Coruscant

– Coruscant – Raumhafengegend - Wohnblock –

Sie war zurück und Coruscant wirkte trister denn je. Die tiefhängenden Wolken verdunkelten den Tag und leichter Nieselregen fiel auf die planetenbedeckende Stadt herab. Noa blieb stehen und wischte sich über das feuchte Gesicht. Selby hatte zuerst eine öffentliche Landebucht des Raumhafens angesteuert, ehe er die Empress weiter zu ihrem eigentlichen Standort manövrieren würde. Das konnte er jedoch erst, wenn Noa von Bord war. Die Regeln des Geheimdienstes waren da sehr strikt. Noa kümmerte das wenig. Sie interessierte sich bloß dafür, endlich wieder in ihrer Wohnung zu sein, die Tür hinter sich zu schließen und am besten alles zu vergessen, das auf Mon Calamari geschehen war. Wenn das nur so einfach wäre...

Der Korridor des riesigen Wohnhauses, in dem sich Noas winziges Appartment befand, war so schmutzig wie immer. Dazu kam ein beinahe bestialischer Gestank. Ob sie wissen wollte, wo der her kam? Besser nicht. Noa ignorierte alles und jeden, der ihr begegnete, bis sie bei ihrer Wohnungstür angelangt war. Hier grüßte sich niemand gegenseitig. Den Koffer zu ihren Füßen abgestellt und den Kleidersack mit Cloés üppigem Kleid halb unter ihren Arm geklemmt suchte Noa nach ihrer Keycard, fand diese erst nach einer halben Ewigkeit und konnte dann endlich, endlich in die relative Ruhe ihrer Wohnung eintreten. Relativ war die Ruhe deshalb, weil über ihr die Decke wackelte und sie Musik von oben hörte. Sie war nicht sehr laut, es konnte also keine Party sein – dafür war es auch noch viel zu früh – aber auch hier war Ignoranz die gesündeste Methode: wollte sie wissen, was die da oben trieben? Besser nicht. Noas Nachbarn waren alle auf die eine oder andere Weise seltsam. Als sie ihre Wohnung betrat, fand Noas Schuh einen leicht rutschigen Untergrund. Die Widerstandskämpferin sah nach unten und bemerkte ein Stück Flimsiplast, auf das sie getreten hatte. Das wirkte fast als hätte es jemand durch die Tür geschoben. Sie hob es auf. Jemand hatte es unter der Tür durch geschoben und dieser jemand war Will, Will Echo, der junge imperiale Soldat, der Noa in den Unteren Ebenen zur Hilfe gekommen war und den sie seitdem nicht mehr los wurde. Er wollte wissen, ob es ihr gut ging. Noa seufzte. Tat es das? Nein, um ehrlich zu sein nicht. Sie schloss die Wohnungstür hinter sich, legte den Kleidersack über die Lehne des Sofas und wanderte ohne einen bestimmten Grund in ihr Schlafzimmer. Der Rückflug von Mon Calamari war lang gewesen. Normalerweise genoss sie das Fliegen, doch dieses Mal hatte sie nichts aufheitern können, nicht einmal Selbys Angebot, die Landung vom Cockpit aus zu verfolgen. Noa hatte einfach keinen Spaß daran gehabt und genau so fühlte sie sich auch jetzt noch. Sie wollte einfach nur in ihr Bett und die Decke über ihren Kopf ziehen.


– Coruscant – Raumhafengegend - Wohnblock – Noas Wohnung -
 
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[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Corporation – Penthouse | mit Giselle ]

Ihre Tour blieb kurz: Exodus führte Giselle in seinen Teil des Penthouses, zeigte ihr sein eigenes Schlafzimmer, den Wohnraum, das Bad und abschließend ihr Gästezimmer. Seine Angestellten hatten ihr Gepäck jeweils auf die richtigen Zimmer verteilt und so gab es auch in dieser Hinsicht nichts mehr zu tun. Auch Giselle betonte, nachdem sie erneut die Hoffnung aussprach, ihm wirklich keinen Ärger zu bereiten und anbot in den Gästebereich der Corporation umziehen zu können, dass sie ihn nicht weiter aufhalten wolle.

„Okay, dann mache ich mich wohl mal wieder auf … – aber in den Gästebereich wirst du nicht umziehen. Der ist nur für Geschäftskunden gedacht.“

Plötzlich fühlte er sich rat- und planlos. Gedanklich war er noch überhaupt nicht auf das kleine Meeting vorbereitet. Es war ein paradoxes Gefühl: Giselles zaghafter Kuss auf seine Wange war ein Versprechen gewesen, ihr jäh unterbrochenes Liebesspiel später fortzuführen.

„Ich möchte, dass du hier oben bei mir bleibst.“

Doch er hatte das Versprechen nicht sofort angenommen – einerseits, weil er die Anspannung zwischen ihm und seinem Vater nicht überstrapazieren und sich zumindest einmal professionell verhalten wollte, wenn Giselle im Spiel war, und andererseits hatte ihm der Streit mit Alad tatsächlich den Wind aus den Segeln genommen. Das passierte ihm sonst nur selten, bei Giselle sogar noch nie. Ihre Anziehungskraft war ungebrochen, er spürte sie auch jetzt wieder und vermutlich zögerte er daher, seinen ursprünglich gefassten Plan, dem Meeting nicht allzu lange fern zu bleiben, zügig in die Tat umzusetzen. Doch Streit mit seinem Vater … das wirkte wie eine mentale Blockade. Eine der geheimen Fähigkeiten von Alad Wingston. Exodus machte einen zögerlichen Schritt in Richtung Tür, als ihm wieder sein Hemd einfiel.

„Achja! Der Knopf.“

Ungeniert begann er die restlichen Knöpfe seines Hemdes zu lösen. Wieso auch nicht? Giselle kannte diesen Anblick, vom Strand und von ihrer gemeinsamen Nacht. Wenn er schon durch das Gespräch mit seinem Vater so merkwürdig gehemmt war, wollte er ihr doch zumindest ebenfalls ein kleines Zeichen geben, dass er ihr Versprechen einlösen würde. Später. Wenn er seinen – und er dachte das nicht häufig – verdammten Vater aus dem Kopf bekommen hatte.

„Viel Spaß bei deinem Spaziergang.“

wünschte er ihr und streifte das Hemd ab, sodass er endgültig mit nacktem Oberkörper vor ihr stand.

„Aber geh mir bloß nicht verloren! Ich werde auch nicht so lange brauchen. Wenn du irgendwelche Fragen hast, kannst du unsere Sekretärinnen kontaktieren. Oder mich.“

Für einen Moment überlegte er, knüllte dabei das Hemd mit beiden Händen zusammen und grinste sie dann an.

„Kontaktier‘ ruhig mich.“

Schließlich langte er doch zum Türöffner, sah noch einmal zur Vahla zurück und verließ anschließend das Gästezimmer. Ein bisschen Ruhe würde ihr sicher gut tun – eigentlich wäre es ihm sogar lieber, sie wartete hier, statt dass sie die Stadt selbst erkundete. Das war etwas gewesen, das er hatte übernehmen wollen. Und sein Vater machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Schon zum zweiten Mal in so kurzer Zeit.

[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Corporation – Penthouse ]
 
– Coruscant – Raumhafengegend - Wohnblock – Noas Wohnung -

Noch am gleichen Abend kamen Pablo und, weil Noa sich weigerte ihre Wohnung zu verlassen und zu ihr zu kommen, Cloé. Die Umarmung zwischen den Zwillingsschwestern war innig, doch es war Pablo, den Noa nicht mehr los lassen wollte. Sie brauchte einen Mann, verdammt, und wenn es nur ihr Bruder war. Über ihren Kopf hinweg warfen sich Pablo und Cloé einen fragenden Blick zu.

„Noa, was ist los?“

Wollte Cloé wissen. Sie hatte ihre Handtasche auf dem kleinen Couchtisch abgestellt. Sie kam nur ungerne auf Besuch in Noas Wohnung. Das Appartment war klein, die Möbel alt und siffig und die Gegend alles andere als sicher. Kein Wunder, dass sis sich von Pablo hatte eskortieren lassen. Den Kopf an die Schulter ihres großen Bruders geschmiegt, machte Noa ein undefinierbares Geräusch.

„Ist es Cris?“

Cloés Stimme mangelte es an Mitgefühl. Sie hatte es von Anfang an für keine gute Idee gehalten, dass sich Noa auf den Geheimdienstagent einließ. Zwar hatte sie nichts gegen ihn persönlich einzuwenden gehabt, außer dass sie ihn für ein bisschen seltsam und schweigsam hielt, doch was sie sich für ihre Schwester wünschte war ein ganz normaler Mann, einen mit einem ungefährlichen Beruf und einem sicheren Einkommen. Einer, auf den man sich verlassen konnte. Endlich hob Noa den Kopf und ihr Blick traf Pablos. Er las es in ihren Augen.

„Sie haben sich getrennt.“

Antwortete er an ihrer Stelle. Cloé sah mit großen Augen von ihm zu Noa.

„Wirklich?“

Noa nickte.

“Ja. Es ist vorbei.“

Brachte sie leise heraus. Sie schluckte. Selby hatte sie während dem Flug nicht gefragt, was zwischen ihr und Cris passiert war. Er hatte sich seinen Teil sicher denken können. Jetzt hatte sie es gerade zum ersten Mal laut ausgesprochen und das machte es nur realer. Sie drehte sich um, ging zum Sofa und ließ sich darauf plumpsen. Hinter ihr rutschte der Kleidersack mit Cloés Kleid von der Lehne.

„Das ging schnell.“

Kommentierte Cloé sachlich.

„Schneller als ich erwartet hatte.“

Sie hatte das Sofa umrundet, stand jetzt hinter Noa und hob ihr kostbares Kleid vom Boden auf.

“Na los, sag's schon.“

Forderte Noa sie auf. Cloé stutzte.

„Sag was?“

“Dass du von Anfang an gewusst hast, dass es nicht hält.“

Noas Stimme klang genervt.

„Ich glaube nicht, dass das wichtig ist.“

Schaltete sich Pablo ein, bevor die beiden Frauen beginnen konnten, sich anzuzicken. Er setzte sich neben Noa.

„Magst du drüber reden?“

Sie war nicht sicher. Wollte sie? Es würde helfen, sich besser zu fühlen, sich alles von der Seele zu reden und mit ihren Geschwistern zu teilen. Geteiltes Leid war halbes Leid, oder nicht? Also begann Noa zu sprechen. Sie erzählte von dem Ball und dem eigentlich gelungenen Abend (auch wenn er seine Tiefen gehabt hatte) und wie Cris ihr seine Liebe gestanden hatte. Kommentarlos hörten sowohl Pablo als auch Cloé zu, als wüssten sie instinktiv, dass sie Noa ausreden lassen mussten, ohne ihr zwischendurch ihre Meinung aufzudrücken. Noa berichtete, ohne zu sehr ins Detail zu gehen, wie ihr letzter gemeinsamer Tag mit Cris gut und stimmungsvoll begonnen hatte, wie sie los gezogen waren um in der Stadt zu frühstücken und wie dann plötzlich alles auseinander gefallen war. Sie hatte sich von Cris gedrängt und unverstanden gefühlt. Er hatte ihr aufzwingen wollen das gleiche für ihn zu empfinden wie er für sie und es war nicht so, dass Noa es nicht wollte. Sie konnte es nur einfach nicht so schnell. Als sie mit ihrer Erzählung fertig war, saßen sie schließlich zu dritt auf Noas Sofa und tranken heißen Kaf aus Bechern, die zwar frisch aus dem Schrank kamen, die Cloé aber trotzdem zuerst noch sauber gewaschen hatte, bis sie zumindest halbwegs ihren Ansprüchen genügten.

„Darf ich jetzt was sagen?“

Fragte sie, um sicher zu gehen, dass die Geschichte zu Ende war. Noa nickte.

„Der Typ ist ein Idiot und ja, das habe ich gleich gewusst! Wie kann er dich nur so unter Druck setzen? Hat er noch nie davon gehört, dass Gefühle sich langsam entwickeln müssen? Blumen brauchen auch Zeit zum Wachsen und Blühen!“

Noa sah sie an und hätte sie sich nicht so niedergeschlagen gefühlt, hätte sie über den Grünpflanzenvergleich bestimmt gelacht. Er war nicht ganz verkehrt, aber doch leicht themenfremd.

“Ja, er ist ein Idiot.“

Stimmte Noa ihr zu, dankbar dass Cloé es ausgesprochen hatte. Es war wie immer angenehmer, sauer zu sein statt traurig und vor allem half es, Verbündete zu haben, die sie unterstützten, wenn sie auf jemanden schimpfte.

“Ein Idiot, den ich vermisse.“

Cloé sah sie streng an.

„Was du nicht solltest. Er hat dich sitzen lassen, nicht umgekehrt.“

“Ja.“

Noa ließ die Schultern hängen. Es stimmte. Sie hatte sich nicht von Cris trennen wollen, sie hatte nicht einmal daran gedacht, es zu beenden. Er war es gewesen, der entschieden hatte, dass es keinen Sinn machte, es noch länger zu versuchen, auch wenn er so getan hatte als läge die Entscheidung bei ihr.

“Er hat nur an sich gedacht.“

Beharrte sie stur. Pablo stellte seinen Kaf-Becher auf dem Tisch ab.

„Hat er das wirklich?“

Streute er plötzlich Zweifel.

„Klingt das nicht eher alles so, als wäre er dir deiner einfach sehr unsicher gewesen?“

“Unsicher worüber? Dass ich ihn mag?“

Noas Stimme wurde direkt wieder lauter.

„Das hätte er wissen müssen!“, pflichtete ihr Cloé bei, „Warum sonst hätte sie mit ihm durch die halbe Galaxis nach Dac fliegen sollen?“

Doch Pablo zuckte, ganz und gar nicht überzeugt, mit den Schultern.

„Es klingt für mich nicht, als hätte er Noa absichtlich verletzt.“

Ergriff er Partei für den Mann, der nicht anwesend war und sich nicht selbst verteidigen konnte und Noa musste zugeben, dass das ein guter Punkt war. Natürlich hatte Cris ihr nicht absichtlich weh getan aber das hatte sie auch nie angenommen. Sie sah Pablo an und versuchte zu erfassen, was er sagen wollte. Er glaubte an eine zweite Chance für sie und Cris, oder viel mehr an eine dritte. Aber wie sollte das funktionieren, wenn sie so unterschiedlich waren und so unterschiedliche Vorstellungen hatten? Wie sollte es funktionieren, wenn sie so weit entfernt voneinander waren und das Vertrauen ineinander angekratzt war? Es war schlicht unmöglich und außerdem war es bereits definitiv vorbei. Noa und Cris waren in dem Wissen auseinander gegangen, dass sie sich nie mehr wieder sehen würden. Es gab kein Zurück.




Oder doch?


– Coruscant – Raumhafengegend - Wohnblock – Noas Wohnung – Mit Cloé und Pablo -
 
- Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Penthouse – Gästezimmer -

Exodus'
Aftershave hing noch in der Luft, als er schon gegangen war. Giselle trat zur Tür, spähte hinaus in den Korridor und horchte. Er schien wirklich weg zu sein, auch nicht mehr in seinem Schlafzimmer, in dem er noch kurz gewesen war, um sich ein neues Hemd anzuziehen. Für einen Moment blieb sie stehen und lehnte sich in den Türrahmen. Hier zu sein, auf Coruscant und in Exodus' Penthouse, fühlte sich noch ein wenig an wie ein Traum, nicht weil es so traumhaft schön war, sondern weil sie noch am Morgen des gleichen Tages auf Fresia gewesen war, dem endlos blauen Himmel Adieu gewunken und ihre Füße ein letztes Mal in den weißen Sandstrand gesteckt hatte. Es war schwer zu begreifen, dass sie sich nach nur wenigen Stunden Flug bereits an einem so gegensätzlichen Ort befand. Der Unterschied zwischen diesen beiden Welten war so krass, dass sich nichts von alldem hier echt anfühlte und ein Teil von ihr hoffte, dass alles nur ein Traum war und sie wieder zurück auf Fresia sein würde, sobald sie aufwachte. Giselle sah zurück in das Zimmer, das Gästezimmer in dem Exodus' sie entgegen dem Wunsch seines Vaters einquartiert hatte. Er hatte zu ihr gestanden, seine Loyalität zu ihr über die zu seinem Vater gestellt. Giselle wanderte durch den Raum zu einem ihrer Koffer, öffnete diesen und begann, sich für ihre Tour durch die Stadt umzuziehen. Sie war bisher nur einmal kurz draußen gewesen, direkt nach ihrer Ankunft von dem Weg aus dem Schiff bis zum Wingston Tower. Dieser kleine Fußweg hatte genügt um zu wissen, dass sie hier nicht barfuß und in einem luftigen Kleid würde herum laufen können – nicht, dass sie das erwartet hätte. Coruscant war eben nicht Fresia.

In geschlossenen Schuhen mit einem leichten Absatz, einer einfachen schwarzen Hose und oben herum warm angezogen mit einer Bluse und einem schwarz-weiß gemusterten Cape darüber, verließ sie schließlich ihr Zimmer und trat hinaus auf den Flur. Als sie die Tür hinter sich schloss, fiel Giselles Blick auf die Tür, die fast genau gegenüber lag: Exodus' Tür. Sein Schlafzimmer. Sie zögerte nur einen kurzen Moment. Sie wollte nicht spionieren oder in seinen Sachen herum wühlen. Alles was sie wollte, war einen etwas längeren Blick in seinen Raum zu werfen als den, den er ihr vorhin gewährt hatte. Außerdem wollte sie das Foto aus der Nähe betrachten, das – wie sie vermutete – Yuna zeigen würde. Giselle betrat den Raum. Um sie herum war es ruhig. Das Doppelbett in der Mitte des Zimmers war ordentlich gemacht. Hier hatte Exodus mit Yuna geschlafen, früher, bevor er nach Fresia gekommen war. Jetzt war es schon seit Wochen unbenutzt. Ob es morgen auch so aussehen würde, nachdem er aufgestanden war? Würde er es wieder so ordentlich herrichten? War er der Typ dafür? Schritt für Schrit durchquerte Giselle den Raum. Die Möbel waren alle dunkel, das war ihr auch schon in dem großen Wohnzimmer aufgefallen, und in der Ecke stand ein zum Verweilen einladender Ledersessel. Als könne sie Exodus' Präsenz durch die ihm vertrauten Möbel seines Schlafzimmers aufsaugen, strich Giselle mit einer Hand über die Oberfläche eines Regals. An der Wand hing ein Holo-Projektor, in der Ecke standen die Lautsprecher einer Musik-Anlage. Überall wo man hinsah, gab es viel High-Tec zu bestaunen, Dinge, die Giselle erst in den späten Jahren ihres bisherigen Lebens zu nutzen gelernt hatte. Dort, wo sie aufgewachsen war, hatte es solche Spielereien nicht gegeben. Dann kam sie zu der Kommode mit dem Foto, doch erst jetzt sah sie, dass dort tatsächlich mehrere Holo-Bilder standen. Als Exodus sie zuvor kurz durch die Wohnung geführt hatte, hatte er hier nur kurz in der Tür gehalten und Giselles Blickwinkel war sehr beschränkt gewesen. Sie nahm den Rahmen mit dem sich bewegenden Bild, das Yuna zeigte. Es musste Yuna sein. Sie war eine schöne Frau, mit dunklen Haaren und dunklen Augen und einem warmen, schüchternden Lächeln, das sie der Kamera schenke, ehe sie fast geniert wieder weg sah. Sich vorzustellen, wie sie hier mit Exodus gelebt hatte, versetzte Giselle einen kleinen Stich. Yuna hatte, selbst wenn es jetzt zu Ende war, genau das gehabt, das Giselle sich wünschte. Wie glücklich waren sie zusammen gewesen, in ihrer Ehe? Exodus hatte ihr erzählt, dass es immer ein Auf und Ab gewesen und dass er oft nicht für seine Familie da gewesen war. Inzwischen kannte Giselle auch die Gründe dafür: er war ein Sith gewesen, unterwegs im Dienste des Imperiums. Sie stellte das Bild wieder weg, betrachtete die verschiedenen Aufnahmen der beiden Kinder und erhielt zum ersten Mal einen Blick darauf, wie Adrian und Alisah aussahen und wer sie waren: Adrian und Alisah beim Eis-Essen, als sie noch sehr klein gewesen waren und Adrian und Alisah in hübschen Kleidern im Studio des Fotographen. Mit den Augen einer Außenstehenden, die manchmal mehr sahen als die eigenen Familienmitglieder, erkannte Giselle, dass Alisah ihrer Mutter sehr ähnlich war, während Adrian nach seinem Vater kam. Überraschen tat sie das nicht. Womit sie stattdessen nicht gerechnet hatte war, dass die beiden im exakt gleichen Alter zu sein schienen.

