- Coruscant – Obere Ebenen – Raumhafengegend – Noas Wohnung –
Hätte es geregnet, so hätte das Wetter Noas Stimmung wider gespiegelt. Graue Wolken zogen über Coruscant, die Sonne schien weit entfernt aus ihrem Leben. Sie hatte gehofft, dass das Gefühl von Schuld besser würde, wenn sie es schaffte sich abzulenken und Abstand zu gewinnen und für ein paar Stunden war es ihr sogar gelungen, an nichts zu denken außer dem Hier und Jetzt, doch als die Wirkung von Alkohol und Drogen nachgelassen hatte, war Noa zurück wieder zurück geworfen worden. Sie sah Amata, wann immer sie in den Spiegel sah, und das hatte sie oft getan, seitdem sie wieder Zuhause war. Sie hatte geschlafen, lange und unruhig, war immer wieder aufgewacht. Inzwischen war es fast 24 Stunden her, dass sie Fuß in den Imbiss gesetzt hatte, wo die Ereignisse nacheinander ins Rollen gebracht worden waren und trotzdem konnte sie nicht aufhören daran zu denken, was geschehen war. Sie wusste nicht warum. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie getötet hatte, aber es hatte sie vorher nie so sehr berührt. Vermutlich waren es die speziellen Umstände und die Tatsache dass es um etwas persönliches gegangen war, gewesen, die es ihr so schwer machten. Und dann waren da noch die Wut und die Hilflosigkeit, in der sich Noa ohnehin bereits befunden hatte, seit sie von dem Waffenstillstand zwischen Imperim und Republik gehört hatte. Sie machte sich etwas zu essen, etwas einfaches, das sie aufwärmen konnte, und legte sich dann wieder hin. Wann immer sie sich ihre Zukunft vorgestellt hatte, hatte sie von einem freien, einem republikanischen Coruscant geträumt. Was aber, wenn dies nicht im Bereich des Möglichen lag? Wenn die Republik den Kampf aufgab, gab es auch keinen Grund mehr für den Widerstand, weiter zu machen. An wen wollten sie appellieren, wen wollten sie erreichen, wenn die Republik ihnen jede Hilfe verweigerte? Kam es für Noa überhaupt in Frage, hier zu bleiben, unter diesen Umständen? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich ihre Familie mit dem Imperium arrangieren würde, ebenso wenig wie sie sich vorstellen konnte, dass Pablo den Kampf jemals aufgeben würde.
Sie starrte in die Dunkelheit hinaus und folgte mit ihren Blicken den hellen Lichtern der Luftgleiter, die auf Coruscant unterwegs waren. Ihr Bett war umgemacht. Es war der Ort, an dem sie fast den ganzen Tag verbracht hatte. Die Stunden waren einfach so an ihr vorüber gezogen. Manchmal langsam und quälend, dann wieder so plötzlich, dass sie es kaum bemerkt hatte. Allein dies zeigte, dass Noa noch nicht voll wieder da war. Als sich ihr Komlink mit einem schrillen Signalton meldete, überleget sie zuerst, ob sie den eingehenden Anruf ignorieren sollte. Sie war nicht in der Stimmung für eine Unterhaltung, worum auch immer es ging. Ihr Zögern hielt jedoch nicht lange an. Es konnte etwas Wichtiges sein und das Letzte, das sie gebrauchen konnte, war eine Standpauke von Cloé, weil sie deren Kontaktversuche boykottierte. Als sie einen Blick, riskierte, stellte sie fest, dass sie sich darum keine Sorgen hätte machen müssen – es war nicht Cloé, sondern Pablo.
„Wo treibst du dich rum?“
Wollte er wissen. Noa hatte den Anruf entgegen genommen und setzte sich jetzt auf ihr Bett.
“Zuhause. Chillen.“
Antwortete sie. Weder war es eine Lüge, noch war es die Wahrheit.
„Okay. Ich habe etwas für dich.“
Pablo machte eine Pause.
„Eine Nachricht von der Frau, die du vor ein paar Tagen getroffen hast, der du etwas gegeben hast...“
Noa schwieg.
