Va'art

Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Ian und Fellknäuel irgendwo

Eowyn spürte deutlich, dass auch Ians Gedanken nicht ruhig waren. Im Gegensatz zu ihr aber schienen seine Gedanken tiefer zu gehen - er machte sich richtiggehende Sorgen um irgendetwas. Sie wollte gar nicht wissen, um was, es ging sie nichts an. Außerdem war sie zu beschäftigt mit ihrem eigenen Wirrwarr. Wenn es wichtig war, würde er es schon sagen. Oder auch nicht. Woher wollte sie das wissen, aber es war auch nicht... Stang, sie konnte sich wirklich nicht mehr konzentrieren, oder? Und erste Recht wusste sie nicht, was sie denken sollte.
Konnte.
Musste?
Selbst das bekam sie gerade nicht hin.
Sie
wollte nicht darüber nachdenken, weil dann Dinge in ihre Gedanken kommen würden, die sie nicht denken wollte. Also dachte sie lieber darüber nach, wie oder was sie denken oder nicht denken sollte, damit ihre Gedanken nicht... Das war wirklich hirnrissig. Sie war wohl übermüdet oder überdreht. Normal war das jedenfalls nicht.
Oder einfach... überfordert?
Das traf es wohl am Besten.
Sie wusste nicht, wann sie jemals solche Nähe gefühlt hatte. Sicher nicht in den letzten Jahren. Oder überhaupt schon jemals? Wenn, dann war es Jahre, vielleicht Jahrzehnte her. Sie kannte das nicht. Sie wusste nicht, was es bedeutete.
Und das herauszufinden war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.


Sie nickte langsam, als Ian begann, ihr seine Gedanken zu erklären. Sie erinnerte sich daran, das alles auf Nar Shaddaa so ähnlich gespürt zu haben. Sie erinnerte sich daran, wie sie schon sehr bald erkannt hatte, dass da kein normaler Sith vor ihr stand. Und sie erinnerte sich daran, dass auch er sie gleich zu Beginn kalt erwischt hatte mit seinen Worten. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass er anders war... dass er es ernst meinte. Ja, sie war sich nicht sicher gewesen. Nicht nur einmal hatte sie überlegt, ob das alles eine ausgeklügelte Falle war, ein Hinterhalt, ein Ablenkungsmanöver. Dennoch war sie geblieben. Weshalb genau, was genau sie berührt hatte... das wusste sie heute nicht mehr sicher.
Sie ließ ihn reden, fand es seltsam angenehm, dass einmal
sie zuhörte und nicht er. So oft kam das nicht vor, und wenn, dann meist eher in hitzigen Diskussionen. Noch etwas, das sich geändert hatte? Genau wie die Art, zu reden.

Schließlich lächelte sie.
Weißt du... du hast mich in diesem Gespräch auch ziemlich aufgewühlt. Genaugenommen war das der letzte Stein gewesen, der alles ins Rollen gebracht hatte. Vor diesem Gespräch hatte sie alles noch halbwegs im Griff gehabt. Danach... nun ja, vielleicht konnte man sagen, dass ihr das Heft etwas entglitten war. Das war vielleicht nicht ganz so dramatisch wie "sie hatte die schlimmste Solo-Padawan-Mission ihrer Karriere durchlaufen".
Aber war sie und ihr Gespräch wirklich die letzte Chance gewesen? Es hörte sich so dramatisch an, so hochgestochen. Nur konnte sie ihm das nicht absprechen. Vielleicht war es so gewesen. Er war wirklich kurz davor gewesen, sein Leben ins Vergessen zu werfen. Falsche Bescheidenheit hin oder her - vielleicht hatte er Recht. Aber sie würde darauf nicht eingehen. Das war... zu viel.

Aber Ian... sie schüttelte sacht den Kopf. Ihr war die Gegenwartsform nicht entgangen. Du hast seither schon etwas richtig gemacht. Sie hatte sich vielleicht geirrt. So einfach war es doch nicht, sich an das "Du" zu gewöhnen. Der Klang auf ihrer Zunge war immer noch ein Besonderer. Es mag nichts Weltbewegendes gewesen sein... Aber hast nicht gerade du mir gesagt, dass es die kleinen Dinge sind, die etwas bedeuten? Siehst du es denn nicht?
Du hast mich gerettet. Das kommt vielleicht nicht in den HNN... aber weißt du... für mich ist das schon irgendwie wichtig.

Ein bisschen zumindest. Konnte man so sagen.
Und... Es war doch so offensichtlich. Nachdem ich dir zugehört hatte... Da war... Sie stockte, runzelte die Stirn. Was genau war da gewesen? Du warst anders. Ehrlich. Wie hätte ich nicht an das glauben sollen, das ich auch heute noch sehe? Das sie noch immer sah, spürte, woran sie glaubte. Nein, sie hatte ihn nicht aufgegeben, auch wenn sie zugeben musste, dass sie oft an sich selbst und ihrer Fähigkeit dazu, etwas zu bewegen, gezweifelt hatte. Es immer noch tat... Aber sie würde ihn nicht aufgeben. Kam, was immer kommen wollte. So lange sie das sah, was sie jetzt sah... und das würde sie. Wie hätte ich dich da aufgeben können?

Sein letzter entschlossener Satz riss sie wieder in die Realität. Sie hatte niemals vergessen, wo sie saß (wie konnte man, bei dem Regen?), aber für kurze Zeit während ihres Gespräches war vieles um sie herum verblasst.
Sie war davon nicht überzeugt, noch immer nicht. Aber sie würde es nicht wagen, zu widersprechen, ihm seinen Willen und seine Kampfkraft nicht nehmen, wenn er es wirklich glaubte. Sie brauchten das. Sie brauchten zumindest eine Person, die daran glaubte... und sie selbst tat es nicht.
Aber - sie würde sich gerne eines Besseren belehren lassen. Dagegen hatte sie definitiv nichts. Und vielleicht war es ja nicht ganz so abwegig... Nur, der erste Schritt, wie sie von hier wegkommen würden, war eben genau das - Schritte zu machen. Und sie würden das nicht können, wenn sie weiter hier draußen saßen, wach, redend.
Eowyn hoffte nur inständig, dass nicht alles, wenn Ian schlief, wiederzurückkam. Die Dunkelheit und die Angst... Aber sie musste sich dem stellen. Sie wusste nun, dass sie nicht alleine war. Das musste genügen.
Sie sollten dringend schlafen gehen. Wirklich.


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Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn und Fellknäuel irgendwo

Ian verzog das Gesicht, dankbar über die Dunkelheit, die seinen Ausdruck im Verborgenen lassen würde. Ja, er hatte sie gerettet und damit nicht nur
vermutlich etwas richtig getan. Sicher würde er ihr Überleben nicht zu den bedeutungslosen Dingen werten. Aber seine Tat war im Vergleich zu all den anderen sehr wohl bedeutungslos. Es ging hier nicht um kleine Dinge, nicht um kleine, gute Taten, sondern um so viel mehr. Es begann mit kleinen Bewegungen, natürlich. Dinge im Kleinen bewegen, einen Stein ins Rollen zu bringen. Aber nicht in Bezug auf seine Vergangenheit. Ein Ändern war nicht möglich. Widergutmachung war nicht möglich. Eowyn hatte er gerettet, aber er hatte getötet und das machte den entscheidenden Unterschied. Sie wusste nichts davon und sie hatte mehr als einmal gesagt, dass sie es nicht wissen wollte. Da war von ‚schrecklichen Dingen‘ die Rede gewesen, ohne diese Dinge im Detail oder auch nur grob zu erwähnen. Durfte er so eng bei ihr sitzen, ihre Hand noch immer in der seinen wissen und sie derart im Dunkeln lassen? Durfte sie sich weigern die Wahrheit zu erfahren um so ihr Urteilsvermögen zu trüben? Innerlich wandte sich der Dunkelhaarige, begann, sich mehr und mehr unwohl zu fühlen. Sie wusste nicht wer er war und selbst wenn sie behauptete, dass genau das keine Rolle spielte, irrte sie sich. Denn sie saß noch immer bei ihm. Sie hatte die Distanz zu ihm aufgegeben. „Eowyn, bitte…“ Seine Stimme wurde leiser und der Dunkelhaarige wusste gar nicht, um was er sein Gegenüber gerade bat. Ihn aufzuhalten zu sprechen? Ihn jetzt besser los zu lassen? Ihn jetzt besser zu halten?

„Du weißt nicht, wer ich war.“ Schon mehr als einmal hatte er das erwähnt, er erinnerte sich zu gut, aber nie hatte er die Worte so ausgedrückt wie jetzt. Da war ein ‚bin‘ gewesen. Jetzt ein ‚war‘, aber der Satz wog schwerer, als jemals zuvor. „Ich… Wieder begann sein Herz unnatürlich schnell und laut zu schlagen. Aber wenn er jetzt schweig, würde er nie damit herausrücken und wie konnte er so neben ihr sitzen, wenn sie nicht wusste? Wenn sie nicht wusste, wem sie da ihr Vertrauen schenkte. Was sie da ihr Vertrauen schenkte. „Nach Tahiris Tod hat sich alles verändert“. Etwas, das er auch schon gesagt hatte, nichts, was wirklich neu war. „Nach ihrem Tod habe ich mich verändert.“ Er sprach um den heißen Brei und Ian bemerkte es selbst. Aber da kämpften zwei Seiten gegeneinander. Die, die die Wahrheit sagen wollte und die, die es nicht wollte. Und da war die Angst dazwischen. Verlieren. Er würde sie wieder verlieren, obwohl er sie gerade gewonnen hatte. „Ich… kann nicht alleine sehen, was ich jetzt getan habe. Ich muss, ich muss sehen, was damals geschehen ist. Ich…“ Dann kam ein Seufzen. Ein tiefes, schweres Seufzen. Es war nicht fair sie jetzt aufzuwühlen, so wie es nicht fair war, bis zum nächsten Tag damit zu warten. Seine Angst wurde größer, sein Unbehagen greifbar.

„Eowyn, ich…“ Er konnte nicht, es quälte ihn zu sehr. Wie konnte er ihr gestehen, was er getan hatte und dabei so neben ihr sitzen? Aber wie konnte er sie jetzt loslassen? Nicht erst auf Lianna würde er sie verlieren, sondern hier. Jetzt, in diesem Augenblick. Nur, dass er seinen Egoismus nicht siegen lassen durfte, denn dieser schrie ihm zu, zu schweigen. Aber das durfte er nicht. Sich Vertrauen erschleichen und es ausnutzen? Das war so falsch...

„Ich habe getötet. Nicht nur einmal, nicht um zu verteidigen, ich…“,
seine Stimme brach fast, aber er musste, er musste es sagen. „Eowyn, ich habe es bewusst getan, ich habe mich dafür entschieden. Ich dachte, es ... wäre richtig, ich… ich glaubte ich hätte das Recht dazu.“ Aber er hatte es nicht und er wusste es. Hatte es schon damals gewusst, irgendwie. Als seine Stimme ihn aufgefordert hatte aufzuhören. Als sein Inneres ihn davon abzuhalten versucht hatte.

Da war keine Genugtuung gewesen, keine Freude, aber hätte er das erwähnt, er hätte seine Taten nur abgemildert und das wäre falsch gewesen. Nicht abmildern und kein Mitleid erzeugen, nur ehrlich sein. Nur… Nein, es war mehr, als ‚nur‘. Es war notwendig
. Er musste ehrlich sein, er konnte nicht länger schweigen. Nicht jetzt. Nicht jetzt, da etwas entstanden war, dass ohenhin nicht hätte entstehen dürfen. Bis morgen zu warten war unmöglich. „Ich habe mich gerächt, es ist immer Rache gewesen. Jedes Mal.“ Acht mal. Und er fühlte sich elend. „Ich habe zerstört und ich kann es nicht rückgängig machen. Es spielt keine Rolle, ob ich jetzt etwas richtig gemacht habe oder nicht. Es verändert nicht das, was war. Und selbst wenn ich mich geändert habe“, und er wusste, dass dem so war, „kann ich… nichts rückgängig machen. Nichts. Sie… sie werden nicht wieder lebendig.“ Und wollte er das überhaupt? Wollte er, dass die Mörder Tahiris vor ihm standen, ihr Leben lebte, als sei nichts geschehen?

Lebst nicht auch du weiter? Bereust nicht auch du?

Sein Herz schlug nicht nur viel zu schnell, sondern begann zu schmerzen. War das nicht etwas anderes? Hatten sie es nicht verdient für das, was sie getan hatten? Hatte es nicht jeder einzelne von ihnen verdient? Sie hatten gelächelt… Sie hatten Freude empfunden. Sie hatten Tahiri zerstört.

So wie du deine Familie auf Telos.

Konnte er das in einen Vergleich setzten? Es war so anders gewesen… So anders. Ohne Freude.

Aber genauso falsch.

Genauso? Wirklich genauso?
Sie hatten ihn gequält und das über Jahre und er hatte ihnen eine Chance eingeräumt. Eine Chance, die sie ihm nie gegeben hatte. Ein Wort der Verzeihung und er hätte keinem von ihnen auch nur ein Haar gekrümmt. Nur ein Wort der Verzeihung. Ein einziges. Ein. Einziges.
Ihre Frauen und ihre Kinder hatte er verschont. Die, die ihm nichts getan hatten, hatte er verschont. Nur die Schuldigen…

Aber auch du hast dich schuldig gemacht.

All das hatte er doch schon hinter sich. Die Falschheit schon längst erkannt. Aber Erkennen reichte nicht. Ja, er bereute und auch wenn er den Mördern Tahiris nie verzeihen können würde, heute würde er anders handen. Heute. Heute... Aber damals?
Hasste er sie? Er wusste es nicht und er wollte nicht so tief in sich hinein horchen, um es in Erfahrung zu bringen. Allein wenn er das Bild von Tahiri zurück in sein Gedächtnis rief - und er hatte es doch schon getan-, würde die Wut zurück kehren. Der Verlust. Vielleicht kein Hass, aber Wut. Und Wut war das letzte, was er jetzt empfinden wollte.


„Eowyn, ich…“

Es zeriss ihn innerlich, denn er wusste, dass es falsch gewesen war. Noch mehr wusste er, dass sich nach den Morden nichts verändert hatte. Sie hatten alles schlimmer gemacht. Sie hatten ihn nicht erlöst, sie hatten ihn gefangenen genommen. Er hatte sich schuldig gemacht.
Eowyn hatte an ihn geglaubt, weil sie eine Veränderung gesehen hatte. Aber sie hatte nicht gesehen was er getan hatte. Die Unterschrift war nichts im Vergleich zu seinen anderen Taten. Nichts. Gar nichts. Und was geschehen war konnte er nicht als Geschehen abtun. Spätestens jetzt nicht mehr.
‚Es tut mir leid‘, wollte er sagen. Aber was hätte das geändert? ‚Ich würde es rückgängig machen‘, aber das war nicht möglich. Sie waren tot. Alle. Und ihr Blut klebte an seinen Händen. Er würde es rückgängig machen.
Jedes einzelne Mal?
Er presste die Zähne aufeinander.
Jedes einzelne Mal?
Spielte das eine Rolle?

„Sie hatten recht,folgte schließlich tonlos. Sie alle.Denn er war wie sie geworden. Was er gehasst hatte, war er geworden.

Ian ist wirklich tot!
Du… du bist nicht mein Ian! Der Mann den ich liebe!
Nein! Der bist du nicht! Der kannst du nicht sein!


Auch Alisah hatte recht. Das, was er einst gewesen war, noch vor Tahiris Tod, hatte er selbst getötet.
Nicht acht Morde. Neun.
Sie mussten ihn verachten, weil das, was geschehen war, verachtenswert war.
Und er bereute es. Bereute es wirklich. Bis... ja bis auf das neunte Mal. Denn da war es richtig gewesen...


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Wie viel Zeit war es gewesen? Fünf Minuten, zehn, fünfzehn? Zehn Minuten vielleicht, zwischen ihrer Panikattacke und dem beginnenden Gefühl, das irgendetwas hier ganz und gar nicht stimmte, gar nicht richtig oder gar gut war. Irgendetwas belastete Ian zutiefst, und eine dunkle Vorahnung beschlich sie. Ian würde jetzt ganz sicher nicht schlafen gehen. Aber sie hatte es so gewollt, hatte ihm von Beginn an gesagt, dass er mit ihr reden sollte. Sie konnte keinen Rückzieher machen, wenn er nun endlich einmal so weit sein sollte.
Seine ersten leisen Worte waren ernst. So ernst... Das Gefühl in ihr breitete sich aus. Das war nicht gut. Gar nicht gut.
Sie wusste nicht, wer er gewesen war? Nein, natürlich nicht. Beinahe seufzte sie. Das hatten sie doch schon so oft gehabt... Und es spielte keine Rolle, sollte keine Rolle spielen, denn sie wusste zumindest
was er gewesen war, wusste, dass jemand, der solche Titel trug, kein unbeschriebenes Blatt war, Dinge getan hatte, die sie niemals tun würde, die nicht richtig - nein, sogar falsch waren. Unter Umständen sehr falsch. Das reichte. Sie wollte nicht mehr wissen, das reichte! Sie wusste, wer er heute war, reichte das nicht auch? Sie kannte ihn heute, zumindest zum Teil, sie wusste, was da alles unter der harten Schale versteckt war. Das reichte! Das musste reichen! Sie wollte nicht mehr wissen. Sie wollte aber vor allem jetzt nicht mehr wissen, nicht jetzt, nicht heute Nacht, nicht nach dem, was alles geschehen war. Es war genug.

Aber Ian hatte sich wohl gerade jetzt ausgesucht, zu sprechen. Eowyn schloss die Augen. Als ob das etwas davon abhalten würde, zu ihr zu dringen... Vielleicht irrte sie. Vielleicht wollte er gar nicht mehr erzählen. Die Macht hatte sie in letzter Zeit schon so oft getäuscht, sie hatte schon so oft daneben gelegen, was Ian anging. Sie irrte sich. Ganz sicher.

Tahiri.
Natürlich Tahiri. Ians Vergangenheit stand und fiel mit ihr... Ihr Tod war sein Beginn zum Untergang gewesen. Sie wollte es sich nicht vorstellen, wie es sein musste jemanden zu verlieren, den man liebte, aus tiefstem Herzen, und der einen ebenfalls liebte, diese Gefühle erwiderte. Sie konnte es auch gar nicht, wie auch? Aber sie war nicht blind, es geschah oft genug um sie herum, und sie konnte sich gut vorstellen, dass es Ian den Boden unter den Füßen weggerissen hatte. Erneut fragte Eowyn sich, wie Tahiri gestorben war, und zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass Ians Abstieg zur dunklen Seite nicht nur indirekt damit zu tun haben könnte.
Noch immer saß sie mit geschlossenen Augen da, hörte ihm zu. Auch wenn sie es noch immer nicht hören wollte, wenn es darauf hinauslief, was sie vermutete. Es wurde immer deutlicher. Da lag ihre Hand in der seinen, da spürte sie diese unglaubliche Nähe - sie wollte das nicht aufgeben. Nicht jetzt.
Ians Ansicht war da wohl anders. Und sie musste sie respektieren. So wenig sie es auch wollte.
Sehen, was damals geschehen ist... Nein.
Nein, das musste er nicht, nicht jetzt! Das musste er nicht, und sie genausowenig. Sie wusste, dass da Dinge waren. Das war deutlich, das war klar, unübersehbar, sie war nicht blind. Aber sie sah doch
ihn, jetzt, heute, nicht damals. Es genügte. Jeder hatte eine Vergangenheit, und es gab Dinge, die lieber verdeckt blieben. Zumindest erst einmal.
Ihre Anspannung wuchs. Es war jetzt klar, deutlich. Ihre Hand spannte sich ebenso an wie der Rest ihres Körpers, vorbei mit der Entspannung und der Ruhe. Sie drückte seine Hand unbewusst, versuchte, ihn aufzuhalten, ohne ihm zu
sagen, dass er nicht weiterreden sollte. Denn das wäre eine Einmischung gewesen, die sie wiederum ebenfalls nicht wollte. Verstand er nicht? Es gab bessere Momente als diesen. Warum jetzt? Warum heute? Hätte er ihr nicht einmal ein wenig Zeit, eine halbe Nacht, wenigstens vielleicht eine Stunde gönnen können, um alles zu verarbeiten? Um mit ihren Ängsten klarzukommen, um zu verstehen, was da gerade zwischen ihnen beiden geschehen war, um ihre eigenen Gedanken zu sortieren, ihre Gefühle in Ordnung zu bringen? Nein, er musste es natürlich torpedieren, typisch... Gönnte ihr nicht ein bisschen Zeit, um einfach nur zu sein, gönnte ihr nicht ein bisschen Zeit, um halbwegs... zufrieden zu sein. Verlangte sie da etwa wirklich zu viel?
Alles in ihr schrie ihm stumm zu, still zu bleiben. Das hatte Zeit! Sie sagte nicht, dass sie darüber niemals reden sollten, aber nicht jetzt, noch nicht jetzt, sie war noch nicht bereit dafür. Sie versuchte doch noch zu verstehen, was zuvor geschehen war... Sie war nicht bereit, einfach nicht bereit!


Es war aber nicht an ihr, das zu entscheiden.
Das eisige Gefühl in ihr breitete sich aus, als sie seine nächsten gequälten Worte hörte. Sie spürte sich selbst nicht mehr, alles war flau, und auch wenn sie die Welt um sich nicht sehen konnte, weil ihre Augen noch immer geschlossen waren, sie war sich sicher, dass sie sich schneller drehte als sie sollte. Seine Stimme hörte sie noch, hörte zu. Jetzt war es anders. Jetzt hatte er begonnen. Das Glas war gesprungen, und nun... nun wollte sie auch hören, was er zu sagen hatte. Es war ohnehin alles vorbei.
Es dauerte, bis sie alles voll begreifen konnte. Bis seine Worte durch ihre Ohren bis in ihr Gehirn vordrangen, bis ihr Gehirn verstand. Sie wollte auch sichergehen, dass sie nichts verpasste, nichts
falsch verstand, auch wenn das wohl schwierig gewesen wäre. Das hier... dieses... Gespräch, das war nun entscheidend. Sie sah es so deutlich, deutlicher als alles andere. Es half dabei nicht unbedingt, dass es ihm scheinbar ebenfalls sehr schwer fiel, dass er selber kaum sprechen konnte, dass sie neben ihm saß und spürte, sie seine Qualen in ihm explodierten... während sie selbst versuchte, zu verstehen, ruhig zu bleiben.
Sie musste ruhig bleiben. Ein panischer Anfall pro Tag war mehr als genug, und wenn sie jetzt durchdrehte, überreagierte, losließ... die Situation stand ohnehin schon auf der Kippe. Dann wäre es vorbei. Sie musste logisch an die Sache herangehen. Gefühle gibt es nicht, Frieden gibt es... Frieden.


Frieden.

Getötet aus Rache. Mehrmals. Das war doch wohl der Kern der Sache.
Sie spürte, wie die Kälte sie nun von außen und innen durchdrang, unerbittlich, unaufhaltsam. Ihre Kehle schnürte sich zu, trotz aller Versuche, gelassen zu bleiben, und zum zweiten Mal in kurzer Zeit hatte sie das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Es passte eben nicht in ihren Eindruck von ihm. Und dennoch hatte sie gewusst, dass es etwas in diese Richtung gewesen sein musste. Man erhielt nicht das Vertrauen des Imperators durch einfache Lichtschwertkämpfe oder gar Heiltalent. Nur, es jetzt so klar und deutlich zu wissen, es vor sich zu sehen, es sich vorzustellen, und das Bild von Ian in Aktion schlich sich nun einmal ungebeten in ihren Kopf... das war etwas anderes. Etwas deutlich anderes. Unerträglich anders. Es war nun einmal einfach absolut nicht in Einklang zu bringen mit dem Ian, den sie kannte, und genau das war das Problem.

Sie brauchte Abstand. Sie musste nachdenken. Das ging nicht, wenn sie hier saß. Sie brauchte Bewegung, so wie schon vorhin... Sie konnte einfach nicht sitzenbleiben. Bewegung entspannte sie, ließ sie besser denken. Am liebsten hätte sie jetzt einen Dauerlauf begonnen, laufen, laufen, irgendwohin, einfach nur laufen. Bei dieser Dunkelheit, diesem Ort aber keine sonderlich gute Idee. Es musste ohne gehen, außerdem konnte sie Ian jetzt hier nicht einfach sitzen lassen, ganz gleich, was er gerade eben gesagt hatte.
Ihre von Ians Hand zu lösen bedeutete aber mehr als bloß eine einfache Bewegung, ein einfaches loslassen. Für kurze, sehr kurze Zeit hatte diese Hand sie gehalten, ihr Trost und Sicherheit, vielleicht sogar mehr gegeben. Und... einfach ein gutes Gefühl. Da waren viele Dinge gewesen, die sie nicht hatte einordnen können, und jetzt zukünftig vielleicht auch nicht würde tun müssen. Erst mal definitiv nicht. Da war nun Wichtigeres. Wie war das noch mit dem Halt gewesen, den sie nicht zulassen wollte, aus Angst, er würde wieder verschwinden? Das war beinahe so ein Moment. Nur, dass sie den Halt dieses Mal selber loslassen musste, sich selber haltlos machen musste. Es ging einfach nicht anders. Es ging erst einmal nicht darum, Ian fallen zu lassen, Ian von sich wegzuweisen, nein - sie musste sich einfach alleine sammeln und das Gehörte sortieren.