Nur wenig später stand Giselle an der frischen Luft. Ein kräftiger Wind wehte und über ihr dröhnte der Verkehr Coruscants. Sie hatte sich den Riemen ihrer Tasche quer über die Brust gelegt und band nun mit einem Gummiband ihre Haare zusammen. Das war also die Stadt, von der jeder sprach, die Stadt die einen ganzen Planeten bedeckte, sich über mehrere Ebenen erstreckte und alles an Natur vertrieben hatte, das hier einst existiert haben mochte. Sie begann zu laufen, getrieben von Neugierde und Entdeckungsdrang. Sie war schon vorher in großen Städten gewesen, auf Alderan, Mon Calamari oder Bothawui, doch nichts davon war vergleichbar mit dem, was sie heute sah. Luftgleiter zischten in atemberaubenden Geschwindigkeiten über sie hinweg, an jeder Ecke blinkten elektronische Veraufsschilder und an so manch hohem Gebäude waren ganze Werbetafeln angebracht, die immer wieder die selben Läden, Clubs oder Produkte anpriesen. Es war laut, die Luft war schwer von Abgasen und was niemals abriss war der Strom der Passanten. Sie sah sie alle: Twi'leks und Rodianer, Aqualishaner und Defel, Arconier und Dugs, Besalisken und Togruta und zwischendrin immer wieder viele, viele Menschen. Vor allem Menschen.


- Coruscant – Obere Ebenen – Stadt -
 
- Coruscant – Untere Ebenen – HQ der Defender – Schießstand –

BAM! Der Schuss traf das Ziel, die Nachbildung eines menschlichen Körpers, in die rechte Schulter. Vor Noas Augen verschwanden die Ziele und für eine Weile sah sie lediglich eine leere Wand, bis die zweidimensionalen Gegner wie aus dem Nichts wieder auftauchten. BAM! Der nächste Schuss ging um gut zwanzig Zentimeter daneben. Eine Bewegung zu ihrer linken Seite verriet der Widerstandskämpferin, dass sie nicht alleine war. Baes Hawot, der Draethos, der neben Pablo Jared Grants engster Vertrauter war, hatte zu ihr aufgeschlossen, seinen Blaster lässig geschultert. Noa begrüßte ihn mit einem kurzen Nicken und für eine Weile sah er ihr stumm zu, wie sie ihr Trainingsprogramm absolvierte. Den Blick grimmig nach vorne gerichtet ärgerte sich Noa über ihre Ergebnisse, die nicht ansatzweise so gut waren, wie sie hätten sein müssen.

„Deine Unzufriedenheit blockiert deine Konzentration.“

Bemerkte Baes Hawot schließlich. Die Linien um Noas Mund wurden mürrischer.

“Ich bin heute nicht in Form.“

Kommentierte sie knapp.

„Du bist nicht bei der Sache.“

Es war eine Feststellung, keine Frage. Sie ließ ihren Blaster sinken. Ihre Haare waren stramm zurück gebunden und fielen ihr in einem langen Zopf über den Rücken. Eigentlich hätte Noa sich besser fühlen sollen, seit sie wieder auf Coruscant gelandet war. Sie war zurück in ihrer Heimat, zurück bei ihrer Familie und ihren Freunden und hatte wieder genügend Aufgaben, die sie beschäftigten. Der Widerstand gegen das Imperium und ihre Arbeit sorgten dafür, dass ihr nicht langweilig wurde. Und trotzdem fühlte sie sich unzufrieden. Es war wegen ihm, wegen Cris Sheldon.

“Möglich.“

Gab sie zu, eher schicksalsergeben als schnippisch. Sie wandte sich dem Draethos ganz zu. Für Noa war Baes Hawot so etwas wie ein Mentor. Hätte er sie nicht gefördert, wäre aus ihr nie eine so gute Schützin geworden. Jared Grant belächelte Noa zwar noch heute, doch sie wusste, dass sie besser war als so mancher Mann in den Reihen der Defender.

„Schließe die Augen und erinnere dich daran, warum du hier bist.“

Riet er ihr. Noa tat wie geheißen.

„Tief durchatmen. Nichts, was geschehen ist, kannst du ändern. Schaue voraus. Konzentrier dich auf die Dinge, die vor dir liegen. Ein Problem nach dem anderen.“

Die volle, tiefe Bassstimme des Nichtmenschen füllte Noas Bewusstsein. Er hatte Recht. Sie konnte nicht rückgängig machen, was zwischen ihr und Cris vorgefallen war. Natürlich wünschte sie sich, es wäre anders gelaufen, doch manche Dinge hätte sie auch nicht ändern wollen. Sie war nicht in der Lage gewesen über tiefere Gefühle zu sprechen und sie wäre es auch bei einem zweiten Versuch nicht. Dafür war es einfach zu früh gewesen.

„Denke rational.“

Der Draethos sprach weiter.

„Wenn du ein Ziel siehst, schätze den Abstand. Berechne deine Chance. Ziele. Schieße.“

Ein weiteres Mal atmete Noa tief durch. Sie kannte die Grundlagen, hatte sie oft genug gehört. Denken, zielen, schießen. Und das alles in weniger als einer Sekunde. Ein Gegner nach dem anderen, ein Problem nach dem anderen. Sie öffnete die Augen.

„Der Blaster ist deine Waffe. Aber was dir im Gefecht das Leben rettet,“ , Baes Hawot sah sie an und einer seiner langen Finger tippte an ihre Stirn, „sind dein Verstand und…?“

“Mein Instinkt.“

„Korrekt. Bereit für eine weitere Runde?“

Sie nickte. So schwer es auch war, Noa musste versuchen, alles was auf Mon Calamari passiert war, hinter sich zu lassen. Sie konnte die Vergangenheit nicht ändern. Sicherlich war es schwierig und sie konnte auch nicht von jetzt auf gleich aufhören, an Cris zu denken, aber irgendwann würde es weniger werden und mit ganz viel Glück würde sie auch wieder jemand Neues finden (der sie dann selbstverständlich wieder enttäuschen würde) oder als hässliche, alte Jungfer enden. Was war wohl besser? Die Ziele poppten mit rasender Geschwindigkeit vor Noas Augen auf. Rechts, links, oben – BAM! BAM! BAM! Drei Schüsse, drei perfekte Treffer. Noas Punktzahl bewegte sich wieder in einem Bereich, den sie von sich selbst erwartete.

„Gut gemacht.“

Anerkennend nickte Baes Hawot ihr zu, klopfte ihr auf die Schulter und wandte sich zum Gehen.

„Und übrigens… alles Gute zum Geburtstag, Noa.“

- Coruscant – Untere Ebenen – HQ der Defender – Schießstand – Mit Baes Hawot -
 
– Coruscant – Obere Ebenen – Cloés und Jespers Wohnung – Mit Cloé -

Draußen regnete es. Coruscant versank vor ihren Augen im Wasser. Dicke Regentropfen klopften laut und agressiv gegen die Fensterscheibe. Noa stand dahinter, eingepackt in einen weißen, flauschigen Bademantel ihrer Schwester, während ihre nackten Füße in ebenso kuscheligen Pantoffeln steckten. Sie war auf dem Weg zu Cloé gewesen, als das Unwetter über die Stadt herein gebrochen war und der Regen Noa auf ihrem Speederbike innerhalb von Sekunden bis auf die Haut durchnässt hatte. Ihre Haare waren noch feucht und ihre Klamotten, samt Unterwäsche, befanden sich jetzt im Wäschetrockner. Cloé kam mit zwei Tassen zurück ins Wohnzimmer.

„Hier, trink. Das wärmt von innen.“

Sagte sie. Noa warf einen Blick in die Tasse. Tee? Sie hob eine Augenbraue. Dass das nicht unbedingt ihr Lieblingsgetränk war, war kein Geheimnis.

„Trink!“

Beorderte Cloé. Augenrollend nippte Noa vorsichtig an dem Getränk. Sie hatte ein Talent dafür, sich an heißen Dingen die Zunge zu verbrennen. Ihre Augen weiteten sich überrascht.

“Clo, es ist noch nicht mal früher Abend!“

Rief sie aus, als sie den starken Schuss Alkohol schmeckte, den ihre Schwester ihr in den Tee gekippt hatte.

„Na und, wir sind heute Prinzessinnen, oder nicht?“

Rechtfertigte Cloé ihren nachmittäglichen Akoholexzess und grinste. Richtig, es war ihr Geburtstag und damit hatten sie mehr oder weniger einen Freibrief für alle Dinge, die sie tun wollten und die man normalerweise nicht tat – oder durfte. Geburtstagskindern wurde beinahe alles verziehen, sofern man sich nicht außerhalb der Gesetze bewegte, natürlich.

“Stimmt auch wieder.“

Noa setzte sich auf die breite Fensterbank. Sie hatten früher allen möglichen Schabernack an ihren Geburtstagen getrieben, angefangen bei Streichen, denen in der Regel ihre Brüder zum Opfer gefallen waren, bis hin zu heimlichen nächtlichen Ausflügen, für die sie noch viel zu jung gewesen waren. Einmal hatten sie sich piekfein heraus geputzt, waren teuer essen gegangen und waren dann aus dem Restaurant geflüchtet, ohne die Rechnung bezahlt zu haben. Noa runzelte die Stirn. Nein, das stimmte nicht, das war Lioba gewesen. Cloé hatte damals gekniffen und Noa war mit ihren Freunden, inklusive ihrem damaligen Freund Kayle, alleine los gezogen. Es war das erste Mal gewesen, dass sie ihren gemeinsamen Geburtstag getrennt gefeiert hatten.

„Ah, Jesper ist da.“

Cloés Ankündigung ließ Noa aufsehen und einen Moment später hörte sie das Geräusch einer Tür, das Cloé bereits vor ihr aufgeschnappt hatte. Jesper kam geradewegs von der Arbeit. Er war chic gekleidet, wie immer, doch auch auf seiner Kleidung hatten einige Regentropfen den Stoff noch dunkler gefärbt als er ohnehin schon war, auch wenn es bei ihm eher aussah, als sei er lediglich in die Anfänge eines kurzen Sommerschauers geraten und nicht, wie Noa, in das Unwetter des Jahres.

“Ladies, einen wunderschönen guten Abend.“

Jesper war offenbar sehr gut gelaunt. Er legte einen Arm um Cloé, küsste sie und drückte ihr ein handliches, längliches Paket in die Hand.

„Ohh, für mich?“

Tat Cloé unschuldig, so als hätte sie an ihrem Geburtstag kein Geschenk erwartet. Aufgeregt begann sie das bunte Papier zu zerreißen.

„Und siehst du, Noa, es ist doch schon Abend!“

Bezog sie sich auf Jespers Begrüßung, die indirekt ihre vorherige Aussage bezüglich der Uhrzeit bestätigt hatte.

“Ein komisches Zeitgefühl habt ihr.“

Meinte Noa, die noch immer auf der Fensterbank saß. Jesper kam zu ihr herüber, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und legte einen Arm um ihre Schulter.

„Alles Gute zum Geburtstag, Lieblingsschwägerin.“

Aus seiner Jackentasche produzierte er ein zweites Paket hervor.

“Ach, Jesper, das sollst du doch nicht!“

Schalt ihn Noa. Er sah sie schief an.

„Das sagt ihr Frauen immer, aber jeder Mann weißt, dass ihr es nicht so meint.“

Bewies er ihr, dass er durchaus das ein- oder andere über Frauen wusste. Nicht, dass Noa sich für die typische Frau hielt. Wenn sie sagte, dass sie kein Geschenk wollte, dann meinte sie es tatsächlich so. In den meisten Fällen.

„Ohhh, Noa, schau! Ist das nicht perfekt?“

Cloé hatte ihr Päckchen ausgepackt und ein silbrig glänzendes Armband mit violett schimmernden Steinen zum Vorschein geholt.

„Ich habe es vor zwei Wochen bei Avero im Katalog gesehen. Schatz, du bist goldwert!“

Sie stürmte zu Jesper, schlang ihm beide Arme um den Hals und brachte ihn dabei fast aus der Balance. Zugegeben, Jespers Geschenke waren üblicherweise ziemlich gut. Cloé bekam ohnehin immer das, was sie sich wünschte (und mehr) und selbst für Noa hatte er immer die passenden Ideen. Im letzten Jahr hatte er ihr ein Abonnement einer wissenschaftlichen Zeitung geschenkt, die Noa seitdem monatlich ganz automatisch auf ihr Datapad geladen bekam, und im Jahr davor hatte sie Konzertkarten für einen ihrer Lieblingsmusiker von ihm bekommen. Heute hatte er sich allerdings für etwas materielles entschieden und Noa war nun doch gespannt, was er für sie eingepackt hatte. Sie riss die Papierverpackung ohne Rücksicht auf Verluste auseinander, gelangte an eine braune Kartonverpackung und zog dort ein Paar schlichter, schwarzer Lederhandschuhe heraus. Sie waren hübsch, ohne viel modischen Schnick-Schnack (Cloé bevorzugte farbige Varianten mit Pelzbesatz) und praktisch. Noa trug genau solche Handschuhe immer, wenn sie auf ihrem Speederbike unterwegs war. Allerdings besaß sie bereits ein Paar.

“Dankeschön, Jesper, das ist lieb.“

Noa nutzte die Gelegenheit, als Cloé Jesper aus ihrem festen Griff entlassen hatte, um ihn ihrerseits zu umarmen.

“Auch wenn ich eigentlich schon Handschuhe habe.“

Fügte sie an. Ihr Schwager verzog das Gesicht.

„Ja, ich weiß und ich habe auch gesehen, wie die aussehen.“

Konterte er. Noa öffnete den Mund.

„Er hat Recht!“

Rief Cloé dazwischen, bevor Noa auch nur zum Protest ansetzen konnte.

„Deine Alten sind mindestens zehn Jahre alt. Mindestens! Eher fünfzehn.“

“Gar nicht!“

Gelang es Noa jetzt, einzuwerfen. Gut, ihre Handschuhe mochten nicht mehr die neuesten sein und an einigen Stellen waren die Nähte bereits aufgeplatzt, provisorisch zusammengeflickt und erneut aufgeplatzt, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie reif für die Mülltonne waren. Bisher hatten sie ihr noch gute Dienste geleistet und ihre Hände vor Wind und Wetter geschützt. Wo kämen sie denn hin, wenn jeder alles sofort weg wärfe? So etwas nannte man Wegwerfgesellschaft! Noa betrachtete ihr Geschenk. Das Leder war weich und glatt. Sie schlüpfte mit einer Hand hinein. Jesper grinste.

„Uuund?“

Wollte er wissen. Noa grinste zurück.

“Passen wie angegossen.“

Neben ihr klatschte Cloé begeistert in die Hände. Keine Frage, woher Jesper ihre Größe gewusst hatte.

– Coruscant – Obere Ebenen – Cloés und Jespers Wohnung – Mit Cloé und Jesper -
 
- Coruscant – Obere Ebenen – Cloés und Jespers Apartment – Mit Cloé, Jesper, Matteo, Leandro und Rámon -

Die anderen waren bald dazu gestoßen. Ein Geburtstag, pflegte Cloé zu sagen, war nur dann ein Geburtstag, wenn die ganze Familie zusammen kam, dabei war jedem der Anwesenden schmerzlich bewusst, dass sie längst nicht komplett waren und es auch nicht sein würden. Pablo war noch nicht da, doch er würde später nachkommen. Es waren Thalia und die Kinder, die fehlten und sie alle, besonders natürlich Rámon, vermissten sie. Als er ihr zum Geburstag gratuliert und sie umarmt hatte, hatte Noa ihren ältesten Bruder ein wenig länger festgehalten als nötig gewesen wäre. Sie glaubte nicht, dass er darüber reden wollte, was ihr ganz lieb war. Was hätte sie schon zu ihm sagen können, dass es besser machte? Es war schwer für ihn, jeder verstand das und manchmal waren selbst Worte überflüssig.

„Noaaa, hilfst du mir mal?“

Cloés Stimme schallte aus der Küche in den Wohnraum hinüber. Es roch bereits nach Abendessen.

“Was gibt’s?“

Noa erschien in der Tür zur Küche, öffnete den Müllschacht und warf zwei leere Bierflaschen hinein. Cloé deutete auf einen der vor sich hin köchelnden Töpfe.

„Rührst du bitte mal? Schön langsam und gleichmäßig, damit es nicht anbrennt.“

Kochen war Cloés Leidenschaft und Noas Albtraum, doch an ihrem eigenen Geburtstag kam sie kaum drum herum, ihrer Schwester zumindest ein klein wenig zu helfen. Sie schnappte sich einen Löffel und folgte Cloés Anweisungen, während vom Wohnraum lautes Lachen zu ihnen herüber drang. Die Cortinas ließen sich selbst in schwierigen Zeiten nicht unter kriegen. Das war so etwas wie ihr Motto.

„Rámon hält sich besser als ich gedacht hätte.“

Bemerkte Cloé mit gesenkter Stimme.

„Findest du nicht?“

“Geht so. Er hat ziemlich dunkle Ringe unter den Augen.“

Noa rührte pflichtbewusst in der geschäftig blubbernden Sauce. Ihr war aufgefallen, dass Rámon ziemlich müde wirkte, andererseits tat er das immer. Wenn sie genau darüber nachdachte, konnte sie sich nicht mal daran erinnern, wann sie ihn zum letzten Mal wirklich fit und ausgschlafen erlebt hatte. Cloés Gedanken schienen sich in eine ähnliche Richtung zu bewegen.

„Ich wünschte, ich könnte ihn überreden, sich im Krankenhaus Urlaub zu nehmen, aber ich glaube das will er gar nicht, obwohl es ihm gut täte.“

Sagte sie. Noa nickte.

“Das auf jeden Fall. Aber würdest du Zuhause sitzen wollen, wenn du genau wüsstest, dass du dort nichts zu tun hättest und jede Sekunde an Jesper und eure noch nicht vorhandenen Kinder denken müsstest?“

„Unsere nicht vorhandenen Kinder?“

Cloé grinste.

„Ich wüsste gar nicht, warum ich überhaupt an die denken sollte... wo sie doch sowieso nicht vorhanden sind.“

“Ach komm, du weißt, was ich meine!“

Lachte Noa. Sie hielt in den kreisenden Bewegungen ihrer Hand inne und wurde nachdenklich.

“Aber ich weiß, wie sich das anfühlt, an jemanden denken zu müssen, mit dem man nicht zusammen sein kann.“

Die Blicke beider Schwestern trafen sich. Ja, Noa sprach von Cris. Sie wollte ihren Liebeskummer nicht mit dem vergleichen, was Rámon durch machte, doch sie konnte nachempfinden, zumindest ein Stückchen, wie es war, nachts alleine in einem dunklen Zimmer zu liegen und sich zu fragen, wann – und ob – man sich wieder sehen würde.

„Noa! Rühren!“

Cloés Befehl ließ sie zusammen zucken. Die Sauce auf dem Herd hatte begonnen, sich in die Unterseite des Kochtopfes zu brennen. Schuldbewusst verzog Noa das Gesicht.

“'Tschuldigung.“

Sie war einfach nutzlos in der Küche. Kochen war etwas, das sie nie angestrebt hatte zu lernen. Es war langweilig. Das Schlimmste, das passieren konnte war, dass man sich beim Gemüseschneiden versehentlich den Finger abhackte oder vergaß den Herd auszuschalten. Noa schmunzelte. Zugegeben, das klang nicht sooo langweilig, aber es war definitiv nichts, mit dem man vor anderen prahlen konnte. Echte Kriegsverletzungen, die waren was wert, doch wer gab schon zu, sich in der Küche wie der letzte Trottel angestellt zu haben? Selbstverständlich traf das nicht auf Cloé zu. Sie war praktisch ein Profi. Warum sie nie in Erwägung gezogen hatte Köchin zu werden, war Noa sowieso ein Rätsel.

„Was ist so lustig?“

Fragte Cloé prompt, da ihr Noas amüsierter Gesichtsausdruck nicht entgangen war. Noa zuckte mit den Schultern.

“Ach, nichts.“

Sie musste Cloé nicht auf die Nase binden, das sie über deren vermeintlich abgehackte Finger nachgedacht hatte.

„Nichts?“

Cloé warf einen Topflappen nach ihr.

“Nichts.“

Grinsend warf Noa ihn zurück. Das karierte Stück Stoff flog zwischen den beiden Frauen hin und her.

„Hi Mädels.“

Leandro schob sich durch die Schwingtür in die Küche.

„Uhh, was geht ab? Schlammcatchen?“

Schlug er vor und fing geschickt den Topflappen ab, der gerade in Noas Richtung flog. Cloé verzog das Gesicht und rückte den Topf mit der Sauce vom Herd, ehe doch noch etwas anbrannte, jetzt wo Noa schon wieder abgelenkt war.

„Bestimmt nicht. Und was ist daran überhaupt so sexy?“

Wollte sie wissen. Die Frage interessierte Noa auch. Sie war nicht der Typ Frau, der Angst hatte sich schmutzig zu machen, aber in Dreck baden und das Zeug auch noch ins Gesicht bekommen war schlichtweg ekelhaft. Warum manche Typen darauf abfuhren war ihr schleierhaft, zumal kein Mann, der noch ganz beieinander war, anschließend mit einer in Schlamm getauchten Frau ins Bett gehen würde. Wer träumte von so was? Pfui, alleine die Vorstellung war abartig!

„Ach kommt, das hat einfach was.“

Leandro grinste wie ein Zuhälter, der sich eines seiner Pferdchen ins Schlafzimmer bestellt hatte. Was für ein Perversling. Noa rollte mit den Augen.

“Männer!“

Fasste sie ihr Urteil in einem einzigen Wort zusammen. Cloé nickte zustimmend.

„Oh ja, Männer!“

Sie warf einen zweiten Topflappen nach Leandro. Ihr Bruder hob lachend die Hände.

