Eine Kurzgeschichte zum Buch "Sonnenfeuer"
von Minza
nach einer Idee von Conquistador
EISKALTE LEERE UMSCHLOSS das Schiff. Hohle, dumpfe Klänge, die man auf der Welt nicht vernehmen konnte, aber die hier oben bei den Sternen laut und allgegenwärtig waren. Wie das Heulen von körperlosen Bestien, das zu einem Lied des Wahnsinns verschmolz.
Abertausende Lichter pulsierten hier oben und doch war alles schwarz und nur die Strahlen der sterbenden Sonne warfen schwache Bänder aus Licht auf den Bug des Schiffes, hart und beinahe gefroren wirkend. Die Sterne bildeten Muster, die man seit unzähligen Generationen kannte und schon in uralten Tagen als Geister verehrt hatte. Ihr Schein war weit, weit weg.
Unter der schweren Hülle des Schiffes arbeiteten Generatoren ohne Unterbrechung, um Wärme zu erzeugen. Und den Antrieb, der das ungelenke, hässliche Konstrukt zurück zum Weltenband trieb. Ruhelos und unendlich langsam, betrachtet man die Distanz zwischen der äußeren Schale und dem feinen Streifen in der Ferne, auf dem sich Resham und die anderen Kontinente der Welt befanden.
Die äußere Schale. Sie hatte nicht nachgegeben. Ihre Geheimnisse nicht preisgegeben. Mit den modernsten Maschinen hatte die Mannschaft der
Gimbahtin versucht, die harte Außenschicht der Welt zu durchstoßen, an der die Sterne wie Seepocken hingen. Krater neben Einschlagskrater übersäte die endlose Fläche, die sich als Orb um das bekannte Universum schloss. Winzige und riesige Körper, die im All trieben, hatten seit dem Anbeginn der Welt diese Narben hinterlassen, doch kein Bohrer, kein Geschoss und kein gebündelter Energiestrahl hatte das seltsame Material auch nur angekratzt.
Sogar den ein oder anderen Zauber hatte Lord Magister Craund zu weben gewagt, doch das mysteriöse Feld der Verzerrung, das das dünne Weltenband ab einer bestimmten Höhe umgab, hatte jeden Versuch wie den kindlichen Versuch eines Anfängers erscheinen lassen. Jede weitere Anwendung der arkanen Künste wäre ein Risiko für das gesamte Unternehmen gewesen.
Ein Teleportationszauber, der den langen Weg von der Schale zum Weltenband abkürzen würde, war vollends ausgeschlossen. Erst wenige hundert Kilometer über der Welt war es wieder sicher, Magie zu weben und dann war es eh schon zu spät, um auf solche Mittel zurück zu greifen. Der Antrieb pumpte weiter ohne Unterbrechung Energie in die Schubdüsen, die die
Gimbahtin näher und näher zum Zielhafen an der Westküste des Resham Megaplexes drückten.
Kapitän Seric O'Coor saß vor dem großen, projizierten "Sichtfenster" der Brücke. Das Kunstleder des Sessels hatte die Kälte des Schiffsinneren angenommen, während die Systeme mehr und mehr Energie von den Lebenserhaltungsprotokollen abzogen. Die
Gimbahtin bereitete ihre Mannschaft auf den langen Schlaf vor, der sie die Reise überdauern ließ. Warum mehrere Monate ausharren und dehydrierte Nahrung zu sich nehmen, wenn man diese Zeit auch in einer Kältekapsel und im traumlosen Schlaf verbringen konnte...
Das Weltenband vor der schwachen Sonne war noch nicht sichtbar, doch O'Coor sah die vielen Lichter des Megaplexes bereits vor seinem inneren Auge. Er war müde. Müde von der langen Reise. Müde von der Enttäuschung, keinen Erfolg erzielt zu haben. Müde vom Gedanken, wieder in den Kälteschlaf zu gehen und erneut Zeit zu verlieren, in der andere ihr Leben leben konnten. Die letzten Jahre dieser Welt genießen konnten.
Verdammt, sie brauchten eine Lösung. Als Wissenschaftler die äußere Schale entdeckten, war das Entsetzen groß gewesen, hatte man doch gedacht, mit großen Schiffen die sterbende Welt verlassen zu können und sich eine neue Welt zu suchen, die man besiedeln konnte. Doch all die Sterne dort oben waren keine Sonnen. Es waren Lichter in einer Gefängniswand, die mit Versprechen lockten, doch nichts hergaben.
