. Im Gegenteil: Diese Leute brauchten jemanden, der einen kühlen Kopf bewahrte und ihnen sagte, was zu tun war. Eigentlich fühlte sich die Pilotin nicht berufen, eine solche Rolle einzunehmen, doch in diesem Fall schien es niemand anderen zu geben, der dazu in der Lage war. Mit erkennbar leeren Händen und sehr langsamen Bewegungen stand sie von ihrem Platz auf.
»Bitte, bleiben Sie ruhig«, sagte sie, gleichermaßen an die Passagiere wie auch an die Bewaffneten adressiert. »Wir gehen ja schon zu den Booten.« Sie verstand plötzlich, warum die Besatzung so gern das Wort ›Rettungskapsel‹ vermied. Auch sie sprach jetzt nicht gerne aus, dass sie vielleicht Rettung benötigten, sondern wollte lieber so tun, als wäre die Situation harmlos. Bei Geiselnahmen und ähnlichen Vorfällen war es wichtig, dass niemand die Nerven verlor. Die Kilmaulsi griff nach ihrem Seesack, der an der Bank lehnte; sie hatte ihn vorhin aus dem Quartier mitgebracht, weil sich darin ihr Lesestoff und die Unterhaltungselektronik befanden (und weil sie ihrer Kabinengenossin nicht besonders traute). Doch sofort sagte der Mensch:
»Das Gepäck bleibt hier!«
»Natürlich.« Sie ließ die Tasche los; widerwillig, aber ohne Zögern. Sie blickte das mirialanische Crewmitglied an und sagte: »Da geht es lang, oder?«
Die Frau, deren Gesicht mittlerweile eine fahlgelbe Farbe angenommen hatte, nickte. »Folgen Sie mir bitte.« Sie ging los, Beleny und der Weequay direkt hinter ihr. Die anderen Passagiere folgten wie eine Herde dem Leittier. Oder dem Schlachter. Was, wenn Ruhe und Gehorsam hier genau die falsche Entscheidung waren? Wenn die Verbrecher jetzt nur so taten, als wollten sie die Sache gewaltfrei durchziehen, nur damit die Passagiere ihnen direkt ins offene Messer liefen? Sofort schossen ihr tausend Möglichkeiten in den Sinn, was die Schiffsentführer Schlimmes planen könnten. Die Fluggäste in eine Luftschleuse pferchen und diese nach außen öffnen zum Beispiel. Oder sie in einen engen Frachtraum einpferchen und dort einfach ersticken lassen. Oder einfach alle niederschießen. Doch was war die Alternative? Sie war kräftig, wusste aber nicht, ob sie dem breitschultrigen Weequay gewachsen war. Selbst wenn es ihr gelingen würde, ihn zu überwältigen, war da noch sein Kamerad; sie konnte sich nicht darauf verlassen, dass andere Passagiere schnell genug reagierten und ihr beistanden. Die Gefahr, dass Schüsse fielen und entweder sie oder andere Mitglieder der Reisegruppe, in der sich auch mehrere Kinder befanden, dabei umkamen, war zu groß. Außerdem musste sie davon ausgehen, dass noch andere Kriminelle an Bord waren: Die beiden zogen das Ding bestimmt nicht alleine durch, ein Schiff dieser Größe konnten zwei Männer weder erobern noch kontrollieren. Sie hatte also gar keine Wahl, als zu hoffen, dass Ruhe und Kooperation die Lösung für das Problem darstellte.
Die Leute folgten den grell türkisen Markierungen, die für alle sichtbar den Weg zu den Fluchtkapseln anzeigten. Unterwegs trafen sie noch andere Personen. Manche kamen gerade aus ihren Quartieren; sie hatten noch gar nicht mitbekommen, dass etwas nicht stimmte, hatten aber keine andere Wahl, als sich von der Gruppe vorwärtstreiben zu lassen. Andere irrten verängstigt umher und waren sogar erleichtert, dass ihnen nun jemand sagte, was zu tun war. Sie erreichten bald die Steuerbordseite des Schiffes, wo sich auf jedem Deck mehrere Kapseln befanden. Hier stand ein Komplize der Piraten, eine Menschenfrau, die einen Blasterkarabiner in den Händen hielt und gerade eine mirialanische Familie in eine Kapsel scheuchte. Eine war bereits gestartet.