„Und ich wollte euch meine Hilfe in der Küche anbieten!“

Verteidigte er sich. Cloé lachte laut auf.

„Hilfe? Leandro Cortina, du wolltest aus meinen Töpfen naschen!“

Beschuldigte sie ihn, unterstützt von Noa, die übermütig ein Trockentuch von einem der Haken riss und es über Leandros Kopf warf, was ihn wiederum nicht daran hinderte, nach ihr zu greifen, sie mühelos gefechtsuntüchtig zu machen, indem er ihre Arme mit nur einer Hand hinter ihrem Rücken festhielt und sie zu kitzeln begann. Noa wandt sich in Cloés weißem Bademantel, den sie noch immer trug.

“Leandro, hör auf!“

Rief sie, zuerst noch sehr bestimmend und dann noch einmal flehend, geschüttelt von Gelächter.

“Hör auf, sonst...“

„Sonst was? Sonst kratzt du mich, wie ein Mädchen?“

Leandro grinste breit, wohl wissend, dass er Noa mit dieser Äußerung provozierte. Ein Mädchen genannt zu werden konnte sie auf die Palme bringen. Doch Noa antwortete nicht. Sie hatte, noch vor Leandro und Cloé, Jesper in die Küche eintreten sehen, Jesper, in dessen Augen ein Ausdruck höchster Alarmierung lag.

„Was ist los?“

Leandro fing sich als erster wieder. Aus seiner Stimme war jede Spur guter Laune verschwunden. Ehe er antwortete, begegnete Jespers Blick flüchtig dem seiner Freundin.

„Pablo ist da.“

Antwortete er ernst.

„Er bringt Nachrichten.“

Es waren weniger seine Worte, als vielmehr seine gesamte Haltung, die Noa erschaudern ließ. Ohne dass er mehr gesagt hatte, war ihr unumstößlich klar, dass etwas Schlimmes geschehen war. Unweigerlich musste sie an jenen Nachmittag denken, als sie erfahren hatte, dass das Imperium 2000 Unschuldige auf den Dächern des Jedi-Tempels exekutiert hatte. War es diesmal etwas ähnliches? Wie viel schlimmer als das, konnte es noch werden? Sie folgten Jesper ins Wohnzimmer und Noas Blick suchte automatisch nach Pablo. Er wirkte besiegt.

„Schaltet die Holo-Nachrichten ein.“

War alles, das er sagte und irgendjemand von ihnen tat wie geheißen. Vor ihnen erschien das Bild des menschlichen Nachrichtensprechers der imperialen Holonet-News. Diese Sendung kannte Noa zu Genüge. Es war eine Sendung voller falscher Wahrheiten und grenzenloser imperialer Propaganda. Noa wusste genau, dass man nicht ein einziges Wort von dem glauben durfte, worüber diese Nachrichten berichteten. Umso mehr überraschte es sie, dass Pablo darauf bestand, dass sie sich die Sendung ansahen. Ihr Blick schwenkte zwischen dem Nachrichtensprecher und ihrem Bruder hin und her, unschlüssig was sie daraus machen sollte, bis zu ihr durch drang, wozu Pablo offensichtlich die Worte gefehlt hatten. Sie hörte es aus dem Munde des Mannes, der bereits mehr Lügen an die Bevölkerung weiter gegeben hatte, als Noa zählen konnte: das Imperium und die Republik hatten einen Waffenstillstand geschlossen. Wie war das möglich? Mit einem leisen „Klick“ schaltete Jesper das Holo-TV-Gerät wieder aus. Betroffenes Schweigen hatte sich über den Raum gelegt.

„Sie haben was?!“

Leandro, der sich noch bevor er zurück in den Wohnraum gekommen war, ein neues Bier geholt hatte, ließ seine Flasche auf den Tisch knallen. Matteo Cortina zuckte schreckt zusammen.

“Das ist unmöglich.“

Noa schüttelte den Kopf.

“Ich habe den Kanzler über den Krieg sprechen hören. Er hat erst vor ein paar Tagen gesagt, dass wir uns nicht mit dem aktuellen Stand – mit der Eroberung Corellias – zufrieden geben dürfen. Der Krieg ist nicht vorbei.“

Beteuerte sie.

„Und wenn doch? Das Imperium streut viele Unwahrheiten, aber wie wollen sie über so etwas lügen?“

Wollte Rámon wissen.

“Ich hab' keine Ahnung. Aber ein Waffenstillstand? Ich bitte dich, das ist lächerlich!“

Noa schüttelte erneut den Kopf. Sie wollte es nicht glauben. Zustimmung suchend sah sie zu Pablo, doch sein Blick brach ihr das Herz. Es mochte Welten geben, die einen Waffenstillstand zwischen Republik und Imperium begrüßen würden. All jenen Planeten, die bereits unter dem Banner der Republik lebten, konnte es egal sein, doch sie waren hier auf Coruscant, inmitten imperialer Herrschaft. Neu geschlossener Frieden war hier keine gute Nachricht, sondern eine Katastrophe. Es bedeutete, dass niemand zu ihrer Rettung kommen würde. Pablo zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Er wirkte völlig fertig.

„Ich habe die Neuigkeiten überprüfen lassen. In den republikanischen Nachrichten berichten sie das selbe.“

Sagte er. Niemand antwortete ihm. Das Imperium zog seine Schiffe und Truppen vom Corellian Run und entlang der Handelsroute ab. Ein freiwilliger Rückzug von vielen Welten, nur nicht von Coruscant. Noa fühlte sich, als habe ihr jemand mit einer eiskalten Hand mehrmals ins Gesicht geschlagen. Der Frieden war im Anmarsch, so schien es, doch er schaffte es nicht einmal bis vor ihre Tür.

- Coruscant – Obere Ebenen – Cloés und Jespers Apartment – Mit Cloé, Jesper, Matteo, Leandro, Pablo und Rámon -
 
- Coruscant – Obere Ebenen -

Es regnete nicht immer auf Coruscant, doch selbst wenn es ausnahmsweise trocken war, war es meistens kalt. Ein unangenehm scharfer Wind schlug Noa entgegen, als sie ihr Speederbike in einem Tempo durch Coruscant jagte, das sämtliche Regularien überschritt. Es war ein langer Tag gewesen und obwohl ihr Geburtstag erst gestern gewesen war, schienen die fröhlichen Stunden, die Noa mit Cloé und ihrer Familie verbracht hatte, bevor Pablo ihnen die schicksalsträchtige Nachricht überbracht hatte, bereits um Jahre zurück zu liegen. Sie hatten noch lange zusammen gesessen. Zum Feiern war keinem von ihnen mehr zu Mute gewesen, doch es hatte auch niemand nach Hause gehen wollen. Es war ein Moment der Niederlage gewesen, in dem keiner hatte alleine sein wollen, und dabei war es nicht einmal eine Niederlage gegen das Imperium gewesen, sondern gegen jene Republik, für die sie so lange gekämpft hatten. Es fühlte sich an wie Verrat, dass die Republik tatsächlich einen Waffenstillstand mit ihrem größten Feind geschlossen hatte. Wofür waren all die Kämpfe gewesen, die Opfer und die Gefahren, die die Defender und alle anderen Widerstandsgruppen in den letzten Monaten auf sich genommen hatten? Es hatte ihnen nichts gebracht. Wenn die Republik den Kampf um Coruscant tatsächlich langfristig einstellte, war alles umsonst gewesen.

Heute lang ein ganzer Tag in der Redaktion hinter ihr. Noa war – für ihre Verhältnisse – recht früh aufgestanden und sofort zum Büro des City Inquirers gefahren, wo sie ein bisschen gearbeitet und noch mehr recherchiert hatte, wie die republikanischen Medien den Waffenstillstand darstellten und darüber berichteten. Visenc, der als einziger außerhalb ihrer Familie über ihr Engagement im Widerstand wusste, hatte versucht, die positiven Seiten an der neuen Situation der Galaxis zu sehen, doch er hatte keine Argumente vorbringen können, mit denen er Noa hätte überzeugen können. Die Lage blieb wie sie war und über Noas Gemüt hingen dunkle Wolken. Daran hatte auch Amata nichts ändern können, mit der Noa einige Nachrichten ausgetauscht hatte und die auf ein Treffen in dem Imbiss bestanden hatte, in dem sie arbeitete, um Noa ihr Geburtstagsgeschenk zu überreichen. Dorthin unterwegs war die Widerstandskämpferin jetzt, doch sie verspürte einzig und alleine Lust, nach Hause zu fahren, die Tür hinter sich zu schließen und diesen Tag zu vergessen. Vielleicht würde morgen alles besser, hoffte eine leise Stimme in ihr, aber wirklich glauben konnte sie selbst das nicht.

Das Schnellrestaurant war nicht die beste, aber auch nicht die schlechteste Adresse auf Coruscant, um Fast Food zu essen und etwas zu trinken. Die Speisekarte war deutlich länger als in anderen Bars und der Kaf war immer stark, so wie Noa ihn am liebsten hatte. Wenn sie morgens hier her kam, brauchte sie eine ordentliche Tasse um überhaupt wach zu werden.


„Hier, bitte sehr. Geht alles auf's Haus.“

Amata, eine attraktive Togruta, deren Traum es nie gewesen war Kellnerin zu werden, die aber trotzdem seit Jahren an diesem Job klebte wie ein Kobold am Leimtopf, stellte einen riesigen Teller mit goldgelb gebackenen Pfannkuchen vor Noa ab. Warme Früchte und eine große Portion Sahne säumten den Tellerrand.

“Du bist ein Engel.“

Bedankte sich Noa, die heute ohne Gewissensbisse auf ihre Diät pfiff. Was kümmerten sie die Kalorien, wenn Coruscant weiterhin unterdrückt werden würde? Verglichen damit waren die Probleme unerwünschter zusätzlicher Pfunde lächerlich. Davon mal abgesehen hatte sie ohnehin keinen Mann mehr, für den sie hungern musste. Zwischen ihr und Cris... aber daran wollte sie gar nicht erst denken. Sie begann, ihre Pfannkuchen zu essen, während Amata wieder hinter der Bar verschwand. Süßes Zeug machte fast jede Situation erträglicher. Noa hatte gerade den zweiten Bissen genommen, als sich die Tür zum Imbiss öffnete und zwei Männer in imperialen Uniformen eintraten. Sie brachten einen kalten Luftzug von draußen mit hinein und Noas Gesicht verfinsterte sich automatisch. Imperiale. Allein ihrem Gefühl nach fielen die Temperaturen im gesamten Raum auf das Level des Eisplaneten Hoth. Sie verfolgte, wie die beiden Männer sich einen freien Tisch am Fenster aussuchten und nach Amata riefen. Grinsend und begleitend von einer Reihe dummer Sprüche gaben sie ihre Bestellung auf und Noa war der Appetit zumindest zur Hälfte vergangen. Sie hatte nicht jedes Wort verstanden, doch klar war, dass die Typen sich für die tollsten Hechte überhaupt hielten. Hinter der Theke arbeitete Amata im Turbomodus an der neuen Bestellung und gab Informationen an die Küche weiter. Nicht im Traum hätte Noa daran gedacht ihrer Freundin unter normalen Stunden Gemütlichkeit oder gar Faulheit vorzuwerfen, doch für ein Team imperialer Offiziere gab sich die Togruta natürlich besondere Mühe. Imperiale ließ man nicht warten, das wusste jeder. Was um alles in der Galaxis, fragte sich Noa, dachten sich die republikanischen Politiker nur dabei, in Verhandlungen mit dem Imperium zu treten? Wussten sie nicht, dass man mit dem Imperator nicht verhandeln konnte? Mit diesem Wesen gab es keinen vernünftigen Konsens zu finden. Er kannte weder Gnade noch Frieden und Coruscant würde unter seiner Herrschaft niemals frei sein.

„Wir sollten heute Abend was zusammen machen.“

Sagte Amata, in Noas Gedanken hinein. Sie stand plötzlich wieder vor ihr und die Ablenkung kam Noa gelegen, auch wenn sie nicht vor hatte dem Vorschlag ihrer Freundin zuzustimmen. Sie war sich zwar bewusst, dass sie schon viel zu lange nichts mehr zusammen unternommen hatten, doch heute war einfach nicht der Tag dafür.

“Im Prinzip furchtbar gerne, aber nicht heute.“

Erwiderte sie ehrlich.

“Heute ist einfach... nicht mein Tag.“

„Hmm. Okay.“

Amata schien enttäuscht.

„Ansonsten geht’s dir aber gut? Was treibt Cloé so?“

Wollte sie wissen. Noa rührte in ihrer Sahne.

“Oh, Cloé macht das, was sie immer tut.“

„Shoppen?“

“So ungefähr.“

Ein kurzes Lachen stahl sich auf Noas Gesicht. Der Macht sei Dank, sie hatte es noch nicht vollkommen verlernt, auch wenn sich der bisherige Tag so angefühlt hatte. Von der Küche her rief einer von Amatas Kollegen und sie machte sich aus dem Staub, um den imperialen Idioten ihr Essen zu bringen. Noa hätte am liebsten etwas nach ihnen geworfen. Sie beobachtete ihre Freundin, wie sie zwei Platten dampfender Speisen servierte und wie einer der Männer irgendetwas daran auszusetzen hatte. Noa bemerkte ein süffisantes Grinsen auf dem Gesicht des desjenigen Imperialen, der so saß, dass sie ihn von vorne ansehen konnte. Der Typ genoss es sichtlich, Amata hin- und her zu scheuchen, eine hübsche Togruta die für ihn lief und ihn seinen Anweisungen nach bediente. Amatas Lekku zuckten unruhig, als sie eine der Platten wieder zurück zur Küche brachte, für eine Weile verschwunden blieb und dann einen neuen Anlauf startete. Diesmal schien alles in Ordnung zu sein. War das das Coruscant, unter dem sie weitere Jahre leben sollten? Warum hatte das Imperium nicht auch aus ihrer Heimat seine Truppen abziehen können? Warum musste ausgerechnet Corsucant weiter leiden?

Das Schnellrestaurant war leer, als auch Noa sich auf den Heimweg machte. Draußen war es inzwischen dunkel und nur noch ein Quarren saß alleine an einem Ecktisch. Selbst die Imperialen waren gegangen.


“Wie lange geht deine Schicht noch?“

Fragte Noa, als ihre Jacke anzog. Amata schaute auf die Uhr.

„Ich kann dicht machen, sobald der Letzte weg ist.“

Antwortete sie und Noa hoffte für sie, dass der Quarren nicht einer von der Sorte war, die über besonders viel Sitzfleisch verfügten.

„Willst du's dir nicht doch noch mal überlegen, ob wir noch was zusammen machen?“

Amata sah sie bittend an, doch Noa konnte beim besten Willen nicht.

„Komm schon, Noa, wie in alten Zeiten.“

Die Journalistin schüttelte den Kopf.

“Ein andermal, Amata. Nicht heute.“

„Na gut.“

Sie verabschiedeten sich und Noa streifte ihre neuen Handschuhe über. Zum Abschied drückte sie ihre Freundin.

“Danke für das Essen, danke für den Stick.“

Sie winkte mit dem Datenstick, auf den Amata ihr eine ganze Reihe von Holo-Vids geladen hatte, von denen sie glaubte, dass Noa sie gerne sehen würde.

“Ich melde mich die Tag, versprochen!“

Draußen wartete Coruscants Abend auf sie. Es wurde hier nie so finster wie auf anderen Planeten, doch die Leuchtreklamen und bunten Lampen überall hoben sich nun noch deutlicher als tagsüber von der Umgebung ab. Noa ging zu ihrem Speederbike, das auf der gegenüberliegenden Straßenseite zum Diner stand. Sie konnte jetzt nach Hause fahren, oder vielleicht doch zu ihrem Vater. Jetzt, wo sie die Möglichkeit hatte, endlich für sich zu sein, merkte sie, dass das vielleicht doch nicht so ganz das war, das sie wollte. Unschlüssig stand sie noch eine Weile herum. Wahrscheinlich war Matteo Cortina ohnehin nicht Zuhause. Er würde mit Pablo zusammen im Hauptquartier der Defender sein. Sie würden mit dem General zusammen und über ihre nächsten Schritte beraten. Als sie etwas hörte, wandte Noa sich um. Der Quarren hatte den Imbiss verlassen und entfernte sich jetzt zu Fuß und Amata hatte das Licht im vorderen Bereich des Restaurants ausgeschaltet, sodass das Gebäude jetzt ganz finster wirkte. Sollte sie ihrer Freundin vielleicht doch die Freude machen und mit ihr noch etwas trinken gehen? Es musste ja nicht gleich ausarten. Ja, warum nicht? Möglicherweise schaffte Noa es sogar, für ein oder zwei Stunden an etwas anderes zu denken als den Waffenstillstand, den sie nie gewollt hatte. Gegen eine Hausecke gelehnt wartete sie, bis Amata nach draußen kam. Eine Minute verging, dann noch eine. Es war kalt und ungemütlich, da halfen nicht mal Noas neue hübsche Lederhandschuhe. Sie zog die Schultern hoch und hüpfte auf der Stelle auf und ab, um sich zu wärmen, bis sie langsam ungeduldig wurde. So lange konnte es nicht dauern, sich umzuziehen und abzuschließen, oder? Ein unangenehmes Kribbeln legte sich in ihren Nacken. Es war doch sicher alles in Ordnung? Sie überquerte die Straße. Die Fester des Restaurants waren stockdunkel, die Tür fest verschlossen, aber Noa wusste, dass es einen Hinterausgang gab. War Amata dort hinaus gegangen? Aber die Tür führte von dort nur in einen kleinen Hof und nirgendwo sonst hin. Sie hätte auf jeden Fall vorne an der Straße heraus kommen müssen und Noa hatte sie defintiv nicht gesehen. Gedämpfte Geräusche drangen an ihr Ohr - ein Schleifen von Schuhen über dem Asphalt. Männerstimmen. Zwei Sekunden lang schien Noas Herz auszusetzen, bis die Erkenntnis Noa wie eine harte Faust in die Magengrube schlug. Sie schnellte nach vorne, durch den Gang der in den Hinterhof führte, und hörte Amata, noch bevor sie sie sah. Die imperialen Offiziere standen vor ihr und hatten die Togruta gepackt, ihre Hände dort wo sie niemals hätten sein dürfen. Sie hielten sie gegen die Wand gedrückt, zwei widerwärtige Imperiale, die sich an einer Frau vergingen, die sie dafür verachteten, kein Mensch zu sein und dafür, dass sie sie dennoch erregte. Noa wurde übel. Sie hasste alles, wofür diese Männer standen. Ihre Hand glitt in die Innentasche ihrer eigenen Jacke. Sie hasste das Imperium. Zwei Grelle Blitze zuckten durch die Dunkelheit, noch bevor sie darüber nachdenken konnte. Nur eine Sekunde später sackten die Körper beider Männer in sich zusammen. Amata entfuhr ein erstickter Laut. Sie schlug um sich, kämpfte sich frei und Noa ließ ihre Hand mit dem Blaster darin sinken.

- Coruscant – Obere Ebenen – Hinterhof eines Fast-Food-Restaurants – Mit Amata -
 
- Coruscant – Obere Ebenen – Hinterhof vom Imbiss – mit Amata –

Amatas Blick jagte über die toten Männer hinweg, über denen sie stand. Panik lag in ihrem Gesicht wie bei einem wilden Tier, das in die Ecke gedrängt worden war und einen Ausweg aus der Gefangenschaft suchte. Dann starrte sie Noa an, geschockt und sprachlos, die Augen geweitet.

“Was hast du getan? Was hast du getan?“

Die Stimme der Togruta war schrill und ein Schluchzen entglitt ihrer Kehle. Sie schlug sich die Hand vor den Mund.

“Du hast sie erschossen. Alle beide! Scheíße! Scheíße!“

Sie verlor die Nerven, drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen, als könnte sie die Situation ausblenden oder so tun, als sei dies alles nicht passiert, wenn sie nur nicht hinsah. Noa steckte ihren Blaster wieder zurück in die Innentasche ihrer Jacke.

“Amata, wir müssen von hier weg.“

Sagte sie, ihre Stimme sachlich. Anklagend sah ihre Freundin auf.

„Weg? Scheíße, Noa, du hast zwei Menschen umgebracht!“

“Ich weiß!“

Ungeduldig machte Noa zwei Schritte nach vorne und griff nach Amatas Handgelenk.

“Und wenn wir nicht bald hier verschwinden, werden wir beide dafür festgenommen!“

Ihrer Stimme mangelte es an jeglichem Mitgefühl. Sie hatten keine Zeit, herum zu stehen, keine Zeit auszurasten. Nichts von dem hier war geplant gewesen. Es galt nur, sich aus dem Staub zu machen und keinen Verdacht zu erregen, wenn sie das Schicksal der beiden Imperialen nicht teilen wollten. Amatas Augen füllten sich mit Tränen. Ihre Unterlippe zitterte. Sie starrte auf ihre Hände.

„Ich… ich wusste, dass sie kommen würden… schon als sie den Imbiss betraten.“

Sagte sie. Noa zog die Brauen zusammen und plötzlich verstand sie Amatas Drängen auf eine Verabredung am Abend. Sie hatte gehofft, Noa würde zusammen mit ihr den Imbiss abschließen. Sie hatte nicht alleine sein wollen.