Portale in andere Welten konnten nur so und so viele Bewohner von Emmergens in eine andere Realität retten und lag es anscheinend jetzt an den Gelehrten, die das flackernde Sonnenfeuer wieder in Gang setzen wollten, das bekannte Universum zu retten.
O'Coor vergrub sein Gesicht in einer großen, kräftigen Hand und massierte sich den Frust aus den schmerzenden Muskeln. Er hatte dieses Kommando übernommen, in der Hoffnung, einen Erfolg zu erzielen. Nun konnte er nur darauf warten, seinen Vorgesetzten von der großen Enttäuschung zu berichten. Er blickte hinaus in die riesige Leere, die ihn von seiner Heimat trennte. Er hatte orkisches Blut in sich, das wusste er, und dieser Teil seiner Vorfahren hatte einen interessanten Namen für einen räuberischen Pilz gehabt, der im warmen Sonnenlicht der uralten Wälder unbeschreiblich schön anzusehen gewesen war: die verzehrenden Farben...
Dass er das Nichts um sich herum schon bei der Reise zur Schale "die verzehrende Leere" genannt hatte, hatte nach der Erkenntnis über ihre Ausweglosigkeit einen weiteren, ironischen Geschmack angenommen. Leere. Hoffnungslosigkeit. Der Untergang einer Welt.
O'Coor lehnte sich zurück und schloss die Augen. Bald würden sie schlafen und erst wieder aufwachen, wenn sie nahe genug am Weltenband waren, damit Lord Magister Craund einen Teleportationszauber wagen konnte, der das gesamte Schiff in seinen Zielhafen katapultierte. Vielleicht hatte irgendjemand dann eine Lösung gefunden. Die Mannschaft der
Gimbahtin hatte jedenfalls bittere Kunde.
Das grelle Blinken eines pulsierenden Signallichts auf der Konsole vor ihm ließ ihn wieder seine Augen öffnen. Kurz danach erklang ein leises Summen, das mit dem Licht im Einklang aufblühte und abklang. Er drückte auf eine Schaltfläche.
"Was?"
"Sir." Die Stimme seiner Kommunkationsoffizieren Daeriel Moonglance drang leicht verzerrt auf die Brücke. Die Halbelfin klang nervös. "Sie sollten hier runterkommen. Es gibt Ärger. Parm hat noch alles im Griff, aber ich weiß nicht..."
"Ich bin auf dem Weg." Er ließ die Schaltfläche los und die Verbindung wurde beendet.
Fast schon knurrend stieß er sich aus dem kalten Sessel und ging zum Vertikaldurchgang, der die verschiedenen Ebenen des Schiffes miteinander verband. Warum jetzt? Hatten sie nicht schon genügend Probleme?
***
Miat O'Lys stand auf einem der Plastikstühle des kleinen Freizeitraumes. Sein hochrotes Gesicht war zu einer wütenden Maske verzogen und die geflochtenen Bartspitzen wurden mit jeder Geste, mit jedem Schrei von Seite zu Seite geworfen. Vor dem zwergischen Piloten standen Pat Nunyun und Emian Craund, stolz und vorwurfsvoll, die Arme verschränkt und mit einer Aura der Überheblichkeit umgeben, die O'Coor schon seit Beginn des Projektes immer wieder in Berichten angesprochen hatte.
Nunyun war eine fähige Schiffsärztin, ja. Aber sie war eine dieser Vertreter des alten Schlages, die jedem mitteilen wollten, dass die menschliche Rasse der Beginn der Zivilisation und vermutlich auch das Ende der selbigen war. Craund hatte eine ähnliche Einstellung, auch wenn die psychologischen Gutachten vermutlich den Begriff "menschliche Rasse" durch "Magienutzer" ersetzen würden.
Und O'Lys war einfach nur durch und durch ein Zwerg... Kapitän O'Coor fluchte leise. 'Warum jetzt?' musste er nicht fragen. Er wusste, dass die Lage eine extrem angespannte war. Aber er hatte gehofft, dass sich der Frust anders entladen würde. Dass die aufgestellten Protokolle und die Gutachten der Personaldienststelle wenigstens einige Früchte tragen würden.
Neben Nunyun stand Iasabil Goldud, die Technikerin der
Gimbahtin. Die Gnomin schluchzte unkontrolliert und hielt sich immer wieder eine zitternde Hand vor das durch Tränen aufgequollene Gesicht.
"Und du blöde Sau hörst jetzt endlich auf rumzuheulen!" O'Lys' Schrei füllte den Freizeitraum wie eine unsichtbare Macht aus.