„An dem A bend, an dem du das hübsche Kleid anhattest...“
“Jaja, ich weiß schon.“
Fiel sie ihm fast schroff ins Wort. Er sprach von Rätin ChesaraSyonette, so viel war ihr klar. Was sie nicht wusste war, warum die Jedi-Rätin ihr eine Nachricht schicken sollte. Normalerweise war ChesaraSyonett lediglich in Kontakt mit Pablo und dem General.
“Was will sie von mir?“
Fragte sie und wieder machte Pablo eine Pause, als suche er nach den richtigen Worten.
„Ich glaube, das solltest du besser selbst lesen. Ich komme gleich vorbei.“
Seine Getue wurde ihr langsam unheimlich. Warum sagte er nicht einfach, worum es ging?
“Hast du die Nachricht schon gelesen?“
Hakte Noa nach.
„Ja.“
“Ist es was schlimmes?“
Ihr Herz schien für eine Sekunde auszusetzen. Hatte es mit Cris zu tun? Sie waren nicht mehr zusammen und würden sich wahrscheinlich niemals wieder sehen, doch Rätin Chesara wusste das nicht, richtig? Vielleicht war Cris etwas zugestoßen und sie informierte Noa! Doch was sollte schon passiert sein? Er war auf dem Weg von Mon Calamari nach Lianna gewesen. Nein, versuchte sich Noa selbst zu beruhigen, es musste etwas anderes sein. Das Gespräch endete kurz darauf und ihr blieb nichts anderes übrig, als auf Pablo zu warten. Unruhig saß sie ihre Zeit ab. Es hätte genug für sie zu tun gegeben, doch Noa Chanelle Cortina konnte sich zu nichts aufraffen. Als Pablo endlich kam, riss sie ihm sein Komlink förmlich aus den Händen.
“Warum hat sie dir geschrieben und nicht mir, wenn es um mich geht?“
Fragte sie zickig, noch ehe Pablo die Tür hinter sich geschlossen hatte. Wortlos folgte er ihr in den Wohnraum von überschaubarer Größe, in dem, wie üblich, das blanke Chaos herrschte. Es sollte tatsächlich Leute geben, die einen Putzfimmel hatten, doch Noa gehörte ganz gewiss nicht zu ihnen. Putzen war schlicht und einfach überbewertet, fand sie, und sowieso hatte sie gar keine Zeit dazu. Hausarbeit war ganz allgemein ein Thema, mit dem sie sich nie großartig beschäftigt hatte. Als Lioba in der Schule Hauswirtschaft als Interessenfach belegt hatte, hatte sich Noa für Physik eingeschrieben und als ihre Mutter Cloé mit elf gezeigt hatte, wie man Sahnecremetorte backte, war Noa mit ihren Brüdern unterwegs gewesen um Teile für einen alten Droiden zu aufzutreiben, den sie günstig bei einem Schrotthändler erworben hatten und reparieren wollten. Sie öffnete die Nachricht der Jedi-Rätin, überflog Zeile für Zeile. Pablo hatte sich inzwischen gesetzt. Eine fast übermenschliche Ruhe ging von ihm aus. Schließlich sah Noa auf. Ihr Kopf drehte sich.
“Ich... ich verstehe nur Raumhafen.“
Sie sank neben Pablo auf das Sofa. Tatsächlich hatte sie ChesaraSyonettes Nachricht verstanden, doch sie wusste nicht, was sie daraus machen sollte. Die Jedi-Rätin bot Noa einen Job an, einen Job als Journalistin, auf Lianna, um eine regelmäßige Kolumne über den Jedi-Orden zu schreiben. Sie sollte die „offizielle Korrespondentin des Jedi-Ordens bei der Presse“ sein. Aber warum sie? Warum ausgerechnet sie?
“Warum ich?“
Sie suchte in Pablos Gesicht nach einer Antwort. Er wusste immer alles, kannte sie besser als sie sich selbst. Doch er antwortete nicht auf ihre Frage.