“Es war nicht das erste Mal, nicht wahr?“

Fragte sie. Amata schüttelte den Kopf.

“Oh, verdammt. Amata, bist du OK? Haben sie dir was getan?“

Die Tränen der Togruta flossen unaufhaltsam und wenn Noa auch nur eine Sekunde lang Zweifel daran gehabt hatte, ob sie richtig gehandelt hatte oder nicht, so waren diese Zweifel jetzt zerstreut. Sie ließ das Handgelenk ihrer Freundin los, umarmte Amata und diese klammerte sich an Noa wie eine Ertrinkende an einen tiefhängenden Ast, der Rettung versprach. Sie standen eine Weile so, fast still. Im Dunkel der hereinbrechenden Nacht waren nur die leisen Schluchzer eines verletzten Wesens zu hören. Letztlich blieb Noas Frage unbeantwortet und vielleicht war dies besser so. Noa war nicht sicher, ob sie überhaupt mehr wissen wollte. Vielleicht war es ein egoistischer Wunsch, wenn sie es vorzog, im Dunkeln darüber zu bleiben, wie viel Amata hatte ertragen müssen, doch sie konnte nicht weiter nachfragen. Sie konnte nur daran denken, dass sie beinahe nach Hause gefahren und ihre Freundin alleine gelassen hätte. Es hätte nicht viel gefehlt und Noa wäre auf ihr Speederbike gestiegen, ohne sich noch einmal umzudrehen. Das Schlimme daran war, dass Amata sie bereits zuvor um ihre Hilfe gebeten und Noa es nicht einmal bemerkt hatte. Irgendwann, nach Minuten stillen Kummers, nahm sie Amata an der Hand und zog sie mit sich. Sekunden waren verstrichen und alles was blieb waren Emotionen, die in Trümmern lagen.

„Wohin gehen wir?“

Wollte Amata wissen. Noa dirigierte sie zu ihrem Bike.

“Wir gehen vergessen.“

Antwortete sie. Sie wandte sich zu ihrer Freundin um.

“Es sei denn, du willst nach Hause.“

Für einen Moment schien es, als wollte Amata zustimmen, doch sie zögerte. Dann schüttelte sie den Kopf.

„Nein. Nicht nach Hause. Ich.... danke. Danke, Noa.“

Sie tauschten einen langen Blick und Noa hatte das Gefühl, dass ihre Freundschaft eine neue Tiefe erreicht hatte. Sie hatte für Amata getötet, wenn auch nicht nur für sie. Sie hatte es auch für sich selbst getan, weil sie das Imperium verabscheute, weil sie wütend war und auch weil sie Angst hatte. Sie hatte Angst, dass ihr eines Tages das gleiche passieren könnte, Angst, dass jemand Cloé überfiel wenn sie abends alleine nach Hause ging und Angst, dass Coruscant niemals wieder sicher sein würde; dass sie ewig unter imperialer Herrschaft leben und Camilla und Ricardo in Unterdrückung aufwachsen würden. Viele Taten, die mutig erschienen, enstanden im Grunde alleine aus einem Gefühl von Furcht heraus.

Sie erreichten das Nightliner, einen Club in dem sie schon früher wilde Parties zusammen gefeiert hatten, in seiner betriebsamsten Stunde. Vor Jahren waren sie hier beide Stammgäste gewesen, fast jeden zweiten Tag zugegen, wenn eine Live-Band vor Publikum spielte. Sie hatten hier die Nächte durch gemacht, zusammen mit Kayle, Rex, Minnie und später auch mit Dragan, Stan, Laola und den ganzen Leuten, von denen Noa nicht sicher war, ob sie sie heute überhaupt wieder erkennen würde, träfe sie sie zufällig auf der Straße. In diesem Moment kamen ihr all diese Erinnerungen wie aus einem anderen Leben vor. Die Musik war laut, als sie in den Bereich vor der Bühne kamen. Grelle Lichter zuckten über die Gesichter der Tanzenden und Noa und Amata tauchten unter in der Anonymität der Menge. Alkohol half, die Gedanken zu zerstreuen. Sorgen wurden ignoriert, Probleme verdrängt. Sie trafen Stan, den sie von früher kannten. Noa erinnerte sich, dass sie ihn zuletzt gesehen hatte, als sie mit Shana hier gewesen war. Er schien im Nightliner zu wohnen. Keine Party lief ohne ihn. Er brachte ihnen mehr Alkohol: erst Bier, später Talmog. Sie lernten seine Kumpel kennen und einer von ihnen gab ihnen Greegewürz, das ihre Gefühle betäubte und Euphorie vortäuschte. Sie tanzten, lachten und obwohl nichts davon echt war, fühlte es sich besser an als Schmerz, Leere, Wut und Schuld. In den frühen Morgenstunden verlor Noa Amata in der Menge aus den Augen. Sie trank weiter, wollte nur noch für ein paar Stunden vergessen, bevor die Realität sie wieder einholte: Coruscant, der Waffenstillstand, die Trennung von Cris, Rámons Einsamkeit, zwei tote Offiziere. Sie hasste alles.

Der neue Tag dämmerte bereits, als sich Noa mit einem Typen auf der Tanzfläche wieder fand, dem sie nie zuvor begegnet war. Sie hatte keine Ahnung, wie er hieß oder wo er her kam, er war ihr schlicht egal, doch sie wehrte sich auch nicht, als er seine Zunge in ihren Mund schob. Die Musik begann in ihren Ohren zu dröhnen, Farben schienen sich zu vermischen. Sie hatte Kopfschmerzen. Flüchtig fragte sie sich, ob es die Wirkung der Drogen war, die nachließ, doch selbst das Denken war ihr schwer. Dass sie draußen waren realisierte sie erst, als sie eine kalte Wand in ihrem Rücken spürte, sich ein Knie zwischen ihre Beine schob und Noa für eine Nanosekunde wieder Amata vor sich sah. Verwundert blinzelte sie. Es war reine Einbildung gewesen, doch die Bilder in ihrem Kopf waren es nicht. Tastende Hände glitten an ihr entlang. Der Typ, den sie nicht kannte, küsste ihren Hals. Betäuben, dachte sie, sie wollte den Schmerz betäuben. Er öffnete unzeremoniell seine Hose, seine alkoholisierten Küsse hinterließen feuchte Spuren auf ihrem Gesicht. Es ging schnell und leidenschaftslos. Als es vorbei war, drehte Noa den Kopf weg. Seine Hose hing ihm in den Kniekehlen, sein Atem ging schnell. Noa blieb wo sie war, bewegte sich nicht, auch nicht als er sich wieder anzog. Allmählich kehrte ihr Bewusstsein zurück. Sie hatte es aus reiner Not getan, für den einen kurzen Moment der Schwerelosigkeit und für ein paar Augenblicke körperlicher Nähe. Doch fühlte sie sich wirklich besser? Sie wusste, dass es nicht so war. Er wandte sich ab, ging und Noa hatte sein Gesicht bereits wieder vergessen. Zurück blieb nichts als die gleiche Leere.


- Coruscant – Mittlere Ebenen – Vergnügungsviertel –
 
- Coruscant – Obere Ebenen – Raumhafengegend – Noas Wohnung –

Hätte es geregnet, so hätte das Wetter Noas Stimmung wider gespiegelt. Graue Wolken zogen über Coruscant, die Sonne schien weit entfernt aus ihrem Leben. Sie hatte gehofft, dass das Gefühl von Schuld besser würde, wenn sie es schaffte sich abzulenken und Abstand zu gewinnen und für ein paar Stunden war es ihr sogar gelungen, an nichts zu denken außer dem Hier und Jetzt, doch als die Wirkung von Alkohol und Drogen nachgelassen hatte, war Noa zurück wieder zurück geworfen worden. Sie sah Amata, wann immer sie in den Spiegel sah, und das hatte sie oft getan, seitdem sie wieder Zuhause war. Sie hatte geschlafen, lange und unruhig, war immer wieder aufgewacht. Inzwischen war es fast 24 Stunden her, dass sie Fuß in den Imbiss gesetzt hatte, wo die Ereignisse nacheinander ins Rollen gebracht worden waren und trotzdem konnte sie nicht aufhören daran zu denken, was geschehen war. Sie wusste nicht warum. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie getötet hatte, aber es hatte sie vorher nie so sehr berührt. Vermutlich waren es die speziellen Umstände und die Tatsache dass es um etwas persönliches gegangen war, gewesen, die es ihr so schwer machten. Und dann waren da noch die Wut und die Hilflosigkeit, in der sich Noa ohnehin bereits befunden hatte, seit sie von dem Waffenstillstand zwischen Imperim und Republik gehört hatte. Sie machte sich etwas zu essen, etwas einfaches, das sie aufwärmen konnte, und legte sich dann wieder hin. Wann immer sie sich ihre Zukunft vorgestellt hatte, hatte sie von einem freien, einem republikanischen Coruscant geträumt. Was aber, wenn dies nicht im Bereich des Möglichen lag? Wenn die Republik den Kampf aufgab, gab es auch keinen Grund mehr für den Widerstand, weiter zu machen. An wen wollten sie appellieren, wen wollten sie erreichen, wenn die Republik ihnen jede Hilfe verweigerte? Kam es für Noa überhaupt in Frage, hier zu bleiben, unter diesen Umständen? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich ihre Familie mit dem Imperium arrangieren würde, ebenso wenig wie sie sich vorstellen konnte, dass Pablo den Kampf jemals aufgeben würde.

Sie starrte in die Dunkelheit hinaus und folgte mit ihren Blicken den hellen Lichtern der Luftgleiter, die auf Coruscant unterwegs waren. Ihr Bett war umgemacht. Es war der Ort, an dem sie fast den ganzen Tag verbracht hatte. Die Stunden waren einfach so an ihr vorüber gezogen. Manchmal langsam und quälend, dann wieder so plötzlich, dass sie es kaum bemerkt hatte. Allein dies zeigte, dass Noa noch nicht voll wieder da war. Als sich ihr Komlink mit einem schrillen Signalton meldete, überleget sie zuerst, ob sie den eingehenden Anruf ignorieren sollte. Sie war nicht in der Stimmung für eine Unterhaltung, worum auch immer es ging. Ihr Zögern hielt jedoch nicht lange an. Es konnte etwas Wichtiges sein und das Letzte, das sie gebrauchen konnte, war eine Standpauke von Cloé, weil sie deren Kontaktversuche boykottierte. Als sie einen Blick, riskierte, stellte sie fest, dass sie sich darum keine Sorgen hätte machen müssen – es war nicht Cloé, sondern Pablo.


„Wo treibst du dich rum?“

Wollte er wissen. Noa hatte den Anruf entgegen genommen und setzte sich jetzt auf ihr Bett.

“Zuhause. Chillen.“

Antwortete sie. Weder war es eine Lüge, noch war es die Wahrheit.

„Okay. Ich habe etwas für dich.“

Pablo machte eine Pause.

„Eine Nachricht von der Frau, die du vor ein paar Tagen getroffen hast, der du etwas gegeben hast...“

Noa schwieg.

„An dem A bend, an dem du das hübsche Kleid anhattest...“

“Jaja, ich weiß schon.“

Fiel sie ihm fast schroff ins Wort. Er sprach von Rätin ChesaraSyonette, so viel war ihr klar. Was sie nicht wusste war, warum die Jedi-Rätin ihr eine Nachricht schicken sollte. Normalerweise war ChesaraSyonett lediglich in Kontakt mit Pablo und dem General.

“Was will sie von mir?“

Fragte sie und wieder machte Pablo eine Pause, als suche er nach den richtigen Worten.

„Ich glaube, das solltest du besser selbst lesen. Ich komme gleich vorbei.“

Seine Getue wurde ihr langsam unheimlich. Warum sagte er nicht einfach, worum es ging?

“Hast du die Nachricht schon gelesen?“

Hakte Noa nach.

„Ja.“

“Ist es was schlimmes?“

Ihr Herz schien für eine Sekunde auszusetzen. Hatte es mit Cris zu tun? Sie waren nicht mehr zusammen und würden sich wahrscheinlich niemals wieder sehen, doch Rätin Chesara wusste das nicht, richtig? Vielleicht war Cris etwas zugestoßen und sie informierte Noa! Doch was sollte schon passiert sein? Er war auf dem Weg von Mon Calamari nach Lianna gewesen. Nein, versuchte sich Noa selbst zu beruhigen, es musste etwas anderes sein. Das Gespräch endete kurz darauf und ihr blieb nichts anderes übrig, als auf Pablo zu warten. Unruhig saß sie ihre Zeit ab. Es hätte genug für sie zu tun gegeben, doch Noa Chanelle Cortina konnte sich zu nichts aufraffen. Als Pablo endlich kam, riss sie ihm sein Komlink förmlich aus den Händen.

“Warum hat sie dir geschrieben und nicht mir, wenn es um mich geht?“

Fragte sie zickig, noch ehe Pablo die Tür hinter sich geschlossen hatte. Wortlos folgte er ihr in den Wohnraum von überschaubarer Größe, in dem, wie üblich, das blanke Chaos herrschte. Es sollte tatsächlich Leute geben, die einen Putzfimmel hatten, doch Noa gehörte ganz gewiss nicht zu ihnen. Putzen war schlicht und einfach überbewertet, fand sie, und sowieso hatte sie gar keine Zeit dazu. Hausarbeit war ganz allgemein ein Thema, mit dem sie sich nie großartig beschäftigt hatte. Als Lioba in der Schule Hauswirtschaft als Interessenfach belegt hatte, hatte sich Noa für Physik eingeschrieben und als ihre Mutter Cloé mit elf gezeigt hatte, wie man Sahnecremetorte backte, war Noa mit ihren Brüdern unterwegs gewesen um Teile für einen alten Droiden zu aufzutreiben, den sie günstig bei einem Schrotthändler erworben hatten und reparieren wollten. Sie öffnete die Nachricht der Jedi-Rätin, überflog Zeile für Zeile. Pablo hatte sich inzwischen gesetzt. Eine fast übermenschliche Ruhe ging von ihm aus. Schließlich sah Noa auf. Ihr Kopf drehte sich.

“Ich... ich verstehe nur Raumhafen.“

Sie sank neben Pablo auf das Sofa. Tatsächlich hatte sie ChesaraSyonettes Nachricht verstanden, doch sie wusste nicht, was sie daraus machen sollte. Die Jedi-Rätin bot Noa einen Job an, einen Job als Journalistin, auf Lianna, um eine regelmäßige Kolumne über den Jedi-Orden zu schreiben. Sie sollte die „offizielle Korrespondentin des Jedi-Ordens bei der Presse“ sein. Aber warum sie? Warum ausgerechnet sie?

“Warum ich?“

Sie suchte in Pablos Gesicht nach einer Antwort. Er wusste immer alles, kannte sie besser als sie sich selbst. Doch er antwortete nicht auf ihre Frage.

„Was denkst du?“

Fragte er stattdessen im Gegenzug und Noa blickte auf das Komlink in ihren Händen. Statt dem Text, den sie soeben gelesen hatte, sah sie jedoch etwas ganz anderes. Sie sah Amata, in Tränen aufgelöst. Sie sah die leblosen Körper der imperialen Offiziere, die sie erschossen hatte. Vor ihren Augen tanzten Ricardo und Camilla Hand in Hand, während ihre Mutter, Pilar Cortina, ihnen lachend zusah. Noa sah Cloé, die ihre eigene Familie auf Coruscant gründete und Baes Hawot, der sie das Schießen gelehrt hatte. Und dann war da noch Cris. Er stand ihr direkt gegenüber, sein Gesicht nur wenige Millimeter von dem ihren entfernt.[/COLOR]

„Du wärst nicht für immer weg.“

Sagte Pablo sanft. Noa hatte ihm noch nicht geantwortet.

„Und seien wir ehrlich, du wolltest immer hinaus in die Galaxis. Das ist dein Job.“

Das stimmte. Seit sie Andrei kennen gelernt hatte, hatte sie davon geträumt, eines Tages als Journalistin so viel zu erreichen wie er. Das konnte sie nur, wenn sie sich von ihrer Heimat löste. Doch war der Zeitpunkt dafür der Richtige? Sie konnte Coruscant nicht zurück lassen, nicht in diesem Zustand. Und ihre Familie... wie vom Donner gerührt sprang Noa auf. Familie war das Stichwort. Mit einem Satz hatte sie die Wohnungstür erreicht.

„Hey, wo willst du hin?“

Pablo war ebenfalls aufgesprungen.

“Krankenhaus.“

Antwortete Noa nur knapp und war auch schon zur Tür hinaus.

Sie erreichten die Unfallchirurgie eine knappe halbe Stunde später. An der Anmeldung ging es hektisch zu, der Warteraum war proppevoll. Überall sah man Patienten mit Verbänden, in Repulsorlift betriebenen schwebenden Stühlen und Angehörige, die auf positive Nachricht der Ärzte warteten, die hofften und bangten. Noa hatte sich versucht an der Anmeldung vorzudrängeln, doch dort war kein Durchkommen, also versuchte sie in den Gängen eine der Krankenschwestern abzupassen. Noa wusste plötzlich, sie konnte hier auf Coruscant bleiben und fortsetzen, den Widerstand zu unterstützen, wie sie es zuletzt getan hatte, oder sie konnte in die Fremde gehen um das Richtige zu tun, in dreierlei Hinsicht.

“Entschuldigen Sie?“

Noa hielt eine der Schwestern an.

“Ich suche Dr. Cortina.“

Die Krankenschwester, eine rothäutige Theelin, bedachte sie mit einem skeptischen Blick.

„Zu wem gehören Sie?“

Wollte sie wissen. Noa stutzte für einen Moment.

“Oh, ähm... wir...“

Hilfesuchend wandte sie sich zu Pablo um, doch der hob abwehrend die Hände. Das hier war ihr Ding. Er befürwortete ihr Vorpreschen, Rámon im Krankenhaus aufzusuchen, nicht im Geringsten. Noa holte tief Luft.

“Wir müssen dringend mit dem Doctor sprechen.“

Bescheinigte sie der Schwester die Wichtigkeit ihres Besuches, doch wie erwartet ließ sich die Theelin davon nicht einmal ansatzweise beeindrucken.

„Mädel, sehen Sie die vielen Leute hier? Jeder von denen hat etwas Wichtiges mit dem Doctor zu besprechen. Wenn Sie also nicht kurz davor sind zu verbluten, oder einen Angehörigen im OP-Saal haben, stellen Sie sich bitte hinten an, ja?“

Wies sie die Widerstandskämpferin zurecht. Noa biss die Zähne zusammen.

“Das verstehe ich alles, aber...“

„Kein Aber! Der Doctor befindet sich in einer Operation.“

Die Krankenschwester war dabei, sich abzuwenden. Dann lächelte sie Noa unerwartet süß an.

„ABER... Sie können natürlich gerne auf ihn warteten – so wie alle anderen.“

Es war genau das, das Noa schlussendlich tat. Sie wartete. Die Luft im Krankenhaus roch scharf und steril. Zuerst saß sie lange Zeit nur in einem der unbequemen Plastikstühle, sah die Leute um sich herum kommen und gehen und verfolgte den Stress des medizinischen Personals, das von einem Notfall zum nächsten hastete. Nach einer Weile begann ihr Rücken auf dem unbequemen Stuhl zu schmerzen und sie begann, in den öffentichen Gängen herum zu laufen. Weiße Wand um weiße Wand zog an ihr vorüber. Pablo war längst nach Hause gefahren, doch Noa konnte nicht gehen ohne mit Rámon gesprochen zu haben. Ihr war wichtig, was er zu sagen hatte. Es ging vor allem um ihn und gegen Mitternacht sah sie ihn dann endlich. Aus der Ferne beobachtete sie, wie er mit zwei Frauen sprach, dem Alter nach zu urteilen vermutlich Mutter und Tochter, und obwohl sie sich nicht erleichtert in die Arme fielen, brachen sie auch nicht in Tränen zusammen. Ihr Bruder Rámon, stellte Noa noch einmal richtig bewusst fest, war ein Held, vielleicht sogar ein größerer als sie alle zusammen.

„Hey.“

Er kam auf sie zu. Sein OP-Hemd war noch fleckig, sein Haar war von dem Haarnetz, das er im OP tragen musste, platt gedrückt. Die Schatten unter seinen Augen schienen noch dunkler als sonst und Noa glaubte, ein paar neue Linien in seinem Gesicht zu sehen, die vorher nicht da gewesen waren.

„Was machst du hier?“

Noa lächelte.

“Ich sollte dich öfter hier besuchen.“

Antwortete sie.

“Ich glaube, ich vergesse manchmal, wie viel du hier leistest. Harter Tag?“

Er nickte.

„Kann man so sagen. Schwerer Unfall direkt vorm Raumhafen. Du müsstest es fast mitbekommen haben.“

Sein Blick wanderte zurück zu den beiden Frauen, mit denen er zuvor gesprochen hatte.

„Ihr Mann hat extrem Glück gehabt.“

Ihr Bruder zögerte und für einen Moment hatte Noa das Gefühl, er wolle Einzelheiten mit ihr teilen. Urplötzlich entschied er sich dann allerdings anders und schüttelte den Kopf.

„Es hat einige Tote gegeben, aber wir konnten auch einige Leben retten.“

“Das ist gut.“

Erwiderte Noa, berührte ihn am Arm und meinte es auch so.