"Hey hey!" Narin Parm ging einen Schritt auf den Zwerg zu und hob beide Hände.
Beide Pranken. Sie war Ork durch und durch und gerade wirkte sie so, als könnte auch sie die Beherrschung verlieren. Was nicht gut war, schließlich war sie für die Sicherheit an Bord zuständig. Doch wollte sich O'Lys nicht beruhigen lassen und machte einen angedeuteten Armschwinger in Richtung der Orkin.
In einer Ecke des Raumes stand Daeriel Moonglance mit verschränkten Armen, eher sich beruhigend umarmend als alles andere. Auch sie hatte geweint, erkannte O'Coor. Neben ihr, ruhig und wie immer gelassen wirkend, Miad. Der amphibische Chikchik verfolgte das Geschehen nur mit großen, feuchten Froschaugen und nur an der empathischen Art, wie der zweite Techniker des Schiffes sein felliges Schaumäffchen Luma streichelte, konnte man seine Anteilnahme an der Situation erkennen. Das Schaumäffchen zwitscherte nervös und drückte sich enger an sein Herrchen, als O'Coor im Eingang aufbaute.
"Das Ganze endet jetzt. Sofort!" Die feste Stimme des Kapitäns ließ keinen Widerspruch zu.
Eigentlich... denn der kam trotzdem: "Fick Dich, Seric. Fick dich und die ganze Drecksmission!" Ein kleiner, dicker Zwergenfinger schoss wie eine Waffe in Richtung des Orkbluts. "Is' doch eh alles scheißegal. Wir krepieren doch eh alle!"
Die Gnomin begann wieder zu schluchzen.
"Halts Maul, halts Maul, halts Maul!"
Parm knurrte O'Lys drohend an und machte einen weiteren Schritt auf ihn zu. Dann stockte sie, als ein wirres Kichern von Goldud erklang. Die anderen drehten sich ebenfalls zur gnomischen Technikerin und sahen sie entsetzt an.
Die wischte sich mit dem nackten Unterarm Rotz von der Oberlippe. "Sie hatten Recht..."
Kapitän O'Coor hatte genug. "Es reicht."
Doch Lord Magister Craund sah dies anders. "Wer hatte mit was Recht?" Er sah die Gnomin mit besorgt in Falten gelegter Stirn an.
"Die Kirche." Ein Zittern. "Sie sagten, dass alles vergeblich ist."
"Goldud?!" O'Coor legte ungläubig den Kopf schief. Seine Stimme war wie Sandpapier.
Ausnahmsweise fand O'Lys keine Worte. Er sah die Technikerin nur entsetzt an.
Die murmelte weiter, immer an der Grenze zum Hysterischen. "Sie sagten, dass das Ende kommt und das ist das Ende das ist das Ende oh bei den Göttern das ist das Ende warum warum warum?"
Parm ließ O'Lys auf dem Stuhl stehen und trat vor Goldud. "Es ist genug." Sie legte der Gnomin eine Pranke auf die schmale Schulter.
Die andere Schulter wurde von Lord Magister Craunds Hand bedeckt. Er beugte sich zu Goldud hinunter. "Welche Kirche, Iasabil?"
Sie blickte ihn mit zitternder Lippe an, zwischen einem Grinsen und dem nächsten Zusammenbruch hin- und herpendelnd. "Sie sagen, der Herr Nafrit wird die ewige Nacht bringen und Nigal Hagurath kehrt auf seinen Thron zurück..."
Ein kollektives Ächzen durchdrang den Freizeitraum und alle wichen einen Schritt von der Technikerin zurück. Nur Miads gelb-schwarz gefleckte Haut färbte sich dunkler, wurde unebener. Ein wütender, anschuldigender Blick bei den Chikchiks, das wussten alle seine Schiffskameraden. In den letzten Monaten hatten immer wieder schwere Attentate die Zuruler Region erschüttert und im Amzea Plex, der Heimat von Miad, hatte es hunderte Tote gegeben. Jeder wusste, wer dafür verantwortlich war. Die Schuldigen schrien ihre Taten wie eine Siegesabsprache in die Weiten des Megaplexes: die Gefolgsleute der Höllendämonen, die für die Rückkehr des Nigal Hagurath in diese Realität kämpften...
Doch war Iasabil Goldud wirklich eine der Sektenanhänger? Hatte die Interne Sicherheit und das Inquisitorium derart geschlampt, als sie ihren Hintergrund durchleuchteten?
