Torryn
[Bastion – Sith Orden – Trainingsraum – Torryn, Tier, Iouna, Ian]
Iouna hatte Meister Ian angegriffen, unbeherrscht, ihrem Temperament entsprechend, wie auf Tatooine, als sie ihre Waffe einfach gezogen und zugeschlagen hatte. Ian war offensichtlich für Iouna genauso ein störendes Phantom der Vergangenheit, wie sie für ihn, das nun endlich vertrieben werden sollte. Vertrieben oder vernichtet. Iounas unüberlegte Aktion konnte alles bedeuten.
Zur Abwehr von ihrer Attacke wandte Ian genau die Technik an, deren Wirkung Torryn bereits selbst erlebt hatte, Malacia. Meister Ian verlangsamte damit Iounas Bewegungen, bis sie fast völlig zum Erliegen kamen und sprang dann mit einem akrobatischen Manöver aus ihrer Reichweite, bevor er sich wieder zu ihr drehte. Das Dunkel wuchs im Trainingsraum weiter an Intensität. Nicht nur im Meister, nicht nur in ihr, auch in Torryn. Meister Ian sprach mit ihr, kalt, versucht emotionslos. Die Düsternis in seinen Worten füllte den Raum mit dem dunklen Schleier, wie Torryn ihn vor Monaten im Innenhof wahrgenommen hatte.
„Glaubt ihr, ihr könntet euch alles erlauben?“
Eine rhetorische Frage seines Meisters als Abschluss der Worte, die er an Iouna gerichtet hatte und die jetzt auch Torryn betraf. Er nahm diese Frage auf, antwortete nicht, weil jede Antwort unpassend gewesen wäre. Es gab hier nichts zu rechtfertigen, gar nichts, denn was geschehen war, war geschehen. Es gab nur innere Dunkelheit, wachsend, sich ausdehnend, und die schließlich über ihn hinweg brandete, als ein Miasma aus düsteren, verheerenden Emotionen, das sich aufgebaut, und bedrohlich gesammelt hatte.
Meister Ian war wieder da, präsent, mächtiger, dunkler, anders. Warum hatte Torryn ihn nicht bemerkt? Wollte er ihn nicht spüren, nicht wahrnehmen? Was hatte sein Meister gesehen oder geglaubt zu sehen, dass nun diese Mimik in dessen Gesicht erzeugte? Vorwurfsvoll, enttäuscht. Nicht wegen ihr, sondern wegen ihm. Er war der Meister, Torryn der Schüler. Hatte der Schüler in den Augen des Meisters versagt, weil er eigenständig agierte, so wie er es gelernt, wie es sein Meister von ihm gefordert hatte, damals, als Torryn vom unwürdigen Jünger zum Adepten aufgestiegen war?
Die ganze Szenerie erweckte bei Torryn den Eindruck, als ob es sich hier um den letzten Akt eines Dramas handelte, wo meist einer der Protagonisten starb oder ihm schreckliches Leid widerfuhr. Was Iouna und Ian verband, hatte sich Torryn bisher entzogen, nur Spuren hatte er deuten können. Aber sein Meister machte Iouna für etwas verantwortlich, etwas, das mit seiner Vergangenheit, und mit seiner ausgelöschten Familie zu tun hatte. So viel hatte Torryn verstanden. Sein Meister, der ihn quer durch die Galaxis geschickt hatte, der ihm einen Auftrag erteilte, der fast unlösbar gewesen war, der ihn die Drecksarbeit hatte machen lassen, weil er selber zu viele Spuren auf Telos hinterlassen hatte. Der ihn im Endeffekt alleine gelassen hatte, sich selbst überlassen, wie Torryn es schon so oft erfahren hatte, erfahren musste. Tier war die Konstante, die ihn seit seiner Kindheit begleitete, als es Torryn fand, ihn immer öfter besuchte, die Einsamkeit durchbrach, mit Worten der Macht, Worte, die auch Ian benutzte, denn Tier war die Macht und damit Teil von Torryn, wie auch Iouna, die ebenfalls zu einer Konstante seines Lebens geworden war.