„Also, weswegen bist du gekommen?“

Sie holte ihr Komlink hervor, auf das sie mittlerweile die Nachricht der Jedi-Rätin übertragen hatte.

“Ich wollte mit dir über das hier sprechen.“

Sagte sie

“Ich habe die Möglichkeit, nach Lianna zu gehen.“

Sie gab ihm ihr Komlink und ließ ihn lesen.

“Und ich dachte mir, dass ich das tun sollte... um für Thalia und die Kids da zu sein, so lange sie dort sind.“

Noa Chanelle Cortina sah ihren ältesten Bruder nicht oft emotional. Als Arzt sah er jeden Tag viele Dinge, die ihn nicht nur forderten, sondern auch belasteten und irgendwann hatte er gelernt, seine Gefühle zurück zu halten und zu kontrollieren. Umso überraschender war es für sie, als er sich plötzlich nach vorne beugte und sie umarmte. Er hielt sie fest, drückte sie an sich und es war in diesem Augenblick, als in Noa ein Damm brach. Zum ersten Mal, seit die beiden imperialen Offiziere erschossen hatte, fühlte sie die Leere in ihrem Inneren dauerhaft schwinden. Tränen strömten ihre Wangen hinunter, lautlose, befreiende Tränen.

„Danke.“

Flüsterte Rámon in ihr Ohr und Noa wusste, dass ihre Entscheidung getroffen war. Sie würde das Richtige tun und es waren dreierlei Gründe, die dafür sprachen: sie würde nach Lianna gehen, um für ihren Neffen und ihre Nichte da zu sein. Sie würde nach Lianna gehen, um zu versuchen, ihre Beziehung mit Cris Sheldon zu retten und sie würde Coruscant verlassen, um ihren Träumen zu folgen. Bis hute hatte Noa geglaubt, sie würde die Defender und den Widerstand bis zuletzt begleiten, doch wenn dies hier ihr Weg war, dann würde sie diesen gehen.

- Coruscant – Obere Ebenen – Krankenhaus – Wartesaal – Mit Rámon -
 
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[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Konferenzraum | mit Alad und Mitarbeitern ]

Als Exodus den Konferenzraum betrat, waren schon alle anderen Teilnehmer des Meetings anwesend. Nur schien keiner besonders große Notiz von ihm zu nehmen, geschweige denn, sich über seine Verspätung in irgendeiner Form verärgert zu zeigen – stattdessen sahen sie alle auf ein großes Hologramm, das über die Mitte des Tisches projiziert wurde. Laufschrift, einige bewegte Bilder, eine große blinkende Uhr zeigte die Zeit: Nachrichten. Exodus runzelte verwundert die Stirn, umkurvte den Tisch um den letzten freien Platz zu besetzen und versuchte dann die, aus seiner Perspektive, spiegelverkehrte Schrift zu entschlüsseln. Als es ihm nach dem Bruchteil einer Sekunde nicht gelang, fragte er schließlich:

„Was ist passiert?“

Sein Vater war derjenige, der als erster aufsah und mit emotionsloser Stimme verkündete:

„Das Imperium und die Republik haben einen Waffenstillstand geschlossen.“

„Oh – okay.“

Exodus zog abschätzend die Mundwinkel nach unten und kratzte sich das Kinn. Tja, was sagte man dazu? Vor einer Weile hatte er sich vorgenommen, diesen ganzen großen Krieg hinter sich zu lassen, sich nicht mehr davon einnehmen zu lassen und eine neutrale Meinung zu behalten. Zu seinem eigenen Erstaunen hatte dieses Vorhaben funktioniert, und so fiel es ihm tatsächlich schwer sich eine Meinung zu dieser Neuigkeit zu bilden.

„Damit dürften einige Importe und Exporte leichter werden. In einem Waffenstillstand wird keine von beiden Seiten gute Argumente für ein Embargo haben.“

Alad Wingston nickte und auch einige der anderen – der Assistent seines Vaters, ihr Finanzchef und auch Manny – stimmten in diese Bestätigung mit ein.

„Das ist richtig. Eine gute Sache.“

befand sein Vater. Exodus musterte ihn einen Augenblick. Er war sich nicht sicher, ob der Präsident dies wirklich so sah oder noch andere tief verborgene Gedanken dazu hegte. Alad war stets eher ein Freund der Republik gewesen, gleichzeitig hatte er jedoch versucht, diese Sympathie nie zu deutlich zu zeigen. Seinem Sohn war sie natürlich nicht verborgen geblieben. Und trotzdem hatte Exodus sich auf die Seite des Imperiums geschlagen. Manchmal fragte er sich, ob das eine verspätete Rebellion gegen seinen Vater gewesen war. In anderen Momenten fand er diesen Gedanken schlicht albern.

„Also dann. Können wir?“

Auch diese Frage bestätigte Alad mit einem Kopfnicken und Exodus griff nach seinem Comlink, auf dem sich einige Daten, vornehmlich Statistiken, aber auch einige Fotos und Videoaufnahmen, zu ihrem Projekt auf Fresia befanden. Mit wenigen Klicks übertrug er die Informationen zu dem im Tisch eingelassenen Rechner, sodass Graphen über den Abbauprozess und andere Dinge, über die er die Teilnehmer der Konferenz ins Bilde rücken wollte, dort erschienen, wo eben noch die Nachricht über den plötzlichen Waffenstillstand gestanden hatte.
Exodus erzählte von der Ausgangssituation, die er bei seiner Ankunft vorgefunden und von Bas Goarland übernommen hatte, von den Umstellungen, die er gemeinsam mit Giselle durchgeführt und welche Erfolge sie damit erzielt hatten. Gleichzeitig konnte er die Rückschläge nicht aus seinem Bericht auslassen und so erzählte er von den Problemen mit den Ureinwohnern, der Explosion auf der Meeresplattform und dem großen Verlust an Lumium, den sie dort erlitten hatten. Alles in allem war sein Ertrag also mehr oder weniger gleich Null, wie er anhand der nackten Zahlen fest- und vorstellen musste. Die Anwesenden gaben sich zwar Mühe, ihre Enttäuschung über dieses Ergebnis hinter wichtigen Mienen zu verbergen, doch er spürte die leichte Stimmungsveränderung im Raum deutlich.


„Ich werde nicht nach Fresia zurückkehren.“

schloss er seinen Vortrag ab, unsicher darüber, ob er dies als persönliche Niederlage werten sollte oder als rechten Schritt, die Situation jemandem zu übergeben, der in Zukunft besser dort arbeiten konnte. Einige Dinge hatte er bewegt, vieles hatte sich verbessert. Es war ein bestellter Garten, auch wenn die Zahlen davon noch nichts verrieten. Nur die Ernte hatte er nicht mehr einfahren können.

„Meine Aufgaben liegen hier auf Coruscant.“

begründete er seine Entscheidung, die einzig für seinen Vater keine Neuigkeit war, knapp.

„Ich habe auf Fresia einen guten Mann, der aktuell schon als Vertretung die Leitung des Camps übernommen hat. Vielleicht bietet er sich als Nachfolger an.“

„Dan’el Warren, der Pilot?“

meldete sich jetzt ihre Personalchefin zu Wort, die auf ihrem Comlink eifrig die Liste der Mitarbeiter auf Fresia durchsuchte.

„Genau, ja.“

Irgendwo musste eine Notiz darüber hinterlegt worden sein, dass Exodus ihn schon bei ihrem Ausflug zu Rings Island mit der Aufsicht über das Camp betraut hatte. Augenblicklich erschien Dan’els Foto für alle gut sichtbar über der Mitte des Konferenztisches.

„Ich weiß nicht.“

meldete Alad Wingston nach einigen Sekunden, die sie alle Dan’els Konterfei angestarrt hatten, Zweifel an.

„Er ist überhaupt nicht dafür ausgebildet. Warren ist Pilot. Ein ehemaliger Soldat. Kann so jemand Befehle erteilen oder kann er sie nur befolgen? Wir brauchen jemanden, der etwas davon versteht.“

„Das ist richtig.“

stimmte Exodus seinem Vater zu.

„Doch Dan’el wird von den Mitarbeitern respektiert. Dieser Respekt, der hat Bas Goarland gefehlt – und deshalb ist er gescheitert.“

So wie er selbst auch? War es der fehlende Respekt gewesen, der ihm die Dinge so erschwert hatte? Hatte seine kurze Affäre mit Giselle weiteren Erfolg verhindert, weil sie zwischen ihm und einer Vertrauensbasis zu seinen Mitarbeitern gestanden hatte? Rückblickend fiel es ihm schwer, all diese Faktoren zu entwirren und sich ein klares Bild zu verschaffen. Möglich war es zumindest.

„Das glaube ich. Und Warren wird auch weiterhin gute Arbeit auf Fresia leisten. Aber ich würde die Leitung gerne an einen Externen übergeben. Jemanden von Coruscant. Jemand, der noch nicht für uns arbeitet.“

„Ich werde sofort eine Stellenausschreibung ausstellen.“

erklärte der eifrige Assistent seines Vaters und erweckte dabei den Eindruck, am liebsten sofort von seinem Stuhl aufspringen und sich an die Arbeit machen zu wollen. Alad Wingston nickte großzügig, der Vizepräsident der Wingston Corporation hingegen brauchte einige Sekunden, bis er antwortete. Exodus’ Blick hing zwar noch an dem blau flackernden Bild von Dan’el, doch seine Gedanken waren schon längst wieder bei Giselle.

„In Ordnung.“

murmelte er. Damit war es besiegelt. Er war abgelöst worden – und doch musste das nicht nur schlechtes bedeuten. Giselle war auf Coruscant und er blieb es auch. Allein dieses Meeting fühlte sich schon wie reine Zeitverschwendung an, wenn er daran dachte, dass sich die begehrenswerteste Frau, der er je begegnet war, auf demselben Planeten befand wie er. Aber er war nicht so hibbelig wie der ungeduldige Assistent seines Vaters – als Vizepräsident durfte er es nicht sein. Dieses Meeting musste er noch durchhalten, nur noch dieses Meeting den Gelassenen mimen … dann würde er Giselle wiedersehen und mit ihr essen gehen. Und im Anschluss daran, wenn er sie – berauscht von einem romantischen Abendessen – wieder zurück zum Wingston Tower führte, würde er vielleicht, ja vielleicht, daran anknüpfen, wo sein Vater sie vorhin so jäh unterbrochen hatte. Mit einem Ohr nahm er wahr, wie jemand anderes am Tisch das Wort ergriffen und seinerseits die aktuellen Stände im Unternehmen vorstellte. Sein Auftritt war damit beendet und Exodus erlaubte sich einen kurzen Tagtraum hin zu seinem Schlafzimmer - und Giselle, deren anmutiger Körper sich langsam über seine Bettkante bog …

[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Konferenzraum | mit Alad und Mitarbeitern ]
 
- Coruscant – Obere Ebenen – Einkaufsstraßen -

Wenn sie an einem fremden, an einem neuen Ort war, passierte es Giselle Givenchy leicht, jegliches Zeitgefühl zu verlieren. Es gab viel zu sehen, viel zu bestaunen und noch mehr zu erkunden. So war es auf Fresia gewesen, als sie das erste Mal durch die schmalen Gassen von Hill City gestreunt war oder während ihrer ersten Erkundungstouren auf Alderaan. Sie konnte sich erinnern, wie fasziniert sie auf Fingers Mark von der bloßen Schönheit der Natur gewesen war. Ihre nackten Füße waren in den warmen Sand von Rings Island eingetaucht und alles, woran sie hatte denken können, war gewesen, diese romantische Gegend für sich zu entdecken. Sie hatte sich verloren in dem saftigen Grün der Pflanzen, in der Fülle ihrer Blüten und dem Geruch von Meer und Erde. Von alledem gab es hier auf Coruscant nichts. Die Luft stank, der Lärm war allgegenwärtig, das Wetter war trist und Giselle fror, obwohl sie geglaubt hatte, sich warm genug angezogen zu haben. Sie hatte das Gefühl, dass es fast kälter war als im Weltraum, doch wenigstens war ihr die Kälte dort vertraut. Hier, auf dem Stadtplaneten, der gemeinhin als Zentrum der Galaxis bezeichnet wurde, fühlte sich alles anders an, fast falsch.

Giselle war viel gelaufen. Sie hatte Unmengen von Geschäften gesehen, dutzende Bars und Restaurants und Bauwerke von beeindruckender, absurder Höhe. Es war schwer zu erfassen, aber trotz der künstlichen Umgebung, in der kein einziger Baum atmete, steckte Coruscant voller Leben. Ihre Füße taten Giselle weh, als sie sich irgendwann auf eine Bank setzte. Sie befand sich auf einem großen Platz, hoch in den Oberen Ebenen, von denen es tief hinunter ging in die dunklen Schluchten der Mittleren und Unteren Ebenen, Orte von denen Giselle nicht einmal wusste, wie man zu Fuß dorthin gelangen sollte. Sie hatte nichts gekauft, obwohl sie viele Dinge gesehen hatte, die ihr gefallen hätten. Faszinierend an Coruscant war, dass man hier scheinbar fast alles bekommen konnte. Finanziell stand Giselle allerdings schlecht dar. Sie besaß gerade noch genügend Credits um sich für ein paar Tage über Wasser zu halten, doch sie brauchte dringend einen neuen Job, also war sie nur herum gelaufen, hatte sich angesehen was es zu bestaunen gab und so viele Eindrücke wie möglich in sich aufgenommen. Jetzt wurde es langsam dunkel und Giselle realisierte, dass sie die Zeit vergessen hatte. Sie warf einen Blick auf die Uhrzeit, die ihr Komlink auswarf. Es war früher Abend. Giselle streckte die Beine aus und sah sich um. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, wo sie überhaupt war. Es war etwas anderes, wenn sie im Wald unterwegs war. Ob Fresia oder Kashyyyk, sie hatte immer gewusst wo sie sich befand, hatte problemlos immer ihren Weg wieder zurück gefunden. Doch das hier? Eine Stadt war etwas vollkommen anderes. Sich zu orientieren fiel ihr hier einfach schwerer. Den Kragen ihrer Jacke höher schlagend fragte sich Giselle, ob Exodus wohl schon aus seinem Meeting zurück war. Er hatte sich noch nicht bei ihr gemeldet, doch das musste nichts heißen, schließlich war es sein erster Tag zurück in der Heimat und sie zweifelte nicht daran, dass er genug zu tun und mit genügend Leuten zu sprechen hatte, um ganz leicht nicht an sie zu denken. Sie wiederrum dachte häufig an ihn. Ohne Scheu wählte Giselle seine Komnummer und ließ eine Verbindung zu ihm herstellen. Er hatte ihr angeboten, ihn zu kontaktieren, wann immer sie wollte, also würde sie das tun. Als er das Gespräch annahm und sie seine Stimme endlich hörte, erschien ein Lächeln auf ihren Lippen.


“Ich habe eine Frage.“

Legte sie gleich ohne eine Begrüßung los.

“Was macht man auf Coruscant, wenn man sich verlaufen hat?“

- Coruscant – Obere Ebenen – Einkaufsstraßen -
 
- Coruscant – Obere Ebenen – Redaktionsbüro des „City Inquirers“ - Mit Visenc –

„Ich hoffe, du wirst mich vermissen.“

Das Kinn in beide Hände gestützt, die Ellbogen auf dem Tisch, sah Visenc von seinem Platz aus zu, wie Noa ihre letzten Sachen aus der Schublade des Arbeitsplatzes räumte, den sie in den letzten Jahren immer wieder mitbenutzt hatte, wenn sie mal nicht von zu Hause aus gearbeitet, sondern hier im Büro geschrieben hatte. Sie sah zu dem Omwati auf, der längst nicht mehr nur ein Kollege, sondern auch ein Freund geworden war. Und ob sie ihn vermissen würde, wenn sie auf Lianna war! Ihr würde vieles fehlen, ihre Familie, ihr Freunde, ihr Job, ihre tägliche Routine und sogar der Widerstand auf Coruscant. Noa hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, dass sie ihre Heimat einfach so zurück ließ, ohne den Kampf gegen das Imperium zu Ende gekämpft zu haben, auch wenn Pablo versucht hatte ihr klar zu machen, dass sie so nicht denken durfte. Sie unterstützte die Republik weiter, hatte er gesagt, indem sie den Jedi half. Überhaupt, für die Jedi zu arbeiten war das Unglaublichste, das sich Noa jemals hätte vorstellen können! So weit hatte sie nie gedacht, bis plötzlich diese Gelegenheit wie vom Himmel direkt auf ihre Füße gefallen war. So ganz fassen konnte sie es noch immer nicht.

“Visenc, ich werde mindestens jeden Morgen und jeden Abend an dich denken und dir jeden zweiten Tag mindestens eine Träne hinterher weinen.“

Antwortete Noa scherzhaft.

„Mindestens!“

Erwiderte Visenc lachend.

“Mindestens.“

Natürlich war es kein Abschied für immer, das zu wissen war enorm wichtig für Noa. Sie verließ Coruscant nicht für den Rest ihres Lebens – wie könnte sie auch, wenn es doch hier war, wo ihre Familie lebte? Sie würde jetzt das tun, das sie sich vor Jahren schon ausgemalt hatte, nämlich einen Job außerhalb Coruscants annehmen, herum reisen, etwas von der Galaxis zu sehen bekommen und die Bevölkerung hoffentlich über Dinge aufklären, die normalerweise gerne unter den Teppich gekehrt wurden. Das hier war Noas große Chance. Diese nicht zu ergreifen, wäre dumm. Das hatte selbst Cloé gesagt. Ach, Cloé. Sie hatte bereits geweint, als Noa ihr von ihren Plänen erzählt hatte. Dieser Abschied würde definitiv nicht leicht fallen. Es war auch Cloé, die einen Flug für Noa gebucht hatte, da sie über das Reisebüro, in dem sie arbeitete, immer über die besten und günstigsten Möglichkeiten verfügte, und es war auch Cloé, die zwei Stunden nach Noas letztem Gespräch mit Visenc neben ihr stand und ihr half, ihre Koffer zu packen. Eigentlich hatte Noa vor gehabt, dies alleine zu tun und sie hatte sogar damit angefangen, doch dann hatte Cloé – wie üblich – interveniert und fest gestellt, dass sie sich um eine „seriöse“ Garderobe für Noa kümmern müsse, die auf Lianna keinesfalls so schlumpi herum laufen konnte wie auf Coruscant. Das Ende vom Lied war, dass Noa ihre Klamotten zu Cloé nach Hause geschleppt hatte, um dort alles wieder auszupacken und von Cloé bestimmen zu lassen, was sie mitnehmen durfte und was nicht.

„Guck dir nur dieses Teil an. Wann soll das mal in Mode gewesen sein?“

Cloé Raquelle Cortina hielt ein längst verwaschenes Top hoch, dessen Farbe mal ein dunkles Rot gewesen war.

„Das sieht aus wie aus der Altkleidersammlung für die Unteren Ebenen.“

Ihr Urteil war nicht bei jedem Stück so hart, das sie in die Finger bekam, doch es war auch nicht das erste Mal, dass sie in ihrer Wortwahl deutlich wurde. Noa lag unterdessen im Bett ihrer Schwester, damit beschäftigt, alte Fotos auf einem Datapad anzusehen. Flüchtig sah sie auf.

“Das hast du mir mal vererbt.“

Erklärte sie.

„Oh.“

Cloé besah sich das Teil.

„Aber ganz sicher nicht in DIESEM Zustand.“

Und damit flog das Top auf den Haufen der auszusortierenden Klamotten, der bereits doppelt so groß war als der Stapel an Dingen, die Noa mit nach Lianna nehmen durfte.

“Denk dran, dass ich auch ein paar bequeme Sachen brauche.“

Fügte Noa nur kurz ein. Sie hatte im Grunde aufgegeben, gegen Cloé anzukämpfen, nicht nur, weil sie sich nicht für Mode interessierte und eigentlich sogar ganz froh war, dass ihre Schwester sich in dieser Hinsicht bereits seit Jahren um sie kümmerte, sondern auch, weil sie wusste, dass es für Cloé wichtig war, zumindest noch in dieser Sache auf Noa Einfluss zu nehmen und sich um sie zu kümmern. Sie würden schon bald sehr weit voneinander entfernt sein und auch wenn das nicht das erste Mal sein würde, so war doch bisher immer klar gewesen, dass es nur für kurze Zeit war. Sie hatten immer die Aussicht auf ein Wiedersehen gehabt, wenn eine von ihnen im Urlaub gewesen war, oder sogar als Noa nach Abregado und Mon Calamari geflogen war. Das war jetzt anders.

“Schau mal.“

Noa hielt das Datapad hoch, das ein Bild der Zwillinge zeigte, als sie noch ziemlich klein gewesen waren. Sie waren beide über und über mit Farbe beschmiert, nachdem sie versucht hatten, sich mit Malfarbe gegenseitig zu schminken. Cloé beugte sich zu ihr hinüber, grinsend.

„Ich erinnere mich daran. Ich wollte unbedingt rote Lippen.“

“Ha, ja! Und du sahst aus wie ein Clown!“

„Oh man, ja..“

Cloé lachte.

„Ich sehe aus wie ein Clown und du wie ein tätowierter Zabrak.“

“Ja, weil du mich einfach ohne Sinn und Verstand angemalt hast!“

Beschuldigte sie Noa.