Parm baute sich vor der Gnomin auf, ihre wachsamen Augen nicht mehr von der kleinen Gestalt nehmend. Die Sicherheit des Schiffes war ihre Aufgabe. Auch wenn sie ihre Mission nicht erfüllen hatten können. Auch wenn nun alles verloren schien.
Die leise, harte Stimme des Kapitäns schnitt durch die Stille. "Bereitet Euch auf den Kälteschlaf vor. In einer Stunde steigen wir in die Kapseln." Er blickte Goldud kalt an. "Um alles andere wird sich das Inquisitorium kümmern."
"Aber..." Moonglance sah Kapitän O'Coor vorwurfsvoll an.
Der funkelte nur warnend in Richtung der halbelfischen Kommunikationsoffizierin. "Eine Stunde."
Dann verließ er den Raum und die anderen blieben schweigend zurück.
***
Die Isolation der Kältekapseln war ein Segen. Sie bewahrte die Besatzung vor Gesprächen, die sie nicht führen wollten. Vor Blicken, die sie hier nicht austauschen konnten. Schräg um eine zentrale Diagnosebatterie aufgereiht, boten die Kapseln einen langweiligen Ausblick auf die weißen Wände der kleinen Kammer.
O'Coor schloss müde die Augen. Er war müde vom Misserfolg an der Schale. Müde vom Streit, der durch den Frust der Mannschaft entbrannt war. Der die unschöne Wahrheit über Iasabil Goldud hervorgebracht hatte. Die Gnomin ruhte in der Kapsel neben ihm, vielleicht schon schlafend. Von Dämonen träumend oder was auch immer sie in ihrem seltsamen, kleinen Kopf hatte.
Zu seiner Verdrossenheit mischte sich die chemische Substanz, die Alchemisten über die letzten Jahre perfektioniert hatten: über einen kleinen Schlauch, der mit einer Nadel an einer eingesetzten Buchse in seiner Armbeuge angeschlossen war, pumpte langsam eine bläuliche Flüssigkeit, die seine Körperfunktionen übermannten. Die dumpfen Geräusche des Schiffes wurden noch dumpfer, verzerrt und nicht mehr greifbar, die Gedanken unfokussiert. Je grotesker sich die Laute der Reise anhörten, umso unwichtiger wurden sie für den abgelenkten Geist, der sich kurz noch an den letzten Funken Vernunft und das schwindende Bewusstsein klammerte... und dann in einen Malstrom aus Nichts stürzte.
***
Keine Musik, keine störenden Schiffssysteme begleiteten das Aufwachen nach dem langen Schlaf zwischen der Hülle und dem Weltenband. Sie hatten noch nicht einmal den Mond erreicht und würden es auch in den nächsten Tagen noch nicht tun. Erst dann konnte Lord Magister Emian Caund seinen Zauber wagen.
Frische Luft wurde in den Raum geleitet, in dem eine Kapsel nach der anderen automatisch aufschwang und warmes Licht die schweren Augen der Schlafenden animierte.
"Das isses nicht wert..." Pat Nunyuns hustete. Die Stimme der Ärztin klang rau.
"Es wäre es wert gewesen. Wenn wir was geschafft hätten," kam das Brummeln vpm Miat O'Lys aus einer anderen Kapsel heraus. Dann das Geräusch von nackten Füßen auf dem Plastikboden.
Seric O'Coor öffnete langsam die Augen, badete in der Wärme, die die Schiffssysteme in den Raum pumpten, um die starren Muskeln wiederzubeleben. Der Schlauch in der Armbeuge hatte sich schon von selbst abgenabelt. Ein einsamer Tropfen der Wachwerde-Droge hing noch an der kleinen Nadel und zitterte, als der Kapitän der
Gimbahtin die Seiten der Kapsel feste packte und sich ins Freie zog.
Seine Beine drohten kurz nachzugeben, dann setzten die Stimulantia ein. Er richtete sich auf und füllte seine Lunge mit Sauerstoff. Ein Pulsieren in seinen Ohren wurde lauter und lauter, dann ebbte es langsam ab. Nackt, wie er in die Kälteschlafkapsel gestiegen war, sah er sich um.
O'Lys war gerade dabei, in seine Unterwäsche zu schlüpfen, der zwergische Bart um einen Fingerbreit länger, die rote Farbe am Ansatz bereits dem natürlichen braun weichend. Neben ihm stand Narin Parm und stützte sich an der Wand ab, während sie mit der anderen Hand ihre Stirn rieb. Der Kälteschlaf hatte ihr schon immer zu schaffen gemacht. Sie würde sich wieder erholen.