Und dabei nicht den Verstand verlieren.

Sie öffnete die Augen und erhob sich wortlos, löste ihre Hand mit kleinem Bedauern von der seinen, trennte ihre letzte Verbindung. Sie brauchte den Abstand. Dringend. Alleine diese Empfindung machte es überdeutlich. Das durfte nun keine Rolle spielen, sie musste klar denken.
Sie ging ein paar Schritte ins Dunkel, wünschte sich jetzt, sie würde zumindest ein bisschen mehr sehen, um nirgendwo dagegen zu laufen. Das würde ihr jetzt gerade noch fehlen... So ging sie vorsichtig, bis sie wusste, dass sie hier nirgendwo dagegen laufen würde. Ging im Kreis, kreuz und quer, hin und her, beschäftigte ihre Beine. Und begann, alles zu ordnen.

Aber gab es überhaupt etwas zu ordnen? Was er getan hatte war schlicht falsch. Nicht nur falsch, nein, dafür gab es eigentlich keine Worte. Es war unglaublich, schrecklich, fürchterlich. Er hatte getötet, Leben genommen, beendet, einfach so. "Wir haben nicht das Recht dazu, jemandes Leben einfach so zu beenden." Sie machte sich Vorwürfe, lebte nur schwer damit, getötet zu haben - aus Verteidigung, in Situationen, die für sie ausweglos waren.
Sie konnte nicht akzeptieren, dass es Personen gab, die ohne Zwang töteten, ohne Selbstverteidigung oder die Verteidigung anderer. Das war nicht... nein. Das war prinzipiell unmöglich. Und auch wenn sie sich nun schon die ganze Zeit darum drückte... Sie musste es beim Namen nennen.

Es war Mord, ganz einfach, und Ian ein Mörder.

So weit, so schlecht... Und weiter? Ja, Ian war ein Mörder. Das war es, und das war schlicht und einfach das Ende, für alles, von allem. Es gab nichts, das das rechtfertigen konnte, nichts dass es wieder gut machen konnte. Er hatte es selbst gesagt. Rückgängig machen war unmöglich, seine Opfer waren tot.
Tot. Tot... Das, wovor sie noch vorhin solche riesige Angst gehabt hatte, das da noch immer bedrohlich auf sie wartete, da draußen, lauernd, schleichend... Schnaufend und zitternd holte sie Luft, spürte wieder die Enge in ihrer Brust. Beruhigen. Nein, Ian war jetzt das Problem, Ian, Ian, nichts anderes.
Ian, der sie vor der Dunkelheit bewahrt hatte, zurückgeholt hatte, aufgefangen hatte, sanft, vorsichtig...
Sie wurde langsamer, tastete nach dem nächsten Baum, lehnte sich mit der Stirn voraus und mit ihren Händen an seinen Stamm an. Atmen. Atmen.
Nicht. Noch einmal. Durchdrehen. Nicht. Jetzt.
Nicht.
Jetzt.
Sie biss die Zähne zusammen. Fokus. Auf Ian.


Ian. Niemanden sonst. Nicht ihre Ängste überhand gewinnen lassen. Ian.
Ian.


Ian.

Sie atmete wieder ruhiger, wurde aber im Gegenzug langsam wütender... auf sich selbst. Warum, warum hatte sie damit nicht gerechnet? Stang, sie hatte es doch gewusst, hatte gewusst, dass da etwas war. Warum hatte sie es ignoriert? Warum hatte sie ihn so nah an sich herangelassen? Sie war doch selber schuld, dass sie jetzt in einem solchen Schlamassel saß! Sie hätte ihn auf Abstand halten sollen, so, wie es eine Jedi korrekt getan hätte, nur das mit ihm austauschen sollen, was notwendig war. Dann hätte sie jetzt nicht das Problem, er hätte ihr nie davon erzählt, sie würde weiter klarkommen; würde nichts davon wissen, wie sich diese kurzen Momente von Halt und Fürsorge angefühlt hatten. Müsste jetzt nicht entscheiden, wie sie damit umgehen sollte. Ob sie damit umgehen konnte.
Nein, sie würde nicht noch einmal auf einen Baum einschlagen. Diesmal nicht. Sie hatte sich im Griff. Hatte sich im Griff
zu haben, sonst endete das alles... nun, nicht gut. Sie sollte aber zur Sicherheit... wieder mehr Raum zwischen sich und den Baum bringen. Nur zur Sicherheit... also begann sie wieder, ruhelos umherzustreifen.

Sie hatte ihn nicht auf Abstand gehalten, weil er anders war. Weil da etwas Gutes in ihm war, etwas, das Hilfe brauchte. Weil er sanft sein konnte, weil er klug war. Und humorvoll. Weil sie ihn, verdammt noch mal, einfach mochte! Es war, als ob sie zwei Ians vor sich hätte - einen heutigen, einen, der ihre Freundschaft verdiente, nach dessen Nähe sie sich nun beinahe sehnte, einen, der seine Vergangenheit verabscheute, einen, der einmal geliebt hatte.
Und dann einen, der schreckliche Dinge getan hatte, ohne sich vorher zu fragen, was richtig war und was falsch, oder einen, der die Antwort schlicht ignorierte. Einen, mit dem sie nichts zu tun haben konnte. Wollte. Niemals.
Wie ging es, diese beiden Personen zu einer zusammenzufügen? Wie konnte sie akzeptieren, was da in seiner Vergangenheit lag? Wie konnte sie das überhaupt mit ihrer Aufgabe als Jedi in Einklang bringen, als Hüterin des Friedens? Sie schüttelte den Kopf. Das war nun das Letzte, was zählen sollte. Sie hatte die Art und Weise der Jedi mittlerweile akzeptiert, sie lebte nach diesen Prinzipien, sie stand weitesgehend dahinter - aber eben nur weitesgehend. Sie musste vor allem im Frieden mit sich selbst sein, nicht im Einklang mit irgendwelchen Regeln und Vorschriften. Wenn das mit dem Weg der Jedi nicht konform ging... dann würde sie das später beschäftigen. Erst einmal ging es um sie. Um sie selbst. Und um Ian.
Wie konnte sie seine Vergangenheit also akzeptieren? Seine Worte waren deutlich gewesen.
Bewusst.
Dachte, es wäre richtig.
Dafür entschieden.
Aber... jeden anderen Fehler, jeden Fehler, der nicht so endgültig war wie Mord, den konnte man irgendwie verzeihen. Man konnte bereuen. Man konnte versuchen, es zumindest irgendwie annähernd wieder gut zu machen.
Nur, bei Mord ging das nicht. Sah sie es rational - weshalb sollte man nicht auch Mord irgendwie akzeptieren können? Nicht aus Sicht der Hinterbliebenen. Das war nicht möglich, hier war eine Akzeptanz, gar ein Verzeihen unmöglich. Doch war es fair, wenn man sein ganzes Leben lang von Unbeteiligten gegeißelt wurde für etwas, das man vielleicht schon längst bereute, das man heute nicht mehr tun würde? Wenn es Dinge waren, die vielleicht im Affekt geschahen?

Ian war heute anders. Sie wusste es. Sie hatte es gespürt. Sie konnte sich nicht irren. Sie hatten dort gesessen, dort drüben, wo noch immer ihr Lichtschwert lag, noch vor kurzer Zeit. In Einklang, gemeinsam, verbunden. Er war anders... Er hatte sich geändert. Zählte das nicht auch?
Sie
wollte es akzeptieren, erkannte sie plötzlich verzweifelt bei dieser Erinnerung. Vorhin hatte sie noch gedacht, dass der Abstand nötig war, damit sie klarer sah, dass sie nicht mit in ihre Überlegungen mit einbezog, wie sehr sie es bedauerte, seine Hand hatte loslassen zu müssen. Aber das war ja genau das Problem. Sie konnte es nicht rational sehen. Dafür war es viel zu spät, es gab eben kein Zurück.. Sie wollte es schon längst akzeptieren. Das war der Grund, weshalb sie nicht gleich nach seinem Geständnis wortlos verschwunden war, weshalb sie hier überhaupt so mit sich kämpfte. Sie wollte so sehr... sie wünschte sich, dass sie es konnte. Wünschte momentan nichts sehnlicher, nicht einmal, von diesem Mond wegzukommen. Er hatte sie verändert, hatte so viel mehr gegeben als genommen, mochte er sagen was er wollte. Sie wollte es, für ihn, für ihn, der er nun einmal jetzt war, für sie, für sie beide.
Nur - war sie sich nicht sicher, ob sie konnte, ehrlich konnte. Und bei diesem Gedanken spürte sie, wie die Tränen in ihre Augen schossen und sich dann zu den Tropfen des strömenden Regens gesellten.

Wie sollte das gehen? Wie konnte sie sich selbst überwinden, etwas fallen zu lassen, an das sie glaubte? Wie konnte sie?
Da stockte sie und blieb stehen. Eowyn hatte ihm genau zugehört, doch ihr wurde jetzt plötzlich klar, dass sie nicht alles verstand, was er gesagt hatte. Sie lief hier herum, überlegte, wog ab, verzweifelte... aber letztendlich spielte das erst einmal alles keine Rolle, so lange sie nicht alles verstand, nicht alles wusste. Nicht alle Fakten auf dem Tisch lagen. Und jetzt, wo er begonnen hatte, darüber zu reden, jetzt, wo er ihren Wunsch ohnehin nicht respektiert hatte, jetzt musste sie auch alles wissen.
Alles. Es ging nicht anders, sie musste einfach. Wenn sie verstehen wollte, wenn sie irgendwie wieder mit ihm umgehen wollte, wenn sie irgendwie, irgendwann normal mit ihm umgehen wollte, und das wollte sie, verdammt, warum auch immer, aber das wollte sie - dann musste sie es wissen. Ob sie das wollte oder nicht.
Sie wandte sich um, zu ihrem flackernden Lichtschwert auf dem Boden - wo war nur der verdammte Leuchtstab, Licht wäre jetzt so viel hilfreicher! - wo sie Ian immer noch vermutete, ihn aber durch den Regen und ihre Tränen kaum erkennen konnte. Doch, da saß er, sie spürte es - spürte ihn wieder, nachdem sie sich zuvor voll und ganz auf sich konzentriert hatte. Erwachte wie aus einer Art Traum, nahm ihn wieder war. Sie musste weiter Abstand halten. Abstand... Emotional wie physisch. Sonst kam sie hier nicht durch. Dennoch machte sie ein paar wenige Schritte auf ihn zu, blieb dann aber weit genug entfernt stehen, um nicht zu nah zu kommen. Sich weiterhin bewusst zu sein, dass der Abstand notwendig war. Absolut. Egal was nun kam, sie brauchte den Abstand.

Wer hatte Recht?, fragte sie mit rauher, belegter Stimme schließlich. Und womit? Weshalb dachtest... sie stockte. Es war wirklich einfacher gewesen, als sie auch sprachlich nicht nah gewesen waren. So war das alles weitaus... persönlicher. Betraf sie mehr. Es war seltsam. Dennoch... es gab einfach kein Zurück. Weshalb dachtest du, dass es richtig wäre? Und Rache wofür? Sie wollte ihn nicht quälen. Im Gegenteil - es würde vermutlich noch viel schlimmer werden als vorhin, und sie wünschte, sie könnte ihnen beiden das ersparen. Aber es ging nicht. Das hier war grundlegend. Es musste sein. Und sie hoffte sogar, dass er sich nicht wieder abschirmen würde - sie musste nun fühlen, spüren können, nachvollziehen können. Egal, wie sehr es sie schmerzte. Anders - ging es nicht.
Wer? Wie oft? Warum?, fuhr sie leise schmerzvoll mit ihren Fragen fort - und nun vor allem, das allerwichtigste, ohne dass es nicht ging, auf das sie die Antwort nicht hören wollte, wirklich nicht hören wollte, absolut rein gar nicht, aus Angst, dass da etwas kommen würde, das nicht ihren Erwartungen entsprach, aber etwas, das sie einfach wissen musste, weil es so grundlegend war, dass es gar nicht mehr grundlegender ging, sie musste es endlich aussprechen, sie musste einfach...
Sie brauchte sich nicht zu fürchten, sie kannte die Antwort. Sie kannte sie doch schon längst, wra sich sicher. Musste sie kennen... Anders war es nicht möglich. Einfach. Nicht. Möglich. Es durfte nicht sein, sie konnte sich nicht so irren. Sie irrte sich nicht. Sie schloss die Augen, atmete durch, spürte wie etwas in ihr schließlich zerbrach, vor Schmerz, vor Verzweiflung, vor Ungewissheit. Aber vor allem - vor Angst. Tiefsitzender, höllischer Angst vor der Wahrheit. Sie holte schließlich Luft und stellte mit zitternder Stimme ihre letzten Fragen.
Und heute? Bereust du es? Was würdest du heute tun?

Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Ian
 
Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn

Da war Druck auf seiner Hand. Weil sie ihm antwortete? Weil sie seine stumme Bitte, ihn zum Schweigen zu bringen gehört und verstanden hatte? Es war zu viel für diese Nacht, er wusste es und alles schrie, schrie ihm zu, zu schweigen, nur eine leise Stimme forderte das Gegenteil. Auf welche sollte er hören? Wann hatte er je auf die richtige Stimme gehört? Welche war jetzt die richtige? Er würde sie verlieren. Er würde Eowyn verlieren. Wenn er jetzt sprach, würde er verlieren. Dieses Band was sie gewebt hatten war zu neu, zu instabil, noch nicht fest genug, er würde es zerstören.
Warte ab. Warte, bis das Band dichter ist. Schweig und warte ab. Vielleicht spielt es später eine untergeordnetere Rolle.
Sag es jetzt. Sei ehrlich. Lass nicht zu, dass sie zu viel empfindet, ehe sie weiß, wer du bist. Sei fair. Aber fair zu wem? Zu sich? Zu ihr? Zu ihnen beiden? Alles war fair und unfair zugleich. Richtig. Falsch. Falschrichtig. Sie saß neben ihm, sie berührten sich. Sie hatten jede Distanz aufgegeben. Weil sie nicht wusste. Weil er ihr nicht die Chance eingeräumt hatte kennenzulernen, was sie wissen musste. Wissen musste, um zu entscheiden. Über die Nähe, über das, was sie verband, über das, was gerade entstanden war. Darüber, ob sie überhaupt wollte. Noch wollen würde. Er durfte nicht schweigen. Nicht jetzt.

Und er sprach.

Und dann veränderte sich alles. Anfangs ließ sie nicht los, was vielleicht einen Hauch Hoffnung hätte auslösen können, aber das tat es nicht. Anfangs ließ sie nicht los. Und die Tatsache, dass ihre Hand noch immer in der seinen war, schmerzte. Aber es war nichts im Vergleich zu dem Moment, da sie ihre Hand löste. Aufstand. Ging. Kein Vergleich. Es gab symbolisches loslassen, aber das hier war beides. Körperlich. Symbolisch. Es war beides und es obwohl es klar gewesen war, obwohl es ihm klar hätte sein müssen, schmerzte es und das auf furchtbare Art und Weise. Genau das hatte er vermeiden wollen. All das. Wieder zu fühlen wie ein Mensch. Wieder zu Vertrauen. Wieder zu empfinden. Für jemanden. Der Schmerz des Verlustes drängte sich auf und das Bewusstsein darüber, dass es richtig war, ihn loszulassen –die Gewissheit an ihrer Stelle genauso zu handeln- schmerzte nicht nur, sondern peinigte ihn. Er hatte nicht mehr gehofft, weil Ian wusste, zu was Hoffnung führte. Er hatte nicht mehr geträumt, weil er wusste, dass aus ihnen nur Alpträume entstehen konnten. Für sich zu hoffen, für sich zu träumen… es war völlig utopisch. Wie hatte er nur wieder damit beginnen können? Ian schloss die Augen, versuchte zu atmen, aber es war ihm, als schnüre die Kette, die sich das erste Mal seit einem halben Jahrzehnt ein wenig gelockert hatte, erneut zu. Sie umfasste unbarmherzig seinen Brustkorb, zwängte ihn ein. Wenn sein Herz, dass so unaufhörlich schmerzte, körperlich, seelisch, ihn nicht auf der Stelle umbringen würde, dann diese Kette um seinen Brustkorb. Er wollte es rückgängig machen. Alles. Aber da war nichts, was er hätte ändern können. Die Zeit war nicht gnädig, denn sie ließ sich nicht verändern. Alles ließ sich ändern, korrigieren, berichtigen. Nicht aber die Geschehnisse der Zeit.

Eowyn lief, Ian hörte ihre Schritte, er selbst aber war zur Bewegungslosigkeit verdammt. Wo hätte er auch hingehen, wie hätte er sich bewegen können? Er fühlte sich gefesselt, erdrückt und Ian wusste nicht, wie sich daran etwas ändern sollte. Was er zu vergessen gesucht hatte, hatte ihn eingeholt, erneut. Seine Vergangenheit hatte ihn heimgesucht und sie würde alles bestimmen. Seine Gegenwart, seine Zukunft, alles. Immer. Hatte er wirklich geglaubt, es gab eine zweite Chance? Ausgerechnet für ihn? Er hatte sich so erfolgreich gewehrt, so erfolgreich gegen diese Utopie angekämpft. Da war Dunkelheit gewesen, die schwärzeste Schwärze und Eowyn hatte Licht zurück gebracht. Und er? Hatte es wieder genommen. Durch das, was er getan hatte. Einmal etwas richtig machen… Wie konnte man einmal etwas richtig machen, wenn da vorher die ganze Zeit alles falsch gemacht worden war? Eins gegen zwei. Eins gegen zehn. Eins gegen hundert. Eine richtige Entscheidung gegen ein ganzes Leben voll falscher Entscheidungen. Es war unmöglich, unmöglich. Da war das Gefühl zu fallen, erneut, wieder. Aber anders als sonst. Denn er hatte sich bis eben an etwas geklammert, er hatte Eowyns Hand gehalten. Ja, vielleicht hatte er sie gestützt, doch gehalten hatte sie ihn. Und jetzt war da nichts. Die Dunkelheit des Mondes, die Dunkelheit in seinem Inneren. Die Finsternis holte ihn ein. Warum hatte er nicht einfach vergessen?

Ian wollte aufstehen, sich bewegen, etwas tun, aber es gelang ihm nicht. Der Boden, der sich eigentlich unter ihm hätte auftun müssen, um ihn zu verschlingen, tat das Gegenteil, hielt ihn fest, beraubte ihn jeder Bewegung. Und so saß Ian einfach nur da, weiter mit geschlossenen Augen, ohne in der Lage zu sein, die Wirklichkeit zu verdrängen. Er war ein Mörder. Nie hatte diese Tatsache ihn so gequält wie jetzt. Und warum? Wegen Eowyn…
Ian öffnete die Augen, in der Hoffnung, dass sich etwas veränderte? Das er aus einem Alptraum erwachen würde? Einem, seiner vielen Alpträume? Aber er wusste, dass es keiner war, denn da war der Regen, der nasse Boden, die kaum zu erkennende Umgebung. Und da war noch immer Eowyns Präsenz. Leise hörte er ihre Schritte, ein beständiges auf und ab, obwohl es keinen Sinn ergab, denn sein Herz schlug so viel lauter, hätten ihre Schritte verschlingen müssen. Sein Herz, oder der Regen. Wie lange noch, bevor es brechen würde? Ihr eisiges Schweigen war unangenehm gewesen. Dieses hingegen? Unerträglich. Warum spie sie ihm ihre Verachtung nicht ins Gesicht? Warum sagte sie ihm nicht, dass sie ihn nie wieder sehen wollte? Dass sie bereute, ihn so nahe an sich heran gelassen zu haben. Das es besser gewesen wäre, nicht von ihm gerettet zu werden. Nicht von ihm, einem Mörder.

Dann kam sie näher. Er hörte ihre Schritte, glaubte durch die Dunkelheit ihre Füße zu erkennen, spürte ihre Präsenz. Obwohl das Schweigen unerträglich war, kam die nächste Angst. Die, vor ihren Worten. Konnte er das Schweigen als unerträglich empfinden und sich zur selben Zeit, in derselben Sekunde wünschen, dass sie weiter schwieg?
Würde er ertragen können, was auch immer sie zu sagen hatte, wenn sie überhaupt mit ihm sprach?
Er spürte sein Herz, dessen völlig unnatürlichen Rhythmus. Dieses winzige Organ, das auf Telos geschwiegen hatte. Als wolle es jetzt beweisen, dass es da war, als wolle es jetzt deutlich beweisen, dass es noch schlug. ‚Da siehst du, dass es mich gibt‘. Aber es würde brechen. Und dann?

Als Eowyns Stimme an sein Ohr drang, war es widernatürlich, denn das was sie sagte, ergab keinen Sinn. Die fehlende Verachtung in ihre Stimme ergab keinen Sinn. Ihr Stocken hingegen war umso verständlicher. Du. Sie konnte ihn nicht weiter so nennen. Es war zu nahe. Spätestens jetzt, da sie wusste, dass er ein Mörder war. Und dann kam es doch und mit ihm kamen Fragen, so viele Fragen. Und jede Frage versetzte Ian einen glühenden Stich, mitten ins Herz. Warum?
Warum wollte Eowyn es wissen, warum fragte sie danach…. Als wäre es ein Verhör. Als müsste sie es hören, um abschließend ihr Urteil zu fällen. Und warum, warum war da kein ‚Das geht Euch nichts an‘? Nein. Warum war da kein ‚Das geht dich nichts ans‘? Warum quälte sie ihn so? Warum quälte sie sich so? Was wollte sie hören? Eine Entschuldigung, die es nicht gab? Etwas, das es verständlich machen würde? Eine Ausflucht? Reue?

Die Wahrheit…

Er schluckte schwer, völlig unfähig etwas zu sagen. War das die Vorbereitung auf Lianna? Das erste Gespräch, das über sein Schicksal entschied? Ein Schicksal, das ohnehin entschieden war? Sie hatten gestritten, sie hatten geweint, sie hatten gelacht. Sie hatten begonnen, einander zu vertrauen. Was jetzt? Es würde verschwinden. Es war verschwunden. Die Wahrheit würde es zerstören. Die Wahrheit hatte es bereits zerstört.
Dabei schien es völlig unmöglich zu sprechen und für einen Moment fragte Ian sich, wie man überhaupt sprach. Den Mund öffnen, zu einer Antwort ansetzten. Laute von sich geben, die einen Sinn ergaben. Wie funktionierte das? Für einen Moment vergessen, fiel es ihm wieder ein und da wünschte er sich die Stille zurück. Die Unfähigkeit sprechen zu können. Die Gefühllosigkeit die ein so treuer Begleiter gewesen war. War… Die Zeit war so unbarmherzig...

Wer hatte Recht? Der erste Stich. Alle…

„Alle.“ Und es war kaum eine Stimme, denn sie war verzerrt, seltsam und fremd. Gebrochen. „Mein Vater. Meine Mutter. Meine Brüder. Iouna. Ysim. Ranik. Alisah. Torryn. Aden.Abgehackt kamen die Namen mit denen Eowyn ohnehin nichts würde anfangen können und doch, sie alle hatten Recht.
„Damit, dass ich eine Schande bin“, und die Worte trieften nicht vor Selbstmitleid, sondern vor Ekel, nicht vor ihnen, aber vor sich.
Das Verhör hatte begonnen und damit der Anfang vom Ende. Ian hatte begonnen zu reden und jetzt war da kein Grund mehr zu schweigen. Sie hatte gefragt… und egal wie sehr es ihn quälen würde, er würde Eowyn antworten. Auf jede Frage. Er hatte ihr gestanden, die Unterschrift gesetzt zu haben und auch das andere würde er nicht mehr verschweigen. Schon allein aus dem Grund, weil er nicht mehr schweigen konnte. Wenn er ohnehin alles zerstört hatte, spielte es kaum noch eine Rolle, außer die, ehrlich gewesen zu sein. Vom Anfang bis zum Ende.
Das kurze, abgehackte, völlig freudlose Lachen das kam, als Eowyn wissen wollte, weshalb er dachte, dass es richtig gewesen war, ging fast im Regen unter und in der Antwort, die so bitter über seine Lippen kam
. „Ich war blind und dumm und voller Hass.“ Bittere Worte, die mit absoluter Gewissheit kamen, ohne ein Stocken dazwischen. Diese Antwort war einfach. „Ich dachte, ich hätte ein Recht dazu ich dachte, es wäre gerecht. Ich glaubte, ich würde richtig handeln, ich glaubte, sie hätten es verdient.“ Die nächste Frage, der nächste Stich. Rache wofür? Sie quälte ihn, aber wenn Ian geglaubt hatte, dass Eowyns Fragen nicht hätten schlimmer werden könnten, so irrte er sich. Wer, Stich, wie oft, Stich, und warum, Stich… Stich, Stich, Stich. Mitten ins Herz, das ohnehin schon so schmerzte.
Das hier war kein Verhör, nein. Was auch immer es war, es war weitaus schlimmer als das. Nicht, weil es hier keinen Verteidiger gab, nicht, weil hier nicht Lianna war. Nein. Sondern weil er den Schmerz in Eowyns Stimme hörte, weil er spürte, dass da noch etwas war. Etwas, dass abwägen musste, ob sie weiter festhielt. Oder los ließ. Und ihre letzten Fragen, Eowyns letzten zitternden Fragen machten es so deutlich, so überdeutlich. Sie suchte noch immer nach dem, was sie sah. Gesehen hatte. Sie hatte ihn noch nicht aufgeben. Sie musste wissen, ob Ian der war, von dem sie glaubte, dass er es war. Oder ob er der von früher war… Ein Abgleich. Ein verdammter Abgleich. Wie gerne hätte er ihr gesagt, dass er anders war, sich geändert hatte. Nicht mehr der Mörder war, nicht mehr der Sith, nicht mehr das Monster. Er wolle hinausschreien, dass er sich geändert hatte. Eowyn hatte sich nicht geirrt, als sie etwas in ihm gesehen hatte. Nein, sie hatte sich nicht geirrt, oder?