„Was denkst du?“
Fragte er stattdessen im Gegenzug und Noa blickte auf das Komlink in ihren Händen. Statt dem Text, den sie soeben gelesen hatte, sah sie jedoch etwas ganz anderes. Sie sah Amata, in Tränen aufgelöst. Sie sah die leblosen Körper der imperialen Offiziere, die sie erschossen hatte. Vor ihren Augen tanzten Ricardo und Camilla Hand in Hand, während ihre Mutter, Pilar Cortina, ihnen lachend zusah. Noa sah Cloé, die ihre eigene Familie auf Coruscant gründete und Baes Hawot, der sie das Schießen gelehrt hatte. Und dann war da noch Cris. Er stand ihr direkt gegenüber, sein Gesicht nur wenige Millimeter von dem ihren entfernt.[/COLOR]
„Du wärst nicht für immer weg.“
Sagte Pablo sanft. Noa hatte ihm noch nicht geantwortet.
„Und seien wir ehrlich, du wolltest immer hinaus in die Galaxis. Das ist dein Job.“
Das stimmte. Seit sie Andrei kennen gelernt hatte, hatte sie davon geträumt, eines Tages als Journalistin so viel zu erreichen wie er. Das konnte sie nur, wenn sie sich von ihrer Heimat löste. Doch war der Zeitpunkt dafür der Richtige? Sie konnte Coruscant nicht zurück lassen, nicht in diesem Zustand. Und ihre Familie... wie vom Donner gerührt sprang Noa auf. Familie war das Stichwort. Mit einem Satz hatte sie die Wohnungstür erreicht.
„Hey, wo willst du hin?“
Pablo war ebenfalls aufgesprungen.
“Krankenhaus.“
Antwortete Noa nur knapp und war auch schon zur Tür hinaus.
Sie erreichten die Unfallchirurgie eine knappe halbe Stunde später. An der Anmeldung ging es hektisch zu, der Warteraum war proppevoll. Überall sah man Patienten mit Verbänden, in Repulsorlift betriebenen schwebenden Stühlen und Angehörige, die auf positive Nachricht der Ärzte warteten, die hofften und bangten. Noa hatte sich versucht an der Anmeldung vorzudrängeln, doch dort war kein Durchkommen, also versuchte sie in den Gängen eine der Krankenschwestern abzupassen. Noa wusste plötzlich, sie konnte hier auf Coruscant bleiben und fortsetzen, den Widerstand zu unterstützen, wie sie es zuletzt getan hatte, oder sie konnte in die Fremde gehen um das Richtige zu tun, in dreierlei Hinsicht.
“Entschuldigen Sie?“
Noa hielt eine der Schwestern an.
“Ich suche Dr. Cortina.“
Die Krankenschwester, eine rothäutige Theelin, bedachte sie mit einem skeptischen Blick.
„Zu wem gehören Sie?“
Wollte sie wissen. Noa stutzte für einen Moment.
“Oh, ähm... wir...“
Hilfesuchend wandte sie sich zu Pablo um, doch der hob abwehrend die Hände. Das hier war ihr Ding. Er befürwortete ihr Vorpreschen, Rámon im Krankenhaus aufzusuchen, nicht im Geringsten. Noa holte tief Luft.
“Wir müssen dringend mit dem Doctor sprechen.“
Bescheinigte sie der Schwester die Wichtigkeit ihres Besuches, doch wie erwartet ließ sich die Theelin davon nicht einmal ansatzweise beeindrucken.
„Mädel, sehen Sie die vielen Leute hier? Jeder von denen hat etwas Wichtiges mit dem Doctor zu besprechen. Wenn Sie also nicht kurz davor sind zu verbluten, oder einen Angehörigen im OP-Saal haben, stellen Sie sich bitte hinten an, ja?“
Wies sie die Widerstandskämpferin zurecht. Noa biss die Zähne zusammen.
“Das verstehe ich alles, aber...“
„Kein Aber! Der Doctor befindet sich in einer Operation.“
Die Krankenschwester war dabei, sich abzuwenden. Dann lächelte sie Noa unerwartet süß an.