Pat Nunyun saß auf einem kleinen Hocker und schlüpfte schon in ihre schweren Lederstiefel, die beinahe immer und überall trug, während Daeriel Moonglance und Lord Magister Emian Craund leise besprachen, wer den Kah-Phee zubereiten sollte. Das Los fiel an Craund, der ein Händchen für die kleinen Bohnen hatte. O'Coor schmatzte laut und zog dann seine Nase lautstark hoch, räusperte sich, sich beinahe verschluckend.
Er drehte sich um und sah dort Miad, stumm und mit fahler Haut das Fell seines Schaumäffchens kraulend. Luma schnurrte leise und gleichmäßig, die dicken Finger des Chikchiks hörbar genießend.
Kurz runzelte O'Coor die Stirn und blickte dann zur offenen Kapsel von Iasabil Goldud. Die Gnomin hatte sich noch nicht bewegt und einen Schritt kam der Orkblut näher, dann erkannte er schon die eingefallenen Augen und Wangenknochen, die zurückgezogenen Lippen und aschgraue Hautfarbe. Einige Sekunden blickte er auf die Leiche der Gnomin, die seltsam zur Seite gesunken an ihrem Platz stand, dann sah er mit einem Ruck zu Miad, dessen Schlafplatz neben dem von Goldud gelegen hatte.
Miad bemerkte den Blick. "Was?"
Dann blickte auch der Chikchik zur Kälteschlafkapsel der Gnomin und wirkte einen Augenblick erschrocken. Er sprach nicht, öffnete nur kurz seinen Mund und schloss ihn dann wieder, während er Luma feste an sich drückte. Das Schaumäffchen quiekte und fing an, sich frei zu strampeln.
Miads Blick wanderte von Iasabils Leiche zurück zu O'Coor und das Gesicht des amphibischen Technikers verzog sich zu einer müden, angewiderten Maske. Er schien zu wissen, was auf ihn zukam.
O'Coor legte drohend den Kopf schief und deutete mit einem Finger auf den Froschmenschen. Schon wollte er ihn der Tat beschuldigen, als hinter ihm ein heller Schrei erklang. Als er sich umdrehte, erkannte er Moonglance, die beide Hände an den Mund gepresst hatte. Ihr Gesicht hatte jegliche Farbe verloren.
Seufzend ließ O'Coor seinen Kinn auf die Brust sinken und er schloss tief einatmend die Augen.
Dann sah er zu den anderen, die durch den Schrei des Kommunikationsoffizierin alarmiert worden waren und nun zum Teil ebenfalls mit Entsetzen die Leiche anstarrten. "Wir haben ein Problem."
***
"Wir haben ein Problem."
Sie saßen am ovalen Tisch des Besprechungsraumes, nur Nunyun und Miat O'Lys eine Tasse kalt gewordenen Kah-Phee vor sich stehend. Miad streichelte mit grimmigen Gesichtsausdruck sein Schaumäffchen, während Parm mit gezogener Pistole neben ihm saß und den Chikchik stets aus dem Augenwinkel heraus beobachtete. Der Techniker kannte die Systeme der Kältekapseln wie kein anderer auf diesem Schiff. Nur Iasabil Goldud selber hatte mehr Wissen über die komplizierte Technik, die in den Geräten steckte. Und er hatte den kürzesten Weg aus seiner Kapsel zur Kapsel der nun toten Gnomin gehabt. Dazu die vielen Toten seiner Heimat, die durch die Kultisten ums Leben kamen, mit denen Goldud nun eventuell sympathisiert hatte.
Natürlich war der Verdacht auf ihn gefallen...
"Anscheinend habe nur ich ein Problem," grollte Miad kaum hörbar und drückte Luma an seine glatten Lippen. Das Schaumäffchen krallte sich sofort an die Seite des großen Chikchikkopfes und blieb dort hängen.
Kapitän O'Coor sah den Techniker durchdringend an. Dann drehte er sich zu Parm. "Nimm ihn und frier ihn wieder ein. Sollen sich die Zuhause den Kopf darüber zerbrechen."
Das Räuspern von Lord Magister Emian Craund ließ ihn zum Zauberer blicken.
"Kapitän," begann Craund: "den anderen die Aufklärung unserer Fragen zu überlassen hat uns bis jetzt lediglich eins eingebracht: das Ableben von Iasabil." Er sah von einem zum anderen. "Zudem bezweifle ich, dass unser Kollege Miad der einzige ist, der einen Hass auf die Untergangssekten hat oder die Systeme manipulieren kann..."
Innerhalb eines Augenblickes wurde das grimmige Zwergengesicht von Miat O'Lys hochrot. "Was wollt Ihr damit sagen?"