»Bitte steigen Sie ein«, sagte nun der Bith, der offenbar auch einen Teil seiner Fassung zurückgewonnen hatte. »Sechs Personen in jede Kapsel.«
Die Kilmaulsi wollte eigentlich weiterhin helfen; sie hatte vor, anderen den Vortritt zu lassen und erst als letzte in die Kapsel einzusteigen. Aber diese Wahl ließ man ihr nicht. Als sie stehenblieb, bekam sie einen kräftigen Stoß in den Rücken, der sie vorwärts stolpern ließ. Der Weequay schnauzte sie an, der Sprachmelodie nach auf Huttisch, das sie nicht verstand; aber ihr war ziemlich klar, was er von ihr wollte. Sie trat zur nächsten Kapsel und stieg hinein. Rasch folgten weitere Personen. Erst ein blauhäutiger Twi'lek, dann das ältere Ehepaar. Der Frau wurde mit vorgehaltener Waffe die Tasche abgenommen, in der die Gangster wohl Wertsachen vermuteten. Und dann wurden auch die beiden Besatzungsmitglieder mit hinein gedrängt. Kaum saßen alle in dem beengten Innenraum des kleinen Gefährts, als es auch schon ausgestoßen wurde. Der Twi'lek hatte sich nicht angeschnallt (vielleicht weil er das unmännlich fand?) und büßte das nun, denn er wurde durch den heftigen Ruck aus dem Sitz geschleudert und prallte mit der Wange gegen Belenys Schnabel, was ihm sicherlich mehr weh tat als ihr. Durch ein winziges Bullauge konnte man nach draußen spähen und beobachten, wie sich die Kapsel von dem Frachter entfernte.
»Senden die Kapseln ein automatisches Notrufsignal?« fragte Beleny die beiden Crewmitglieder.
»Ja«, antwortete die Mirialanerin. »Sobald sie gestartet werden.«
»Dann kommt bestimmt bald Hilfe«, sagte die Kilmaulsi. Sie versuchte Zuversicht auszustrahlen, um ihre teils verängstigten Leidensgefährten und auch sich selbst zu beruhigen. »Mirial ist nicht weit entfernt.«
Sie rechnete in Gedanken, wie lange es wohl dauern würde, bis jemand auf den Notruf reagierte. Sie waren noch anderthalb bis zwei Flugstunden von ihrem Ziel entfernt, aber die Laqosha City war kein besonders schnelles Schiff. Die Militäreinheiten der Neuen Republik, die bei Mirial stationiert waren, hatten bessere Hyperantriebe, und das galt auch für einige Jäger der mirialanischen Sicherheitskräfte. Ein paar Minuten Reaktionszeit, dann mussten Schiffe vom Planeten abheben oder von ihrem Liegeplatz im Orbit aus einen geeigneten Sprungpunkt erreichen, zusätzlich zur Reisezeit im Hyperraum... sie schätzte, dass es nicht länger als fünfunddreißig oder vierzig Minuten dauern sollte, bis bewaffnete Einheiten hier auftauchten. Sie wollte dann nicht mehr in der Nähe des Passagierschiffes sein. Überhaupt hatte sie das Bedürfnis, sich so schnell wie möglich aus der Reichweite von dessen Waffen zu entfernen: Für den Fall, dass die Piraten noch auf irgendeine fiese Idee kamen. Die kleinen Blastertürme waren nicht sehr leistungsstark, aber zum Zerstören von Rettungskapseln genügten sie allemal.
»Können Sie das Ding hier steuern?« fragte sie, doch der Bith und die Mirialanerin verneinten und sagten stattdessen irgendetwas von einem Autopiloten. Beleny hörte schon nicht mehr richtig zu. »Dann lassen Sie mich mal an die Kontrollen, ich bin Pilotin«, verlangte sie und drängte sich zwischen die beiden. Dort befand sich eine Kontrolltafel, über die man den einprogrammierten Kurs ändern oder die Kapsel manuell steuern konnte. Sie verschaffte sich einen kurzen Überblick und drückte dann ein paar Knöpfe. Das Brummen und Vibrieren des sehr einfach konstruierten und schlecht abgeschirmten Antriebs wurde intensiver, als das Rettungsboot beschleunigte. So schnell die kleinen Triebwerke vermochten, lenkte Beleny weg von der Laqosha City und hinein in die Schwärze des Alls.
[Weltraum (Neutral) | Normalraum | Leerer Raum zwischen Telos und Mirial | Rettungskapsel] Beleny ›Dove‹ Phoss, 3 Passagiere und 2 Besatzungsmitglieder der ›Laqosha City‹