Wo war denn sein Meister gewesen, wenn er wirklich Rat gebraucht hätte? Irgendwo. Aber Torryn hatte keinen Rat gebraucht, sondern hatte die Mission zu einem Abschluss gebracht, zusammen mit ihr, sich dem gestellt, was sein Meister von ihm verlangt und erwartet hatte. Und jetzt forderte sein Meister aggressiv Respekt und Demut ein, für was? Dafür, dass er lebte, als mächtiger Sith, der alles einfordern konnte, obwohl es Iouna und Torryn gewesen waren, die ihn aus der Wüstenhölle von Ryloth’ Tagseite gerettet hatten, vergiftet, mehr Tod, als am Leben?
Natürlich hatte Torryn Respekt zu zollen, denn dies war eine unveränderbare Regel des Ordens. Natürlich würde er seinem Meister die Demut zeigen, die erwartet wurde. Natürlich würde er das tun, wenn sich nicht die Situation in diesem Moment komplett verändert hätte und damit Grundfesten einer alten Ordnung erschüttert wurden. Das unsichtbare Band zwischen Meister und Schüler war in diesem unsäglichen Moment am Zerreißen, verlor an Substanz. Unaufhaltsam kam die Klippe näher und damit der nahende Absturz, denn Vertrauen begann sich in Misstrauen zu wandeln und wenn sich diese quälenden Zweifel an Integrität und Loyalität nicht auflösten, würde es zu einer Katastrophe kommen.
Ians nächste Handlung kam nicht überraschend, aber sie war das Schrecknis, das Ergebnis der Angst, die Konsequenz dessen, was seit Telos geschehen war, der Moment, den Torryn immer wieder vor Augen gehabt hatte. Die Bestrafung Iounas. Bestrafung für ihren Angriff. Bestrafung für die Vergangenheit. Bestrafung für ihre Existenz. Bestrafung für ihn, der eine innige Verbindung zu ihr hatte, der Vertrauen zu ihr aufgebaut hatte, mehr als zu ihm, dem Meister, zu dem Torryn trotzdem loyal geblieben war, getan hatte, was von ihm verlangt worden war, denn er hatte seinen Meister nicht wegen ihr verraten oder betrogen, sondern hatte ihm gedient.
Iouna war Torryns Gefährtin geworden, war das ein Fehler, sein Fehler, ihr Fehler? Ihre Existenz allein, als Grund für eine Strafe? Als Grund für Taten begangen als Kind? Der Angriff auf Ian war die offene Provokation, der Affekt gewesen, der nun zu dieser Konfrontation geführt und nur der Anlass für etwas war, dessen Ursache viel tiefer lag, viel länger geschwelt hatte.
Mit geschlossenen Augen verharrte Torryn auf der Stelle, im Augenblick, verbunden mit ihr, sie fühlend und auch mit ihm, dem Richter und Scharfrichter, der seiner Aufgabe nachkam. Torryn schirmte sich nicht ab, nein, er wollte fühlen, wollte alles spüren, alles. Ihre Strafe, war auch seine Strafe. Wenn sie an etwas die Schuld trug, trug er sie mit. Was Meister Ian auch tat, Torryn hatte dies zu akzeptieren, egal wie und nicht nur er. Tier hatte sich in Torryns Wahrnehmung neben ihn gestellt, sein schemenhaftes, sich immer wandelndes Fell war umgeben mit einem dunklen Glanz, der jegliches Licht schluckte, düstere Emotionen, zerstörerisch, mächtig. Es beobachtete kalt, lauernd und Torryn war überrascht, dass er und Tier sich in diesem Moment Gefühle teilten, die nicht nur Teil der dunklen Seite waren. Tief waren sie verbunden, aber das hier war neu.