Craund sah O'Lys nur stumm an.
Moonglance schüttelte ungläubig den Kopf. "Wollen wir das wirklich tun?"
"Was?" Parm. Die Orkin wirkte verwirrt.
"Das hier!" Moonglance deutete von Craund zu O'Coor. "All das!"
"Was wollen wir stattdessen tun?" Craund, ruhig und gelassen. "Jemanden anderen einfrieren? Zu den Göttern laufen und mit dem Finger auf jemanden zeigen, in der Hoffnung, sie nehmen uns unsere Bürden ab?"
O'Coor öffnete kurz seinen Mund, schloss ihn dann aber wieder. Er warf Craund nur einen warnenden Blick zu.
"Wie wäre es," mischte sich Pat Nunyun ein: "wenn wir gar niemanden mehr einfrieren. Glaubt Ihr wirklich, es ist gesund, ständig da rein und raus zu springen und sich mit diesen Chemikalien vollzupumpen?"
Kurz sahen sie alle schweigend an. Dann deutete der zwergische Pilot auf die Ärztin. "Die kennt sich aber auch mit den Systemen aus."
"
Was?!" Hervor gestoßenes Entsetzen. Nunyun war von ihrem Stuhl aufgesprungen und beugte sich zu O'Lys, beide Arme zitternd auf der Tischplatte abgestützt.
"Du weißt genau, was ich meine." Der Zwerg verschränkte seine Arme vor der Brust.
"Du kleiner..."
"Genug!" Noch bevor Parm in ihrer Rolle als Sicherheitsoffizierin reagieren konnte, beendete O'Coor den Ausbruch.
"Aber Kapitän..." Nunyuns Unterlippe bebte.
"Nein. Keine Diskussionen." Er blickte zu O'Lys. "Und keine weiteren Anschuldigungen!"
"Ha." Ein trockenes, humorloses Lachen von Miad, der aufgesetzt entspannt auf seinem Stuhl saß, einen fleckigen Arm über die Rückenlehne geschwungen.
Ein kurzer, eiskalter Blick von O'Coor. Dann: "Kommen wir erst einmal alle ein bisschen zur Ruhe, bevor wir weiter schauen, was wir machen. Parm?"
Die Orkin nickte ihrem Kapitän zu.
"Sperr ihn in seine Kabine."
Die Orkin nickte erneut und erhob sich. Miad legte sein müdes Gesicht in die feuchten Hände.
***
"Es war ein programmierter Ausfall der Systeme." Pat Nunyuns Stimme war leise und sie sah hinüber zu Miat O'Lys, der auch im Gang stand und sie und O'Coor skeptisch beobachtete.
"Das bleibt erst einmal unter uns beiden, verstanden?"
"Ja, Sir."
"Und Nunyun?"
"Ja?"
Ein kurzes Zögern des Halborks. "Nichts. Ist okay."
Nunyun sah ihren Vorgesetzten prüfend an. Dann ging sie den Korridor hinunter und drückte sich am Zwerg vorbei.
***
Die Schläge gegen die Kabinentüre hallten durch die Gänge der
Gimbahtin.
"Lasst mich raus!" Immer und immer wieder. "Ihr Mörder!"
Die Schläge pulsierten durch die Zwischenböden, durch die dicken Rohre und Lüftungsschächte. Kapitän O'Coor saß an seinem Schreibtisch, sein breites Nasenbein massierend.
"Du hättest es nicht töten sollen." Keine wirkliche Anschuldigung. Eher ein Seufzen, das über diese Worte einen Kanal suchte.
Narin Parm stand vor ihm, ihr Blick eine Mischung aus Schuld und Wut. "Es versuchte mir die Augen auszukratzen, Sir."
O'Coor sah die Orkin lange an. Sie hatte die tiefen Kratzer nicht verbunden, die das Schaumäffchen ihr über Stirn und Schläfe gezogen hatte. "Miad wird uns das nie verzeihen."
"Damit kann ich leben, Sir." Parm war angespannter als sonst. Eiskalt. O'Coor machte sich Sorgen.
"Riegel die Lebenserhaltungssysteme und die Zugänge zum Hauptreaktor ab und behalte die Zugangsdaten. Kopiere sie mir, schau aber zu, dass kein anderer sie bekommt. Primär O'Lys. Und Nunyun."
Die Liste an Verdächtigen wuchs. An verdächtigem Verhalten. Und erkannte er ein misstrauisches Funkeln im Blick von Parm? Er setzte sich aufrechter in seiner Stuhl. "Das wäre alles."