„Ich…“ Ian brach ab. Schweigen. Einfach nur schweigen. Er wollte einfach nur schweigen, denn er würde es nicht ertragen. Würde zerstören. Würde verlieren. Wieder. So wie immer. Wollte er überhaupt, dass Eowyn nur in Erwägung ziehen konnte noch einmal etwas in ihm… zu sehen?
Ja…. Aber: Warum konnte sie ihn nicht einfach verachten, es wäre so einfach gewesen… So hilfreich in diesem Moment. Nichts, was neu war. Wenigstens war es dunkel, was dafür sorgen würde, dass er nicht sehen musste, wenn das Band, das so fein, aber so bedeutungsschwer für ihn war, verschwand.
Ian starte den Versuch zu sprechen, aber es gelang ihm nicht und als er den Mund öffnete, drang da nur ein kehliges Seufzen aus seinem Mund. ‚Bitte‘, wollte er sagen. ‚Bitte, hör auf damit. ‘ Doch es gelang ihm nicht.


Rache wofür?
Wer?
Wie oft?
Warum?
Bereust du es?
Würdest du es heute tun?


Sie würde ihn hassen. Da würde nichts mehr sein, gar nichts. Diese Erkenntnis machte ihn schier verrückt. Lügen. Was, wenn er einfach log? Etwas erzählte, dass nicht stimmte? Verharmlosen. Verharmlosen und lügen, um sie nicht zu verlieren, weil er sie nicht verlieren wollte, weil er sich davor fürchtete, was danach kam.
Lügen. Der Dunkelhaarige schloss die Augen, wusste, dass er Eowyn nicht belügen konnte, auch wenn das gerade einem sehr egoistischen Wunsch entsprochen hätte. Dann hob er den Kopf, öffnete die Augen und starrte dorthin, wo Eowyn stehen musste.


„Acht. Es waren… acht, “ und auch seine Stimme begann zu zittern und auch seine Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich…“ Ian schloss die Augen und dann kam das Bild zurück. Die Erinnerung, die ihm so wohl bekannt war. Telos. Tahiri. Die Piraten. Rache wofür? Dafür… Dafür, dass diese Männer ihm das einzige genommen hatten, dass ihm etwas bedeutet hatte.
„Ich kam zu spät… ich spürte, dass etwas nicht stimmte… und ich beeilte mich, aber ich kam zu spät.“

***
Etwas stimmte nicht. Die Dunkelheit auf Telos war, wie jede. Und doch war diese Nacht anders und der junge Mann beeilte sich mit seiner Rückkehr. Eine innere Stimme schrie ihn an, sich zu beeilen. Flüsterte ihm zu, dass jede Sekunde zählte. Der Mensch ignorierte die Stimme nicht, sondern setzte alles daran so schnell wie möglich seinen Arbeitsort zu verlassen.
Die Lunge brannte und seine Beine wurden bleischwer, als er an seiner Bleibe ankam. Von außen sah alles aus wie immer. Friedlich erhoben sich die Mauern in die dunkle Nacht. Aber etwas, was im völligen Gegenzug dazu stand, schienen auch die Mauern zu schreien.
Ian ließ sich keine Zeit zu verschnaufen, setzte in Schnelligkeit, aber auch daran leise zu sein.
Als er an der Tür ankam und das zerstörte Schloss vorfand, raste sein Herz und eine ohnmächtige Angst befiel den Mann. Seine Hand glitt zu seinem kleinen Messer, dass er immer bei sich trug. Die Knöchel seiner Hand traten weiß hervor. So leise er konnte, so leise es sein keuchender Atem zuließ, betrat er seine Bleibe. Tahiri. Der erste Gedanke galt ihr und kaum, dass er an sie gedacht hatte, hörte er ein leises Wimmern und das Lachen von Männern. Das Lachen und abscheuliche Geräusche.
***


„Es… waren 4, als ich kam und…“



***
Schneller, immer schneller bewegte sich der junge Mann auf den Raum zu, aus dem diese Geräusche traten. Die Angst wurde von einem anderen Gefühl verdrängt. Tatendrang. Eile. Die Türe war nur angelehnt und der kleine Spalt, der kaum einen Blick zuließ, zeigte dennoch zu viel. Brannte das Bild
Tahiris in den Kopf des Menschen.
***

„Sie haben…“
Es brachte ihn um. Er musste sich festhalten, an irgendetwas, denn wenn er es nicht tat, war er verloren. Und so grub Ian seine Finger in den Erdboden, der, da er völlig aufgeweicht war nachgab, vergrub die Hände darin. Nur etwas festhalten.

„Sie… Ich…“


***
Er sah, wie sich der Mann gerade von Tahiri erhob, deren Körper nackt und mit Blut bedeckt, am Boden lag. Unnatürlich. Unecht...
***

Das Bild. Er brauchte es ihr bloß zu übermitteln, aber er konnte nicht, würde nicht, wollte das nicht tun. Da waren Schuld und Schmerz. Aber waren diese Gefühle alleine? War da nicht noch ein weiteres, das langsam, aber sicher dominierte?
„Sie haben Tahiri getötet… und sie haben sie… Sie haben sie getötet und ich… habe sie getötet.“ Das andere sparte er aus, nicht nur, weil es zu schmerzhaft war, um es in Worte zu fassen, sondern weil da irgendetwas in ihm, auch Eowyn schützen wollte und das, obwohl sie ihn so sehr quälte. „Einer entkam.“


Bereute er es? So oft hatte er sich diese Frage gestellt und so oft war er auf die gleiche Antwort gekommen. Nein, er hatte es nicht bereut. Aber bereute er jetzt? Ian war froh, dass er saß, denn hätte er gestanden, er hätte sich setzten müssen, weil seine Beine nachgegeben hätte. Bereute er jetzt?
„Ich weiß nicht, ob ich es bereue“, sagte er dann. Sie waren über sie hergefallen, alle vier… Sie… „Ich weiß es nicht“, und diesmal schrie er es fast hinaus, als könne Eowyn ihm die Antwort darauf geben. „ICH HABE SIE GELIEBT. Und sie… sie… haben…“ Das Bild war zu deutlich, drängte sich auf, direkt vor ihm und da kehrte die Wut zurück, in nicht geahnter Intensität und da saß Ian, die Hände im Boden vergraben, völlig haltlos, ohnmächtig dagegen anzukämpfen. Warum wollte sie das wissen? Warum wollte sie das wissen? Obwohl seine Hände voll von Schlamm waren und obwohl es keinen Sinn ergab, bedeckte Ian seine Augen, versuchte Herr über seine Tränen zu werden – Tränen aus Wut und Schmerz- und Herr über seine Gefühle. Aber diese Wut… Das Bild von Tahiri. Da war so viel Wut, so viel Schmerz, so viel Zorn… War das nicht die Antwort? Machte das nicht deutlich, dass er diese Morde nicht bereute? „Sie haben es…“ Aber er konnte es nicht sagen. Was, wenn auch sie bereut… Nein. Nein. Nein! Das war etwas anderes. Etwas anderes. Sie hatten nicht einfach getötet, sie hatten zerstört. Sie hatten Tahiri nicht allein das Leben, sondern ihre Würde und ihre Seele geraubt. Das, was am kostbarsten war, hatten sie ihm genommen und er hatte ihre Freude gespürt, gepaart mit ihrer Wollust. Wie konnte er da bereuen? Wie konnte er da nicht hassen? Wie konnte Eowyn ihn da fragen, ob er bereute?
„Ich…“ Er musste seinen Zorn kontrollieren, irgendwie. Aber wie? Wie sollte er ihn nicht die Überhand gewinnen lassen? Warm, heiß brodelte die Wut in ihm auf und es war so verführerisch ihr nachzugeben.

Hör auf damit.

Aber wie sollte er?

Du hast es versprochen…

Dieses unsägliche Versprechen, sich nicht des Hasses zu bedienen.

Du hast dich geä…

Gar nichts hatte er! Gar nichts! Sein Körper begann zu beben, als Ian versuchte, sich gegen den Zorn zu wehren, der umschlagen wollte, in etwas viel schlimmeres. Eine leise Stimme lockte ihn und sie klang so verführerisch. Flüsterte ihm beständig zu, dass er alles Recht gehabt hatte.

„Warum?“, presste er hervor. „Warum willst du das wissen? Siehst du denn nicht…?“ Sah sie denn nicht, was sie anrichtete? Was wusste sie von der Dunklen Seite, was wusste sie von echtem Hass?

Hör auf damit.

Diese Stimme, diese verdammte Stimme, die ihm dazu riet etwas zu tun, was so gegen das stand, was so einfach gewesen wäre.

Die Stimme, die du auf Telos ignoriert hast. Die Stimme die du nie hättest ignorieren dürfen.

Aber…

Kein Aber. Du weißt es.

Er hatte es versprochen und er kämpfte dagegen an. Einmal etwas richtig machen. Der Zorn musste verschwinden, er musste, denn Ian wollte ihn nicht spüren, wollte nicht, dass er umschlug. Er wollte sich ändern, wollte anders sein, auch wenn es zu spät war. Atmen, er musste bloß atmen und kämpfen. Gefesselt kämpfen. Halb erstickt atmen. Aber diesmal würde er stärker sein. Über seinen Hass erhaben. Er musste. Für sich, für Eowyn. Für die letzte Chance, die er verspielt, bevor er sie genutzt hatte. Kein Hass, nein. Er wollte ihn nicht, nie mehr. Genau das hatte er gesagt, genau deswegen hatte er den Kristall zerstört und da spürte er die Phiole in seiner Tasche und langsam, langsam kam er wieder besser zu Atem, zu klarerem Denken.

„Eowyn, ich .. ich… kann es nicht bereuen.“
Und als diese Wahrheit heraus war, verschwand der Zorn endgültig, machte der Trauer Platz. Dem Schamgefühl darüber, nicht bereuen zu können. Das würde ihm den Todesstoß versetzen, er wusste es. „Ich kann es nicht“, und da kehrte auch das Weinen zurück. „Ich würde, aber ich kann nicht, es geht nicht.“ Ian konnte nicht bereuen. Aber stimmte das wirklich? Wenn er bereute, nicht zu bereuen, war das nicht Reue? Diese Gedanken waren zu viel…
Aber Eowyn hatte so viele gnadenlose Fragen gestellt. Würde er auch heute die Mörder seiner großen Liebe töten?
„Nein“, sagte er tonlos. „Sie würde nicht lebendig. Sie würde nicht wieder lebendig. Nein, nein…“ und seine Stimme brach erneut, wurde erstickt von seinen Tränen. Er konnte es nicht mehr. Niemals wollte er wieder töten. Niemals. Und diese drei hatte er nicht bewusst getötet, sich nicht bewusst dafür entschieden. Nein, da war nicht die Zeit gewesen, sich über Richtig und Falsch Gedanken zu machen. Diese drei nicht… Aber die anderen?

„Die anderen fünf waren ein Teil meiner Familie“,
presste Ian schließlich hervor. Schnell, er wollte es schnell sagen, damit er endlich schweigen konnte, es hinter sich hatte. Nicht noch mehr Bilder. Nicht noch mehr Erinnerungen. Wenn er sich beeilte, würden die Erinnerungen ihn verschonen und dann konnte Eowyn ihn endlich verachten, ihr Bild revidieren.
„Was soll ich dir erzählen?“, wollte er schließlich wissen, nicht ohne Schmerz in der Stimme, längst nicht ohne Verzweiflung und es erschien so sinnlos, weiter auszuholen. „Das sie mich quälten? Das sie mich schlugen? Das sie mich hassten? Was willst du wissen? Das ich ein Monster war… oder es vielleicht noch bin? Das ich wurde wie sie? Eowyn…“

Dann schüttelte er den Kopf, langsam, traurig, aber vehement. Er war am Ende, sah sie das denn nicht? Spürte sie es nicht? Das diesmal er derjenige war, der nicht mehr konnte? Und waren die letzten Fragen nicht offensichtlich, wenn sie nur eine Sekunde in sich hineinhorchte? Aber sie wollte die Worte wissen, musste sie hören. Um sicher zu sein. Nur welche Macht würden sie noch haben? Da war das Gespräch über das Töten gewesen, in dem er eigentlich schon alles gesagt hatte. Nur schien das nicht genug. Sie wollte die Wahrheit hör und er hoffte so inständig, dass Eowyn ihm glauben würde. Obwohl er sich zerbrochen fühlte, bemühte er sich, nicht nur zittern aus seiner Stimme zu tilgen, sonder so fest und klar zu sprechen, wie er konnte. Dabei konnte er doch nur scheitern.

„Bei allem, was mir je etwas bedeutet hat, ich würde alles dafür geben, all das ungeschehen zu machen.“ Wenigstens das musste sie ihm glauben.
‚Wenigstens das musst du mir glauben‘.

Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn








 
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Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Ian

Sie spürte seine Qualen und seinen Schmerz, als wäre es ihr eigener - vielleicht war es auch ihr eigener, sie war zu erschöpft und zu verwirrt, um alles auseinanderzuhalten. Sie beide waren völlig offen, völlig ohne Abschirmung, wenn sich Dinge vermischten, wäre das zumindest kein Wunder. Eowyns Angst vor seinen Worten wuchs und wuchs, sie wünschte beinahe, sie hätte nicht gefragt, und doch wusste sie, dass es keinen anderen Ausweg gab. Sie konnte alles, was sie gehört hatte, nicht einfach so hinnehmen. Wenn sie nun nicht zuhörte, wenn sie ihre Fragen zurücknahm, dann war alles, was je zwischen Ian und ihr war, was je hätte werden können, zerstört.
Sie wollte nicht zuhören. Aber wenn Ian nun da durchkam und mit ihr sprach, wenn er sich überwand und weiterredete - dann konnte sie auch zuhören. Das war das mindeste, und sie musste einfach durchhalten. Sie zitterte, vor Angst, vor Kälte, vor allem. Aber sie war über dem Stadium hinaus, in dem es eine Rolle spielte. Was nun zählte war ihr Geist und ihr Verstand, und ihr Herz. Vielleicht vor allem ihr Herz.
Und so stand sie da, versuchte ihren Körper zu vergessen, versuchte zu vergessen, dass der Regen auf sie niederprasselte und ihre Brust zu zerspringen drohte.

Als er schließlich zu sprechen begann war das nicht der Ian, den sie kannte. Seine Stimme klang unnatürlich, aber es war nicht nur das. Es war all das, was auch dahintersteckte. Der Ian, den sie kannte, war fest, standhaft, überzeugt - ob nun von positiven Dingen oder von negativen. Der Ian, der nun redete... er war anders. Definitiv anders. Und wäre es ihr nicht schon längst klar gewesen, spätestens jetzt hätte sie bemerkt, dass hier sein absolutes Innerstes sprach, dass sie am Kern angelangt waren. Dass nun Nuancen entscheiden konnten zwischen zerstören und erstarken.
Keiner der Namen sagte ihr etwas, aber warum auch? Erschreckend genug, dass die Liste so lang war, und seine Familienmitglieder darunter zählte. Sie hatte später keinen guten Draht zu ihrem Vater gehabt, aber niemals, niemals hätte er solche Dinge über sie gesagt... was musste geschehen, dass ein Vater so etwas sagte? Oder eine Mutter? Hatten Geschwister nicht normalerweise mehr Verständnis untereinander? Oder war dies gewesen, nachdem Ian schon seine Morde begangen hatte, und seine Familie hatte davon gewusst? Offensichtlich hatten ihre Worte Wirkung gezeigt. Ians Abscheu vor sich selbst war nicht zu überhören und erst Recht nicht, nicht zu fühlen. Sie unterdrückte den Impuls, ihm darauf zu antworten - ihre Antwort auf eine solche Aussage wäre jetzt sicher nicht passend. Ganz sicher nicht passend... und vor allem musste sie an den Abstand denken. Abstand, seine Worte nicht an sich heranlassen. Sie musste sachlich bleiben, so wie gerade eben. Sachlich bewerten, zuhören, abwägen, entscheiden. Auch wenn sie am Liebsten widersprochen hätte.
Aber das würde ihnen nicht weiterhelfen.

Seine nächsten Worte beantworteten ihre Frage nicht wirklich, aber war das auch überhaupt möglich? Es musste Jahre her sein, und vielleicht lag die Antwort eher in der Art der... Morde als in einer gefühlten Erinnerung. Blind, dumm, voller Hass - war dies nicht das übliche Schema eines Mordes im Affekt? Und die übliche Ursache für einen Machtnutzer, zur dunklen Seite abzuweichen. Sachlich analysierte sie, konzentrierte sich nur ganz auf seine Worte. Wenn dies nicht Ian wäre, wenn dies jemand wäre, den sie nicht kannte... wie würde sie dann handeln, denken, was würde sie sagen? Was würde sie raten, wie würde sie hier damit umgehen?
Aber es war Ian, verdammt, und es war schlicht unmöglich, das zu ignorieren. Verzweifelt ging ihr Blick zum Himmel - jedes Mal, wenn sie dachte, sie hätte alles unter Kontrolle entglitt ihr alles wieder, kamen irgendwelche Emotionen hoch, sie sie doch ganz tief irgendwo vergraben wollte.
Ians noch immer wachsender Schmerz machte es nicht einfacher - nein, vielleicht war es auch gerade das, was sie immer wieder daran erinnerte, um was es hier ging. Um wen es hier ging. Sie war kein Droide. Sie konnte nicht logisch, sachlich bleiben, wenn... ja, wenn Ian vor ihr saß und die Qualen nur so ausstrahlte.
Er sprach nicht weiter. Er sprach nicht weiter, und ein kleiner - oder ein großer? - Teil von ihr war erleichtert. Er würde zurückhalten, sie musste nicht mehr erfahren. Er zog hier einen Schlussstrich... Sie musste nicht mehr hören. Aber der andere Teil, der, der ihn irgendwie verstehen wollte, der, der verstand, dass ohne Wissen kein aufeinander zugehen folgen würde... dieser Teil wiederum drängte in ihr, drängte sie, ihn zu ermutigen, dass er sprechen musste, wenn er wollte, dass... Ja, wenn er was wollte?
Sie hielt das Schweigen nicht aus, ertrug nicht, wie alles in der Schwebe hing - was, wenn er nun wirklich nicht weitersprach? Was würde geschehen?
Sie setzte sich wieder in Bewegung, um die Spannung, die sich in ihr anbaute, ein wenig abzubauen, lief wenige Schritte hin und her. Es ging so nicht. Wie konnte sie das ertragen, die Unwissenheit und gleichzeitig das Wissen? Und dazu noch dieser verfluchte Regen, dieser verfluchte Mond, diese verfluchte Nacht, diese verfluchte Dunkelheit! Als ob es nicht so schon schwer genug wäre, hatte sich auch noch alles gegen sie verschworen, hatten sie sich den besten Zeitpunkt für all das ausgesucht.
Ihre Wut auf das Wetter, auf die Situation abzureagieren war leichter - nicht nur leichter, es war überhaupt etwas, das sie tun konnte. Was hatten sie sich dabei gedacht? Sie hätten schlafen gehen sollen, ganz einfach, sie hätte Ians verdammte Hand einfach... da war der Schmerz wieder, mittendrin in ihrer Bewegung, und sie keuchte auf. Hatte ja wunderbar funktioniert, ihre Ablenkung. Entnervt gab sie auf, lief wieder die drei Schritte zu ihrem Ausgangspunkt zurück, als ihr Fuß gegen etwas Hartes, Metallenes stieß. Das war jetzt nicht... doch, das war es, und sie hatte den Eindruck, als wolle irgendjemand sie hier verhöhnen. Dass der Leuchtstab nur wenige Meter neben ihr gelegen hatte, die ganze Zeit, das war... sie war kurz davor, weit auszuholen und ihn schreiend in den Dschungel zu werfen. Das war doch wohl ein schlechter Witz!
Dennoch atmete sie durch, behielt ihn in der Hand. Er war einfach zu wichtig
. Irgendwann konnte ihrer beiden Leben davon abhängen. Und obwohl sie sich die ganze Zeit nach Licht gesehnt hatte aktivierte sie ihn nun nicht. Vielleicht... vielleicht war es doch einfacher, wenn es dunkel war. Wenn Ian nicht sah, mit wem er sprach... es reichte schon, dass sie beide sich so deutlich spürten. Aber es war gut, ihn in der Hand zu halten, eine Sicherheit, eine Hilfe. Es war gut, überhaupt etwas festzuhalten, nachdem ihr Lichtschwert noch immer auf dem Boden brannte, und nachdem Ian... Sie atmete scharf ein. Logisch bleiben. Zuhören...

Sie zuckte zusammen, als Ian schließlich doch sprach - und gleich noch einmal, als sie die Zahl hörte. Eowyn schloss die Augen. Acht. Acht... Acht Leben, die genommen worden waren. Acht Leben beendet. Einfach so. Acht... Mehr als die Zahl der Schüler, die sie je gehabt hatte. Wenn sie sich das vorstellte... nein, sie sollte sich das nicht vorstellen. Sie sollte zuhören.
Sie konzentrierte sich wieder auf Ian, der stockend erzählte, immer wieder abbrach, weitersprach. Er kam zu spät? Das hatte sie doch schon einmal gehört... Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen. Tahiri. Als er von Tahiris Tod erzählt hatte, da waren es ähnliche Worte gewesen. Also doch.
Eowyns Augen füllten sich erneut mit Tränen, doch dieses Mal nicht vor ihrem eigenen Schmerz. Tahiri. Tahiri, ermordet, Tahiri, die Tahiri, von der er mit solcher Liebe gesprochen hatte. Die Tahiri, die er hatte heiraten wollen, sein Ein und Alles. Und es war doppelt so schrecklich, als sie sich an seine Worte erinnerte - Tahiri hätte niemals zugelassen, dass Ian sich so veränderte, und doch war es geschehen - auf Grund dessen, was ihr zugestoßen war.
Liebe war furchtbar. Erfüllte Liebe sicher nicht... aber so oft ging es schief, so oft entstand daraus Leid, Schmerz - Rache. Beinahe war sie dankbar, dass sie dieses Gefühl nie wirklich hatte ihr eigen nennen können, als sie nun spürte, wie Ian litt, als sie verstand, was geschehen sein musste.

Drei hatte er getötet. Drei Mörder ermordet... Selbstjustiz. Selbstjustiz, weil er sie so geliebt hatte... er hatte etwas getan, das sie vermutlich nie gewollt hatte.
Eowyn verabscheute Mord. Mord war falsch. Sie hatten nicht das Recht, jemandes Leben einfach so zu beenden. Es war so. Ganz einfach.
Doch gab es da wirklich nur schwarz und weiß, war es so einfach? Hätte man diese Mörder gefasst, hätte man sie nicht ohnehin zum Tode verurteilt...?
Moment. Versuchte sie da gerade ernsthaft, Ian zu verteidigen?!? War es schon so weit gekommen? Wo waren ihre Prinzipien? Mord war falsch! Es
gab nur schwarz und weiß in diesem Fall!
Aber Ians Stimme, wie er von Tahiri sprach, sein Ausdruck in seinem Gesicht, das ließ sie nicht mehr los. Nein, es war selbstverständlich falsch, aber war es nicht auch gleichzeitig, irgendwie, ein kleines bisschen... verständlich? Eine solche Situation war ein Ausnahmezustand. Man handelte, dachte nicht nach... Ja. Es war nicht richtig, aber... konnte sie ihm eine solche Handlung im Affekt wirklich vorwerfen? Es war immerhin Tahiri gewesen! Sie hatte niemals jemanden so sehr geliebt, wie Ian es offensichtlich getan hatte, aber sie glaubte dennoch, es verstehen zu können. Zum Sarlacc mit ihren Prinzipien.