„ABER... Sie können natürlich gerne auf ihn warteten – so wie alle anderen.“
Es war genau das, das Noa schlussendlich tat. Sie wartete. Die Luft im Krankenhaus roch scharf und steril. Zuerst saß sie lange Zeit nur in einem der unbequemen Plastikstühle, sah die Leute um sich herum kommen und gehen und verfolgte den Stress des medizinischen Personals, das von einem Notfall zum nächsten hastete. Nach einer Weile begann ihr Rücken auf dem unbequemen Stuhl zu schmerzen und sie begann, in den öffentichen Gängen herum zu laufen. Weiße Wand um weiße Wand zog an ihr vorüber. Pablo war längst nach Hause gefahren, doch Noa konnte nicht gehen ohne mit Rámon gesprochen zu haben. Ihr war wichtig, was er zu sagen hatte. Es ging vor allem um ihn und gegen Mitternacht sah sie ihn dann endlich. Aus der Ferne beobachtete sie, wie er mit zwei Frauen sprach, dem Alter nach zu urteilen vermutlich Mutter und Tochter, und obwohl sie sich nicht erleichtert in die Arme fielen, brachen sie auch nicht in Tränen zusammen. Ihr Bruder Rámon, stellte Noa noch einmal richtig bewusst fest, war ein Held, vielleicht sogar ein größerer als sie alle zusammen.
„Hey.“
Er kam auf sie zu. Sein OP-Hemd war noch fleckig, sein Haar war von dem Haarnetz, das er im OP tragen musste, platt gedrückt. Die Schatten unter seinen Augen schienen noch dunkler als sonst und Noa glaubte, ein paar neue Linien in seinem Gesicht zu sehen, die vorher nicht da gewesen waren.
„Was machst du hier?“
Noa lächelte.
“Ich sollte dich öfter hier besuchen.“
Antwortete sie.
“Ich glaube, ich vergesse manchmal, wie viel du hier leistest. Harter Tag?“
Er nickte.
„Kann man so sagen. Schwerer Unfall direkt vorm Raumhafen. Du müsstest es fast mitbekommen haben.“
Sein Blick wanderte zurück zu den beiden Frauen, mit denen er zuvor gesprochen hatte.
„Ihr Mann hat extrem Glück gehabt.“
Ihr Bruder zögerte und für einen Moment hatte Noa das Gefühl, er wolle Einzelheiten mit ihr teilen. Urplötzlich entschied er sich dann allerdings anders und schüttelte den Kopf.
„Es hat einige Tote gegeben, aber wir konnten auch einige Leben retten.“
“Das ist gut.“
Erwiderte Noa, berührte ihn am Arm und meinte es auch so.
„Also, weswegen bist du gekommen?“
Sie holte ihr Komlink hervor, auf das sie mittlerweile die Nachricht der Jedi-Rätin übertragen hatte.
“Ich wollte mit dir über das hier sprechen.“
Sagte sie
“Ich habe die Möglichkeit, nach Lianna zu gehen.“
Sie gab ihm ihr Komlink und ließ ihn lesen.
“Und ich dachte mir, dass ich das tun sollte... um für Thalia und die Kids da zu sein, so lange sie dort sind.“
Noa Chanelle Cortina sah ihren ältesten Bruder nicht oft emotional. Als Arzt sah er jeden Tag viele Dinge, die ihn nicht nur forderten, sondern auch belasteten und irgendwann hatte er gelernt, seine Gefühle zurück zu halten und zu kontrollieren. Umso überraschender war es für sie, als er sich plötzlich nach vorne beugte und sie umarmte. Er hielt sie fest, drückte sie an sich und es war in diesem Augenblick, als in Noa ein Damm brach. Zum ersten Mal, seit die beiden imperialen Offiziere erschossen hatte, fühlte sie die Leere in ihrem Inneren dauerhaft schwinden. Tränen strömten ihre Wangen hinunter, lautlose, befreiende Tränen.
„Danke.“
Flüsterte Rámon in ihr Ohr und Noa wusste, dass ihre Entscheidung getroffen war. Sie würde das Richtige tun und es waren dreierlei Gründe, die dafür sprachen: sie würde nach Lianna gehen, um für ihren Neffen und ihre Nichte da zu sein. Sie würde nach Lianna gehen, um zu versuchen, ihre Beziehung mit Cris Sheldon zu retten und sie würde Coruscant verlassen, um ihren Träumen zu folgen. Bis hute hatte Noa geglaubt, sie würde die Defender und den Widerstand bis zuletzt begleiten, doch wenn dies hier ihr Weg war, dann würde sie diesen gehen.
- Coruscant – Obere Ebenen – Krankenhaus – Wartesaal – Mit Rámon -