Erweiterte Sinne. Ein knackendes Geräusch. Empfundener Schmerz, der tief in Torryns Bewusstsein drang, sich eingrub, immer tiefer bohrend, um ein Loch zu dem versiegelten Abgrund zu schaffen, der Erinnerung, der Vergangenheit hieß. Fetzen seiner Erinnerung und mit ihnen vergangene Gefühle wurden wieder gegenwärtig. Blutige Fetzen. Strafe. Strafe für seine Existenz. Für Torryn, das Kind. Bestrafung. Schmerz.
Auf seinem Rücken platzte etwas Narbengewebe auf, nur eine kleine Stelle, als Iounas Daumen brach.
Pein.
Eine kleinere Narbe auf seinem Rücken riss entlang ihres Verlaufes, denn ihr Ringfinger brach als nächstes.
Leiden.
Wie umkippende Dominosteine platzten nacheinander mehrere, vernarbte Stellen auf, weil der Reihe nach zwei Finger an ihrer Hand brachen.
Qual.
Der Meister setzte sein Werk der Bestrafung fort. Torryn wankte und Übelkeit stieg in ihm auf, als er spürte, wie nun Iounas Handgelenk brach und sich Blut durch die junge Haut drückte, die größere Flächen seines Rückens bedeckte.
Zorn.
Die Haut schälte sich förmlich ab, legte rohes, blutiges Fleisch frei, als nicht nur ihr Ellenbogen und schließlich ihr Schultergelenk brachen. Der Scharfrichter hatte sein Werk vollendet.
Wut.
***
Ich hatte mich von ihm gelöst, stand neben ihm, nahe, wie immer. Ich, sein Schatten, den er geschaffen hatte und den auch sie wahrnehmen konnte, weil sie ein Teil von uns geworden war. Sie sah mich und ich spürte, wie die Verbindung von ihr zu ihm und damit zu mir, stärker war, intensiver war, als ich es bisher erlebt hatte. Es war die Auswirkung der Bestrafung des Meisters, die er für sie gewählt hatte. Schmerzen waren der Aspekt, den ich auch für meine Hülle ausgewählt hatte, um sie zu stärken, denn die Art der Strafe war ihm nicht unbekannt. So konnte ich vergessen geglaubtes wieder hervorholen und es nutzen. Ich beherrschte ihn und labte mich an dem, was geschah. So viel dunkle Energie hatte ich noch nie gefühlt, gespürt, absorbiert. Wir gaben uns dem hin, dem Dunkel, das wir waren. Ich nahm ihren Schmerz auf, leitete ihn weiter. Ich durchströmte ihn, der unsere Hülle war. Unsere Hülle, die gar nicht wusste, wie stark sie war, wie stark sie wurde, durch das, was geschah. Ihr Leiden, sein Leiden. Der Weg zur dunklen Seite war durch Schmerzen geprägt, wurde von ihnen geformt, gefordert. So wie ich als Bildhauer meine Hülle bearbeitete und Dinge in ihr einmeißelte, die sie nie wieder vergessen würde, die ihn erinnern würde an Momente, Momente des Dunkels, die es zu nutzen galt. Für die Macht. Ich war allgegenwärtig in ihm, ließ die unheilvolle Energie in ihm wirken, die sich weiter entwickelte und die von ihr an uns geleitet wurde, unkontrolliert, wild. Deshalb hatte ich sie ausgewählt, erwählt für mich, damit ich weiter existierte. Sie fütterte mich mit noch mehr mit dem, was mich nährte und stärkte und nicht nur mich, auch ihn. Aber ich fühlte nun eine nie gekannte Emotion, bei dem, was gerade mit ihr geschah und ich, die Essenz des Dunkels, war erschüttert, weil der Meister sie quälte. Meine und seine Wut wuchsen. Starke Gefühle, Gefühle der dunklen Seite. Und da war sie. Sie, die durch ihr Leiden erstarkte. Und er, meine Hülle, mein menschliches Antlitz, das durch ihr Leiden erstarkte. Und ich, der von beiden profitierte. Kurz zu ihm blickend, der ihren Schmerz weiter in sich aufsog, wie Atemluft, trottete ich an dem Meister vorbei zu ihr, wissend, dass ich nicht in seiner Wahrnehmung existierte und gelöst von ihm, damit ich ihr meine Kraft, die seine Kraft war, überbringen konnte, denn sie war nicht nur seine Gefährtin, sie war mehr, sie war unser.