„Gar nicht wahr, ich habe Muster gemalt. Sieht man doch.“

“Das wäre alles halb so schlimm gewesen, wenn wir alte Klamotten angezogen hätten. Erinnerst du dich, wie Mom geschimpft hat?“

Noa rief das nächste Bild auf, das noch deutlicher zeigte, wie sehr die Aktion ihr Kleid ruiniert hatte.

“Oh ja, das weiß ich auch noch.“

Cloé lachte.

„Die Schelte hatten wir verdient.“

“Wir haben ziemlich viel Unsinn gemacht.“

Gestand Noa ein und wurde nachdenklich.

“Ich lade mir die Bilder auf einen Datenstick.“

Sie würde in der Fremde so viel Heimat wie möglich brauchen.

„Mach das.“

Stimmte Cloé ihr zu. Auch sie war plötzlich ernster geworden und für eine Weile sagte keine von beiden mehr etwas, während sie sich in einvernehmlichem Schweigen durch die Bilder ihrer Kindheit und frühen Jugend klickten. Erst als Noa nach einer ganzen Weile zufällig den Blick hob, sah sie Jesper still in der Tür stehen. Sie stuppste ihre Schwester an.

„Hey...“

Sagte diese leise.

„Hey.“

“Hey.“

Jesper hatte die Arme vor der Brust verschränkt, stand dort in einer bequemen Pose, gab jedoch nicht zu erkennen, wie lange er sie beide schon beobachtet hatte.

„Ihr guckt Bilder?“

Fragte er. Noa und Cloé tauschten einen Blick.

„Eigentlich packen wir.“

Antwortete Cloé. Noa verzog das Gesicht.

“Cloé packt.“

Korrigierte sie.

„Ah, verstehe.“

Jesper kam näher und setzte sich zu den beiden aufs Bett.

„Was dagegen, wenn ich mitgucke?“

Ein paar Minuten später saßen sie zu dritt nebeneinander in dem komfortablen Ehebett, bequem eingemummelt unter der warmen Decke, jeder eine Tasse heißer Schokolade in der Hand. Noa bediente das Datapad, eingerahmt von Cloé und Jesper zu ihren beiden Seiten, während sie alte und neuere Fotos anschauten und Geburtststage, Thalias und Rámons Hochzeit und selbst die Geburten von Camilla und Ricardo wieder erlebten. Alle wichtigen Ereignisse waren ordentlich dokumentiert worden. Es war einer jener Abende, der ohne Planung entstanden war und zu einer der schönsten Erinnerungen wurde, die man im Laufe eines ganzen Lebens sammelte. Sie würde Jesper und Cloé vermissen, dachte Noa später, als sie bereits wieder auf dem Weg nach Hause war, mehr als alles andere.

Zuhause packte sie den Rest ihrer Sachen. Außer Kleidung würde sie nicht viel mitnehmen, doch natürlich gab es ein paar wichtige Dinge, die sie nicht zurück lassen wollte. Musik lief laut, als Noa ihre wenigen Schränke entleerte und ihre letzten Taschen packte. Für ein paar Tage zu verreisen war einfach, doch wenn man plante längerfristig weg zu bleiben, wurde die Anzahl der Gepäckstücke immer größer. Es gab nur eine Sache, die Noa noch immer unsicher machte: wie würde Cris auf sie reagieren, wenn sie versuchte, wieder gut zu machen, was sie beide (größtenteils er) auf Mon Calamari ruiniert hatten? Gab es überhaupt noch eine ernsthafte Chance für sie? Sie wusste es nicht, doch inzwischen war sie fest entschlossen, es zu versuchen. Zwischen ihnen existierte etwas. Cris war nie einfach nur eine Affäre gewesen, von Anfang an nicht. Das musste doch etwas bedeuten. Noa zog den Reißverschluss ihrer Tasche zu und hievte sie auf die abgewetzte Couch. Wie viele Stunden hatte sie ihr gesessen und gelegen? Ihre Wohnung war nie ein Palast gewesen, nie so toll wie Cloés Appartment oder so gemütlich wie die Wohnung ihres Vaters, in der sie Kinder aufgewachsen waren, doch es war ihr ganz persönlicher Rückzugsort gewesen, ihr eigenes kleines Reich, ihr... auf einmal klopfte es an der Tür, laut und energisch. Überrascht sah Noa auf. Wer wollte um diese Uhrzeit noch was? Nachbarn, die sich über ihre laute Musik beschwerten? Beinahe hätte Noa gelacht. Das war ein weiterer großer Vorteil ihrer Wohnung gewesen: in diesem Gebäudekomplex interessierte sich niemand dafür, was die anderen taten. Jeder machte das was er wollte. Sie ging zur Tür, öffnete sie und stutzte. Im ersten Moment hatte sie Schwierigkeiten, die Person, die ihr gegenüber stand, zuzuordnen.


“Noa.“

Es war Private Echo. Er wirkte außer Atem.

“Will...“

Doch zu mehr kam Noa nicht. Er war bereits an ihr vorbei gestürmt, hinein in ihre Wohnung. Empört fuhr sie zu ihm herum.

“Was tun Sie hier?“

Wollte sie wissen. Nicht nur, dass sie absolut keine Zeit und keine Lust auf einen Besuch hatte und auch nicht daran interessiert war, eine tiefere Freundschaft zu einem Imperialen aufzubauen (auch wenn sie sich vielleicht einmal ganz gut unterhalten hatten), nein, es war außerdem viel zu spät!

“Haben Sie mal auf die Uhr geschaut?“

Aufgebracht sah sie ihn an, doch anstatt ihr zu antworten, starrte Will Echo lediglich auf die gepackte Tasche auf ihrer Couch. Sein Blick glitt langsam durch ihre Wohnung, bis er wieder an ihr hängen blieb und erst in diesem Moment, reichlich verspätet, rollte die Erkenntnis über Noa hinweg, warum er ihr im ersten Moment, als sie ihm die Tür geöffnet hatte, so fremd vorgekommen war: Will Echo trug Zivilkleidung.

„Dann stimmt es also?“

Wollte er wissen. Noa hob beide Augenbrauen.

“Stimmt was?“

Fragte sie zurück. Sein Blick wanderte zurück zu der gepackten Tasche und dem zweiten unfertigen Gepäckstück, das noch auf dem Boden stand.

„Sie sind auf der Flucht.“

Schock schwang in seinem Ton mit und Noas Herz schlug plötzlich doppelt so schnell. Sie machte einen halben Schritt rückwärts. Er wusste es. Er wusste, wer sie war. Er wusste vom Widerstand, von den Defendern. Sie schluckte, zwang sich zu einem künstlichen Lachen.

“Auf der Flucht? Haha. Nein. Wovor?“

Ihre Stimme klang hölzern. Noa Chanelle Cortina war immer eine miserable Lügnerin gewesen.

„Sie haben zwei Offiziere des Imperiums umgebracht.“

Private Will Echo schüttelte den Kopf.

„Und ich habe es nicht geglaubt. Ich war fest davon überzeugt, es müsse sich um einen Irrtum handeln.“

Er hielt ihren Blick fest.

„Doch das tut es nicht, nicht wahr?“

Ihre Lippen waren plötzlich spröde, ihre Kehle wie ausgetrocknet. Für einen Moment war Noa wieder zurück in jenem Hinterhof des Schnellrestaurants, wo sie über den leblosen Körpern zweier Männer stand. Sie sah Amata und wusste, sie hatte nichts anderes tun können. Es war das Richtige gewesen. Will hielt ihren Blick noch immer, doch Noa antwortete nicht. Alles was sie wusste war, dass ein imperialer Soldat zwischen ihr und ihrem Schlafzimmer stand, in dem ihre Blaster lagen, und sie keine Chance hatte, an ihre Waffen zu gelangen.

- Coruscant – Obere Ebenen – Raumhafengegend – Noas Wohnung – Mit Will Echo –
 
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- Coruscant – Obere Ebenen – Raumhafengegend – Noas Wohnung – Mit Will Echo –

Sie standen sich gegenüber wie zwei Raubtiere, der imperiale Soldat und die Widerstandskämpferin. Laute Musik schallte noch immer aus dem Lautsprecher in Noas Wohnung. Die Tür in ihrem Rücken war geöffnet. Mit einem Satz konnte sie hinaus sein, dachte Noa, hinaus in den Gang und dann auf und davon. Doch wie schnell war Will und war sie schnell genug? Auf der Suche nach einer plausiblen Erklärung suchte ihr Verstand nach einer Ausrede. Noch hatte sie nichts gestanden und nichts zugegeben. Gleichzeitig wusste Noa, dass die Chancen, dass er ihr glauben würde, ziemlich schlecht standen. Wenn sie auch noch nichts gesagt hatte, musste er ihr die Wahrheit doch von ihrem Gesicht ablesen können. Es war vorbei. In Ermangelung einer besseren Idee und ohne Aussicht, ihre Waffen zu erreichen bevor er sie daran gehindert hatte, blieb Noa nur eine einzige Möglichkeit: der Rückzug. Für die Dauer eines Herzschlages hatte sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, als sie schließlich, inmitten des langen Blickkontaktes, in dem sich keiner von ihnen beiden regte, ausbrach und zurück schnellte, hinaus in den Gang – ganz so, wie sie es sich überlegt hatte. Sie hatte den Flur der Appartmentreihen vor Augen, wusste genau wo sie lang musste, doch schon als sie sich nach links drehte um Richtung Ausgang zu fliehen, spürte sie Will direkt hinter sich. Sein Griff schloss sich um ihr Handgelenk, noch bevor sie es verhindern konnte. Frustration stieg in Noa auf und nur unter Aufbringung aller ihrer Kräfte konnte sie sich los reißen. Sie taumelte zurück, stieß mit dem Rücken gegen die Wand und entging nur um Haaresbreite einem Blasterblitz, der an ihrem rechten Ohr vorbei zuckte. Noas Kopf flog herum, in die Richtung aus der der Schuss gekommen war und ihre Augen weiteten sich im Angesicht der CSF-Patrouille, die am entgegen gesetzten Ende des Korridors gerade aus dem Turbolift getreten war.

„Noa!“

Wills Stimme brach zu ihr durch. Er hatte wieder ihren Arm gepackt.

„Hier entlang!“

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Er zog sie mit sich, über ihr zischte ein weiterer Blasterblitz hinweg. Noas Beine liefen wie von selbst. Über das Poltern ihrer Schritte hinweg hörte sie das Rufen der Coruscantschen' Sicherheitspersonals, doch ein Blick zurück hätte zu viel gekostet. Stattdessen rannten sie durch den Korridor, Will immer einen Schritt vor ihr und in Noas Kopf kreisten tausend Fragen. Sie näherten sich dem zweiten Fahrstuhl, der am Ende des von beiden Seiten begehbaren Flurs lag. Doch war das ein Ausweg? Hinter ihnen kamen die Sicherheitsmänner näher. Sie konnten unmöglich auf den Lift warten!

“Will... die Treppe!“

Außer Atem preschten sie durch die Tür und ins Treppenhaus, wo Noa instinktiv nach unten laufen wollte, doch Will zerrte sie in die andere Richtung.

„Hierher!“

Es blieb keine Zeit für Fragen. Noa folgte ihm. Blasterschüsse rasten die Treppe auf hinter ihnen her. Ihr Puls rannte. Vier Stockwerke weiter erreichten sie die Tür zum Dach. Außer Atem stolperte Noa die letzte Treppenstufe hinaus.

“WAS JETZT??“

Rief sie, als kalter Schmierregen sie draußen empfing. Der Verkehr über ihnen verursachte höllischen Lärm.

„MEIN GLEITER!“

Schrie Will zurück und in der Dunkelheit des späten Abends erkannte Noa die gelb leuchtende Lackierung des auf sie wartenden, rettenden Fahrzeugs. Sie erlaubten sich keine Pause, rannten weiter vorwärts und Will sprang als erster in den Luftgleiter, genau in dem Moment als die CFS-Beamten ebenfalls das Dach erreichten. Mit eingzogenem Kopf und hoch gezogenen Schultern folgte Noa ihm auf dem Fuße. Ein sengender Schmerz in ihrer Seite ließ sie straucheln, als sie sich in die Polster des Gleiters warf Es war eine Flucht in allerletzter Sekunde.

Coruscant huschte an ihnen vorbei, schneller und farbloser als Noa es je wahr genommen zu haben schien. Will saß am Steuer des Gleiters, den Blick konzentriert auf den Verkehr gerichtet. Noch immer aufgewühlt schob sie sich von der Rückbank nach vorne auf den Sitz neben ihn, sah ihn an, doch er würdigte sie keines Blickes. Was war da gerade passiert? Hatte er sich tatsächlich für sie gegen die CFS-Patrouille, gegen das Imperium und den offensichtlichen Haftbefehl gegen sie gestellt? Oder war dies alles nur ein verwirrender, seltsamer Traum, aus dem sie jede Sekunde aufwachen würde? Sie legte ihre Hand auf ihre rechte Seite. Nein, der Schmerz war echt.


“Will?“

Noa stockte, suchte nach der richtigen Frage.

“Warum hast du... ich meine.... warum hast du das getan?“

Sie drehte sich in ihrem Sitz herum, reckte den Hals, doch alles was sie sah war der übliche, dichte Verkehr der Stadt, der selbst nachts nicht dünner zu werden schien. Coruscant war der Planet, der niemals schlief. Seine Züge wirkten grimmig, als er weiterhin geradeaus starrte und für eine Weile glaubte Noa, er würde nicht antworten, nicht mit ihr sprechen wollen, doch dann sah er doch flüchtig in ihre Richtung. Sie hörte ein Seufzen.

„Warum, Noa?“

Er schüttelte den Kopf.

„Weil Sie meine Freundin sind.“

Sie starrte ihn an, sprachlos. Freunde, sie waren Freunde? Seit wann? Ein unangenehmer Kloß setzte sich in ihrem Hals fest. Spätestens seit heute, dachte sie. Private Will Echo hatte ihr nun schon zweimal den A*sch gerettet. Was bewies Freundschaft besser als das?

„Ich hätte nur gerne gewusst, warum Sie es getan haben.“

Wills Stimme war nach wie vor sehr ernst, der Situation angemessen. Noa rieb sich mit der linken Hand die Stirn. Jetzt war es defintiiv zu spät und mittlerweile auch vollkommen unsinnig, noch irgendetwas zu leugnen.

“Um meine Freundin zu beschützen.“

Antwortete sie daher wahrheitsgemäß.

“Die beiden Offiziere haben ihr aufgelauert... und sie belästigt.“

Sie wollte nicht mehr sagen. Je weniger sie an das denken musste, das sie gesehen hatte – und auch an die Dinge, die nicht an jenem Abend, aber vermutlich während anderer Gelegenheiten geschehen waren – desto besser.

„Oh. Das wusste ich nicht.“

Sie sah ihn scharf an.

“Und was wusstest du?“

„Nur, dass man zwei tote Offiziere gefunden hat und man nach Ihnen suchte, weil Sie des Mordes verdächtigt werden. Aber Ihre Geschichte scheint zu passen.“

Noa runzelte die Stirn.

“Warum?“

Will presste die Lippen aufeinander.

„Ihre Freundin, ist sie eine Togruta?

Wollte er wissen und wäre Noa nicht ohnehin schon aschfahl gewesen, sie wäre unter dem Schock der Flucht noch eine Spur blasser geworden.

“Amata... was ist mit ihr?“

„Ich werte das als ein Ja.“

Sie nickte stumm. Wieder ein Seufzen. Inzwischen hatte er den Gleiter in ein dunkles Parkhaus gelenkt, suchte eine freie Bucht in einer Ecke und parkte ihn dort. Die Lichter des Fahrzeugs erloschen und Dunkelheit umfing sie.

„Sie hat gegen dich ausgesagt.“

Sagte er schließlich und die vertraute Anrede, die er zum ersten Mal ihr gegenüber benutzte, war ein Indiz dafür, dass er wusste, dass ihr diese Nachricht zu schaffen machen würde. Tatsächlich schien Noas Herz zu brennen. Amata hatte sie verraten. Sie hatte erzählt, was Noa getan hatte. Sie schüttelte den Kopf, fassungslos, und Will legte eine Hand auf ihre. Sie fühlte sich berogen.

„Falls es hilft, ich glaube nicht, dass sie eine andere Wahl hatte.“

Sagte er leise, doch er lag falsch. Man hatte immer eine Wahl. Man konnte immer entscheiden, ob man das Richtige tat oder die Augen verschloss. Vielleicht war es falsch, zu erwarten, dass Amata sich gegen das Imperium stellte und Noa schützte, doch Noa hatte es wie selbstverständlich erwartet. Nicht eine einzige Sekunde lang hatte sie geglaubt, in Gefahr zu sein oder auch nur in Schwierigkeiten geraten zu können. Sie hatte erwartet, dass Amata, ihre gute Freundin die sie seit so vielen Jahren kannte, eben genau das tat, das Will Echo heute für sie getan hatte.

“Was passiert jetzt mit ihr?“

Fragte Noa, obwohl sie die Antwort bereits kannte. Will schüttelte den Kopf.

„Ich weiß es nicht.“

Aber sie wusste es. Sie sprachen über das Imperium. Stumm lehnte sie sich nach vorne und stützte ihren Kopf auf das Armaturenbrett des Gleiters. Es sah ganz so aus, als hätte sie Amata am Ende doch nicht retten können. Wie vom Blitz getroffen fuhr Noa hoch.

“Ich muss meine Familie warnen!“

Sie wandt sich in ihrem Sitz, auf der Suche nach ihrem Komlink. Als ein Stich ihre rechte Körperhälfte betäubte, sog sie zischend die Luft ein.

„Was ist?“

Wollte Will wissen. Er beugte sich über sie und entdeckte die Blasterwunde in ihrer Seite. Die Augen geweitet sah er sie an.

„Du brauchst einen Arzt!“

Noa schob ihn zurück.

“Nein.“

Erwiderte sie bestimmt.

“Ich brauche dein Komlink.“

Beschwörend sah sie ihn an.

“Ich muss meine Familie kontaktieren. Wenn die CSF weiß, wer ich bin und wo ich lebe, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie bei meiner Familie vor der Tür stehen.“

Und dies musste Noa um jeden Preis verhindern. Mit einem Griff an seinen Gürtel löste Will sein Komlink und hielt es ihr hin. Pablos Nummer konnte Noa fast blind eingeben. Sie spürte, wie ihr Puls sich wieder beschleunigte „Komm schon“, bat sie stumm, „geh ran.“ Es war natürlich eine fremde Nummer. Pablo würde sich wundern, wer ihn kontaktierte. Sekunde um Sekunde verstrich und Noas Gesicht flammte vor Hitze. Dann, endlich:

„Hallo?“

“Pabo, ich bin's. Noa.“

Sie kannte ihn so gut, sie konnte sich genau vorstellen, wie seine Mimik die Skepsis in seinen Gedanken verriet und er versuchte zu entschlüsseln, von welcher Nummer sie ihn anrief und warum.

“Hör zu...“

Noa holte tief Luft. Nein, es war keine Zeit für Erklärungen. Sie hatte es vermasselt. Alles.

“Du musst Code X ausrufen.“

Wies sie ihn an und war überrascht, wie fest ihre Stimme noch klang.

“Hast du verstanden? Code X!“

„Bist du sicher?“

Pablos Stimme verriet höchste Alarmbereitschaft und für einen Moment wünschte sich Noa, sie hätte sich tatsächlich geirrt. Es wäre so einfach, könnte sie einfach sagen, dass sie sich alles nur eingebildet hatte und dass alles ganz anders war als sie gedacht hatte. „Haha, Fehlalarm!“, würde sie lachend rufen und mit buntem Konfetti um sich werden, doch so war es nicht.

“Positiv.“

Erwiderte sie nach kurzem Zögern.

“Code X, Pablo. Wir sehen uns am Treffpunkt.“

Sie schloss die Augen, schicksalsergeben, nachdem sie die Verbindung beendet hatte. Es war das schlimmste Szenario, das sie sich vorstellen konnte. Code X stand für den Notfallplan, der ihre ganze Familie innerhalb von Minuten aus den Oberen Ebenen evakuieren würde. Jeder von ihnen kannte die hohe Prioritätsstufe. Vor ihrem inneren Auge sah Noa, wie Cloé in diesem Moment aus ihrem Bett springen würde, verschlafen, ängstlich, wütend. Sie schluckte schwer und hoffe, dass, egal was passieren würde, es noch nicht zu spät war.