Ihre letzte Frage jedoch stand noch aus, und da war es, da war das, wovor sie solche Angst gehabt hatte. Ihre Angst war begründet gewesen. Beinahe ihre schlimmsten Befürchtungen waren eingetreten. Die Zeit stand still, und sie spürte förmlich, wie ihr der Boden unter den Füßen weggezogen wurde und der Leuchtstab auf selbigen fiel. Sie schwankte, keuchte auf, versuchte irgendwie, ihr Gleichgewicht beizubehalten und sich hinzusetzen. Eine Hand fand den Boden, und schließlich war sie zumindest davor sicher, auf der Erde aufzuschlagen.
Er wusste nicht, ob er bereute. Wusste nicht. Wusste es nicht.
Wie konnte er das nicht wissen?
Wie konnte er? Sie wollte ihn anschreien, es ihm ins Gesicht schreien, bis er ihr antwortete, aber er selbst schrie beinahe, sie würde nicht dagegen ankommen. Oder wusste er es, und dachte nur, es sei einfacher, es ihr nicht direkt zu sagen? War er so feige? Neben ihrem eigenen Schmerz spürte sie nun die Wut, die von Ian ausging, Wut, die sicher nicht gegen sie gerichtet war, aber die ihre Angst nur noch verstärkte. Ihn jetzt damit auseinanderzusetzen... sie wusste nicht, zu was das führen konnte.
Aber selber konnte sie nun nichts mehr zurückhalten. Es war vorbei mit dem Abstand, vorbei mit allem anderen, ihrer Beherrschung, ihrer Kontrolle. Wenn er nicht wusste, wenn er nicht bereute... dann hatte sie sich geirrt. Die ganze Zeit über. Dann war alles, was Eowyn in ihm gesehen hatte, nur eine Fassade, nur äußerlich. Sie war sich so sicher gewesen, sie hatte ihr eigenes Leben dafür aufs Spiel gesetzt. Der Schmerz brach nun aus ihr heraus, unaufhaltsam, die Dämme waren gebrochen. Wie hatte sie so irren können? Sie verstand es nicht.
Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, versuchte wenigstens ihr Schluchzen unter Kontrolle zu halten, zu verhindern, dass er sie so hörte. Sie wollte jetzt den Abstand, wollte ihn so sehr, weil alles andere viel zu sehr schmerzte. Es war zu viel, viel zu viel, sie wollte nichts mehr hören, konnte nichts mehr hören. Ians nächste stotternde Worte gingen unter in ihrer Konzentration auf sich selbst.
Seine Wut war ungebrochen, sie spürte es, war es die Erinnerung, die ihn dahin trieb? Wut war allerdings etwas, gegen das sie nichts tun konnte - selbst wenn sie überhaupt in der Lage gewesen wäre, irgendetwas zu tun. Sie konnte dahingehend nur hier sitzen und hoffen, dass er sich fangen würde. Sie woltle nicht daran denken, was in einem anderen Fall geschehen würde. Und so lange konnte sie selber versuchen, sich wieder zu fangen.


Sie horchte auf, als er wieder sprach, wenn man es sprechen nennen konnte. Warum sie es wissen wollte? Warum sie es wissen wollte? Und was, was sah sie nicht? Konnte er seine Sätze nicht einfach beenden? Sah er denn nicht? Sie konnte nicht anders, als verblüfft aufzulachen. Und all das, was sich in ihr angestaut hatte, brach plötzlich heraus. Ich will nicht, Ian! schrie sie verzweifelt in die Nacht hinaus. Sah er denn nicht? Sie hieb mit ihren Fäusten auf den Boden. SAH ER DENN NICHT? Ich will nicht!, schrie sie, versuchte sich zu kontrollieren, aber ich muss! Sie atmete schwer durch, starrte in ihr Lichtschwert, das da im Schlamm lag, wollte ihn nicht ansehen. Ruhig. Ruhig...
Wieder etwas beherrschter sprach sie weiter.
Ich muss, weil es nicht anders geht, weil sonst... weil sonst alles vorbei war? Weil sonst nichts mehr gehen würde? Weil sonst alles wieder zusammenbrach? Ich wünschte... sie wünschte... was? Sie müsste es nicht hören? Das alles wäre nie geschehen? Sie hätte Ian nie getroffen, um das alles nicht durchzumachen?
Nein. Nein nein nein. Er war doch anders, er konnte so viel mehr sein...
Sie hatte sich geirrt, er war es nicht.
Sie konnte sich nicht irren.
Was nun?
Ich wünschte, sagte sie schließlich nur leise, zitternd, versuchte zu formulieren, was ihr innigster Wunsch war, ich wünschte, ich könnte verstehen und akzeptieren. Und dafür musste sie nun einmal alles hören.
Hatte sie da zu viel gesagt? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, und letzten Endes war es ihr egal. Eowyn hatte keine Nerven mehr, um sich darum zu kümmern. Sie zog die Beine an und legte erschöpft den Kopf darauf.
Sie konnte nicht mehr.
Ein für alle mal.

Aber es war nicht vorbei. Einfach nicht vorbei. Und ob sie konnte oder nicht, es ging weiter, sie erwachte nicht aus einem Alptraum, sie konnte es nicht einfach so beenden.
Und Ian konnte nicht bereuen. Was hieß das nun wieder? Wenigstens hatte er sich beruhigt, seine Wut war verraucht, sein Zorn verschwunden. Und sie spürte wieder ein wenig mehr den Ian, den sie kannte... den sie nicht kannte? Er würde bereuen, aber es ging nicht? Verwirrt schloss sie die Augen. Hatte er Angst davor, zu
bereuen? Weshalb? Das ergab doch keinen Sinn. Aber ergab irgendetwas hier gerade Sinn? Ergaben Gefühle jemals Sinn? Er würde bereuen, hieß das nicht, dass er wollte? Und hieß, bereuen zu wollen nicht automatisch, dass man es tat? Bereuen war nichts, für das man sich entscheiden konnte. Entweder man fühlte es... oder man tat es nicht. Was hielt ihn davon ab? War es eine schräge unbewusste Art, Tahiris Andenken zu ehren? Konnte er nicht bereuen weil er Angst hatte, dass Tahiri ein Bereuen dahingehend interpretieren würde, dass er einen Fehler gemacht hatte - und damit, dass ihr Tod ihm nicht einmal das Wert war? Das war absurd. Völlig absurd, er konnte nicht so denken. Sie war so durcheinander, dass sie völlig abstruse Theorien aufstellte. Sie wollte ihn einfach irgendwie verteidigen, versuchte alle möglichen Wege, dass sie damit klarkam.
Aber. War das nicht das Gleiche? Kämpfte sie nicht mit solcher Macht darum, ihn zu verteidigen, zu verstehen, dass sie sich nicht schon längst entschieden hatte, ihn verstehen und akzeptieren zu wollen, alles mögliche dafür zu tun, ihn auch verstehen zu können? Ihn akzeptieren zu können, mit all dem, was geschehen war? Das war nun einmal alles nicht rational. Sie versuchte hier Dinge mit dem Kopf zu entscheiden, bei denen ihr Kopf keine Chance hatte. Es war das Herz, das sprechen musste.
Sprach nicht die Tatsache, dass er die Tat nicht wiederholen würde, für sich? War nicht das das, was zählte? Nein. Das war wichtig, zweifelsohne, aber es lag ihr schwer im Magen, dass Ian keine klare Aussage treffen konnte, was ihre Frage davor anging. Doch es quälte ihn. Quälte ihn selbst... war er vielleicht auch zu hart zu sich selbst? Gestand er sich nicht zu, bereuen zu können? Dachte er, er hätte dieses Gefühl nicht verdient? Schon wieder eine verrückte Theorie. Aber so verrückt das alles auch klang, sie war sich nicht hundertprozentig sicher, ob Ian bei seiner verdrehten Logik nicht vielleicht wirklich so dachte. Konnte sie ihn fallen lassen, nur weil er selbst sich aufgegeben hatte?


Sie hatte beinahe vergessen, dass da noch fünf Morde fehlten. Fünf Tote, von denen sie noch nicht das Geringste wusste. Sie zuckte erneut zusammen, als er damit herausrückte, kurz abhandelte, beinahe beiläufig. Seine... Familie? War das sein Ernst? Natürlich war das sein Ernst. Und seine nächsten Worte, so unbedeutend daher gesagt, und dennoch nicht weniger schmerzvoll, sie rückten nun alles ins Bild.

Eowyn verstand.

Sie wusste nicht weshalb, aber sie verstand. Gequält von der eigenen Familie - den Begriff Monster in einem Atemzug zu nennen mit dem, was einen beschützen sollte, was einen halten sollte. Wie konnte man da nicht brechen? Wie konnte man da einen normalen Weg gehen? Man musste doch regelrecht durchdrehen, Fehler machen - wie sollte es anders sein, wenn man nie ein Vorbild hatte, das einem zeigte, wie es richtig war? Hass erzeugte Hass. Gewalt erzeugte Gewalt.
Nein, es war noch immer falsch, was er getan hatte, falsch, schrecklich, unvorstellbar. Aber gleichzeitig... gleichzeitig begriff Eowyn. Sie verstand nicht, wie das möglich war, wie konnte man wissen, dass etwas so unvorstellbar falsch war, und es dennoch verstehen? Vielleicht, weil sie den anderen Ian
tatsächlich kannte. Vielleicht, weil sie sich doch nicht geirrt hatte?
Andererseits musste sie es auch nicht verstehen. Sie musste nicht immer alles verstehen, analysieren.

Und da war er wieder, fast wieder da, zumindest seine Stimme klang der seinen wieder viel ähnlicher. Überzeugend. Fest. Sicher.
Er würde es ungeschehen machen? Aber bedeutete genau das nicht, dass er doch bereute? Hieß bereuen nicht, dass man den Fehler nicht wiederholen wollte, dass man, wenn man konnte, alles rückgängig machen wollte? War das nicht das Wichtigste, was Reue anging?
Und obwohl sie wusste, dass er nicht weitersprach hatte sie das dringende Gefühl, dass er sie bat, sie anflehte, ihm zu glauben. Eowyn wusste nicht, was sie sich einbildete, was nicht, es war eine viel zu verwirrende und ausufernde Situation, als das sie noch irgendwie durchblicken konnte. Aber sie wusste, dass jetzt, hier und jetzt, der Moment gekommen war, in dem er sie brauchte. Der Moment, in dem sie entscheiden musste.
In ihr schrie alles danach, zu ihm zu gehen, ihm zu helfen, ihm zu versichern, dass sie mit seiner Vergangenheit klarkam, doch ihr Kopf hielt sie zurück. Sie konnte ihn nicht anlügen. Sie konnte nur zu ihm gehen, wenn sie ihn auch wirklich halten konnte. Wenn sie ihm jetzt Halt gab, nur um ihn später wieder fallenzulassen... nein. Sie selbst hatte vorhin nur mit Mühe und Not den Absprung geschafft, und das hier war noch einmal etwas anderes. Was sie jetzt tat oder sagte würde entscheidend sein.

Und damit kam sie gerade absolut gar nicht klar.
Nein.

Sie konnte nicht jetzt, in dieser Nacht, eine solche Entscheidung treffen! Das war Wahnsinn! Sie musste sich ausruhen, darüber nachdenken, in Ruhe ihre Gefühle erkunden. Jeder vernünftige Mensch würde das tun, und auch sie. Eigentlich.
Aber gleichzeitig wusste sie, dass es schon morgen zu spät sein konnte. Es gab Dinge, die mussten bald geschehen. Es gab Dinge, bei denen durfte man nicht warten, sonst waren sie nicht wieder gutzumachen. Sie durfte nun keinen Fehler machen, weder in die eine, noch in die andere Richtung.

Er hatte es gesagt. Er hatte gewusst, dass sie es hören wollte, und er hatte es gesagt.
Oder nicht?
Stang, hätte er sich nicht schon früher deutlicher ausdrücken können?
Nein, keine Ablenkung jetzt.
Er wollte es ungeschehen machen. Mehr konnte sie nicht von ihm verlangen.
Weshalb hatte sie ihm all diese Fragen gestellt, ihn all diese Qualen durchleiden lassen, wenn sie jetzt, wo sie ihre Antworten hatte, noch immer zögerte?
Weil es nicht so einfach war. Weil es einfach trotzdem nicht so einfach war.
Doch weshalb zweifelte sie? Sie kannte Ian, den vernünftigen Ian, den manchmal sturköpfigen, intelligenten, starken Ian. Den manchmal sanften Ian, den Ian, der sie zum Lachen und zum Weinen bringen konnte. Den Ian, der sie verstand. Sie kannte ihn.
Er hatte eine Vergangenheit. Eine, die er nicht wollte, eine die er nicht verschwinden lassen konnte, aber wiederum auch eine, die nicht aus purer Bösartigkeit entstanden war oder aus Neid, Missgunst, Eifersucht oder dem Drang nach Macht.

Nein, sie konnte nichts versprechen. Aber wäre es nicht genauso falsch, sich nun von ihm abzuwenden, nur weil sie jetzt
wusste, was der dunkle Fleck in seiner Vergangenheit war? Und nicht sicher wusste, wie sie damit umgehen sollte? War es nicht umso wichtiger, dass er ihr alles gesagt hatte, dass er ehrlich gewesen war, dass er sie nicht im Ungewissen gelassen hatte? Es wäre so einfach gewesen. Sie hätte niemals gefragt. Aber vielleicht... vielleicht doch, irgendwann, und mit jedem Tag, den er es ihr nicht gesagt hätte, wäre es schlimmer geworden. Er hatte alles aufs Spiel gesetzt, nur um das Richtige zu tun.
Was konnten sie selbst da noch verlieren? Was konnte sie diese kleine, letzte Chance verweigern?

Sie war viel zu erschöpft, um aufzustehen, und so tastete Eowyn nur nach dem Leuchtstab, der hier irgendwo liegen musste, ergriff ihn und kroch langsam auf den dunklen Schatten bei ihrem Lichtschwert zu. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, als sie schließlich bei ihm angekommen war. Was sollte sie schon sagen? Es gab nichts zu sagen. Sie konnte nichts sagen, denn alles, was sie sagen würde, wäre vielleicht falsch. Sie konnte ihm nichts versprechen. Sie konnte ihm nicht sagen, dass alles gut werden würde. Sie konnte nicht sagen, dass alles in Ordnung war. Sie konnte auch nicht sagen, dass sie es akzeptierte. Das alles... wäre nicht ehrlich, und wenn er etwas verdient hatte, dann Ehrlichkeit.
Sie tastete vorsichtig nach seiner Hand, die sie im Schein des Lichtschwertes erkennen konnte, berührte sie nur ganz seicht mit ihren Fingerspitzen und bemühte sich, obwohl sie so fürchterlich, fürchterlich erschöpft, gebrochen, müde und am Ende war, um einen ruhigen Tonfall. Sagte das einzige, das der Wahrheit entsprechen konnte.

Ich bin da.

Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Ian
 
Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn


Er hatte nie darüber geredet, mit niemandem. Tahiri war nur tot gewesen, aber da war niemand, dem er hatte erzählen wollen, dass sie ermordet worden war. Nicht einmal Alisah wusste das, aber was wusste sie schon? Von seiner Familie wusste sie nur durch die Narben, aber auch darüber hatten sie nie geredet. Nie geredet. Ian hatte nie darüber geredet und obwohl ständig und überall zu Hören war, dass Sprechen Erleichterung brachte, war dies eine Lüge. Da war keine Erleichterung. Nur das Durchleben von Schmerz. Schmerz und Pein. Und da war Angst. Drei Komponenten die schrecklich waren. Schrecklich, nicht erleichternd. Schrecklich, nicht einfach. Dabei hatte Ian geglaubt, dass ihn nach Tahiris Tod und nach Alisahs Betrug nichts mehr würde treffen können. Welch Irrglaube. Natürlich traf es ihn. Weil da mehr war als Schuld, weil da wieder Verlust drohte. Sich Hoffnung zu verbieten, erfolgreich damit zu fahren und dann wieder Hoffnung zu empfinden um sie wieder zu verlieren? Es war… unbeschreiblich.
Sich auf diese Art zu öffnen war grausam, nicht nur, weil die Vergangenheit so unbarmherzig war, sondern weil erneut zu viel auf dem Spiel stand. Sollte er sich im Allgemeinen davor fürchten, wieder verachtet zu werden, oder im Besonderen, dass es Eowyn sein würde? Dabei ging um weitaus mehr. Nicht nur um die Angst, Eowyn zu verlieren. Nein. Zu dem Zeitpunkt, als Ian noch hatte vergessen wollen, war es ihm hauptsächlich um sich gegangen. Die Erinnerung hatte verschwinden sollen. Die Schuld. Jetzt war da mehr. Der Wunsch, die Zeit zurückdrehen zu können. Das Bewusstsein darüber, wie unmöglich es war. Und dabei wollte Ian nicht nur wegen Eowyn alles rückgängig machen, nein. Wieder war da mehr. Was damals so richtig erschienen war, war heute so falsch. Jetzt noch mehr als sonst. Und Ian glaubte, dass die Last ihn erdrücken würde, erdrücken musste. Er bereute wirklich, aber neben der Reue war da die Ohnmacht. Die absolute Handlungsunfähigkeit. Heilen. Er konnte heilen, aber lebendig machen? Das konnte er nicht…

Die Zahl machte es schlimmer. Acht. Mord war kein Ausrutscher, schon gar nicht, wenn es sich um acht Mal handelte. Warum Acht? Warum hatte er auf Telos nicht auf seine Stimme gehört? Weshalb hatte er sich an seiner Familie gerächt, wohlwissentlich, dass die Rache an Tahiris Mördern nichts geändert hatte? Es ergab keinen Sinn… Und doch hatte er es getan. Mit dem Gedanken zu Töten, war Ian nach Telos gereist, mit dem Wunsch, es zu beenden, zu vergessen, abzuschließen. Mit dem Irrglaube, es ändern zu können. Als ob der Tod von ihnen alles ungeschehen machen konnte. Als ob ihr Tod widergutmachte. Und dann war da die Hoffnung gewesen, dass auch nur einer, nur ein einziger von ihnen Reue empfinden konnte. Dass nur einer von ihnen, ihn um Verzeihung bitten würde. Aber sie hatten ihn bedroht, wieder auf ihn hinabgesehen. Wieder. Wie immer.

Warum wollte sie die Zahl wissen? Weil ein Mord verzeihbar gewesen wäre? Das war es nicht… Weil sie einen Mord vielleicht verkraften konnte? Er nicht. Wie konnte sie es da tun, wo sie eine Jedi war, keine Sith. Wie konnte sie ihn nach der Zahl fragen? Warum? Warum fragte sie nach der Zahl? Acht. Es waren acht gewesen und erinnerte sich an… Nein, nicht an jeden einzelnen. An die letzten fünf. Aber die ersten Drei? Sie waren anders und bei ihnen musste er beginnen. Bei Tahiri. Der Schmerz, der über Ian hereinbrach, musste ihn zerstören und wenn es nicht allein der Schmerz war, dann die Erinnerung, die Bilder, alles zusammen. Der einzige Mensch der ihn geliebt hatte, war ihm genommen worden. Der erste Mensch, der ihm je Liebe gegeben hatte. In nur einer einzigen Nacht hatten sie ihr unvorstellbares Leid angetan und das Bild hatte sich in Ians Gedächtnis eingebrannt, als wäre es ein Körperteil, dass zu ihm gehörte. Der Mann, der sich von ihr erhob. Das Bild,
wie er sich erhob. Das Lachen. Die Geräusche davor. Das Wissen, dass sie alle… das sie es alle getan hatten. Sie hatten sie nicht einfach getötet, sie ihm nicht einfach genommen, sie hatten aus niedersten Gefühlen gehandelt. Kein Raubmord, kein einfaches Verbrechen. Und er hatte gespürt, wie sie empfanden. So deutlich. Wie konnte er sie nicht hassen? Wie konnte Eowyn es wagen ihn zu fragen, ob er bereute? Sie wusste doch nicht wie es war! Sie war nicht anwesend gewesen. Sie hatte das Bild nicht gesehen, es nicht ertragen müssen, für sie war es nur eine Geschichte, keine Wirklichkeit. Etwas was geschehen war, etwas tragisches, aber so ungreifbar und Ian selbst konnte es kaum erfassen. Tahiri hatte nie etwas Falsches getan. Nie etwas Böses. Sie war sanft gewesen, liebenswert. Stark und zerbrechlich zugleich und sie hatte Ian aufgefangen und sie, diese vier Männer, hatten sie zerstört. Er hasste sie dafür, er hasste sie dafür! Sie hatten es… Aber er konnte es kaum zu Ende denken und noch weniger war Ian dazu in der Lage, es auszusprechen. Denn er spürte, dass der Hass auf ihn lauerte. Hinter diesen Worten, hinter diesen Gedanken. Und Eowyn wollte wissen, ob er bereute. Das durfte sie nicht fragen. Das durfte sie nicht fragen. Das. Durfte. Sie. Nicht. Fragen. Und dann lachte sie auf. Erkannte sie denn nicht, dass sie ihn mit dieser Frage zu etwas brachte, das er nicht mehr wollte? Warum quälte sie ihn so, jetzt noch immer? Warum ließ sie ihn derart leiden, nur damit sie am Ende nach dem Guten in ihm –das sie längst wieder vergessen haben musste- suchen konnte, um aufzugeben, weil sie es nicht mehr finden würde? Warum? Sie wollte nicht? Sie schrie es, voller Verzweiflung und er verstand es beim ersten Mal, aber sie wiederholte es. Sie wollte es nicht. Wollte es nicht, aber musste? Sie musste wissen, weil es nicht anders ging. Weil sonst? Auch sie ließ den Satz unvollendet, aber das Ende war Ian völlig klar. Sie musste es wissen, weil sonst jedes positive Gefühl, das sie für ihn empfunden zu haben schien, verschwinden würde. Verschwinden. Für immer. Aber wie konnte sie erwarten, dass er bereute und wie konnte sie diesen Satz nur von sich geben, wo sie doch wissen musste, wo sie doch wissen musste, dass er jetzt, spätestens jetzt einfach Lügen konnte!? Aber für eine Lüge war es zu spät. Ein ‚Ich bereue es‘ konnte er nicht über die Lippen bringen, auch dann nicht, wenn sie ihm auf der Stelle verzeihen würde. Es waren acht Morde gewesen, acht. Acht! Sie machte es schlimmer. Eowyn machte es nur schlimmer, in jenem Moment, als sie ihren Wunsch aussprach –verstehen und akzeptieren zu können- machte sie es unerträglich. Warum gab sie ihn nicht einfach auf? Jetzt wo die Gelegenheit so günstig dafür war. Er würde brechen, spätestens mit diesem Wissen würde er brechen. Endgültig. Sie wartete auf erlösende Worte, die er ihr nicht geben konnte. Sie reichte ihm einen Strohhalm, nach dem er nicht greifen konnte.
‚Natürlich bereu ich es‘, aber der Satz schaffte es weder in seine Gedanken, noch auf seine Zunge. Diese Lüge wäre vernichtend gewesen. Er war am Ende und als die Tränen siegten wusste er, dass er verloren hatte. Ihren Wunsch konnte er nicht erfüllen, weil er weder Eowyn die Erlösung geben konnte, noch sich. Er wollte bereuen, aber es ging nicht, ging nicht. Es ging einfach nicht. Nicht, wenn da Tahiris Bild erschien. Bereuen würde bedeuten ihnen verzeihen zu müssen, doch was sie getan hatten war unverzeihlich. Er konnte den Männern nicht vergeben, nicht akzeptieren, ihre Schuld weg schieben. Was Eowyn hier vielleicht versuchte –Ian zu verzeihen- konnte er selbst nicht. Weder sich, noch diesen Männern. Und das machte es schlimmer. Da war keine Vergebung. Nicht für das, was diese Piraten getan hatten. Es war unverzeihlich. Es
blieb unverzeihlich.

So wie das, was du getan hast.

Aber war das nicht etwas anderes? War das nicht wirklich etwas anderes? Konnte man den Mord an ihnen und den Mord an Tahiri vergleichen? War Boshaftigkeit mit Verzweiflung gleichzusetzen? Und sah Eowyn nicht, dass er das nicht konnte? Wäre er doch nicht zu spät gekommen. Wäre er doch nie zu spät gekommen. Hätten sie ihn an ihrer Stelle getötet...

Und jetzt, da Eowyn wusste, dass er nicht bereuen konnte, jetzt da sie wusste, dass es da nichts mehr gab, was zu verstehen oder gar zu akzeptieren war, konnte er die anderen auch erwähnen. Nur schnell musste es gehen, damit das, was nach diesem Geständnis von Ian übergib blieb, wenigstens noch in der Lage dazu war, von diesem Mond zu verschwinden. Und er würde sich und vor allem ihr ersparen, ins Detail zu gehen. Es musste nicht verständlich werden. Es würde nie verständlich werden. Nicht einmal dann, wenn er ihr die Narben zeigen würde, die sichtbaren, auf seinem Rücken. Nicht, wenn er ihr jedes Gefühl der Hilflosigkeit übermitteln würde, das er als Kind gespürt hatte. Nein, es war zu spät und es war vorbei. Es war nicht zu Akzeptiren, nicht zu entschuldigen. Und es fühlte sich an, wie in der Vergangenheit. Genau wie damals, als zum Schluss nur noch Iouna übrig gewesen war, die mit Steinen nach ihm geworfen hatte, obwohl er doch schon längst am Boden gewesen war. Kleine Steinchen. Nur, dass er sie diesmal selbst warf. Nur, dass sie diesmal Worte waren.
Du warst schuld, du bist schuld und du wirst immer schuldig sein. Stein um Stein. Da ist keine Entschuldigung.

