Aber nimm doch z.B. die Verstaatlichung aller Produktionsmittel. Du darfst nichts besitzen, mit dem man selbstbestimmt Geld verdienen kann.
Inwiefern sind die Verbrechen des Realsozialismus eine Konsequenz der Verstaatlichung der Produktionsmittel? Um diese Verstaatlichung zu erreichen muss man niemanden bespitzeln, foltern oder töten. Man muss auch bedenken, dass vor der Verstaatlichung die Erhebung der Arbeiter zur herrschenden Klasse steht. Da diese die Mehrheit der Gesellschaft bilden (oder "bildeten"), wären ihre Entscheidungen dann demokratisch legitimiert. Wer stattdessen ein System errichtet, in dem die Entscheidungen von einem Einzelnen oder einer kleinen Gruppe getroffen werden
(von denen außerdem keiner ein Arbeiter ist), der folgt nicht konsequent den Ideen von Marx, egal wie viele Marx-Denkmäler er aufstellt.
Im letzten Jahrhundert lebten zeitweise ein Drittel der Weltbevölkerung in sozialistischen Systemen. Und keines davon, aber absolut keines, war nur annähernd demokratisch. Alles waren/sind ausnahmslos Diktaturen. Wenn dies also nicht systemisch wäre, hätte es irgendwo zumindest ein kleines Ländchen geben müssen, in dem glückliche Menschen selbstbestimmt in einer sozialistischen Gesellschaft leben. Gab es aber nicht, nicht mal ansatzweise. Also mir reicht das als Indiz für meine Ausgangsthese.
Mir persönlich reichen Indizien nicht. Wenn jemand so harte Urteile fällt, wie, dass der Kommunismus mit der Demokratie unvereinbar sei und die Verbrechen Stalins und anderer eine logische Konsequenz desselben wären, dann hätte ich dafür schon gern Beweise. Ohne dir jetzt zu nahe treten zu wollen aber ich denke, wenn man diese Beweise nicht liefern kann, hat man auch keine Grundlage für sein Urteil.
Deine Aussage war ja diese:
Deshalb ist für mich der von Marx ersonnene Kommunismus/Sozialismus mit einer demokratischen Gesellschaft null vereinbar. Eine sozialistische Gesellschaft MUSS in die Diktatur führen, [...]
Wenn du nun mit "von Marx ersonnener Kommunismus/Sozialismus" tatsächlich nur den Realsozialismus gemeint hast, mit Diktator, Überwachung und Wegsperren oder Ermorden von Andersdenkenden, dann hast du natürlich recht: die Diktatur des Realsozialismus passt absolut nicht zur Demokratie.
Wenn du aber das meinst, was Marx selbst ersonnen hat, sieht die Sache anders aus. Wenn man behauptet, dass Marx' Kommunismus der Grund für das Scheitern des Realsozialismus ist, kann das nicht allein mit dem Scheitern selbst begründet werden. Die Annahme "Wenn im Realsozialismus sowohl die
(angebliche) Berufung auf Marx als auch die Diktatur zu finden sind, muss ersteres der Grund für letzteres sein.", ist ein logischer Fehlschluss, eine Scheinkausalität. Das heißt nicht, dass die am Ende stehende Aussage zwangsläufig falsch ist aber sie lässt sich auf diese Weise nicht beweisen. Wenn du z.B. zehn x-beliebigen Menschen einen
(denselben) Bogen gibst, sie auf Zielscheiben schießen lässt und keiner die Mitte trifft, dann macht die bloße Abwesenheit von Treffern noch keine Aussage darüber,
warum nicht getroffen wurde. Wenn dann einer sagen würde: "Alle hatten diesen Bogen und die Mitte wurde nie getroffen, also muss etwas mit dem Bogen nicht stimmen.", würde das Ausreichen um dem Bogenbauer die Schuld am Versagen der Schützen zu geben?
(Nur zur Sicherheit: Ich will hier nicht das Versinken einer Gesellschaft in die Diktatur gleichsetzen mit einem belanglosen Ereignis wie dem Verfehlen einer Zielscheibe. Es ist nur ein Beispiel um den logischen Fehlschluss zu verdeutlichen.)
Du möchtest wahrscheinlich, dass ich jetzt das "Kommunistische Manifest" aus dem Regal hole und dir eine Textstelle nenne, wohlwissend, dass ich das nicht kann.
Ehrlich gesagt weiß ich das nicht. Ich kenn das
Kommunistische Manifest nicht auswendig und weiß daher auch nicht mit Sicherheit ob da vielleicht irgendwas steht, was deine Aussagen beweist. Wie oben schon gesagt, denke ich ja, dass man solche harten Aussagen wie deine nur auf Grundlage von Beweisen machen sollte. Daher gehe ich auch immer erstmal davon aus, dass jemand, der sowas sagt, auch Beweise hat. Ich frage dich also nicht nach Beweisen weil ich annehme, du hättest keine, sondern genau im Gegenteil: Ich frage in der Erwartung, dass du welche hast und ich anhand derselben besser beurteilen kann, was ich von deiner Aussage halten soll. Wenn es wirklich bewiesen sein sollte, dass Marx' Werk zwangsweise zu den Verbrechen des Realsozialismus führen musste, dann will ich das ja wissen, denn in dem Fall würde ich ihn nicht nochmal gegen einen solchen Vorwurf verteidigen wollen.