- Coruscant – Mittlere Ebenen – Parhaus - Gleiter – Mit Will Echo –
 
- Coruscant – Untere Ebenen – Alter Wohnblock – Wohnung 4B – Mit

Die Wohnung Nr. 4B, zu finden in einem baufälligen Wohnblock in den Unteren Ebenen Coruscants, war nur einer der diversen stützpunkte der Defender. Sie war als Treffpunkt ausgewählt worden, weil sie weniger okkupiert war als der Rest der Standorte des Widerstandes, und weil sie aus allen Richtungen leicht zu erreichen war. Pablo war bereits dort gewesen und hatte unruhig Ausschau gehalten, als Noa eingetroffen war. Sie war zu Fuß gekommen, nachdem Will sie einige Blöcke früher abgesetzt hatte und obwohl sie nicht übermäßig gerannt war, war sie vollkommen außer Atem. Das erste, wonach Pablo gefragte hatte war, was geschehen war und Noa hatte vorsichtig zu erzählen begonnen. Sie berichtete von dem Zwischenfall im Hinterhof des Schnellrestaurants, von dem sie schon längst hätte erzählen sollen, und von dem Auftauchen der CSF Patrouille vor ihrer Wohnung. Was sie ausließ war der Teil, in dem Will sie aufgesucht hatte und ihr zur Hilfe gekommen war. Sie wusste inzwischen, dass sein Auftauchen kein Zufall gewesen war. Er hatte von der Fahndung nach ihr gehört und beschlossen, sie persönlich zu konfrontieren, doch seine Absicht im Falle ihrer Schuldigkeit war niemals gewesen, sie zu überführen. Das war auch der Grund, warum er in Zivilkleidung vor ihrer Tür gestanden hatte. Will Echo war bewusst gewesen, dass er nur einen geringen zeitlichen Vorsprung hatte und dass die Chance, dass er auf seinem Weg zu Noa einer CSF-Einheit begegnen würde, groß war. In ziviler Kleidung jedoch, hatte er beschlossen, würde er größere Chancen haben unerkannt zu bleiben und Noa hoffte für ihn, dass es funktioniert hatte. Sie schuldete ihm so viel. Als Rámon als Dritter zu ihnen dazu stieß, unterbrach Noa ihre Geschichte, zum einen um wieder von vorne zu beginnen und ihrem ältesten Bruder zu erzählen, was er noch nicht mitbekommen hatte, aber hauptsächlich, weil seinem geschulten Auge ihre leicht unnatürliche Haltung aufgefallen war, die Pablo bisher entgangen war.

„Zieh dich aus.“

Forderte er sie auf und stellte sich vor sie. Noa rückte die Augenbrauen näher zusammen.

“Was?“

„Du hast mich schon verstanden. Ich will sehen, wie schlimm es ist.“

Ohne von ihrem Stuhl aufzustehen verschränkte Noa die Arme vor der Brust. Es gab jetzt wirklich wichtigeres als die Behandlung eines Streifschusses.

“Es ist nur ein Kratzer.

Stellte sie klar. Ihre Blicke bohrten sich kräftemessend ineinander.

„Das beurteile ich.“

Beharrte Rámon. Noa schnaubte.

“Fein!“

Kapitulierte sie patzig, stand auf und zog sich ihr Shirt hoch. Es brannte, als sie den Stoff, der sich in ihre Haut gefressen hatte, weg riss. Sie drehte sich ins Licht, damit Rámon besser sehen konnte und riskierte selbst ebenfalls einen Blick hinunter. Der Schrecken ließ ihr schwindelig werden und ihr Sichtfeld verschwand.

„Vorsicht!“

Sie spürte, wie Pablo sie stützend packte. Ihre Beine hatten unter ihr nachgegeben und ihr war schwarz vor Augen geworden. Noa blinzelte, schappte nach Luft und beugte sich nach vorne. Nur langsam und verschwommen kehrte ihr Blick zurück.

“Urgh.“

Sie hielt sich an Pablo fest und lehnte sich gegen ihn. Das Zittern in ihren Knien konnte sie förmlich spüren. Noas rechte Seite war fast vollständig mit großen Blasen überzogen. Ihre Haut war hässlich verzerrt, faltig und zu großen Teilen fast schneeweiß, abgesehen von der Stelle, an der der Energiestrahl des Blasters sie direkt getroffen hatte. Dort war von ihrer Haut kaum noch etwas übrig. Die Stelle war schwarz, gänzlich verkohlt, als hätte sich ein Loch einfach in sie hinein gebrannt. Darunter kam rohes Fleisch zum Vorschein. Noa Chanelle Cortina schluckte. Weitere Rötungen erstreckten sich über ihren Bauch bis hin zu ihrem Bauchnabel. Sie drehte den Kopf weg und jetzt, wo sie der Realität ins Auge gesehen hatte, fühlte sie auf einmal auch den Schmerz, ein starkes Pulsieren in ihrer kompletten rechten Körperhälfte.

„Pablo, bring sie rein!“

Sie hatte gar nicht gemerkt, dass Rámon verschwunden war, hörte seine Stimme jedoch jetzt aus einem der anderen Räume. Ein kurzer Blick auf ihre Verletzung hatte für ihn offenbar genügt, um zu entscheiden, dass dringender Handlungsbedarf bestand.

„Und hilf ihr, allen Schmuck auszuziehen. Trägt sie Ohrringe?“

Mit einer Hand hielt Pablo Noas Haare zur Seite.

„Ja.“

„Sofort raus damit. Und zieh ihre Strümpfe aus.“

Ohne sich zu wehren ließ sich Noa von ihrem Bruder ins Nebenzimmer führen. Es war einer der Räume, in dem Rámon regelmäßig in Mitleidenschaft gezogene Widerständler behandelte. Sie erinnerte sich, dass Cris hier versorgt worden war, nachdem die Defender zum ersten Mal auf ihn getroffen waren und ihn aus den Trümmern eines Schlachtfeldes gerettet hatten. Pablo half ihr, sich auf einer vorbereiteten Liege zu platzieren und zog den Verschlüsse der einfachen Ohrstecker, die sie trug.

„Wofür ist das nötig?“

Fragte Noa. Sie hatte Schwierigkeiten zu atmen. Alles ging so... langsam. Irgendwo hinter ihr hörte sie Wasser laufen. Rámon wusch und desinfizierte seine Hände.

„Um einer Abschnürung der Blutgefäße vorzubeugen. Deine Verbrennungen rufen Schwellungen hervor, die den Blutfluss in deinem ganzen Körper behindern können.“

Die Stimme ihres ältesten Bruders klang ruhig, doch vor Noas Augen drehte sich alles, obwohl sie lag. Sie sah eine Wand auf sich zukommen und auf sie nieder krachen. Es war reine Einbildung.

“Brauchst du Hilfe?“

Hörte sie Pablo fragen. Es folgte eine kurze Pause.

„Vissen wird jeden Moment zurück sein. Sie kann mir assistieren.“

Vissen. Der Name kam Noa wage bekannt vor, eine Theelin die dauerhaft in Wohnung 4B stationiert war. Wenn sie Rámon öfter half, kannte sie sich vermutlich aus. Sie lehnte ihren Kopf zurück und schloss die Augen. Gleichzeitig hörte sie, wie sich eine Tür öffnete. Stimmen.

„Pablo! Was zur Hölle ist passiert?“

„Hey, gut euch zu sehen.“

„Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten.“

Cloé und Jesper...

„Ich erkläre sofort. Gebt mir eine Sekunde. Hallo, Dad.“

...und ihr Vater.

„Wo ist Noa?“

“Ich bin hier!“

Noa richtete sich halb auf, doch Pablo drückte sie zurück auf die Liege und bevor Cloé den Raum betreten hatte, hatte er sie bereits abgefangen.

„Bleibt im Wohnraum. Ich bin sofort bei euch.“

„Wieso? Was ist mit Noa?“

Cloés Stimme klang besorgt.

“Keine Panik, Clo, ich lebe noch. Dreh dich um und... guck weg.“

Brachte Noa cool hervor. Ihre Schwester sollte weg bleiben. Noa hatte selbst gesehen, wie sie aussah und es war kein appetitlicher Anblick. Sie vermied es ja selbst, ein zweites Mal hinzusehen. Hinter Cloé erschien ihr Vater in der Tür, doch ehe irgendjemand noch etwas sagen konnte, schob sich Rámon zwischen Noa und den Rest ihrer Familie und wies sie alle an, den Raum zu verlassen.

„Rámon, wir gehen nicht bis uns nicht wenigstens jemand gesagt hat, was hier los ist!“

Schnauzte Cloé. Pablo drückte ihr beschwichtigend die Schultern.

„Noa wurde angeschossen. Rámon kümmert sich um sie.“

Er schob sie zur Tür hinaus und diese schloss sich hinter ihnen. Noas Kopf fiel wieder zurück. Sie fühlte sich auf einmal furchtbar müde, furchtbar kaputt und alles um sie herum geschah wie durch einen Filter.

„Achtung, nicht erschrecken.“

Von oben kam ein Gegenstand auf sie zu. Eine Maske legte sich über Noas Gesicht und Sauerstoff flutete in ihre Lungen. Rámon stand über ihr und breitete einen kühlenden Umschlag über ihren Hautverbrennungen aus: Bacta. Die Tür des Behandlungszimmers öffnete sich und jemand kam herein.

„Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte!“

Noa hörte eine Frauenstimme und ordnete sie der Theelin zu. Sie wollte etwas sagen, sie begrüßen, doch ihre eigene Stimme versagte.

„Womit haben wir es zu tun?“

Fragte die Theelin und Noa musste sich zwingen, zuzuhören.

„Starke Verbrennungen dritten Grades durch drei Blastereinschüsse. Möglicherweise Beschädigung der Leber durch einen der Einschüsse. Weitere Verbrennungen zweiten Grades durch Ausbreitung der Wunde. Beginnende Infektion. Brauche einen intravenösen Zugang.“

„Bin dabei.“

„Noa?“

Nachdem er kurzzeitig aus ihrem Blickfeld verschwunden war, war Rámon jetzt plötzlich wieder da. Er löste die Sauerstoffmaske von ihrem Gesicht und beugte sich über sie.

„Ich werde dir jetzt ein Inhalationsanästhetikum verabreichen. Du wirst dann einschlafen. Anschließend vervollständigen wir die Narkose über ein injiziertes Anästhetika. Ich kümmere mich um dich, okay?“

Sie konnte seine Augen sehen, seine dunklen, tiefen Augen. Noa nickte schwach.

“Ist Leandro auch hier?“

Wollte sie wissen.

"Sind alle hier?"

Fragend hob Rámon den Blick.

"Ich habe Leandro draußen gesehen."

Sagte die Theelin und Noas Körper entspannte sich.

"Okay."

Antwortete sie leise und spürte Rámons Hand, die zärtlich über ihre Wange strich. Sein Gesicht war das letzte, das sie sah, bevor er ihr wieder eine Maske vor ihr Gesicht hielt. Noa tat lediglich zwei Atemzüge und die Welt um sie herum wurde dunkel.

- Coruscant – Untere Ebenen – Alter Wohnblock – Wohnung 4B – Behandlungszimmer – Mit Rámon und Vissen -
 
[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Konferenzraum | mit Alad und Mitarbeitern ]

Ein blau aufleuchtendes Flackern kündigte die nächste von Mannys Konzeptzeichnungen an. Irgendeine Idee für irgendein weiteres Luxusschiff, das sie irgendwann möglicherweise produzieren würden. Vielleicht. Exodus unterdrückte ein Gähnen und lehnte sich gelangweilt in seinem Sessel zurück. Normalerweise gehörten Mannys Ideen für neue Schiffsserien zu den Dingen, die ihn an den Meetings wirklich interessierten – aber im Moment konnte er sich kaum etwas Unsinnigeres vorstellen. Sie hatten ihre Planung bezüglich der neuen Serien schon längst abgeschlossen und vieles davon befand sich erst in den Anfängen der Umsetzung – wie etwa ‚The W‘. Es lohnte sich überhaupt nicht, weitere Gedanken an die nächsten Designs zu verschwenden. Und trotzdem bestand sein Vater beharrlich darauf, jede noch so unfertige Konzeptzeichnung von Manny zu sehen. Was sollte bloß dieses Theater? Sie alle hatten besseres zu tun. Vor allem ihm selbst fielen einige Dinge ein, die er jetzt lieber täte, als sich diese blöden Bilder anzusehen – und alle hingen mit Giselle zusammen. Giselle, die sich Coruscant gerade ohne ihn ansah, weil er den Hausfrieden hatte bewahren wollen. Wenn er ehrlich war, konnte er nicht mal mit Sicherheit sagen, ob es das wert gewesen war. Wirklich zufrieden wirkte sein Vater nämlich nicht. Ein weiteres Flackern ließ Exodus kurz aufblicken, ehe sein Blick erneut den Präsidenten fand. Alad Wingston schien hochkonzentriert und hörte Manny bei jeder seiner Ausführungen zu, ermutigte ihn sogar noch, einige Gedanken weiter zu vertiefen. Aber die anderen? Sie sahen tatsächlich ähnlich gelangweilt aus wie Exodus – und das musste schon was heißen. Normalerweise leisteten sich ihre Mitarbeiter, auch die hochrangigen, so einen unprofessionellen Fauxpas wie demonstrative Langeweile nicht. Das plötzliche Vibrieren des ganzen Tisches ließ sie alle aus ihrer Starre hochschrecken. Selbst Manny hielt inne.
Die Quelle der vermeintlichen Störung war schnell ausgemacht und alle Augenpaare richteten sich auf das kleine Gerät, das vor Exodus lag. Nach dem zweiten Vibrieren hob er sein Comlink vom Tisch und sah den Namen des Anrufers auf dem Display: Giselle. Die Macht schickte sie!


„Ja?“

meldete er sich knapp, während er in einer fließenden Bewegung von seinem Stuhl aufstand und mit großen Schritten in Richtung Ausgang stakste. Allein ihre Stimme zu hören, ließ seine Mundwinkel zucken. Doch ihre Frage machte es schließlich unmöglich, den Raum mit einem ernsten Gesicht zu verlassen. Was tat man auf Coruscant, wenn man sich verlief? Die Tür öffnete sich quälend langsam, ehe er endlich hinaus auf den Flur schlüpfen konnte.

„Ich fürchte, da gibt es nur einen Ausweg …“

begann er mit neckischem Unterton, froh, etwaigen Zuhörern kurzfristig entkommen zu sein.

„Man muss sich retten lassen.“

Oder man lud sich die aktuelle Karte des Distrikts auf sein Comlink und orientierte sich darüber. Aber das war nicht die Antwort, die er Giselle geben wollte. Und wenn ihn nicht alles täuschte, wollte sie sie auch nicht hören.

„Ich wüsste da jemanden, der sich ganz gut in den oberen Ebenen auskennt.“

Für einen kurzen Moment legte er eine Kunstpause ein.

„Ich könnte ihr zu dir schicken.“

Sein Grinsen wurde noch breiter, als Giselle diese Idee bestätigte. Ihren groben Aufenthaltsort konnte er dem Anruf auf sein Com entnehmen – und wenn er sich ihr näherte, würde die Macht ihn leiten. Ihre Aura zog ihn ohnehin magisch an: Er würde sich ganz automatisch in ihre Nähe bewegen. Exodus trennte die Verbindung nach einer knappen Verabschiedung und öffnete erneut die Tür zum Konferenzraum, allerdings nur um kurz seinen Kopf durch die Öffnung zu stecken.

„Entschuldigt mich bitte.“

Er versuchte ein zerknirschtes Gesicht aufzusetzen, was ihm angesichts der Aussicht dieser Konferenz endgültig zu entkommen und dafür Giselle zu treffen allerdings nur mäßig gelang. Sein Blick traf kurz den seines Vaters. Alad Wingston schien alles andere als erfreut: Seine Augenbrauen waren zusammengezogen und bildeten eine tiefe Falte über seine Nase und sein Mund hatte sie zu einem dünnen Strich verengt. Doch das war Exodus egal – sein Vater hatte ihn lange genug hier behalten. Jetzt war es an der Zeit, eine verirrte Vahla aus den Einkaufsstraßen von Coruscant zu befreien.

„Ich werde gebraucht.“

[ Coruscant – Obere Ebenen – Wingston Tower – Konferenzraum | mit Alad und Mitarbeitern ]
 
(Cloé Raquelle Cortina)

- Coruscant – Untere Ebenen – Alter Wohnblock – Wohnung 4B – Wohnraum – Mit Matteo, Pablo, Leandro und Jesper -

Noch war alles unwirklich. Cloé begann langsam, nicht mehr daran zu glauben, doch noch konnte immer alles nur ein Traum sein. Sie war Zuhause mit Jesper gewesen, als Pablos Anruf sie erreicht hatte. Code X war eine Sicherheitsvorkehrung, die sie vor langer Zeit getroffen hatten für den Fall, dass die Verwicklungen ihrer Familie mit dem Widerstand gegen das Imperium ans Tageslicht gerieten und sie gezwungen waren unterzutauchen. War dieser Tag tatsächlich heute gekommen? Es war lange gut gegangen, ofmals zu Cloés Überraschung. Nicht selten hatte sie sich Sorgen um ihre Brüder oder ihre Schwester gemacht. Von Tag eins an war sie gegen deren Invovelment mit den Defendern gewesen, doch sie hatte ihnen nichts vorschreiben, ihnen nichts verbieten können und so war ihr nichts anderes übrig geblieben als zu akzeptieren was sie taten, die Zähne zusammen zu beißen und zu hoffen, dass sie wussten, was sie taten. Die meiste Zeit über schien es genau so, bis Pablo verletzt und Noa von Piraten gefangen genommen worden war. Spätestens das war der Anfang vom Ende gewesen.

„Erzähl uns von Anfang an, was passiert ist.“

Der Blick ihres Vaters war auf Pablo gerichtet. Matteo Cortina stand mit dem Rücken zu einem der verhangenen Fenster, Pablo saß in einem der Sessel, schräg gegenüber von Cloé und Jesper, die auf der Couch saßen, und Leandro wanderte unruhig im Raum auf und ab, immer wieder den gleichen Pfad entlang.

„Ich weiß nur das, was Noa Rámon und mir vorhin erzählt hat: sie kam dazu, als zwei dreckige Offiziere sich an Amata vergriffen haben und hat beide durch gezielte Kopfschüsse getötet. Die Leichen wurden im Hinterhof des Imbiss' gefunden, in dem Amata arbeitet.“

„Also hat es nicht lange gedauert, bis man sie interviewt hat.“

Fiel Matteo Cortina mit einer Vermutung ein. Pablo nickte bestätigend.

„Genau das. Ärgerlicherweise hat Amata den Befragungen nicht stand gehalten. Sie hat der Coruscant Securtiy Force von Noa erzählt und die haben ihr heute Abend einen Besuch abgestattet. Sie konnte fliehen, aber...“

Pablo brach ab und sagte nichts weiter. Sie wussten alle, wo Noa sich jetzt befand.

“Amata hat Noa verraten?!“

Cloé glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Also saßen sie alle in diesem Desaster, weil Noa einerseits ihre Finger nicht von dem Abzug ihres verdammten Blasters lassen konnte und andererseits, weil Amata nicht den Mumm hatte, ihre Freundin zu schützen! Pablo hob beide Hände.

„Nach allem, was Noa gesagt hat, sieht es danach aus. Aber...“

“Kein Aber! Pablo, wir kennen Amata seit der Schule, seit... gut zehn oder elf Jahren!“

„Das ist mir bewusst. Ich kenne sie auch. Aber was hilft es?“

Pablo schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, ob dir bewusst ist, welche Methoden das Imperium verfolgt, um an Informationen zu gelangen, Cloé. Was sie wollen, bekommen sie. Amata hatte keine Chance, dem Stand zu halten. Ich kann sie nicht dafür verurteilen, dass sie Angst hatte.“

“Nein, aber sie ist der Grund, warum Noa dadrin liegt!“

Mit einer aufgebrachten Kopfbewegung deutete Cloé in Richtung des Behandlungszimmers und ihr Blick heftete sich auf die geschlossene Tür, hinter der ihr ältester Bruder Rámon von ihrer Schwester versuchte zu retten, was zu retten war. Wie schlimm, fragte sich Cloé, war es wirklich? Sie spürte, wie Jespers warme Hand nach der ihren griff, wandte sich ihm zu und lehnte sich an ihn.

„Wir machen uns alle Sorgen, Liebes.“

Die tiefe Stimme ihres Vaters drang zu ihr durch und Cloés Augen füllten sich mit Tränen.

“Ich weiß.“

Erwiderte sie. In einem Versuch, stark zu sein, wischte sie sich die Augen.

“Was passiert als nächstes?“

Schweigen antwortete auf ihre Frage. Ihr Vater, Pablo und Leandro wechselten einen langen Blick.

“Unser größtes Problem ist, dass wir uns nicht mehr frei bewegen können.“

Sagte Pablo schließlich.

“Allein unser Name macht uns verwundbar.“

„Was meinst du damit?“

Hakte Jesper nach. Pablo zuckte mit den Schultern.

„Wie ich schon sagte, das Imperium ist für seine ruchlose Vorgehensweise erkannt. Noa hat mit ihrer Aktion die CSF auf den Plan gerufen und die werden alles tun um sie in die Finger zu bekommen. Das bedeutet, wenn sie sie nicht von selbst finden, werden sie als erstes über ihre Familie und Freunde gehen.“

“Du meinst, über uns. Du glaubst, sie könnten uns festnehmen, um uns zu verhören, entweder damit wir Informationen liefern oder damit Noa sich von selbst stellt.“

„Exakt.“

Pablo sah sie ernst an und Cloé schluckte. Das war genau das, wovor sie sich immer gefürchtet hatte. Ihre Familie hatte immer behauptet, sie wüssten, worauf sie sich einließen, wenn sie sich im Widerstand engagierten, doch hatten sie wirklich ernsthaft damit gerechnet, dass sie sich eines Tages alle ernsthaft in Gefahr bringen würden? Gerade Leandro und Noa dachten doch immer, sie seien unbesiegbar und jetzt zahlten sie alle den Preis für deren Leichtsinn. Selbst Cloé und Jeper, die sich aus allem heraus gehalten hatten, waren plötzlich involviert.