Ian weinte. Tränen des Schmerzes, Tränen der Reue, Tränen der Ohnmacht, Tränen der Wut. Und Tränen des Verlustes. Aber einmal noch, einmal noch, musste er mit fester Stimme sprechen, denn auch wenn er die Zeit nicht zurückdrehen würde, eine Sache musste Eowyn wissen. Nicht, damit sie verstand, nicht, damit sie akzeptiere. Das wäre zu viel verlangt. Aber sie musste, sie musste es hören, damit sie wusste, dass sie nicht falsch gelegen hatte. Er würde es rückgängig machen. Er würde, wenn da auch nur der Hauch einer Möglichkeit gewesen wäre. Er würde all das ungeschehen machen. Und als er das sagte, war alles gesagt. Da war nichts mehr, was er hinzufügen konnte, weil da nichts mehr übrig war. Keine Worte, keine Tränen, nichts. Nur die Finsternis dieses Mondes und die Ohnmacht. Diese absolute allgegenwärtige, greifbare Ohnmacht. Aber noch – noch durfte er nicht aufgeben. Nach Va’art. Nach Lianna? Nein. Auch erst nach Lianna. Erst dann, wenn er alles in seiner Macht stehende dafür tun konnte, dieses Virus aufzuhalten. Wenn sie ihm die Möglichkeit geben würden, ihnen zu helfen. Dann konnte er aufgeben. Dann konnte er sterben. Dann. Noch war es zu früh.
Dennoch, Ian sackte in sich zusammen und so sehr er versuchte die Finsternis auszusperren, so vehementer drohte sie, über ihn herein zu brechen. Ja, er durfte jetzt nicht aufgeben. Erst, wenn all das zu Ende war. Aber jetzt noch stark sein? Wo da nichts mehr übrig war? Sich jetzt noch aufrecht halten, wo doch alles zusammengebrochen war? Unmöglich…

Da war seine Ehrlichkeit gewesen, er hatte nichts ausgespart -zumindest nichts, was notwendig gewesen war- und was übrig blieb, war weniger als nichts. Das Schweigen, das er sich zu Beginn noch gewünscht hatte, kehrte nun zurück. Nicht angenehm, nicht unangenehm, einfach… nichts. Leere. Und fast war es so, als könne er sich selbst beobachten. Als stünde etwas in ihm auf, um aus seinem Körper hinaus zu gehen, als wäre Ian ein Geist, der sich von seinem Körper löste. Und er sah sich, wie er da halb gebrochen, halb ganz, auf dem matschigen Boden saß und auf sich selbst hinunter starrte.
Die Zeit stand still, das Zeitgefühl war verloren. Da war nur noch er und die Wahrheit und irgendwo, irgendwie, ganz weit weg Eowyn, die Ian nicht mehr wahrnehmen konnte. Seine Chance war verspielt und er wusste es. Aber er hatte sich kein glückliches Ende vorgestellt, vielleicht erhofft. Vielleicht erhofft… Irgendwo in seinem Inneren. Wünsche. Hoffnungen. Utopien. Ob es den Mördern Tahiris genau so erging? Ob auch sie eines Tages ihren Fehler erkannt hätten? Ob auch sie eines Tages bereut hätten? Ob auch sie jetzt, so wie er, einfach nur dagesessen und sich gewünscht hätten, die Zeit zurückdrehen zu können? Da saß er und er besaß die Macht, aber all das half nicht. Sie half nicht. Nicht um zu ändern. Nicht, um rückgängig zu machen. Denn auch die Macht war der Zeit unterlegen, unterworfen. Vielleicht würde ihn, wenn alles zu Ende ging, wieder etwas erwarten. Etwas, in dem er nicht er selbst war. Etwas, in dem er wieder gut machen konnte. Aber Ian glaubte nicht daran, dass nach dem Tod noch etwas war. Und wenn da doch etwas war, dann war es wohl besser, sich davor zu fürchten. Und mit dem Sterben musste er ohnehin warten. Bis Lianna. Äußerlich. Aber innerlich?

Ian hätte nicht zu sagen gewusst, ob er noch auf dem Boden saß, denn er hatte das Gefühl dafür verloren. Wenn er da wirklich neben sich stand und auf sich herab sah, dann saß er noch da. Aber fühlen? Fühlen konnte Ian nicht. Nicht den nassen Boden, nicht die durchnässte Kleidung an seinem Körper und auch nicht mehr den Regen, der nicht nachlassen wollte. Da war einfach nichts. Der Abend würde irgendwann zu Ende gehen und dann würde der nächste hereinbrechen. Irgendwann würde er aufstehen müssen. Irgendwie. Aber nicht jetzt. Jetzt war da nichts.
Nichts?

War da nicht ein Geräusch? Natürlich. Da mussten Geräusche sein, denn auch wenn es sich anfühlte, als wäre da nichts, war da noch immer Va’art. Und dann war da ein Seufzen. Ein langes, tiefes, schauriges Seufzen und Ian wusste, dass es sein eigenes war. Und dann berührte ihn etwas. Natürlich. Der Regen. Aber es war warm und konnte nicht der Regen sein, denn als er den Regen –vor Stunden gespürt hatte, da war er noch kalt gewesen. Vielleicht hatte er es sich auch nur eingebildet… denn er spürte doch ohnehin nichts.
Aber da war etwas, denn es konnte sprechen. ‚Ich bin da‘, sagte es. Und es war nicht nichts. Aber Eowyn konnte es nicht sein und da schloss Ian die Augen. Bildete er sich alles nur ein? Hörte er den Regen? Er musste. Denn Eowyn konnte nicht hier sein. Hier ja, aber nicht bei ihm und nach allem, was er ihr gesagt hatte, konnte sie nicht sagen, dass sie da war. Nicht sagen, dass sie da war und… Nein. Das war er spürte musste der Regen sein, aber die Berührung war so leicht. Leicht aber… sanft? Warm. Kein Regen. Und wenn es nicht der Regen war, der mit der Stimme Eowyns sprach und wenn es nicht der Regen war, der ihn mit der Wärme Eowyns berührte, dann musste… Er kehrte zurück. Wenn er eben gesehen hatte, wie da etwas aus ihm heraus gegangen war, veränderte es sich wieder. Und es dauerte viel zu lange, bis Ian zusammenzuckte, bis er die Augen öffnete, bis er schemenhaft erkannte, was nicht sein konnte. Nicht sein durfte.
Ich will nicht. Sie hatte es gesagt. Sie wollte hören, dass er bereute und er hatte es nicht sagen können. Nicht immer. Nicht bei allem. Nicht bei jeder Geschichte. Sie durfte sich nicht zu ihm setzen und behaupten, dass sie da war. Er hatte alles gestanden und sie musste ihn verachten –vielleicht nicht hassen, weil Jedi so etwas nun einmal nicht taten, aber sie musste ihn verachten. Und eine Berührung und ein ‚Ich bin da‘ waren keine Verachtung und auch ihre Stimme barg nichts, was darauf schließen ließ. Nein. Das durfte sie nicht und da schloss Ian wieder die Augen, wollte seine Hand entziehen, aber er konnte nicht. Er hatte sie doch verloren, er hatte es gespürt. Er hatte sie doch verloren.


„Tu das nicht“,
sagte er leise und versuchte, wider besseres Wissen, gegen das Zittern in seiner Stimme anzukämpfen. „Bitte…, tu das nicht.“ Und obwohl da keine Tränen mehr hätten sein können, kamen sie erneut. „Du hast es gehört… du hast es gehört, du… darfst nicht…wir dürfen nicht....Eowyn, bitte... du… acht…“
Morgen würde sie weg sein. Spätestens morgen, wenn die Zeit vergangen war, sie nachsinnen konnte. Wenn die Erschöpfung und die Finsternis verschwand um dem Erkennen und dem Licht den Weg frei zu machen. Es… tut mir leid“, sagte Ian dann, unterbrochen von einem seltsamen Schluchzen, „es … tut mir so leid, ich…“ Er musste stark sein, aber er konnte nicht, wie konnte er? Und da wiederholte er wieder und wieder die gleichen Worte, aber sie verloren nur an Bedeutung, sie waren leer und nichtig. So leer, so nichtig, so kraftlos etwas zu ändern. Und weder sie, noch er, noch sonst irgendjemand würde daran etwas ändern können. Und sie waren auf Va’art. Noch immer auf Va’art, auf diesem Mond. Nicht auf Lianna und es würde nicht bei acht bleiben. Es würde nicht bei acht bleiben. Nicht bei acht. Achthundert. Achthunderttausend. Achthundertmillionen. Dann schüttelte er den Kopf. Nein. Stark sein. Es ging nicht mehr um dürfen. Denn auch töten hätte er nicht gedurft. Stark sein. Er musste. Er musste!
„Ich muss nach… Lianna..“, und mühsam rappelte er sich auf, entzog sich der Berührung ihrer Finger, um doch, kaum dass er in der Hocke war, wieder den Halt zu verlieren. Durch den Matsch? Durch die Situation? Es spielte keine Rolle, denn als er sich erneut aufrappelte, gelang es ihm.
Ich muss nach Lianna. Ich muss, verstehst du denn nicht, ich muss….nach Lianna.“

Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn


 
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Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Ian

Keine Reaktion. Absolut gar keine Reation. Weder physisch noch psychisch. Das war... gespenstisch. Er hatte sie doch hören müssen. War ihre Berührung zu sanft, zu leicht? Aber selbst wenn, ihre Stimme war sicherlich nicht zu leise. Sie hatte sich bemüht, deutlich zu sprechen, überzeugt, gefestigt, auch wenn sie es nicht ganz war. Eowyn versuchte, Ian durch die Macht zu erreichen, erfühlte ihn, spürte, dass er da war, aber... anders. War es jetzt schon zu spät? War es egal gewesen, wie sie sich entschied, weil er ohnehin aufgegeben hatte?
Er durfte nicht aufgeben. Er durfte einfach nicht. Wenn er jetzt aufgab... wie sollte sie weitermachen, wie? Sie konnte selber nicht mehr.
Schließlich reagierte er doch, wenn auch nur ein kleines bisschen, und erleichtert atmete sie auf. Wenigstens das... Sie hätte nicht gewusst, was sie hätte tun sollen, wenn sie ihn nicht mehr erreichte. Das alles war nicht nur für sie zu viel, sie hatte gerade sein Innerstes nach Außen gekehrt, und das in einer nicht gerade optimalen Situation. So etwas war... gefährlich.


Es schmerzte sie zu hören, wie er sie wieder mit Worten von sich stieß, aber dieses Mal wusste sie ganz genau, weshalb er es tat. Sie durfte es nicht an sich heranlassen, und er tat es außerdem zu Recht. Sie konnte ihm nichts versprechen. Sie konnte ihm nicht versprechen, dass sie ihn immer halten konnte, dass sie immer für ihn da wäre. Sie wusste nur, dass sie es jetzt war, und auch wollte. Es ging einfach nicht anders. Sie konnte nicht anders. Es war unmöglich, es zu erklären, aber genauso unmöglich wäre es nun gewesen, ihn mit Verachtung zu strafen. Diese verschiedenen Richtungen zerrissen sie förmlich, aber letzten Endes musste sie sich dafür entscheiden, was ihr Herz ihr sagte. Wenn man nicht mehr auf sein Herz hörte, es ignorierte, dann stumpfte man ab, und die Hoffnung ging verloren.
Hoffnung. Genau das war es, was sie empfand - Hoffnung, dass sie beide es gemeinsam schaffen konnten. Genauso wenig, warum sie dies hoffte wusste sie, was "es" war, aber das störte sie nicht. Gefühle mussten nicht erklärbar sein, man musste ihnen nur vertrauen können. Und das war es auch, was der Kodex sagen wollte. Nicht, dass man seine Gefühle abschalten sollte. Völlig rational gesehen hätte sie mit Ian nie wieder ein Wort wechseln dürfen. Aber auch das war nicht der Weg der Jedi, zumindest nicht für Eowyn. Gefühle halfen dabei, zu verstehen. Und sie halfen dabei, Wirkungen zu erzielen.


Wenn man ihnen vertraute, mit ihnen im Einklang, im Frieden war.

Seine Worte waren deutlich. Er stieß sie von sich, weil... er nicht glaubte, dass sie es ernst meinen konnte. Er glaubte nicht, dass sie wirklich dar war, er verstand nicht, dass sie sich entschieden hatte - für ihn entschieden hatte, dass sie wollte, es unbedingt versuchen musste. Dass er einfach so viel mehr war.
Wir dürfen nicht.
Alleine, das Wort "wir" zu hören gab ihr ein wenig neue Kraft. Oh, er wusste nicht, was sie alles durfte, konnte und wollte... Und wenn sie sich entschieden hatte, dann tat sie es auch. Und scherte sich nicht darum, ob sie es "durfte"... Das sollte er eigentlich wissen.
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf, als er begann, sich unter Tränen pausenlos zu entschuldigen. Hilflos saß sie daneben, wusste nicht, wie sie handeln sollte. Sie hatte Angst, ihm zu Nahe zu kommen - sie wusste, dass seine Ablehnung nicht persönlich war, aber sie hatte Angst davor, dass er sie fortstoßen würde, wenn sie ihn zu sehr berührte. Und auch wenn sie es wusste... sie selbst schwankte immer noch selber auf einem dünnen Draht. Sie wollte es nicht herausfordern, dass er seinen Worten Nachdruck verleihen konnte.
Aber so funktionierte es auch nicht. Vielleicht würde sie es einfach riskieren müssen, ohne Risiko kein Ergebnis. Doch da verlor sie den dünnen, vorsichtigen Kontakt zu ihm, spürte, wie er ihr auch psychisch entglitt. Lianna. Dieses verdammte Lianna! Lianna war Lichtjahre von hier entfernt, sie würden nicht einfach nach Lianna
laufen können, bei allen Sonnen noch mal! War das eine Flucht nach vorne? Der Gedanke, der ihn noch hielt?
Verflixt, er war kaum in der Lage zu stehen, wie wollte er da jetzt nach Lianna kommen - einmal abgesehen von Kleinigkeiten wie der Entfernung, dem Regen oder der Dunkelheit?
Aber Vernunft war wohl das Letzte, was da noch in seinen Kopf passte. Also musste sie die Stimme der Vernunft sein.
Hätte sie noch Kraft gehabt und die Situation nicht so ernst, sie hätte sich darüber kugelig gelacht.


Sie musste ihn erreichen. Irgendwie. Und dazu musste sie ihn sehen.
Entschlossen aktivierte sie den Leuchtstab, während sie ebenfalls schwankend aufstand. Das Licht war heller, als sie es erwartet hatte, sie war schon so an die Dunkelheit und das kleine Dämmerlicht gewöhnt, dass sie die Augen kurz zusammenkneifen musste. Als sie dann schließlich in sein Gesicht blickte wäre sie beinahe zurückgezuckt. Er sah elend aus, gerötet, schlammverschmiert, am Ende. Andererseits sah sie selbst vermutlich auch nicht besser aus.
Bevor er sich von der Überraschung der relativen Helligkeit erholen konnte griff sie entschlossen nach seiner nassen, schlammigen Hand, hielt sie, hielt sie fest, so dass er sie wirklich von sich stoßen musste, wenn er sich lösen wollte. Ihre kleinen Hände umschlossen die seine, und sie schluckte, als sie an vorhin denken musste. So anders... so anders.

Ian, ich tue, was ich möchte, du weißt, dass ich das immer tue, sagte sie schließlich langsam, versuchte, ihre Stimme so fest und sicher klingen zu lassen, wie sie nur konnte. Schwerstarbeit. Du wirst mich nicht davon abhalten, für dich da zu sein. Ich habe es gehört, aber das hat nichts damit zu tun, was ich darf oder nicht. Ich sage nicht, dass es leicht ist, und ich sage nicht, dass es nichts bedeutet. Aber Ian... ihre Festigkeit bröckelte immer mehr auf, die Verzweiflung kam durch, das durfte sie nicht zulassen... Ian, ich bitte dich, lass mich da sein, ich habe mich entschieden, ich kann nicht anders! Ich kann dich nicht alleine lassen, loslassen, gehen lassen. Da bist immer noch du, trotz allem bist da noch du, und... langsam gingen ihr die Worte aus, die Erklärungen. Wie sollte sie auch erklären, was nicht erklärbar war, was sie selbst nicht verstand? Sie holte Luft, fuhr drängend fort. Ian, ich verstehe dich, wir müssen beide nach Lianna. Aber das geht nur, wenn wir zusammenarbeiten. Und ich kann dich einfach nicht alleine gehen lassen, da ist so viel mehr, du bist so viel mehr... Stang, wenn er ihren Worten nicht glaubte, ihren Gefühlen musste er glauben!
Und obwohl sie ohnehin nicht abgeschirmt waren, war es etwas anderes, Gefühle bewusst zu zeigen, durch sich fließen zu lassen. Sie war sich ohnehin nicht sicher, was er empfangen konnte, denn sie war sich schließlich auch nicht sicher, was sie überhaupt fühlte. Aber zumindest ihre Ehrlichkeit musste er doch wahrnehmen, ihren Wunsch nach Akzeptanz, das nicht vorhandensein von Hass. Vielleicht konnte er auch sehen, was sie sah, was sie in ihm sah, warum sie hier stand. Sie wusste es nicht, konnte es nicht sagen, hoffte und vertraute aber darauf, dass er das richtige erkennen konnte. Und dass er ihr glaubte.


Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Ian
 
Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn

Wankend war er zum Stehen gekommen, aber es fühlte sich an, als wäre der Boden eine einzige, seltsam weiche Masse, die nachgab und sie machte es fast unmöglich aufrecht zu stehen, ohne zu schwanken. Aber es durften doch nicht mehr tote werden, nicht mehr als acht und deswegen musste er laufen. Aber wohin? Sie hatten kein Schiff, sie hatten keinen Notruf abgesetzt, da war nichts, was ihnen helfen konnte, bis jetzt hatten sie nichts erreicht. Nichts. Sie mussten weg, weg, weg von Va’art, sie mussten so schnell wie möglich nach Lianna. Acht. Dabei würde es nicht bleiben und die Dringlichkeit, mit der Ian weg wollte, wurde größer. Warum sprachen sie denn noch immer hier, warum beeilten sie sich nicht? Da war genug Zeit, sich zu unterhalten, aber jetzt, jetzt mussten sie doch gehen. Gehen, sonst war es zu spät. Und was würde er dann antworten, wenn sie ihn fragte, wie viele es gewesen waren? Was sollte er dann antworten? Was, wenn sie ihn dann wieder fragen würde? Gehen! Sie mussten gehen! Aber dieser Boden. Nicht nur, dass Ian nicht wusste, wohin er laufen sollte, dieser Boden… Ian geriet erneut ins Schwanken, drohte erneut zu fallen und dann wurde es hell. Obwohl er die Augen hätte zusammenkneifen müssen, tat Ian genau das nicht. Ohnehin begriff er überhaupt nicht, wie es so plötzlich so hell werden konnte, obwohl es doch bis eben so dunkel war. Er driftete ab, ohne es zu merken, verdrehte fast die Augen und erst als Eowyn nach seiner Hand griff und Ian so wieder etwas spürte, kam er zurück, blinzelte dem Licht entgegen um dann, kaum das Eowyn ihn berührt hatte, auf diese Berührung zu starren. Hatte er nicht gesagt, das durften sie nicht… eben gerade? Sie hatten die Rollen getauscht, eindeutig. Vor Stunden noch –waren es Stunden?- war er derjenige gewesen, der Eowyns Hand gehalten hatte. Aber vor Stunden hatte die Welt anders ausgesehen. Vor Stunden hatte sich das, was sich jetzt so seltsam falsch anfühlte, so richtig angefühlt. Weil die Vergangenheit da geblieben war, wo sie nicht über die Gegenwart entschieden konnte. Im ungewissen.

Ian starrte auf seine Hand, die sich in Eowyns befand und verzog dabei schmerzvoll das Gesicht. Er wollte sich lösen, aber ihr Griff war zu fest und selbst wenn er nicht wollte, dass sie ihn jetzt noch berührte, so wollte er sie noch weniger von sich stoßen. Stattdessen sah er zu ihr und nur seien Größe sorgte dafür, dass er hinab sehen musste. Dabei war es gefühlt ganz anders, da er kaum wagte, ihr in die Augen zu sehen und er schluckte schwer, als sie die Stimme erhob, den leisen Kampf wahnahm. Die feine Nuance zwischen einer klaren, kräftigen und einer traurig, gebrochenen Stimme. Nein, er wagte kaum sie anzusehen und er musste weg sehen, neben sie, auf den Boden, als sie weiter sprach. Sie tat, was sie wollte und sie wollte da sein. Nach allem, was er gerade gestanden hatte?
Bitte,“ sagte er leise und zwang sich dabei, ihr doch in die Augen zu sehen. „Eowyn“, wiederholte er schließlich, sah auf ihre Hände und dann wieder zu ihr auf und es kostete ihn Mühe, so viel Mühe. „Ich möchte dir glauben, wirklich. Und ich… möchte dir nicht sagen, was du darfst. Aber ich...“ und da sah er wieder zu Boden, hilflos. „Ich weiß nicht, ob ich das kann“, und da sah er wieder auf ihre Hände. „Ich meine nicht das Zusammenarbeiten… ich weiß, dass sich daran nichts ändern wird. Auch nicht an dem, was ich für dich…“ Er seufzte, verzog den Mund und dann sah er sie an. „Eowyn bitte, warte bis morgen, wenn du weißt, was all das von heute bedeutet. Denn ich…. Schaffe das sonst nicht, verstehst du?“ Wenn sie morgen noch glaubte, dass hier irgendetwas Sinn machte, dann würde er ihr glauben. Vielleicht. Aber dafür musste sie nachdenken. Dafür brauchte sie Zeit. „Ich komme klar, aber nicht… nicht damit, wenn jetzt und morgen anders sind, also warte, warte bitte bis morgen, wenn du ausgeruht bist.“ Als er sie wieder ansah, war sein Blick ein eindringliches Flehen. „Bitte“, wiederholte er und sah erneut auf ihre Hände.


Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn
 
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Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Ian

Sie machte sich ernsthafte Sorgen um Ian. Sein Verhalten war alles andere als normal, und er konnte sich wirklich kaum auf den Beinen halten. Warum stand er überhaupt, hatte er wirklich vor, jetzt loszulaufen, in den Dschungel, um irgendwie nach Lianna zu kommen? Er war wohl wirklich nicht ganz bei Sinnen, was Eowyn aber überhaupt nicht erstaunte. Im Gegenteil... eigentlich war es ein Wunder, dass nicht einer von ihnen schon völlig durchgedreht war. Auch wenn Ian nun kurz davor war und sie es vorhin auch beinahe erwischt hätte. Was für eine Nacht... Ian hatte es geschafft, sie aufzufangen. Ob sie selbst nun aber auch dazu in der Lage war... Ian war beinahe weggetreten, kaum erreichbar. Und Eowyn eindeutig überfordert. So überfordert... Verzweifelt starrte sie ihn an, versuchte zu denken, sich etwas einfallen zu lassen. Aber da war nichts. Leere.

Bis sie nach seine Hand griff. Ian schien davon nicht begeistert zu sein, aber das kümmerte sie gleich einmal gar nicht. Aber weshalb sah er irgendwann weg, als sie sprach? Das Licht sollte nicht nur ihr helfen, dass sie ihn sehen konnte, es sollte auch ihm zeigen, dass sie es ernst meinte, dass sie sich bemühte.
Oder war es gerade das Falsche? Drückte ihr Gesicht andere Dinge aus als das, was sie sagen wollte? Nein, es konnte hundert Gründe dafür geben, und keiner davon war gerade irgendwie wichtig. Sie war es Leid, über so etwas nachzudenken. Sie würde es einfach lassen. Viel wichtiger war der Gesichtsausdruck, den sie sah - es tat weh, ihn so zu sehen, und sie wünschte wieder so sehr, dass das alles nicht geschehen wäre. Sie hätte nicht durchdrehen dürfen, dann hätte er sie nicht halten müssen, dann wäre da nicht... irgendetwas gewesen, was schließlich... Aber es war geschehen, und sie konnte es nicht rückgängig machen. Es half nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen... Die Vergangenheit war vorüber. Und sie konnte nun nur dafür sorgen, dass sie beide darüber hinwegkamen. Auch wenn sie keinen blassen Schimmer hatte, wie...

Sie wusste nicht, was sie nach ihren Worten und ihrem Versuch, es ihm zu zeigen, noch hätte tun sollen. Ihre Kraft ließ nach, das einzige, was sie unverändert hielt war Ians Hand. Als Ian sie schließlich doch wieder anblickte verkrampfte alles in ihr, ihr Bauch war wie ein einziger Klumpen, der furchtbar schwer wog. Sie schwankte zwischen Kampf, zwischen Einwürfen - "dann
glaube doch einfach!", "dann lass es!" - und Aufgabe. Immerhin... immerhin sprach er mit ihr, halbwegs ruhig, anwesend, ohne durchzudrehen. Das war ein gutes Zeichen. Oder?
Oh, das Zusammenarbeiten würde sich also nicht ändern, glaubte er? Wie sollte sich das nicht ändern? Es hatte sich
alles geändert. Einfach alles. Und auch ihre Zusammenarbeit würde darunter leiden, wenn sie es nicht schafften, normal miteinander umzugehen. Was glaubte er, wie sie das aushalten würden? Eowyn war nach einem halben Tag eisigen Schweigens schon zusammengebrochen. Keiner von ihnen würde damit klarkommen, wenn sie so zusammenarbeiten sollten, keiner. Die Zeit, in der sie sich einfach hatten zusammenreißen können, zum Wohle der Mission, die war vorbei. Sein nächster, abgebrochener Halbsatz aber war umso wichtiger, doch sie kam nicht dazu, darüber nachzudenken.