***
Torryns Shirt war durchnässt vom Blut, das sich auf seinem Rücken gebildet hatte. Ihr Schmerz, sein Schmerz. Beides wuchs unaufhaltsam und ließ das Dunkel fließen, wie das Blut, das wie Luft aus einem Überdruckventil entwich, um sich einen Weg nach draußen, zu bahnen, um ihn zu befreien, in ihm neue Kräfte zu entfachen. Ian hatte die verletzte und wehrlose junge Frau am Hals gepackt. Blaue Blitze waren über seine Hand gezuckt und hatten den Geruch von verbranntem Fleisch hinterlassen. Torryn fühlte die Anstrengung seines Meisters, um die Macht so zu formen, sie sich so nutzbar zu machen. Sein Meister wartete auf eine Antwort Iounas, die Erlösung.
Trotz des mächtigen Gefühls der Wut, das er in sicht trug, trotz des Schattens, der sich seiner bemächtigt hatte, blieb Torryn ruhig, beobachtend, beherrscht und griff nicht ein. Stattdessen spürte er die dunkle Seite der Macht, wie sie in ihm pulsierte, wartend auf Entfesselung. Tier. Torryns Gesicht wurde heiß, als er sich immer mehr mit unheilvollen Gedanken auseinandersetzte, die ihn zu überrollen drohten. Seine Augen brannten. Aber er unterdrückte diesen Einfluss, versuchte ihn zu verdrängen und nichts hervorbrechen zu lassen. Torryn deaktivierte seine Lichtpeitsche und steckte sie zusammen mit dem Katar wieder an seinen Gürtel. Es war der klägliche Versuch, die grausamen Gedanken abzulenken, die ihn malträtierten und sich in seine Seele fraßen. Kontrolle behalten. Einfach nur Kontrolle.
Torryn war abgelenkt gewesen, mit sich selbst beschäftigt, so dass er Iounas Antwort auf den unnachgiebigen Befehl seines Meisters nicht gehört hatte. Er hatte plötzlich eine Form von Schwerelosigkeit gespürt, als ob Iouna das Bewusstsein verloren hätte, die Erlösung und sah, dass sie wirklich zu Boden gesunken war, ihr geschundener Arm grotesk verdreht. Meister Ian hatte also von ihr abgelassen. Aber Erleichterung wollte sich bei Torryn nicht einstellen, denn es gab kein Licht, nur Dunkelheit.
Fast schleichend, weiter um Selbstbeherrschung ringend, ging Torryn zu ihm, seinem Meister, stellte sich schweigend neben ihn und versuchte weiter das Übel zu unterdrücken, das ihn zu verzehren drohte, die unbändige Wut, die begann, sich in eine andere, finstere Emotion zu transformieren. Er schaute nach unten. Sie lag dort auf dem kalten Belag des Trainingsraumes, zusammengekauert, keuchend. Getrocknete Tränen. Iouna war am Leben und nur das zählte.
Dann sagte Torryn, ohne seinen Blick von ihr zu lösen, mit einer tiefen, unnatürlich verzerrten Stimme:
„Sie sollte auf die Krankenstation, Meister.“
[Bastion – Sith Orden – Trainingsraum – Torryn, Tier, Iouna, Ian]