„Wir werden komplett untertauchen müssen. Ich sehe keine andere Möglichkeit.“

Schaltete sich jetzt ihr Vater wieder an. Cloés richtete ihren alarmierten Blick auf ihn.

„Untertauchen? Was heißt das genau?“

Niemand antwortete. Leandro hatte inzwischen sein unruhiges Hin-und-Her-Laufen aufgegeben und stand jetzt postiert zu der Tür des Behandlungszimmers, aus dem sie nicht den geringsten Laut hörten. Allein der Gedanke an Noa auf einem Operationstisch riss Cloé praktisch enzwei. Sie konnte sich nicht damit abfinden, dass ihrer Schwester etwas passiert war und doch blieb ihr nichts anderes übrig. Wenn sie nur irgendetwas für sie tun könnte außer zu warten.

“Dad, was bedeutet das für uns, unterzutauchen?“

Wiederholte sie ihre Frage gezielt an ihren Vater gerichtet. Er räusperte sich, bevor er sprach.

„Es bedeutet, wir haben keine andere Wahl als uns in die Unteren Ebenen zurück zu ziehen.“

„Aber Noas Mord steht doch nicht einmal im Zusammnhang mit dem Widerstand.“

Warf Jesper ein.

„Schon gar nicht mit den Defendern.“

„Das nicht,“ ,räumte Pablo ein, „aber das Imperium wird es dennoch als Akt republikanischer Rebellen werten. Sie werden kaum in ihren Akten vermerken, dass die Bastarde den Tod verdient haben, weil sie sich an einer wehrlosen, nichtmenschlichen Zivilisten vergriffen haben.“

„Ich verstehe.“

Jesper nickte und etwas in seinem Tonfall sagte Cloé, dass er bereits mehr wusste als sie. Prüfend sah sie ihn an.

„Das einzig Gute an unserer Situation ist, dass wir jetzt unsere Aktivitäten mit den Defendern verstärken können.“

Bemerkte Leandro leichthin. Ihr Kopf flog zu ihm herum. Hatte er noch gar nichts verstanden? Wie weit wollte er noch gehen? Hatten sie nicht alle bereits genug riskiert und genug eingebüßt? Leandro fing ihren funkelnden Blick auf.

„Es macht nur Sinn, Clo.“

Rechtfertigte er seine Aussage.

„Unser Cover ist dahin. Wir sind jetzt ohnehin gezwungen, fast ausschließlich in den Unteren Ebenen zu agieren.“

“Gut, mach was du willst.“

Cloé machte eine wegwerfende Handbewegung.

“Wirf dein Leben weg.“

„Wir werfen es nich weg, Clo, wir nutzen es für einen guten Zweck.“

Tränen stieg ihr erneut in die Augen.

“Ich werde nicht in die Unteren Ebenen gehen.“

Beteuerte sie.

“Ich weigere mich, mein Leben von eurem Fanatismus bestimmen zu lassen!“

„Das sollst du auch nicht, Liebes.“

Die Stimme ihres Vaters war weich.

„Jesper?“

Cloés Alarmbereitschaft stieg. Ihr Frühwarnsystem hatte bereits gemeldet, dass etwas im Busch war, doch jetzt war sie so gut wie sicher. Sie suchte in Jespers Gesicht nach Anzeichen dafür, dass er ihr in wenigen Minuten etwas sagen würde, das sie nicht hören wollte – und sie waren alle da.

“Was zur Hölle habt ihr vor?“

Wollte sie wissen. Jesper griff nach ihren Händen.

„Schatz, es ist hier nicht länger sicher für uns.“

Sprach er sanft. Sein Blick hielt den ihren fast beschwörend fest.

„Wenn wir uns in Sicherheit bringen wollen, dann müssen wir Coruscant verlassen.“

“Was??“

In einer einzigen fließenden Bewegung entriss Cloé ihrem Freund beide Hände.

“Ihr wollt mich auf den Arm nehmen!“

Wütend sprang sie auf.

“Ihr könnt nicht von mir verlangen, dass ich meinen Heimatplaneten verlasse, während ihr alle in Schutt und Asche zerbombt werdet!“

„So weit ist es noch nicht.“

Widersprach Pablo ihr.

„Der Widerstand wird stärker und stärker. Wir haben bereits große Räume in den Unteren Ebenen von imperialen Kontrollen geräumt.“

“Ach ja? Und was ist mit dem Waffenstillstand? Glaubst du ernsthaft, die Republik kommt euch zur Hilfe, jetzt wo sie mit dem Imperium Hände geschüttelt haben? Alles was ihr hier noch tut ist Verschwendung!“

„Wir können jetzt nicht aufgeben, dafür sind wir zu weit gekommen.“

“Weil ihr fanatisch seid!“

Cloés Stimme hatte jetzt jegliche Kontrolle verloren.

“Und ich lasse mich nicht von euch abschieben. Coruscant ist genau so sehr meine Heimat wie eure!“

„Natürlich ist es das. Aber das Risiko ist einfach zu groß.“

Pablos Versuche, sie zu beschwichtigen, waren ehrenwert, doch Cloé wollte nichts davon wissen. Ihre Familie hatte immer behauptet, ihnen wären die Risiken des Widerstandes bewusst. Jetzt mussten sie damit leben, dass sie Jespers und Cloés Leben in Gefahr brachten.

„Willst du lieber in den Unteren Ebenen hausen, als in die Sicherheit der Republik zu flüchten?“

Fragte Pablo sie direkt. Cloé antwortete nicht.

„Du und Jesper, ihr könnt mit Noa zusammen nach Lianna fliegen. Ein öffentlicher Passagierflug ist nicht mehr möglich. Die CSF würde euch noch vor Abflug abfangen, sobald eure ID's gescannt wurden. Wir können aber einen illegalen Flug für euch besorgen.“

“Vergiss es.“

Gab sich Cloé stur. Pablo schüttelte den Kopf.

„Es ist die einzige Lösung.“

Warum war es so? Hatte sie danach gefragt, in all das verwickelt zu werden? Cloé Raquelle Cortina hatte nichts unrechtes getan. Hilfesuchend blickte zu ihrem Vater. Er würde verstehen, er musste verstehen, dachte sie, doch zu ihrer Erniedrigugn schüttelte Matteo Cortina den Kopf.

“Cloé, schau in den Spiegel.“

Sagte er sanft.

“Du bist das Ebenbild deiner Schwester. Du und Noa seid in größerer Gefahr als wir alle. Sei ehrlich zu dir selbst. Du hast keine Wahl.“

Ein Gefühl der Niederlage überkam Cloé. Sie sah den Verlust ihrer Heimat schon jetzt. Wenn sie Coruscant an diesem Punkt verließ, würde sie überhaupt jemals zurück kehren können? Tränen strömten ihre Wangen hinunter, als sie Jesper ihr Gesicht zuwandte. Er startete einen zweiten Anlauf, ihre Hände zu ergreifen und dieses Mal entzog sie sich ihm nicht. Schutzsuchend ließ sie sich in seine Arme nehmen. Dieser Kampf war alles, das sie nie gewollt hatte und dennoch befand sie sich mittendrin.

- Coruscant – Untere Ebenen – Alter Wohnblock – Wohnung 4B – Wohnraum – Mit Matteo, Pablo, Leandro und Jesper -
 
- Coruscant – Untere Ebenen – Alter Wohnblock – Wohnung 4B – Behandlungszimmer – Mit Leandro -

Sie hätte nicht sagen können, was das erste war, das sie wieder bewusst wahr nahm. Es war eine Mischung aus stärker werdender Helligkeit, einem intensiven, fast klinischen Geruch, der ihr tief in der Nase zu hängen schien und einem dumpfen, monotonen Klopfen, dessen Ursprung ihr nicht klar werden wollte. Bis Noas Augenlider zu flatten begannen, dauerte es noch eine ganze Weile und selbst als sie ihre Augen schwach öffnete, nahm sie zuerst nur verschwommene Grundrisse war. Sie wandte ihren Kopf zur Seite, eine minimale Drehung in dem weichen Kissen, auf das sie gebettet war, und erkannte die schemenhafte Umrahmung einer anderen Person: Kopf, Schultern...

“Noa?“

...eine vertraute Stimme.

„Rámon!! Noa ist wach!“

Die Person rückte näher. Sie kam ihr sehr bekannt vor. Ihr Gesicht schob sich genau vor ihr Blickfeld.

„Hey, Schwesterherz. Bist du wieder da?“

Fragte die tiefe Stimme. Blinzelnd versuchte sie, Schärfe in das Bild zu bekommen, das sich ihr bot. Ihr Hals war so trocken, als habe sie eine tagelange Wanderung in den Wüsten Tatooines hinter sich. Sie krächzte, in der Absicht etwas zu sagen, doch der unartikulierte Laut, den sie von sich gab, war keinem bestimmten Wort zuzuordnen. Eine Tür öffnete sich, Schritte.

„Sie ist gerade zu sich gekommen.“

„Lass mich mal sehen.“

Eine zweite Person beugte sich über sie, ein Mann. Ihre Augen fielen zu und öffneten sich wieder. Sie wollte wach bleiben, sie hatte Durst und eigentlich wollte sie doch lieber schlafen. Es war alles so verdammt verwirrend.

„Noa? Noa.“

Das war sie. Sie schlug die Augen auf. Über sie gebeugt stand Rámon.

„Sie ist okay.“

Sagte er, nicht zu ihr gewandt. Woher wusste er das? Dann sah er sie wieder direkt an.

„Willkommen zurück, wie fühlst du dich?“

“Ich... habe Durst.“

Es fiel ihr schwer, die Worte, die sich in ihrem Kopf so einfach anhörten, auszusprechen. Sofort reichte Rámon ihr ein Glas Wasser, legte ihr eine Hand in den Nacken und half ihr zu trinken.

„Vorsicht, kleine Schlucke.“

Mahnte er.

„Das genügt.“

Sie sank zurück in das weiche Kissen.

„Da, ist das besser?“

“Ja...“

Ihre Stimme klang noch immer heiser. Sie schaute an Rámon vorbei und erblickte Leandro. Er lächelte ihr zu.

“Leandro.“

Sprach sie seinen Namen aus.

„Yep, melde mich zum Dienst.“

Und da war sie wieder. Ihre Lippen kräuselten sich leicht, ein leises Lächeln in ihrem noch blassen Gesicht. Sie wusste nicht, ob Leandro die ganze Zeit bei ihr gesessen hatte, vermutlich hatten sie sich abgewechselt, aber es war ein schönes Gefühl aufzuwachen und zu wissen, dass jemand bei ihr war. Nicht, dass sie nicht alleine zurecht kam, dachte Noa in ihrem üblichen Wunsch, so unabhängig wie möglich zu sein. So oder so, sie war zurück.

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Es hatte leicht zu regnen begonnen und Giselle hatten den Platz auf der Bank aufgegeben und sich unter den Vordächern naheliegender Geschäfte untergestellt. Sie besah sich die Angebote in den Schaufenstern, während sie auf Exodus wartete. Er hatte nicht beschäftigt geklungen, als sie mit ihm gesprochen hatte, daher vermutete Giselle, dass seine Besprechung kurz vorher beendet worden war. Seiner Stimmung schien das Gespräch mit seinem Vater jedenfalls nicht geschadet zu haben, denn sein Tonfall hatte locker und gut gelaunt geklungen. Giselle fühlte sich ähnlich, obwohl sie schwer sagen konnte, woran es lag. Sie wollte bestreiten, dass es lediglich an der Aussicht lag, ihn gleich wieder zu sehen und mit ihm zu Abend zu essen, doch sie konnte nicht mit Gewissheit sagen, dass das ehrlich gewesen wäre. Es schüttelte sie, während sie in der Kälte stand, die Schultern hoch gezogen und die Hände in den Taschen ihrer Jacke vergraben. In den Schaufenstern fanden sich viele Dinge, die sie bewunderte, besondersn ein Paar herrlicher Sandalen aus Velourleder hatte es ihr angetan. Sie waren schwarz, überzogen mit gold gefärbter Spitzem, hatten einem filigranen, goldglänzenden Absatz auf dem zu balancieren eine Kunst darstellte und zwei schmale, schwarze Riemchen. Schuhe waren für Giselle so etwas wie eine Sucht. Alles, das mit Mode zu tun hatte, faszinierte sie. Es war eine Art, sich auszudrücken. Wie sie sich kleidete, spiegelte ihr Wesen nach außen hin wider. In der darstellerischen Kunst war Kostümierung mindestens so wichtig wie das Minenspiel eines Akteurs, das hatte Giselle während ihrer Ausbildung gelernt. Eine Generalprobe war keine Generalprobe wenn man sie nicht im Kostüm absolvierte, denn nur in der Verkleidung der Rolle, die man spielte, konnte man sich wirklich in sie hinein versetzen und mit ihr verschmelzen.

Giselle war noch ganz in Gedanken versunken, als Exodus plötzlich hinter sie trat und sie ansprach. Erschrocken fuhr sie zusammen.


“Exodus!“

Sie drehte sich zu ihm um, während der Wind selbst unter dem Unterstand mit ihren Haaren machte was er wollte und sie ihr vor die Augen blies. Giselle lachte.

“Ich glaube, ich war gerade ganz weit weg. In Gedanken.“

Fügte sie hinzu. Sie strich sich ihre Haare aus dem Gesicht und versteckte ihre Hand wieder in der relativen Wärme ihrer Jackentasche.

“Wie lief deine Besprechung?“

Noch während sie ihn ansah, kam ihr der Gedanke, wie froh sie war, dass er hier war. Sie hätte auch selbst wieder zurück zum Wingston Tower gefunden, hätte sie sich nur ein kleines bisschen Mühe gegeben, doch aus einem ihr unerfindlichen Grund hatte sie gewollt, dass er sie rettete.

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In den Nachrichten wurde kaum über etwas anderes gesprochen als den seit kurzem andauernden Waffenstillstand zwischen Republik und Imperium. Die einzelnen Sender versuchten sich alle gegenseitig mit den aktuellsten Informationen, den wildesten Spekulationen oder den exklusivsten Interviews zu übertreffen und nachdem sie die letzten 24 Stunden kaum etwas anderes getan hatte als sich durch das aktuelle Holo-TV-Programm zu schalten, hatte Noa das Gefühl, bereits alles gehört und alles gesehen zu haben, was es zu diesem Thema zu sagen gab. Rámon hatte ihr strengste Bettruhe verordnet. Sie durfte nur aufstehen, um ins Bad zu gehen und wenn sie die kurze Strecke zur Nasszelle und wieder zurück hinter sich brachte, dann wusste Noa auch, wieso: es fiel ihr schwer, zu laufen, nicht nur weil sie einfach schwach auf den Beinen war, sondern auch, weil ihr ganzer Körper zu schmerzen schien. Im Großen und Ganzen war sie „okay“, oder würde es wieder sein, doch das war an sich schon ein sehr dehnbarer Begriff.

„Achtung, jetzt wird es brennen.“

Noa kniff die Augen zusammen, als Rámon ihre Brandwunden mit einem flüssigen Infektionsmittel behandelte und wünschte den Schmerz weg. Jede noch so kleine Berührung auf den wunden Stellen und ihrer direkten Umgebung brannte. Sie hatte starke Verbrennungen von den Treffern der Blaster erlitten. Ganze dreimal war sie in der rechten Seite getroffen worden und die Hitze des Plasmas hatte ihre Haut bis in die untersten Schichten hinein beschädigt und dabei tiefe Spuren hinterlassen. Es begann direkt unterhalb ihrer rechten Brust, wo sich ein Netz aus rot-weiß geschwollener Verletzungen bis zu ihrer Hüfte hinunter zog und sich bis zu ihrem Bauchnabel erstreckte. Es war ein widerlicher Anblick, fast als hätte man ihr die Haut bei lebendigem Leibe abgezogen, und Noa hatte Schwierigkeiten, überhaupt hinzuschauen. Dabei hatte sie zuerst überhaupt nicht realisiert, wie schwer sie verletzt war. Sie hatte tatsächlich geglaubt, dass es sie nur flüchtig erwischt hatte, bis sie das Ausmaß mit eigenen Augen gesehen hatte.

“Der Streifschuss am Arm damals tat im ersten Moment viel schlimmer weh als das hier. Ich frage mich, warum.“

Erinnerte sich Noa an das eine Mal, als sie mit dem Jedi Tylaar Zaith unterwegs gewesen und von einem Blasterschuss leicht am Arm getroffen worden war.

„Das ist ganz normal. Die Intensität der Schmerzen ist tatsächlich sehr trügerisch, aber leicht erklärbar.“

Antwortete Rámon.

„Bei Verbrennungen dritten Grades werden fast immer sofort alle Nervenenden getötet.“

“Was dazu führt, dass ich nichts mehr fühle?“

„Nicht ganz. Ein toter Nerv kann keinen Schmerz an das Gehirn melden, sodass eine Zeitverzögerung entsteht bis es die Verletzung als das wahr nimmt, das sie ist. Aber selbst das ist nicht der einzige Grund, warum du die Verbrennungen nicht ernst genommen hast.“

“Was denn noch?“

Noa hielt ihren rechten Arm hinter ihrem Kopf, damit Rámon leicht an ihre Verletzungen heran kam und hob jetzt auch den linken, damit er ihr einen neuen Bactaverband anlegen konnte, der quer um ihren ganzen Oberkörper gewickelt wurde.

„Du warst vermutlich voll gepumpt mit Adrenalin. Das macht auch viel aus. Adrenalin kann völlig ungeahnte Kräfte im Körper frei setzen.“

“Hm, möglich.“

Sie wartete, bis er fertig war.

“Rámon, wenn ich dich was frage, antwortest du dann ehrlich?“

Überrascht sah ihr Bruder sie an.

„Natürlich, warum sollte ich nicht?“

Noa ließ beide Arme sinken. Ihr Blick wanderte zu der geschlossenen Tür. Sie waren alleine im Raum. Die Wohnung, die der Widerstand als einer seiner Stützpunkte nutzte, war nicht groß, bot jedoch zumindest genug Platz, damit sich selbst eine große Familie wie die Cortinas nicht jede Sekunde über den Weg lief. Sie hatten die vergangene Nacht alle hier geschlafen, bis auf Pablo, der zurück ins Hauptquartier gefahren war, und Noa vermutete, dass besonders Cloé die Situation bereits auf den Senkel ging. Sie hatte so etwas angedeutet, das eine Mal als sie mit ihr gesprochen hat, seit sie wieder ansprechbar war. Noa atmete tief durch.

“Wie schlimm werden die Narben sein, die zurück bleiben? Ich werde welche haben, nicht wahr?“

Aus Noas Stimme sprach nur selten Furcht. Sie zeigte sich nicht oft verletzlich, doch in diesem Augenblick war ihre größte Sorge klar erkennbar.

„Das ist schwer zu sagen.“

Rámon schüttelte den Kopf.

„Es kommt darauf an, wie sorgfältig wir in der Behandlung vorgehen und wie gut deine Haut dann heilt. Ich… hätte dich lieber einem Team aus Spezialisten übergeben. Es gibt ein gutes Verbrennungszentrum in der Nähe…“

Er vermied jeden Augenkontakt mit Noa. Trotz all seiner Bemühungen konnte Rámon Cortina nicht garantieren, dass er das Bestmögliche für seine Schwester getan hatte. Zweifellos hatte er alles getan was er konnte, doch es war keine Frage, dass Noa in einer professionellen Klinik, die sich auf schwere Verbrennungen spezialisiert hatte, besser aufgehoben gewesen wäre. Dass das allerdings keine Option gewesen war, wussten sie beide. Mit dem Fahndungsgesuch nach Noa, das die Coruscant Security Force heraus gegeben hatte, hätte man sie in jeder öffentlichen Klinik bereits bei der Einlieferung unter Arrest gestellt.

“Ist okay.“

Sagte sie, um Tapferkeit bemüht. Sie lebte und es ging ihr gut. Mehr als das sollte sie eigentlich nicht kümmern, oder? Noa schluckte. Davon abgesehen war sie 26. Ab da ging es mit der Hautalterung sowieso los. Noch ein paar Jahre und sie war nichts als Falten und Cellulite. Was machten da schon ein paar hässliche Narben auf ihrer Körpermitte? Sie würde einfach nie wieder nackt herum laufen können.

“Es kommt wie es kommt.“

Noa brachte ein Lächeln zu Stande, doch es war kein echtes. Sie hob die Beine wieder zurück auf ihr Bett und lehnte sich zurück.

“Tust du mir nur einen Gefallen?“

„Jeden.“

“Sag‘ nicht den anderen, dass ich danach gefragt habe. Okay?“

Noa griff nach ihrem Shirt und zog es über ihren Kopf. Sie war nicht gerne schwach und was sie auf keinen Fall wollte war, dass ihre Geschwister wussten, dass sie sich über mögliche Entstellungen Gedanken gemacht hatte.

„Natürlich nicht.“

Antwortete Rámon.

„Ich in zwar dein Bruder, aber ich bin auch dein Arzt. Alles, was wir besprechen, bleibt unter uns. Ärztliche Schweigepflicht.“

"Gut."

Noa nickte und zog die Decke über sich. Nichts anderes hatte sie erwartet, aber sie hatte sicher sein wollen. Es kam wie es kam und sie musste es nehmen, wie es war - auch wenn sie sich nie wieder im Spiegel würde ansehen können, ohne sich dabei hässlich zu fühlen.

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