Bis morgen warten. Bis morgen, in Ruhe nachdenken, in Ruhe in sich gehen. Bedenken. Nachdenken. Zeit... Keine Angst haben, etwas zu überstürzen. Vorhin noch hatte sie sich nach dieser Zeit gesehnt, hatte sich dazu genötigt gefühlt, eine Entscheidung zu treffen, die zu treffen sie nicht im Stande war. Sie war zu aufgewühlt, zu emotional, zu panisch.
Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass es etwas ändern würde. Gerade diese übereilte Entscheidung hatte dazu geführt, dass sie tief hatte in sich hören müssen, emotional entschieden hatte, nicht rational. Sie hatte... ja, sie hatte Angst! Sie hatte Angst, dass Zeit dazu führen würde, dass sie ihre Entscheidung revidierte. Ian fallen ließ. Erkannte, dass sie damit nicht klarkam. Weil sie es doch so unbedingt wollte... Und das, wo sie sich doch mittlerweile sicher war. Sie hatte Angst vor sich selbst und ihren Entscheidungen... wie paradox war das?
Und das hieß, dass er tatsächlich richtig lag. Sie brauchte die Zeit, wenn nicht für ihn für sich selbst. Um sicherzugehen, dass sie dabei blieb, um vor sich selbst sicher zu sein.
Sein Blick, der wieder in ihre Augen zurückkehrte, seine flehende Bitte, sie trafen sie tief in ihre Herz, und ihr wurde flau. Es war eine Probe, die notwendig war. Für beide. Und was bedeuteten schon ein paar Stunden? Stunden, in denen Ian ohnehin schlafen würde, schlafen musste. Für ihn würde die Zeit schnell vergehen. Für sie... nicht ganz, aber dieses Mal würde es anders sein als vorher. Das einzige Problem würde sein, wach zu bleiben. Zugegeben, vielleicht würden auch ihre Gedanken, wenn sie mit ihnen alleine war, ein kleines Problem darstellen, aber das würde nicht besser werden, je länger sie hier draußen standen. Und Eowyn würde dankbar um jede Stunde sein, die Ian schlief, um sich zu erholen... so dass sie sicherer sein konnte, dass er nicht fortglitt, während sie redeten. So dass sie sich nur noch um sich selbst kümmern musste.

Langsam nickte sie, während die Anspannung endgültig von ihr abfiel.
In Ordnung, antwortete sie müde. Bis morgen. Ich warte bis morgen... Wie du willst. Ihr Blick fiel auf seine Hand, die sie noch immer fest umklammert hielt.
Bis morgen.
Langsam ließ sie sie los, ließ dann das Lichtschwert und den Leuchtstab in je eine Hand schweben. Um sich über den Missbrauch von Machtnutzung Gedanken zu machen war sie definitiv zu erschöpft. Ihr Lichtschwert deaktivierte sie schließlich und hängte es zurück an seinen Platz, mit dem Leuchstab wies sie den Weg zurück zu ihrer kleinen Höhle. Müde schleppte sie sich hinüber, wartete dann darauf, dass Ian hineinkroch. Sie war unsicher, ob es nicht klüger wäre, draußen zu bleiben. Ob Ian den Abstand brauchte... Sie wollte ihn nicht bedrängen. Dennoch hatte sie genug vom Regen. Andererseits würde sie wiederum lieber eine Nacht im Regen verbringen, als Ian zu nah zu sein, als ihm das Gefühl zu geben, dass sie seine Worte ignorierte.

Was denkst du, wirst du schlafen können? Willst du, dass ich dir... helfe? Sie wagte nicht, den Satz zu Ende zu sprechen, auch wenn sie nicht wusste, warum. Sie wusste nichts, sie fühlte sich völlig leer und hilflos. Fertig. Erschlagen. Hatte diese Nacht überhaupt ein Ende?

Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Ian
 
Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn



Am nächsten Tag würde er verkraften, wenn sie sagte, dass sie ging. Aber ihm heute zu sagen, dass sie da war um schon am nächsten Tag das Gegenteil zu behaupten, das würde er nicht ertragen, nein. Wenn sie jetzt unsicher war, war Morgen genug Zeit, um sich sicher zu werden. Oder den Tag danach. Doch heute… nicht mehr, nein. Die Emotionen waren nach oben gebrodelt und um irgendeine rationale Entscheidung fällen zu können, musste sich alles legen. Sie konnte nicht innerhalb von fünf Minuten entscheiden, ob sie akzeptierte und verstand. Zumal es um beides nicht einmal ging, denn weder das eine, noch das andere war möglich. Sie musste sich nur an ihren Kodex erinnern und er hatte jede einzelne Strophe gebrochen. Nie war der Unterschied zwischen ihr und ihm deutlicher und nie würde da auch nur wieder eine Annäherung möglich sein. Was auch immer Eowyn in ihm zu sehen geglaubt hatte, sie würde es revidieren müssen. Nicht, nur, weil sie es gar nicht anders durfte, nicht nur, weil es logisch war. Sondern weil es richtig war. Und er würde es verstehen… Nicht, dass es das einfacher machte, nicht, dass es für ihn etwas ändern würde. Aber er würde es verstehen. Denn wem konnte es gelingen, nach allem, was er getan hatte, an das Gute in ihm zu glauben? Und wie konnte sie –selbst wenn das andere noch möglich war- vergeben?
Er hatte sie völlig überrumpelt, Ian wusste es genau. Sie war zuerst diejenige gewesen, die am Ende gewesen war und er hatte –nicht rücksichtlos im eigentlichen Sinne, aber doch rücksichtlos agiert. Deswegen war es jetzt höchste Zeit, ihr wiederum genau das zu geben: Zeit.
Zeit, die er selbst benötigen würde, um sich von ihr zu verabschieden. Zeit, um sich darauf vorzubereiten, dass der nächste Tag alles veränderte. Die Nacht hatte sie geschützt, weil die Nacht verdeckte. Die Dunkelheit sorgte dafür, dass alles im Verborgenen lag. Der Tag hingegen war anders, würde aufdecken. Ob es Ironie des Schicksals war, dass er nahezu einen Vergleich ziehen konnte? Er, die dunkle, finstere Nacht, die alles versteckte? Sie der helle, freundliche Tag, der sichtbar machte.

Seine Hand in den ihren zu wissen schmerzte und das tat es vor allem, weil er sich vorstellen konnte, wie es gewesen wäre, gäbe es seine Geschichte nicht. Es war völlig absurd und alles andere als hilfreich, aber wenn er sich vorstellte, dass seine Vergangenheit nicht war, wenn er nur eine Sekunde die Vorstellungskraft siegen lasse würde, was hätte das bedeutet! Kein Virus. Keine Morde. Ein harmloser Absturz auf einem Planeten. Der ein oder andere Streit, aber… Ian verbat sich den Gedanken zu Ende zu führen. Wenn er Abschied nehmen musste, war es sinnvoller, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Morde, Virus, Bruch, Abschied.
Selbst wenn es ihnen gelingen würde, weiter zusammenzuarbeiten - und Ian war überzeugt, dass es gelang- würde es anders sein. Denn da würde etwas über ihnen schweben, sich einnisten und jede gewonnene Vertrautheit zerstören. So würde es sein und es war besser, sich heute daran zu gewöhnen. Jetzt.

Danke“, sagte er schließlich, als sie nicht zu diskutieren begann und es war kein Dank dafür. Nein, sein ‚Danke‘, auch wenn es nur auf fünf Buchstaben bestand, beinhaltete mehr.
Danke dafür, dass du für einen Moment an mich geglaubt hast. Danke dafür, dass mir eine Chance gegeben hast. Es war ein bedeutendes Danke, für alles positive das sie in ihm erwirkt hatte. Und er hoffte, dass sie es verstand. Noch einmal wanderte der Blick des Dunkelhaarigen wehmütig auf ihre Hände und er hielt Moment fest, speicherte ihn ab, verinnerlichte ihn. Auch wenn es nicht klug war, er musste.
Und obwohl er gedanklich und mit jedem vorangegangen Blick immer wieder dazu aufgefordert hatte, dass Eowyn ihn loslassen möge, versetzte es ihm einen ordentlichen Stich, als Eowyn ihn tatsächlich los ließ und kleiner, trotziger, aufmüpfiger Teil hätte die Hand am liebsten sofort wieder ergriffen.

Dann führte sie ihn quasi zurück zu dem Unterschlupf, erleuchtete den Weg, machte es damit möglich problemlos zu der kleinen Höhle zu gelangen.
Vorsichtig kroch er hinein und die Wärme in der Höhle ließ ihn fast erschaudern, weil sie so deutlich machte, wie nass und kalt es damit eigentlich war. Aber auch das würde vorüber gehen.

„Nein“, war seine wahrscheinlich wenig verwunderliche, aber leise, vorsichtig ausgesprochene Antwort. Das konnte er kaum zulassen. Nicht, weil er ihr nicht vertraute, denn das tat er doch längst. Aber wenn sie erneut Einfluss auf ihn nahm, wenn sie erneut Einfluss auf sein Herz nahm. Nein. Sie würde spüren, wie aufrichtig er jedes Wort gemeint hatte, es würde sie in ihrer Entscheidung beeinflussen. Und es würde alles schlimmer machen, auch für ihn. Sie hatte ihn schon längst auf mehr als eine Weise angerührt und dieses letzte Mal, konnte er es nicht zulassen. Er würde es nicht aushalten. „Es ist wie Morichro, hast du gesagt, erinnerst du dich?“ Er versuchte zu lächeln, aber noch während des Versuchs wusste Ian, dass er kläglich scheiterte. Dann sah er noch einmal zu ihr auf. Unsicher, was er sagen sollte. „Du solltest nicht im Regen bleiben. Ich meine…“ Er seufzte.
„Ich sollte nicht über dich bestimmen“, dabei tat er es nicht, aber vielleicht war das seien Art ihr zu sagen, dass sie jetzt bleiben sollte, wo auch immer sie bleiben wollte. Und sie tat doch immer, was sie tun mochte, auch das hatte sie gesagt.

Wieder lehnte sich Ian an das Innere des Baumes, als er aus dem Rucksack, den er so viele Stunden zuvor abgestellt hatte, seinen Mantel kramte. Sich jetzt umzuziehen schien unmöglich, aber er musste sich zudecken. Nicht nur, um die Kälte auszusperren, sondern um etwas um sich zu hüllen, dass ihm in mehr als einer Hinsicht Wärme spenden würde. Er faltete den Mantel auseinander, den Mantel, den Eowyn zuletzt getragen hatte. Der Mantel, der sogar nach ihr roch. Und auch wenn es gegen jede Logik sprach, wenn es gegen alles sprach, dass ihm dabei helfen sollte, sich langsam zu verabschieden: Er legte den Mantel um sich, hüllte sich damit ein und in seiner Vorstellung war es kein Stück Stoff, das da gerade die Kälte aussperrte. Die Kälte in mehr als einer Hinsicht.

Und als Ian sich an der Trance versuchte, sich ein Wort einprägte, das ihn erwecken würde, war es ein einfacher Name.


Dschungelmond von Va'art, bei einem ausgehöhlten Baum, mit Eowyn
 
Dschungelmond von Va'art, vor einem ausgehöhlten Baum, mit Ian darin

Auf Ians nachdrückliches Danke nickte Eowyn nur. Sie verstand, dass er mehr sagen wollte, aber sie war viel zu durcheinander, um groß darüber nachzudenken. Es war seltsam, seine Hand heute Nacht schon zum zweiten Mal loszulassen. Weshalb lag dies immer an ihr? Und während sie nach den Gegenständen auf dem Boden ihre Hände ausstreckte fragte sie sich unwillkürlich, ob dies das letzte Mal gewesen sein würde, weil sie in ein paar Stunden feststellen würde, dass sie nach all diesen Dingen, die auf sie eingeprasselt waren, doch zu früh und damit falsch entschieden hatte. Aber es lag an ihr. Sie brauchte keine Angst vor ihrer Entscheidung zu haben, das machte keinen Sinn. Sie musste einfach nur das tun, womit sie sich am wohlsten fühlte, wohinter sie stehen konnte, und das würde doch automatisch das sein, womit sie auch leben konnte. Damit würde sie zufrieden sein und klarkommen. Oder etwa nicht?
Vermutlich nicht. Egal was von heute an passierte, es würde schwer werden.

Ians Antwort überraschte sie nicht. Sie hatte nicht wirklich mit einem "ja" gerechnet, es aber anbieten
müssen, es war nicht anders gegangen. Er würde sie nicht bei sich haben wollen, wollen, dass sie ihm wieder so nah kam. Eowyn konnte es verstehen - wie würde es vermutlich auch nicht wollen. Sein Versuch zu lächeln misslang fürchterlich, und sie versuchte es selbst erst gar nicht, auch wenn sie ihm dafür irgendwie ein wenig dankbar war. Dieses Lächeln hätte Normalität gebracht, ein wenig mehr Leichtigkeit. Zumindest für einen kleinen Moment... aber es hatte nicht sollen sein. Ja. Natürlich, antwortete sie matt. Er würde es schon hinkriegen, irgendwie. So schwer war es letzten Endes nicht, wenn man so ein Verständnis für seinen Organismus hatte, wie Ian es tat.
Seine Fürsorge hingegen brach nicht ab. Es war seltsam, wie vorsichtig er formulierte. Als wäre da etwas, das bei nur einem falschen Wort kippen würde. Kein Vergleich zu den für sie teilweise bevormundenden Ansprachen, die er sonst gehalten hatte. Und auch sie selbst war nun vorsichtiger... verstand seine Zurückhaltung, weil sie ähnlich empfand. Schließlich war es ihr unmöglich gewesen, ihren Satz vorhin zu beenden.
Zumindest half es bei ihrer Frage, ob Ian sich daran stören würde, wenn sie ebenfalls in die Höhle kroch. Nun lag auch diese Sache lediglich in ihrer Hand. Eowyn nickte und warf einen Blick in den Regen.
Ich werde sehen. Denn nicht nur Ian musste mit der Nähe klarkommen. Auch sie selbst. Und war Abstand nicht sinniger, bevor sie sich endgültig sicher war? Sie wusste es nicht, konnte es nicht wirklich beurteilen. Vermutlich hätte sie momentan nicht einmal entscheiden können, welche Kleidung sie anzog, wenn sie diesen Luxus gehabt hätte. Ihr Kopf war so leer, wie es nur möglich war, und ihre Entscheidungskraft völlig verschwunden. Mach dir keine Gedanken um mich... und schlaf gut, schickte sie stumm hinterher, als sie Ian nicht mehr sehen konnte, weil er sich völlig in die Höhle zurückgezogen hatte.

Und da war sie wieder, die Stille. Da war sie wieder, alleine im Regen, so wie vor... einer Stunde? Einer Ewigkeit? Mit dem kleinen Unterschied, dass sie dieses Mal eine Lichtquelle hatte, wenn sie sie benötigte. Doch sie sollten sparen... so schaltete sie den Leuchtstab aus, und die Dunkelheit kehrte zurück. Nun war es wirklich wie vorher... Aber wie anders war alles nun? Wie viel war passiert in dieser kurzen Zeit? Unmöglich, all das in ihren Kopf zu bringen, zu ordnen, zu analysieren. Sie starrte in die Finsternis - es passte. In ihrem Kopf sah es ähnlich aus. Düster, unheimlich, still. Sie hörte jetzt wieder das leise Rascheln der Blätter, das Platschen des Regens. Es war nicht wirklich still... Und doch kam es ihr so vor, als würde alles verblassen hinter ihren Gedanken.
Sie war müde. Ihre Beine trugen sie kaum mehr, und dennoch zwang sie sich, stehen zu bleiben. Im Stehen würde sie nicht einschlafen. Vielleicht wäre es tatsächlich sinnig, erst einmal draußen zu bleiben. Darauf kam es nun auch nicht mehr an. Und wie sollte sie über das, was Ian ihr erzählt hatte, nachdenken, während er ruhig und friedlich neben ihr schlief? Das war unmöglich. Sie erkannte definitiv, dass sie selbst den Abstand momentan nötiger hatte als Ian.

Er wollte bis morgen warten. Bis sie Zeit gehabt hatte... Bis sie ausgeruht war... Nun, letzteres würde wohl kaum eintreten, aber das ließ sich nicht ändern. Doch es ging eigentlich nicht darum, was
er wollte. Sie musste wissen, was Sache war. Sie hatte sich in einer impulsiven Entscheidung für Ian entschieden. Einer Entscheidung aus dem Bauch heraus, es war eine Entscheidung gewesen, die sie gar nicht anders hatte treffen können, weil alles außer ihrem Kopf es ohnehin nicht in Frage gestellt hatte. Wenn ihr Kopf wieder besser funktionieren würde... würde er sich dann dagegen wehren?
Aber vor allem wehrte sie sich dagegen, das Gespräch noch einmal auszugraben, sie merkte es deutlich. Und dabei musste sie es noch einmal durchgehen, zumindest das, was wichtig gewesen war. Sie musste ihre Gedanken sortieren. Klare Strukturen schaffen.
Auf der einen Seite... da war die Zahl acht. Da waren diese schrecklichen Taten, an die zu denken sie nicht einmal wagte. Da waren Wörter wie Mord. Mörder. Tot. Leid. Schmerz. Unveränderbare Dinge, unauslöschbare Dinge. Dinge, die niemals wieder gut zu machen waren. Dinge, die kein Wesen jemals tun durfte, und wenn, dann nicht aus Rache oder anderen niederen Gefühlen heraus. Da war eine Vergangenheit, bei der fraglich war, wie sie jemals damit leben konnte. Taten, die so völlig entgegengesetzt zu dem waren, für das sie stand. Würde Aketos nun hier stehen, an ihrer Stelle, und sie um Rat fragen... sie wusste, dass sie ihr eindeutig sagen würde, dass dies nicht der Weg der Jedi war. Es ihr sagen
musste, weil es stimmte, weil Jedi Dinge wie kalten Mord nicht akzeptieren konnten. Und auch nicht durften. Vor allem nicht durften...

Aber auf der anderen Seite... da war Ian.

Da war Ian, der sie auf Nar Shaddaa warnte. Der auf Nar Shaddaa ihre Fassade sofort durchschaut hatte, sie verwirrt hatte fast vom ersten Moment an. Der ihr schon dort Dinge klargemacht hatte, bei denen sie falsch lag. Der sie und Aketos aus dieser völlig aussichtslosen Situation gerettet hatte. Der sie auf Coruscant begleitet hatte, obwohl es wohl der letzte Ort gewesen war, an den er hatte gehen wollen. Der ihre Rippen und ihren Arm geheilt hatte. Ian, der ihr auf Va'art das Leben gerettet hatte. Der sich um sie kümmerte, um sie sorgte. Der sie durchschaute wie kein zweiter. Der sich von den Sith abgewandt hatte, Hochverrat beging, nur um das Richtige zu tun. Sein eigenes Leben dafür aufs Spiel setzte. Der sie aufgefangen hatte, als die Dunkelheit sie umfing. Der freundlich sein konnte, sanft, vorsichtig, nachdenklich - wenn auch manchmal sturköpfig, aufbrausend und bevormundend. Der von seiner Schuld geplagt wurde, eine Schuld, die ihn nicht losließ, tagsüber und auch nachts verfolgte. Der diese Taten nicht verübt hatte, weil er Spaß am Morden hatte.

Und der letzten Endes ehrlich mit ihr gewesen war, so ehrlich, so unfassbar ehrlich.


Ehrlicher, als sie verlangt hatte.

Ehrlich gewesen, als er erkannt hatte, dass die erzwungene Gemeinschaft, die sie gehabt hatten, begonnen hatte, ein anderes Band zu knüpfen. Es vielleicht vor ihr gemerkt hatte, und erkannt hatte, dass er ohne diese Ehrlichkeit eine Lüge beginnen würde.
Sie wusste nicht, ob sie die Kraft dazu besessen hätte.


Es lief auf das Gleiche hinaus. Sie konnte sich nicht sicher sein, ob sie es nicht irgendwann bereuen würde. Sie wusste nicht, ob das, was sie fühlte, sie nicht trog - aber wann konnte man sich schon jemals etwas sicher sein? Sicher war nur der Tod, und auch ihm wurde hin und wieder ein Schnippchen geschlagen.
Sie wusste nur eines sicher - Ian bedeutete ihr etwas, und sie würde ihn nicht einfach so fallen lassen können. Denn die Fehler, die er gemacht hatte, sie waren geschehen, bevor sie ihn getroffen hatte, bevor sie begonnen hatte, etwas in ihm zu sehen. Im Gegenteil - es wäre so falsch, so falsch ihn jetzt loszulassen. Denn sie hatte von Anfang an gewusst, dass er eine schwere Schuld mit sich trug, eigentlich schon bevor er ihr zu erkennen gegeben hatte, dass er ein Sith war.

Die Jedi. Sie verzog das Gesicht. Die Jedi, der Rat... angenommen, sie wären hier, sie könnte mit jemandem reden. Würden sie ihr nicht sagen, dass dies Wahnsinn war? Dass sie einen Fehler machte, der sie alles kosten konnte?
Aber war es nicht das, wofür die Jedi standen? Alles zu riskieren, weil sie an das Gute glaubten, weil sie glaubten, dass sie etwas bewegen konnten? Weil sie an die Kraft glaubten, die gute Dinge tun konnten. Fehler zu machen war nicht nur menschlich. Jeder machte Fehler, auch sie. Der einzige Weg, damit umzugehen war, diese Fehler zu akzeptieren. Und weiterzumachen.
Nein, der Rat würde es nicht gutheißen. Da war sie sich beinahe sicher. Aber spielte das wirklich eine Rolle? Hier ging es nicht um den Rat. Oder darum, wofür sie stand. Sie hatte ihr Leben den Jedi verschrieben, ja, aber das hieß nicht, dass sie keine eigenen Entscheidungen treffen durfte. Sie tat so selten etwas wirklich Impulsives. Sie lebte ihr eigenes Leben, abgekapselt, alleine. Vielleicht war es falsch, was sie nun tat, vielleicht eine Kurzschlusshandlung, aber je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie sich. Da war einfach so viel mehr, das noch wichtig war, so viel mehr...
Und wenn doch, wenn die Jedi eine solche Handlung nicht akzeptierten... Nun, sie hatte die Jedi schon einmal verlassen.
Aber so weit würde es nicht kommen, darüber brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Nein. So weit würde es nicht kommen.


Sie war in einem Zustand angekommen, der beinahe schon friedlich war. Geordneter. Gelassener. Sie würde hinnehmen, was nun geschah, sie würde damit umgehen können, sie würde abwarten. Und auch wenn der Regen auf Va'art scheinbar nur selten aufhörte - auch damit würde sie klarkommen.
Jetzt, wo sie ruhiger war, spürte sie die Erschöpfung umso mehr. Sie hatte kaum bemerkt, wie ihre Beine begonnen hatten zu zittern, und sie setzte sich schwer atmend auf den Boden. Ob Ian es akzeptieren können würde? Sie sah schon wieder endlose Diskussionen auf sie zukommen, Abweisung, Schmerz... Nein. Abwarten. Sie würde abwarten, und morgen, wenn es hell war, dann würde sich alles Weitere zeigen. Sie spürte, wie ein kleines Gewicht auf ihrem Schoß landete, ein vertrautes Gewicht - eines, das sie in den letzten Stunden vergessen hatte. Sie lächelte leicht - ja, sie lächelte, was für ein Gefühl! - und hob langsam ihre Hand, um sein seltsam trockenes Fell zu streicheln. Es war ihr nicht böse, dass sie es vorhin so abrupt von ihrem Schoß geworfen hatte. Ein Glück... sie hätte es bedauert, diesen kleinen Begleiter verloren zu haben. Es kuschelte sich auf ihren Beinen ein, aber Eowyn nahm es vorsichtig in ihre Arme.
Nein... murmelte sie ihm zu. Weißt du, ich habe es dann doch gerne ein wenig trockener. Es war Zeit, sich auch in die Höhle zurückzuziehen. Und zu hoffen, dass sie nicht einschlief, denn sie war die einzige, die Ian würde wecken können, und wenn auch sie schlief, dann hatte jede Riesenraupe ein leichtes Spiel mit ihnen.
Mühsam kroch sie den einen Meter in die trockene Höhle. Was für eine Erleichterung... Aber sie war patschnass von oben bis unten. Sie musste sich zumindest umziehen, die Gefahr, krank zu werden war zu groß. Sie war ohnehin schon riesig, sie musste es nicht noch weiter herausfordern.
Sie kramte aus ihrer Tasche ihre Jedi-Kleidung hervor. Die Tunika war halb zerrissen, der rechte Ärmel fehlte, und auch am Bauch fehlten Teile. Aber es war besser als ihre nasse Kleidung.
In der Höhle war es zu eng zum Umziehen, jetzt erst Recht, wo auch Ian noch darin war, also tat sie es draußen, wagte sich noch einmal kurz in den Regen, beeilte sich, damit die trockenen Sachen auch halbwegs trocken blieben. Dann schließlich genoß sie die Trockenheit, spürte, wie das Fellknäuel wieder auf ihren Schoß sprang. Es brauchte wirklich einen Namen... Morgen vielleicht.
Was würde der morgige Tag noch bringen? Viel Laufen... und sonst? Wie würden sie miteinander klarkommen? Würde Ian bereuen, so offen gewesen zu sein? Würde morgen im Tageslicht alles anders aussehen? "Morgen". Das war gut... es war schon längst morgen, die Sonne würde vermutlich bald aufgehen. Lange konnte es nicht mehr dauern, wenn sie sich nicht völlig irrte, dann hatte die Dämmerung schon begonnen..
Sie betrachtete Ian, der da an den Baum gelehnt in der Ecke schlief. Ruhig atmete - mehr half ihre Betrachtung nicht, denn sie konnte ihn schließlich nicht erkennen in der Dunkelheit. Wie merkwürdig es war. Schlafen war ein Segen... hinabtauchen in eine Dunkelheit, die positiv war, die half, die entspannte. Aus der man erholt wieder auftauchte, frisch, neu ermutigt. Sie wünschte, sie könnte auch hinabtauchen. Ihr Kopf schmerzte von all den Gedanken, die sie ihm zugemutet hatte, wollte zerspringen, und ihr Körper war so schwer, so schwer... ihre Augenlider erst. Sie musste sie ein wenig ausruhen, es konnte nicht schaden, wenn sie sie ein wenig schloss, es half, es war so angenehm... Erschrocken fuhr sie zusammen, erkannte, dass sie selbst kurz davor war, einzuschlafen. Sie durfte nicht einschlafen. Wenn sie einschlief... nein, sie durfte nicht einschlafen.
Mit aller Macht zwang sie sich, ihre Augen offen zu halten. Sie musste Ian wecken, sie mussten loslaufen. So sehr sie die Trockenheit hier drin genoss, sie würde nur einschlafen. Und sie konnten es sich nicht leisten, länger hier zu bleiben. Sie konnte sehen, wie es draußen hell wurde, sie konnte schon Schatten erkennen und Schemen. Es würde nicht mehr lange dauern, und sie würden laufen können.
Das Laufen würde sie wachhalten, dann kamen sie voran. Nach Lianna.