"Sir."
***
Daeriel Moonglance wühlte sich durch die Daten, die ihr auf dem Bildschirm angezeigt wurden. Die Halbelfin hatte sich im Wartungsraum eingeschlossen und ein langer Schraubenzieher lag neben der Tastatur. Sollte es zu einem Angriff kommen, würde sie sich mit ihm verteidigen können. Kurz hielt sie inne, als sie die schweren Schritte von O'Lys auf dem Gang hörte. Warum war der Pilot an diesem Ende des Schiffes unterwegs? Kurz griff Moonglance nach der improvisierten Waffe, dann legte sie ihre Finger wieder auf die Tasten und durchforstete die Datenbänke der
Gimbahtin weiter.
***
"Ich lasse mir von Euch doch nicht sagen, wie ich verrecken darf!" Ein weiterer Schuss löste sich und schlug in die Korridorwand ein. Kurz gab es eine kleine Fontäne aus extrem gekühlter Druckluft, dann verschlossen die Notfallsysteme des Schiffes das Leck.
Hinter einer Ecke waren O'Coor, Parm und Lord Magister Craund in Deckung gegangen.
"Woher hat er eine Waffe?" Der Kapitän sah die Sicherheitsoffizierin herausfordernd an.
Das schwere Schnaufen von Miat O'Lys war zu hören, das hektische Nachladen der Waffe.
"Vermutlich aus einem Sicherheitsfach der Zwischensektion. Ich habe keine Ahnung, wie er den Alarm umgehen konnte." Parm blickte um die Ecke und erhaschte einen kurzen Blick auf den Piloten, der erneut seine Waffe auf den Gang richtete. Schnell zog sie ihren Kopf zurück.
"Es ist eine Waffe aus einem Sicherheitsfach," bestätigte die Orkin und nickte.
O'Coor sah sie einige Augenblicke an. "Schalte ihn aus."
"Sir?"
"Jetzt."
"Wir brauchen ihn, um zu landen..." Parm fing an zu schwitzen.
"Tun wir das?" O'Coor blickte zu Craund, der bis jetzt mit geschlossenen Augen an der Wand gelehnt hatte.
Der Lord Magister öffnete langsam seine Augen. "Es sollte schwer werden, die
Gimbahtin mit einem Zauber in ihren Hafen zu führen. Vielleicht ein kontrollierter, mit Magie unterstützter Absturz vor der Küste...?" Craund räusperte sich. "Aber soweit muss es nicht kommen, Kapitän."
"Sagt bloß, Ihr könnt jetzt schon wieder zaubern." Hoffnung schwang in der Stimme mit.
"Nicht wirklich. Das wäre immer noch ein zu großes Risiko," gab Emian Craund lächelnd zu. "Aber unser Herr Zwerg hat sich in Gang 13 verbarrikadiert. Schnittstelle 6A."
O'Coor runzelte seine Stirn, dann öffnete er überrascht seinen Mund, als die Worte Craunds plötzlich Sinn ergaben. Narin Parm war offensichtlich im gleichen Moment ein Licht aufgegangen.
Sie deutete den Gang hinab, aus dem sie sich dem wütenden Piloten genähert hatten. "Ich nehme den nächsten Zugang."
Der Kapitän nickte.
***
Nunyun beugte sich über den stinkenden Körper des Zwerges. Immer noch zuckte er hin und wieder unkontrolliert, Augenlieder und Lippen waren geschwollen und die Haut wirkte wie ein einziger großer Bluterguss.
"War das nötig?" Die Ärztin bereitete eine Spritze vor und sah nur kurz zu Parm, die genervt neben ihr stand.
"Er hat auf uns geschossen!"
"Kein Grund ihn zu rösten..."
"Er lebt, oder nicht?" O'Coor betrat den hellen Praxisraum.
"Das tut er."
"Na dann." Er sah zu Parm. "Hast du die Waffe sicher gestellt?"
Wieder ein kurzes Zögern. "Ja..."
"Gut. Behalte sie bei Dir, Narin."
Keiner sagte etwas und alle sahen den halborkischen Kapitän nur an.
Dann drehte er sich zu Lord Magister Craund. "Können die Spulen an 6A repariert werden?"
"Eher ausgetauscht, aber ja."
"Gut." Er atmete tief ein. "Und habt Ihr schon Moonglance gefunden?"
Parm schüttelte ihren Kopf. "Wir wurden von O'Lys' kleinem 'Zwerge und Goblins' Spiel unterbrochen..."