Ian... wach auf. Wach auf, Ian... murmelte sie leise.

Dschungelmond von Va'art, im ausgehöhlten Baum, mit Ian
 
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Dschungelmond von Va'art, im ausgehöhlten Baum, mit Eowyn

Er würde nicht klar damit kommen, wenn jetzt und morgen anders waren? Einen Moment schoss Ian durch den Kopf, dass dieser Satz die erste und einzige Lüge war, die er an Eowyn gerichtet hatte. Aber es war keine Lüge, sondern eine Untertreibung gewesen. Jetzt und morgen würden anders sein, was kaum daran lag, dass sich der eine Tag immer von dem anderen unterschied. Natürlich, sie würden zusammenarbeiten müssen. Und vielleicht hatte er hier gelogen. Es würde anders sein, sich geändert haben, denn wie war ein Zusammenarbeiten wie bisher möglich? Das Schlimme an der Sache war, dass sich ihre Zusammenarbeit ohnehin erst gerade verändert hatte. Aus dem ‚ich“ war heute erst ein ‚Du‘ geworden. Und gleich morgen würde sich wieder alles verändern. Es war bedauerlich, dass ständig alles in Bewegung war. Und noch bedauerlicher war, dass sich keine dieser Bewegungen anhalten ließ. Die Zeit war unbarmherzig, stellte Ian einmal mehr fest. Sie war es, darin bestand kein Zweifel. Sie schürte Unbeständigkeit, schon allein deshalb, weil sie sich selbst ständig veränderte. Wenn er schon jetzt nicht mehr wusste, wie er mit Eowyn umgehen sollte, wie sollte es dann erst morgen werden? All das hatten sie schon mehr als einmal durchgespielt. Immer dann, wenn sie sich gestritten hatten und jedes Mal hatten sie wieder zusammengefunden. Jedes Mal waren sie dabei irgendwie enger zusammen gerückt. Um jetzt endgültig voneinander weg zu rücken. Auf Nar Shaddaa noch waren sie distanziert gewesen und dort hatten sich ihre Wege mehr als einmal, beinahe wieder getrennt. Da wäre es noch unproblematisch gewesen. Vielleicht war all das Rache. Oder Gerechtigkeit? Rache für das, was er getan hatte und Gerechtigkeit für die, die übrig geblieben waren? Vielmehr war es eine Strafe. Vielleicht eine gerechte Strafe, aber Ian war vermutlich der letzte, der sich über Recht und Unrecht äußern sollte.

Und er war der letzte, dem es jetzt noch gelang zu Lächeln, vor allem aber der allerletzte, der sich um Eowyn keine Gedanken machen würde. Ebenso gut hätte sie ihn dazu auffordern können die Zeit zurück zu drehen. Das Einzige was ihm jetzt noch half, war, seine Erschöpfung, die dafür sorgte, dass da kaum noch ein klarer Gedanke zu fassen war. Dabei war Schlaf eigentlich das Letzte, was er wollte, denn er fürchtete sich vor dem nächsten Tag. Jetzt und morgen würden anders sein. Aber morgen konnte nur schlimmer werden, obwohl heute schon schlimm genug gewesen war. Zu viele Gedanken. Es war besser, wenn er schlief, besser, wenn er sich auf die Trance konzentrierte. Oder war es besser, er bereite sich auf morgen vor? Aber welche Vorbereitung hätte er auch schon treffen können. Alisah hatte es ihm halbwegs einfach gemacht, Abschied von ihr zu nehmen. Dieses Mal aber gab es eine umgekehrte Schuld. Er, nicht sie. Außerdem ging es hier um etwas völlig anderes. Die Ausgangslage war eine andere, die Gefühle waren andere und… Er seufzte. Wie würde es Eowyn nach all dem ergehen? Sie hatte ihre Schülerin durch einen Sith verloren. Und jetzt? Verlor sie jetzt wieder? So weit wollte Ian nicht denken, da er sich damit in eine Position gerückt hätte, in die er sich gar nicht rücken durfte. Dürfen. Da war wieder ein Seufzen. Als wäre ‚Dürfen‘ von irgendeiner Bedeutung. ‚Dürfen‘ gehörte zu jenen Worten, die Ian so geflissentlich ignoriert hatte, dass er nun gar nicht mehr damit beginnen musste.

Außerdem war es vielleicht besser, dass alles so gekommen war, wie es nun einmal war. Es würde den Abschied für sie einfacher machen. Und jetzt war es besser, wenn er sich an der Trance versuchte, denn wenn er nur noch einen Gedanken an morgen verschwendete, würde es für ihn nicht einfacher, sondern unmöglich werden. Und weil es schon jetzt fast unmöglich war und Ian noch in dieser Nacht etwas brauchte, was ihn nicht verrückt vor Angst auf den nächsten Tag werden ließ, war der Mantel ein Trost. Wenigstens seine kindliche Fantasie hatte er nicht eingebüßt, wenn auch seine kindliche Unschuld.

Als ihr Name der letzte klare Gedanke war, ehe ihm die Trance gelang, war auch ihre Stimme die erste, die ihn weckte. Und mit ihrer Stimme und mit seinem Aufwachen kam die Erinnerung an gestern zurück und damit nahezu sofort die Unsicherheit. Was sollte er sagen? Wie reagieren?
Noch ehe er sah, dass sie sich direkt neben ihm befand, spürte er ihre Präsenz. Und ein sehr kurzer Blick, durch seine verquollenen Augen bestätigte es. „
Ich bin wach“, war schließlich das Beste, das ihm einfiel. Noch war es nicht richtig hell, aber auch nicht mehr stockfinster und der Regen schien nachgelassen zu haben, oder sogar abgeebbt zu sein. So viel zu dem, was sich draußen abspielte. Und nun? Er spürte Eowyns Erschöpfung und fragte sich, ob sie überhaupt geschlafen hatte. Jede andere Frage, die durchaus in ihm drängte, rückte er lieber weit in den Hintergrund. Sich einmal den Schlaf aus den Augen wischend, die sich furchtbar geschwollen anfühlten und es wahrscheinlich auch waren, entschloss Ian sich nicht unbedingt dazu, wieder zur Normalität überzugehen. Aber selbst wenn sich heute alles ändern würde, ob jetzt, am Mittag oder im Laufe des Tages, was er nicht abrupt abstellen würde können –und eigentlich auch nicht wollte- war das, was er gestern halb gesagt, aber nicht beendet hatte. Selbst wenn sie ihre Sicht ändern würde, geändert hatte, er tat und konnte es nicht. Nicht in Hinblick auf sie.
„Möchtest… du noch ausruhen?“ Sie konnte unmöglich geschlafen haben. Noch war es nicht hell, noch war Zeit.

Dschungelmond von Va'art, im ausgehöhlten Baum, mit Eowyn

Vergib mir diesen Post^^ Aber eigentlich war klar, dass ich an deinen nicht anknüpfen konnte :D
 
Dschungelmond von Va'art, im ausgehöhlten Baum, mit Ian

Sie war müde. Wirklich müde, und wenn sie nicht bald aufstanden, dann würde sie hier auf der Stelle einschlafen. Und jetzt, wo Ian wach war, da war die Vorstellung auch nicht mehr ganz so abwegig. Schon während er langsam wieder in der Realität ankam merkte sie, wie die Schwere ihren Körper umfing. Und als er dann auch noch fragte, ob sie ausruhen wollte... Sie mussten los. Sie mussten weiterlaufen... Ian hatte es heute Nacht selber noch einmal betont, wie wichtig es war, sie hatten keine Zeit zu verlieren. Andererseits war es nicht logisch. Sie war nicht bei Kräften, und so lange das so war... es lag auf der Hand. Wenn sie nicht selber verantwortungsvoll mit sich umging, dann war es kein Wunder, wenn Ian manchmal glaubte, sie bevormunden zu müssen.
Sie nickte langsam.

Ich glaube... ich glaube, ich sollte noch etwas schlafen... Ein kleines bisschen.
Sie hatte es kaum ausgesprochen und losgelassen, da sank sie auch schon hinab in den Schlaf, unfähig, über so etwas wie eine vielleicht erholsamere Tiefschlaftrance überhaupt nachzudenken.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie wieder aufwachte. Es war auf jeden Fall definitiv heller. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis ihr einfiel, weshalb sie sich noch immer so zerschlagen und seltsam fühlte, und als es ihr einfiel wünschte sie, sie könnte es wieder vergessen. Ihr Kopf dröhnte noch immer ein wenig, und außerdem... fantastisch. Ihre Nase fühlte sich nicht sonderlich gesund an.
Ian neben ihr war fort. Ebenso wie der Rucksack, und einen kurzen Moment fragte sich Eowyn, ob Ian gegangen war, ob er beschlossen hatte, ihre Anwesenheit nicht mehr zu ertragen... nein. Dann wäre der Rucksack noch hier, oder zumindest ihre Tasche. Und außerdem... sie konnte ihn draußen spüren.
Sie rieb sich das Gesicht und die Augen, um wacher zu werden, und um noch ein wenig Zeit für sich zu haben, bevor sie sich dem stellte, was nun kommen würde. Aber es half nichts. Und außerdem hatten sie schon genug Zeit verloren.


Auch das kleine Fellknäuel war weg, bemerkte sie nebenbei, als sie aus der kleinen Höhle kroch. Draußen war es wirklich hell, und Eowyn brauchte einen Moment, um sich umzusehen. Der Rucksack stand neben der Höhle und sah irgendwie... voller aus, außerdem prasselte ein Feuer, denn der Regen hatte aufgehört. Wenigstens der Regen hatte aufgehört! Wenigstens das. Ian saß neben dem Feuer, und Eowyn setzte sich zu ihm.
Du warst ganz schön fleißig... Ihre Kleidung lag zum Trocknen aus, beinahe hatte sie ein schlechtes Gewissen. Er hatte ganz schön viel geschafft, während sie einfach... geschlafen hatte. Aber Arbeitsteilung war notwendig, und sie hätte kaum in der Nacht Feuerholz suchen können.

Was nun? Sie konnten so tun, als sei nichts geschehen. Es war verlockend... Aber es würde nichts nutzen. Früher oder später musste es auf den Tisch. Eowyn blickte auf zum Himmel, versuchte an Hand der Sonnenstellung zu erkennen, wie viel Zeit vergangen war. Schwer, wenn man die Sonne nicht sah...
Ihre Ansicht hatte sich auch nach dem Schlafen nicht geändert, im Gegenteil. Sie war sich sogar immer sicherer, das sie richtig lag, dass das, wofür sie sich entschieden hatte, der richtige Weg war. Sie hatte die Befürchtung, dass es schlimmer werden würde, je länger sie wartete. Und sie hasste es, um den heißen Brei herumzureden. Lieber brachte sie gleich alles auf den Tisch.

Ian... sie zögerte, wusste nicht genau, wie sie es ansprechen sollte. Es war jetzt schon schwer genug, verdammt. Heute Nacht... Ich will nur, dass du weißt... Sie blickte ins prasselnde Feuer. Ian, es hat sich nichts geändert.

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Natürlich musste sie schlafen und zum Glück erkannte sie es selbst. Hoffentlich war sie erschöpft genug, dass kein Alptraum sie plagen würde, denn sie hatte sich gar nicht erst in eine Trance versetzt. Zumindest war sie schon halb eingeschlafen, als sie die Idee für gut befunden hatte.
Einen Moment ruhte Ians Blick, mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen, auf Eowyn. Einst hatte sie von ihm wissen wollen, wer sie war und einst hatte sie nur behauptet, eine Jedi zu sein. Aber Ian wusste es besser, als er leise seufzend die Höhle verließ. Er wusste es besser und er hoffte inständig, dass Eowyn, spätestens, wenn sie auf Lianna ankamen, auch mehr in sich erkennen würde. Sie war mehr als eine Jedi und auch wenn sie es nie zugeben würde und nie hören wollte, sie war viel mehr das, was er ihr noch auf Couruscant spöttisch entgegnet hatte. Vielleicht, vielleicht würde sie es irgendwann erkennen. Und vielleicht fand sie dann auch ihre Heimat wieder. Beides hoffte Ian für sie.

Der Regen hatte aufgehört und das Licht hatte die Nacht verdrängt, bloß die Schatten waren übrig geblieben. Das Beste würde sein, sich nützlich zu machen, damit sie, sobald Eowyn erwachte, ihren Weg fortsetzen konnten. Ihren Weg ins Nirgendwo der sie dennoch irgendwie nach Lianna führen musste. Voller Überzeugung hatte er gesagt, dass sie von hier verschwinden würden und an diese Überzeugung musste der Dunkelhaarige sich klammern, jetzt vielleicht mehr denn je.
Auch wenn er sich nicht an jeden Satz von gestern erinnern konnte, wusste Ian doch, dass die Zahl acht sich nicht verändern sollte, nicht nach oben, nicht noch weiter nach oben. Und dabei verdrängte er geflissentlich den Gedanken, dass sie es vielleicht schon längst getan hatte.

Er fror, weil er noch immer die nasse Kleidung trug, aber gestern war er viel zu kraftlos gewesen, um sich auch noch darum zu kümmern. Jetzt, im Trockenen, zog Ian sich um. Sammelte halbwegs trockenes Holz – ohne sich dabei zu weit von der Höhle zu entfernen- und entzündete schlussendlich ein Feuer, legte all die nasse Kleidung aus. Wie würde es heute weiter gehen? Er wusste nicht sicher, ob er das tatsächlich wissen wollte, nur, dass jetzt kein guter Zeitpunkt war, sich darüber Gedanken zu machen. Besser war es, sich auf den kommenden Weg vorzubereiten und dafür etwas Essbares zu besorgen. Die Frucht, die Eowyn probiert und die sich nicht als giftig herausgestellt hatte, wuchs in diesem Teil des Dschungels sehr verbreitet und Ian füllte den Rucksack mit ihr und versuchte nicht nur, sich mit dieser Beschäftigung nützlich zu machen, sondern auch, seine Gedanken zu verdrängen. Seine Gedanken und seine Gefühle. Das Feuer brannte, der Rucksack war gefüllt und irgendetwas musste er tun. Nur was? Eowyn schlief noch immer und sie zu wecken kam nicht in Frage. So nestelte Ian an seinem Komlink herum, was ein völlig nutzloses Unterfangen darstellte. Wen hätte er auch kontaktieren sollen? Allegious persönlich? Außerdem bekam er einfach keinen Empfang, nichts, als würde der Mond jedes aus- oder eingehende Signal sofort absorbieren. Wunder der Technik. Am liebsten hätte Ian es ins Feuer geworfen, stattdessen legte er es, mit übertriebener Vorsicht zurück in den Rucksack. Nicht, dass übertriebene Fürsorge für das Gerät half, aber das Gegenteil tat es nun auch nicht.

Die nächste –ebenso nutzlose Handlung- bestand darin, seine Machtfühler auszustrecken. Aber genau wie mit dem Komlink, das nicht senden und empfangen konnte, war es auch mit der Macht. Da war nichts, was ihnen nützlich sein würde. Kein intelligentes Wesen, kein Schiff, nichts. Ein perfekter Mond um etwas zu verstecken, oder um sich selbst zu verstecken. Bloß, dass Ian weder auf das eine, noch auf das andere erpicht war. So setze er sich schlussendlich vor das Feuer und starrte in die Flammen.
„Wir kommen hier weg“. Wir. Fast zuckte er bei dem Wort zusammen. Wir kommen hier weg“, wiederholte er dennoch. „Ich weiß es, ich weiß es.“ Dabei wusste er es nicht… zumindest nicht wie. Wie lange er saß und ins Feuer starrte, zwanghaft versuchte, an etwas zu denken, dass nichts mit gestern zu tun hatte, wusste Ian nicht. Zumindest war der Tag nun komplett hereingebrochen und als Ian schließlich Schritte vernahm, hielt er unbewusst die Luft an. Auch, als Eowyn sich neben ihn setzte. Bloß sein Herz hörte er wieder schlagen. Leise. „Ich wollte dich nicht wecken“, ‚nicht nach gestern‘, sagte er leise, als fürchte er sich davor, laut zu sprechen. Dabei fürchtete er sich vielleicht wirklich davor. Die Sekunden verstrichen und da war wieder sein Herzschlag, der leise die Stille ausfüllte. Als Eowyn zögernd seinen Namen aussprach, blinzelte er kurz zu ihr herüber. Wieder sein Herzschlag und da wandte er sich ab, genau wie Eowyn, als sie ins Feuer blickte.

Ian, es hat sich nichts geändert.

Er hörte es, aber er sah sie dabei nicht an. Wieder war da sein Herzschlag. Es hatte sich nichts geändert. Ja, er hörte die Worte, aber zu ihm durchdringen wollten sie nicht. Zulassen konnte Ian sie nicht. Nein, sie war erschöpft. Sie hatte kaum geschlafen und gestern war nicht lange genug her und alles andere, nein. Solch schwerwiegende Entscheidungen traf man nicht innerhalb einer Nacht. Schon gar nicht, wenn sie kaum erholsam und so anstrengend gewesen war. Sie musste es sagen, weil er sie gestern darum gebeten hatte, morgen zu entscheiden. Aber dafür war es zu früh, gestern, morgen. Zu früh.



Da erhob er sich langsam, griff fahrig nach dem Rucksack, und der noch klammen Kleidung, noch immer ohne sie anzusehen


„Wir sollten gehen,“
sprach er schließlich selbst ins Feuer, als die Anspannung zurück lehrte.

„Ich hab versucht etwas zu empfangen, aber da war nichts und ich weiß nicht, in welche Richtung wir am besten gehen, denn ich habe auch versucht, hinaus zu fühlen, nur war da auch nichts, aber vielleicht gehen wir einfach und finden etwas… Vielleicht dauert es auch nicht mehr lang, denn, “
er sprach viel zu schnell, ohne es zu bemerken, „irgendwann müssen wir auf etwas stoßen. Immerhin gibt es immer etwas, irgendwo und es macht keinen Sinn, wenn das hier anders sein sollte. Der Rucksack ist voller Früchte und das heißt, dass wir sicher nicht verhungern werden, aber so lange werden wir ohnehin nicht mehr hier sein, als das geschehen könnte.“ Eine winzige Pause folgte, ein flüchtiger Blick zu ihr, als er irgendwo in Nirgendwo deutete.
„Vielleicht gehen wir ... da lang?“

Dschungelmond von Va'art, im ausgehöhlten Baum, mit Eowyn


 
Dschungelmond von Va'art, am ausgehöhlten Baum, mit Ian

Natürlich hatte er sie nicht wecken wollen. Das hatte sie nicht erwartet, auch wenn es vielleicht sinnig gewesen wäre, damit sie rechtzeitig aufbrachen. Aber so hatte sie doch zumindest offensichtlich noch ein paar Stunden geschlafen, und es hatte geholfen. Ausgeschlafen zu sein war zwar etwas anderes, aber sie war definitiv fitter als noch während der Dämmerung. Jetzt würde sie wieder wandern können, ohne alle zehn Meter befürchten zu müssen, im Gehen einzuschlafen.
Die Stimmung war sehr zurückhaltend. Angespannt wäre zu viel gesagt gewesen, doch da sie ohnehin beide wussten, was zwischen ihnen stand war es einfach sinnlos, das alles nicht sofort anzusprechen. Eowyn wusste nicht, welche Reaktion sie erwartet hatte - aber sie hatte zumindest
irgendeine Reaktion auf ihre Worte erwartet. Oder besser gesagt, eine direkte Reaktion. Ian reagierte durchaus - er ignorierte sie einfach.

Eowyn betrachtete ihn, betrachtete seine hektischen Bewegungen, hörte seine plappernden Worte. Ja, plappernd. Anders konnte man es nicht bezeichnen. Es war interessant... sie hatte gar nicht gewusst, wie schnell und wie viel er reden konnte, nur, weil er eigentlich gar nicht reden wollte. Oh ja, es war gut gewesen, zu schlafen. Unausgeschlafen wäre sie jetzt vermutlich geplatzt, wäre ungeduldig geworden. So aber... Ja. Es war interessant. Und es sagte indirekt eigentlich fast mehr, als wenn er eine direkte Antwort gegeben hätte. Es sagte vor allem, dass er ihre Aussage nicht akzeptierte. So wenig akzeptierte, dass er noch nicht einmal darüber reden wollte. Oder nein, eher reden konnte. Sie hatte verstanden, dass er ihre Hilfe in der Nacht nicht hatte annehmen können. Es war vielleicht wirklich zu viel gewesen, zu verwirrend. Aus seiner Sicht gefährlich. Und ja, sie verstand ihn auch heute morgen. Verstand ihn sogar gut, denn in der Nacht, kurz bevor er sie festgehalten hatte, war es ihr ähnlich gegangen. Und was für sie schwer war, musste für Ian um einiges komplizierter sein.
Aber, dass Eowyn ihn verstand hieß nicht, dass sie es akzeptierte. Es würde für ihn nicht leichter werden, wenn er seine Augen verschloss. Und für sie selbst ebenfalls nicht. Und wenn er dachte, durch Ignoranz könnte er sie auf Abstand halten... dann hatte er sich aber getäuscht. Und wie.


Sie legte den Kopf schief und beobachtete, wie er einfach irgendwohin loslaufen wollte. Meinte er, dass sie das alles nicht bemerkte? Bemerkte er es selbst nicht? Dachte er, sie würde jetzt einfach aufstehen und losgehen? Er sollte sie besser kennen.
Eowyn schüttelte den Kopf, ignorierte seine Aussagen so, wie er die seine ignoriert hatte.
Ian. Ich kann verstehen, dass dir all das schwer fällt. Glaube mir, für mich ist das auch nicht leicht. Aber du kannst davor nicht davonlaufen. Wohin willst du fliehen, hier auf diesem Mond? Sie seufzte. Ja, das... alles hat einiges verändert. Alles verändert. Aber ich hatte viele Stunden, um darüber nachzudenken. Ich habe darüber geschlafen. Es hat nichts an meiner Aussage von gestern geändert, ob du es glaubst, akzeptierst, oder nicht.
Sie stand dennoch auf. Ignoranz oder nicht, er hatte Recht. Sie war wach, es war spät, sie sollten los. Der Leuchtstab lag noch in der Höhle, sie holte ihn, um ihn nicht zu vergessen.
Sie wollte ihn nicht drängen, ihn nicht überfordern. Sie wollte nur vermeiden, dass er sie dauerhaft ignorierte, sie wollte, dass er wusste, dass er nicht allein war. Und, dass er sich nicht mehr quälte, als es sein musste.

Ich kann nicht mehr tun, als dir zu sagen, dass ich für dich da bin. Du hast gestern gesagt, dass du es glauben möchtest. Sie hob ihre Augenbrauen. Warum tust du es nicht?

Und sie lief los, in die Richtung, in die Ian gewiesen hatte. Immerhin war diese Richtung so gut wie jede andere.