Mit einem schelmischen Lächeln sah Craund sie an. "Heißt das nicht eigentlich 'Zwerge und Orks'?"
Er erntete einen kalten, bösen Blick und sah erneut hinunter zum Piloten, der nun gleichmäßig atmend auf dem Bett lag. Die Spritze von Nunyun hatte ihre Wirkung erzielt. Wenn sie Glück hatten, konnte der Zwerg sie auf der großen Plattform des Raumzentrums sicher absetzen.
O'Coor berührte Craund fast schon kameradschaftlich an der Schulter. "Und jetzt suchen wir Moonglance."
***
Am Rand der Türe gab es einen letzten, kurzen Funkenregen, dann öffnete sie sich mit einem lauten Zischen. Daeriel Moonglance packte mit einem angsterfüllten Wimmern den Schraubenzieher und fuhr herum. Sie blickte in die Mündung von Parms Pistole.
"Lass es fallen, Moonglance."
Ihre Finger öffneten sich und das Werkzeug fiel mit lautem Klappern auf das Bodengitter. Hinter Parm schoben sich O'Coor und Craund in den kleinen Raum.
"Was machst Du hier?" Die Stimme des Kapitäns klang wie das Knurren eines Raubtieres.
"Sir," begann die Kommunikationsoffizierin und schluckte trocken. Sie leckte sich mit der Zunge über die Lippen. "Ich habe etwas..."
Sie hatte sich schon halb zum Bildschirm herumgedreht, als Parm sie anbrüllte. "Hände nach oben und weg von der Tastatur! Sofort!" Spucke flog vorbei an den großen Hauern und aus dem Mund der Orkin.
"Bitte, ich..."
"Jetzt!"
Moonglance ließ geschlagen ihren Kopf hängen und fing an zu schluchzen. Ihre Arme hielt sie weiter in die Höhe, doch saß sie nun wie ein Häufchen Elend auf dem drehbaren Hocker vor der Konsole. Parm packte die Halbelfin an der Schulter und zog sie durch die kleine Türe in den Gang hinaus, während sich O'Coor über den Bildschirm beugte. Craund schaute ihm neugierig über die Schulter.
"Moonglance," drang die ruhige, fragende Stimme des Lord Magister über das panische Schluchzen der Kommunikationsoffizierin. "Moonglance? Ist das wahr?"
Parm drehte sich mit ihrer Gefangenen zurück zum Wartungsraum und sah den Zauberer fragend an, der immer noch neben dem lesenden Kapitän stand.
"Ist das hier alles wahr?"
Die Halbelfin atmete tief aus und blinzelte ihre Tränen von den rot geschwollenen Augen. "Ja..."
O'Coor wendete seinen Blick vom Bildschirm ab und setzte sich schwer auf den kleinen Hocker. Er legte seine Hände auf das verschwitzte Haupthaar.
Lord Magister Emian Craund sah Daeriel Moonglance eine lange Zeit an, bevor er sich entschieden hatte. Dann schloss er seine Augen und berührte Moonglance mit zwei Fingern an der Stirn. Langsam öffnete er seine Augen wieder. "Sie sagt die Wahrheit, Kapitän."
O'Coor sah Parm müde an. "Lass sie gehen, Narin." Er wirkte älter. Ausgezehrter. "Lass sie gehen."
Parm ließ die schluchzende Moonglance zu Boden sinken und schüttelte verwirrt den Kopf. "Was steht da alles?" Sie deutete auf den Monitor.
Ein kurzes Lächeln huschte über das Gesicht des halborkischen Kapitäns. Dann entfuhr auch ihm ein zitternder Laut, als ihn die Anstrengung der letzten Stunden einholte. "Sie hat ihre Kapsel vor dem Kälteschlaf umprogrammiert. Iasabil hat ihre eigenen Systeme sabotiert."
Craund ging in die Hocke und legte seine Hände tröstend auf die Schultern von Moonglance, während er zu Parm nach oben sah, die immer noch mit dem Sinn hinter den Worten rang. "Es war Selbstmord..."
***
Die
Gimbahtin flog durch die verzehrende Leere, das Weltenband schon soweit sichtbar, dass sich einzelne Kontinente darauf abzeichneten. Die schwache Sonne beleuchtete den Rumpf des Schiffes, das nach langer Reise von seiner Mission wiedergekehrte. Es hatte keine neue Hoffnung gefunden. Keinen Weg aus der sterbenden Welt.
Das Feuer der Treibwerke wirkte wie Abermillionen Sterne, die kurz aufflammten... und dann verglühten.