Dschungelmond von Va'art, am ausgehöhlten Baum, mit Ian
 
Dschungelmond von Va'art, am ausgehöhlten Baum, mit Eowyn

Er konnte nicht auf ihren Satz eingehen. Wie auch? Gestern noch hatte er ihr acht Morde gestanden, hatte erklärt, dass er ein Mörder war. Gestern erst hatte er sich um Kopf und Kragen geredet, hatte deutlich gemacht, was er war. Wer er war. Kein Jedi, niemand, der ein paar fehlgeleitete Schritte getätigt hatte. Niemand, der sich selbst sagen konnte ‚Ist schon okay, jeder macht mal etwas falsch‘. So oft sie gesprochen hatten, war es um Fehler gegangen, um Falsch und Richtig, Gut und Böse, gebrochene Prinzipien. Und bei allem, bei allem was ihm lieb und teuer war, wenn es jemals einte deutlichere Unterscheidung zwischen Gut und Böse gab, dann hier. Ja, da lag sonst immer etwas dazwischen, unzählige Grautöne zwischen schwarz und weiß. Aber nicht hier. Nicht hier. Sie hatte es selbst gesagt, mehr als einmal, es hatte ein dutzend Male in seinem Kopf wiedergehallt. Wir haben nicht das Recht dazu, jemandes Leben einfach so zu beenden. Auf Coruscant hatte sie es noch gesagt und an ihren Worten, an der Wahrheit dieser Worte würde sich niemals etwas ändern. Da war keine Rechtfertigung für Mord, da war keine Entschuldigung. Jede Nacht, jeder Alptraum, jedes nicht in den Spiegel, sich nicht in die Augen sehen können, war Beweis dafür. Und was über Jahre da war, was ihn seit seinem ersten Mord vor über 10 Jahren quälte, konnte sie nicht mit einem Satz, nicht nach einer Nacht verschwinden lassen. Es ergab keinen Sinn und es war falsch und sie ließ sich beeinflussen, was noch schlimmer war. Sie kannte ihn jetzt, nicht, das was er früher gewesen war und weil sie nicht wusste, konnte sie nicht abgleichen und weil sie nicht wusste, weil sie nichts wusste, konnte sie nicht so tun, als sei nichts gewesen, als spiele es keine Rolle. Sie konnte nicht. Sie durfte nicht. Gestern noch hatte er sich mit dem Gedanken anzufreunden versucht, sie gehen zu lassen, er hatte sich in seinen verfluchten Mantel gehüllt, hatte sich vorgestellt, dass es mehr war, als sein verfluchter Mantel, damit er Abschied nehmen konnte. Und jetzt? Nein. Als sie sich das erste Mal begegnet waren, als er offenbart hatte was er war, war sie zurückgeschreckt, hatte ihn fast stehen gelassen und wenn es einen Zeitpunkt gab, der nicht hätte besser sein können, um genau das zu widerholen und diesmal standhaft dabei zu bleiben, war es jetzt. Jetzt! Da war die Tatsache, dass er ihr Leben gerettet hatte, die Tatsache, dass er ihr zugehört hatte und dagewesen war. Ja, da war jemand den sie gebraucht hatte. Hatte. Jemand der nicht er hätte sein sollen. Jemand den sie auf Lianna hoffentlich endlich fand. Jemanden der gut war. Jemanden, der nicht er war. Jemand, der ihrer gerecht werden konnte. Jemand, der nicht gegen alles verstoßen hatte, wofür sie stand.
Ich bin eine Jedi. Genau das waren ihre Worte gewesen. Als sagte es irgendetwas über sie aus, als sagte es irgendetwas darüber aus, wer Eowyn der Mensch, Eowyn El‘mireth die Frau war. Tatsächlich aber sagte es etwas aus. Sie war eine Hüterin des Lichts. Eine Hüterin des Friedens und er? Vielleicht ein Mörder auf Abwegen, auf dem richtigen Weg, aber ein Mörder. Und daran würde sich nichts ändern. Und wenn die ersten Wesen durch das Virus starben, was war er dann? Ein Massenmörder?
Von wegen, es hatte sich nichts geändert. Wie konnte sie das überhaupt so leicht dahin sagen? Sie war nicht bei Sinnen!

Sie konnte verstehen, dass es ihm schwer fiel? Fast hätt er aufgelacht, aber Ian hielt sich zurück. Für sie war es auch nicht leicht? Oh, das war ihm bewusst, darüber musste sie sich keine Gedanken machen, das war ihm mehr als bewusst. Er konnte nicht davor davon laufen? Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Sie hatte und da spürte Ian einen leisen Anflug von Wut oder Enttäuschung.
„Ich laufe nicht davon“, kam es gepresst. Er hatte davon laufen wollen, auf Nar Shaddaa, aber er hatte es nicht getan. Hätte er tatsächlich davon laufen wollen, niemals wäre er mit Eowyn ausgerechnet nach Coruscant geflogen, niemals hätte er ihr gestern die Wahrheit gesagt. Er konnte nicht davon laufen? Er lief praktisch ins offene Messer und nicht davon. Gestern war er ins offene Messer gelaufen, als er die Wahrheit gesagt hatte. Obwohl er hätte lügen können um sich weiterhin sein Vertrauen zu erschleichen. Wie Alisah hätte er sein können, sich entschuldigen, lächeln, abmildern. Aber er hatte es nicht getan. Und auch was Lianna betraf, lief er ins offene Messer. Direkt. Und sie sagte wirklich, dass er davor nicht davon laufen könne?
Fast hätte er den Rucksack falsch geschulter, aber bevor er zu Boden fallen konnte, hatte er ihn schon wieder aufgefangen und ihn sich dann richtig auf den Rücken gesetzt. Das nächste was sie sagte, war nicht richtig, sondern schlichtweg falsch. Sie mochte ihn ja belügen können, aber sich selbst? Nein. Und sie widersprach sich selbst, schon im nächsten Satz. Bemerkte sie das nicht? Es hatte sich einiges verändert. Es hatte sich alles verändert. Aber an der Aussage von gestern hatte sich nichts geändert. Einiges, alles, nichts. Nicht einmal ein Satz lag dazwischen. Um etwas zu tun, das wenigstens halbwegs überlegt war, löschte er das Feuer. Doch ihre Worte ließen ihn nicht los.


„Was jetzt? Alles oder Nichts?“ Hörte sie eigentlich, was sie da sagte. Er hob eine Hand, um ihr deutlich zu machen, dass er die Antwort auf diese Frage überhaupt nicht hören wollte. Sie konnte nicht mehr tun, als ihm sagen, dass sie für ihn da war? Ian schüttelte den Kopf. Warum? Und vor allem, für wie lange? Er brauchte sie ni… Sie musste nicht für ihn da sein. Bis jetzt war er gut ohne sie zurechtgekommen. Und fast hätte er sich über seine eigenen Gedanken aufgeregt. Bis jetzt. Implizierte das nicht, dass es jetzt anders war? Oh, es war zum wahnsinnig werden!
Zum Glück setzten sie sich in Bewegung.


Schlussendlich sah Ian doch zu ihr, zwang sich, Eowyn anzusehen.

„Ich möchte auch meine Vergangenheit ändern Eowyn“, war das einzige, was er auf ihre Frage erwiderte. Nicht immer konnte man sich bewusst für etwas entscheiden. Selbst wenn, nicht immer hatte man die Macht dazu, es auch zu können.

Dschungelmond von Va'art, auf Wanderschaft, mit Eowyn
 
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Dschungelmond von Va'art, am ausgehöhlten Baum, mit Ian

Er verstand sie einmal wieder nicht. Oder wollte nicht verstehen? Vielleicht beides. Es war nichts Neues, war es schon jemals anders gewesen? Es sollte sie nicht erstaunen, und noch einmal war sie froh, dass sie nun vermutlich ausgeglichener war als vor wenigen Stunden. Es war nicht seine Schuld. Er steckte so tief drinnen... Er sah andere Dinge, als sie es tat. Und das führte automatisch dazu, dass er sie falsch verstand.
Er lief vor vielem nicht davon. Da hatte er schon Recht. Das war eines der Dinge, die sie ihm hoch anrechnete. Aber es gab nun einmal noch eine letzte Sache, vor der er davonlief, und auf Dauer würde es irgendwann schmerzen, so sehr sie es verstand. Und auch auf die Gefahr hin, dass der kleine Anflug von Wut auf sie, den sie gespürt hatte, größer wurde, auch auf die Gefahr hin, dass er sie wieder missverstand, sie musste das sagen, was ihrer Ansicht nach die Wahrheit war.

Du läufst davon, sagte sie leise, sah ihm in die Augen, nickte langsam. Ja, du läufst davon, und zwar vor mir.

Aus seinem Mund hörte sich das "Alles oder nichts" tatsächlich sehr unlogisch an, aber auch hier hatte er nicht wieder richtig hingehört. Alles hatte sich verändert. Alles. Für sie, für ihn, zwischen ihnen beiden. Alles war anders. Das Wissen wog schwer, und es wäre gelogen zu sagen, dass es nicht noch immer irgendwo lauerte. Aber - nichts hatte sich geändert, seitdem sie ihm gesagt hatte, für ihn da zu sein. Nichts. Sie stand dazu, weiterhin, und wenn er sie immer weiter von sich stoßen würde, die nächsten Tage, womöglich Wochen, wenn sie noch so lange hier sein mussten - irgendwann würde es ihr das Herz brechen. Auch das wusste sie, aber sie hatte keine Wahl. Gegen das, was sie fühlte und tun wollte kam sie nicht an - vielleicht aber auch deswegen, weil sie es gar nicht anders wollte.
Er wollte sich schützen, er wollte vielleicht auch sie schützen. Vor allem sie schützen? Sie wusste es nicht, aber es war paradox, dass er sie dadurch mehr verletzte, als wenn er zulassen würde. Dummerweise verstand er es einfach nicht. Sie holte Luft, um es ihm zu erklären, aber dann schüttelte Eowyn nur enttäuscht den Kopf. Es würde nichts bringen, darauf herumzureiten, es zu erläutern. Sie würde ihn zu nichts zwingen, und wenn er sie nicht um sich haben wollte, wenn er nicht wollte, dass sie ihm half, dann würde sie ihn dazu nicht drängen. Er musste es selber erkennen.


Es war angenehm zu laufen, während es nicht regnete. Kein Vergleich zu gestern. Der Boden war zwar immer noch sehr weich, aber auch hier - kein Vergleich zu gestern. Noch immer musste sie aufpassen, da es unzählige Pfützen gab, und immer wieder Wasser von oben tropfte. Ihre Erfahrung mit dem Blatt zu Beginn ihrer Wanderung hatte sie gelehrt, nun vorsichtiger zu sein. Ian trug nun den schweren Rucksack, aber sie war erst gar nicht so dumm gewesen, darüber eine Diskussion mit ihm zu beginnen. Sie wollte sich nicht streiten, es war das Letzte, was sie wollte, denn dafür fehlten ihr trotz des Schlafes einfach die Nerven. Die Nacht hatte an ihr gezehrt, und auch wenn das Tageslicht nun etwas Erleichterung gebracht hatte, es war bei weitem nicht so viel besser, wie sie in der Nacht noch innigst gehofft hatte. Die Zeit würde es bringen, sie würde sich an alle Gedanken gewöhnen. Sie musste daran glauben und daran halten, denn dauerhaft wäre das kein Zustand.

Ians Antwort auf ihre Frage war deutlich und traf sie, auch wenn sie versuchte, das zu vermeiden, es nicht persönlich zu nehmen. Er verglich tatsächlich eine physikalische Unmöglichkeit - nämlich die Veränderung der Zeit! - damit, ihre Hilfe zuzulassen.
Sie zuzulassen. War es tatsächlich so unmöglich? Kämpfte sie so sehr auf verlorenem Posten? War es für ihn so unvorstellbar? Hatte er das Gespräch gestern Nacht nur auf heute verschoben, damit sie Ruhe gab, hatte er niemals vorgehabt, ihre Ansichten zu respektieren? Es war schwer für sie gewesen, sich zu all dem durchzuringen, es war immer noch schwer, vor allem, weil sie selbst es manchmal kaum glauben konnte, dass sie so handelte. Konnte er dann nicht einmal im Ansatz versuchen, sie zu akzeptieren, es ihr leichter zu machen? Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich darüber aufzuregen, und sie wollte ohnehin nicht streiten. Aber sie hatte auch nicht die Kraft, ihm hinterherzurennen.
Deine Vergangenheit kannst du nicht ändern. Das weißt du, das weiß ich. Aber wenn du mir so wenig glaubst, so wenig vertraust wie diese Tatsache... Ian, bitte, dann sag es mir jetzt gleich. Es ändert nichts daran, was ich möchte, also denke bloß nicht, es wäre dann einfacher für mich. Aber ich möchte vor allem über so etwas nicht mit dir diskutieren. Wenn du Zeit brauchst, und es wirklich ehrlich meinst, dann sag es. Aber wenn du wirklich nicht ertragen kannst, dass ich für dich da bin, meine Anwesenheit nicht erträgst, niemals... dann ist es so und ich werde es akzeptieren und dich so weit in Ruhe lassen wie es hier eben geht. Den Abstand wahren. Es zumindest versuchen. Es wäre einfacher, es zu wissen. Auch wenn sie zugeben musste... die Hoffnung aufgeben, dass er irgendwann einmal seine Meinung änderte, würde sie vermutlich dennoch nicht. Aber es wäre wirklich einfacher, zu wissen, woran sie war. Und sie war bereit, denn sie hatte einfach nicht die Kraft, zwischen den Seilen zu hängen.

Dschungelmond von Va'art, unterwegs, mit Ian
 
Dschungelmond von Va'art, unterwegs, mit Eowyn

Es war falsch wütend zu werden und Ian wusste es, doch unabhängig dieses Wissens, war da der Anflug von Wut. Was Eowyn sagte, hätte so etwas wie Erlösung sein könne. Bei allem, was sie hätte sagen können, war ein ‚Es hat sich nichts geändert, ich will immer noch da sein‘, das Beste und vielleicht wundervollste, das Ian sich hätte vorstellen konnte. Vorstellen. Wirklich vorstellen? Nein. Wünschen. Hoffen. Die Vorstellung allein war absurd, doch die Tatsache? War es erst recht. Ihre Worte passten nicht. Nicht, weil da nicht der Wunsch gewesen wäre, sie zu hören, sondern weil sie schlichtweg allem widersprachen, was Ian selbst fühlte. Weil sie der Logik widersprachen und mehr noch, dem gesunden Menschenverstand. Aber das war nicht das einzige, bei weitem nicht das kleinste Problem. Unterschiedlicher Meinung waren sie schon häufiger gewesen. Hier aber traf Eowyn einen Kernpunkt. Allein, dass sie ausgesprochen hatte, für ihn da sein zu wollen –nicht zu müssen- tat, so schön es auch sein sollte, sein mochte, weh. Und viel schlimmer schmerzte es, dass sie noch immer daran festhielt. Nach gestern. Nach allem. Da war niemand gewesen, der dauerhaft an ihm festgehalten hatte und er war es gewohnt gewesen. Ein einfaches Muster. Vertrauen, Verlust. Vertrauen, Betrug. Sieg, Niederlage. Da war keine Vorbereitung nötig, weil immer klar gewesen war, wie etwas endete. Aber Eowyn stellte das auf den Kopf. Natürlich, es war ein Widerspruch in sich. Aber zu glauben, dass sich nichts ändern würde, zu wissen, dass da immer nur Verlust folgen konnte, war ein Schutz. Ein enormer Schutz und Eowyn? Sie sagte es so treffend, so richtig, mit nur einem einzigen Satz. Er lief davon. Nicht vor dem, was er getan hatte, nicht vor dem, das ihn da noch erwartete, wenn er Lianna erreichte. Nein, er lief davon. Vor ihr. Und er wusste es, wusste, wie richtig sie damit lag. Dennoch, der Dunkelhaarige setzte zu einem heftigen Gegenprotest an, hielt aber inne, denn was sollte er darauf schon entgegnen?

‚Du weißt nicht, wovon du redest!‘ ‚Du hast keine Ahnung!‘ ‚Nimm dich nicht so wichtig!‘ ‚Du läufst vor dir selbst davon, also wirf mir das nicht vor?‘. Vielleicht hätte er diese Worte noch gestern gesagt. Aber jetzt? Schienen sie aus mehr, als einer Warte unmöglich. Sie hatte recht und er hasste es, genau das zugeben zu müssen. Noch mehr hasste er, dass ihm nichts einfallen wollte, dass er ihr entgegen schmettern konnte. Nur verletzende Worte, aber derer wollte Ian sich nicht bedienen. So schweig er, ballte einmal kurz die Hand zur Faust, um sie gleich danach wieder zu öffnen, um wenigstens etwas Anspannung abzubauen. Sie hatte recht und es zuzugeben oder es schweigend hinzunehmen war eine eigene, besondere Herausforderung. Hätte sie ihre Wahrheit nicht einfach für sich behalten können?


Das Laufen tat gut, aber egal wie sehr Ian dabei auf den Weg achtete, es half nicht, sein Gedankenchaos zum Schweigen zu bringen und Eowyns verfluchter Satz rumorte noch immer in ihm. Sie aber fachte das Chaos nur weiter an, direkt mit dem, was sie im Anschluss erklärte. Und einen ihrer Sätze konnte er nicht stehen lassen. „Das ist es nicht und das weißt du“, platze schlussendlich aus ihm heraus. „Du hast recht“, fügte er etwas leiser hinzu.Ich will es nichtzugeben, aber du hast recht. Ich weiß genau wovor ich weg laufe, aber“, und er wurde eindringlicher, „mit dem anderem was du sagst, liegst du falsch. Absolut falsch.“ Er seufzte, sah zu Boden. So viel Ehrlichkeit auf einmal konnte nicht gesund sein, aber er hatte vor allem gestern damit begonnen und heute damit aufzuhören schien so wenig zielführend wie sinnvoll. „Ich vertraue dir und das macht es noch schlimmer.Eine weitere Wahrheit.Weißt du… wie sich all das anfühlt? Zu glauben, jemanden gewonnen zu haben, den man nicht gewonnen haben darf? Weil man ihn nicht verdient? Weißt du wie es ist, jemand zu sein, der man nicht sein will? Ich laufe hier mit dir durch diesen Dschungel, auf diesem Mond und ich weiß, dass ich nicht derjenige sein sollte, mit dem du auch nur ein einziges Wort wechseln solltest. Und bevor du auch nur auf die Idee kommst: Es geht nicht um Selbstmitleid. Eowyn, ich habe Fehler gemacht, die ich nicht einmal allein als Fehler bezeichnen, geschweige denn sie einfach abtun kann. Und ich bin hier mit dir, verstehst du das nicht? Mit dir.“ Nicht einfach mit einer Jedi, nicht einfach mit irgendwem.

„Und was wird geschehen, wenn wir auf Lianna ankommen? Was wird mit dir geschehen, wenn ich…“ Er verzog das Gesicht, zwang sich dazu, den Satz zu Ende zu führen.
„Wenn ich sterben sollte, was wird mit dir geschehen? Wenn ich vor dir weg laufe und dich nicht noch näher an mich heran lasse, wird es mir helfen, dich gehen lassen zu können. Es ist einfacher, nach Lianna zu gehen, mit dem Wissen, dass da niemand ist. Niemand, verstehst du?“ Auch ihr würde es helfen...
Es war um einiges leichter gewesen, als sie sich noch fremd gewesen waren.

„Wahrscheinlich ist es anmaßend, nicht nur wahrscheinlich, immerhin rede ich nur von mir… und damit von jemandem, der ohnehin niemals einen Stellenwert haben sollte. Aber… wer wird, und da wurde seine Stimme ein Flüstern, „für dich da sein?“ Sie würde es missverstehen, da war Ian sich siche, denn es klang furchtbar anmaßend, so furchtbar anmaßend.

Dschungelmond von Va'art, unterwegs, mit Eowyn
 
Dschungelmond von Va'art, unterwegs, mit Ian

Er erwiderte nichts auf ihren... Vorwurf? Weil er es so lächerlich fand, dass es unnötig war? Weil er einen Streit vermeiden wollte? Weil sie sich enorm selbst überschätzt hatte? Vielleicht hatte sie ihn aber auch tatsächlich erreich, und er dachte darüber nach? Was auch immer es war, sie war froh darüber, dass er still blieb, denn dieses Thema war so sensibel, dass sie darüber eigentlich nur ungern sprechen wollte. Eigentlich konnte man über solche Dinge nicht sprechen. Sie zumindest... Es war so schon schwer genug. Aber sie bildete sich nicht ein, was da heute Nacht alles gewesen war. Sie hätte gedacht, dass die Dinge verschwimmen würden, dass sie manches nicht mehr so klar in Erinnerung haben würde, aber nein. Alles war noch kristallklar in ihrem Kopf, von ihrer ersten Panikattacke bis hin zu dem schnellen Wegdösen in den Schlaf. Alles. Was vermutlich gut so war. Denn so musste sie ihre Gedanken nicht noch einmal erneut sortieren...

Dennoch konnte Eowyn das alles nicht ruhen lassen. So lange sie nicht wusste, woran sie war... sie musste Gewissheit haben. Anders ging es nicht, wenigstens das. Sie hatte keine Ahnung, wie Ian reagieren würde. Ihr vorwerfen, dass sie übertrieb, sich lächerlich machte? Erneut alles abstreiten? Überhaupt, wieder streiten? Alles, nur nicht das. Bitte nur nicht das...
Sie war sich nicht ganz sicher, wogegen er schließlich widersprach, aber es konnte eigentlich nur eines sein. Sie war sich trotzdem nicht sicher.
Was ist es nicht, und wenn es das ist, was ich meine - nein, ich weiß es nicht, würde ich es sonst sagen? Woher soll ich wissen, ob du mir vertraust, und vor allem, ob du mir glaubst? Im nächsten Moment bereute sie ihre Worte beinahe wieder, denn das, was vorhin so wichtig gewesen war... er hatte es tatsächlich verstanden, eingesehen? Es musste verdammt schwer gewesen sein, sich selbst das alles einzugestehen, und noch viel schwerer, es nun vor ihr zu tun. Das zeigte nur, wie viel sich seit heute Nacht tatsächlich verändert hatte. Sie wusste das, sie verstand das. Und deshalb würde sie es auf sich beruhen lassen.

Beim nächsten Satz wollte sie ihre Worte von vorhin tatsächlich zurücknehmen, denn damit waren sie letztendlich unwichtig geworden. Aber weshalb machte es alles noch schlimmer? Wie konnte Vertrauen etwas schlimmer machen? Dabei brauchte sie sich das nicht fragen. Sie wusste, dass Vertrauen und Nähe manches verkomplizieren konnte. Sie wusste, dass das alles für Ian schwer war. Aber... schwer. Nicht schlimm. Oder?
Nein, sagte sie leise, nein, ich weiß es nicht. Zumindest ersteres. Weil das auch keinen Sinn ergab. Letzteres... Es war sicher nicht zu vergleichen mit dem, was Ian empfand, aber es hatte durchaus Zeiten gegeben, in denen sie sich gewünscht hätte, jemand anderes zu sein. Nicht, weil sie mit ihrer Vergangenheit nicht klarkam, sondern eher... mit ihrer Zukunft? Mit der Gegenwart? Aber wie gesagt, das war etwas anderes. Das war bei Weitem vermutlich nicht das, was Ian fühlte, sie würde sich nicht anmaßen, das zu vergleichen.
Eowyn musste schlucken, als sie Ians nächste Worte hörte. Da war keine Bitterkeit, keine Wut. Sie waren sachlich, einfach, und das war es, was sie so traf. Er war davon einfach überzeugt. Und das war falsch, so falsch...
Wie kannst du das von dir sagen? fragte sie flüsternd. Und meinst du nicht, ich sollte auch darüber entscheiden können, mit wem ich Worte wechsele und mit wem nicht? Traust du mir so wenig Urteilsvermögen zu? Es mag sein, dass du mich vor irgendetwas bewahren willst, aber ich bin für mein Leben und meine Entscheidungen selbst verantwortlich, so wie du es ebenfalls bist.
Wie kannst du sagen, mich nicht zu verdienen? Ich bin ein Mensch, eine Person, und ich treffe Entscheidungen wie jeder andere auch. Würdest du mich nicht verdienen, dann würde ich dir solche Dinge nicht sagen, verstehst du es nicht?
Sie schüttelte den Kopf. Stelle mich nicht auf ein Podest, Ian, denn das habe ich nicht verdient. Es sind beide Seiten, die dazu beitragen. Nicht nur du. Denn was ist mit mir - ich habe dir gesagt, dass ich nicht anders kann, dass ich so fühle, dass ich dich nicht gehen lassen kann. Verdiene ich es nicht auch, dass du das alles akzeptierst?

Der nächste Satz traf Eowyn so unvorbereitet, dass sie stehenbleiben musste und tief Luft holte. Wo kam das denn plötzlich her? Ihr wurde flau im Magen, und völlig geistesabwesend bemerkte sie, dass sie noch nichts gegessen hatte. Kein Wunder, dass ihr flau wurde. Musste er sie damit so aus heiterem Himmel überfallen? Ja, musste er, beantwortete sie gleich darauf selber. Natürlich musste er. Das war das, was ihn beschäftigte, und sie sollte froh sein, dass er sie damit überfiel und nicht wieder hinter dem Berg hielt. Er konnte schließlich nichts dafür, dass sie dünnhäutig wie ein... ach, sie hatte keine Ahnung! war.
Er würde nicht sterben. Sie hatte es schon einmal gesagt, sie ließ es nicht zu. Sie mochte kein Rat sein, aber Sarid war es. Padme. Satrek. Sie würde nicht zulassen, dass einer von ihnen ein Todesurteil erließ. Sie war kein Rat, aber sie war nicht ohne Einfluss. Sie ließ es nicht zu.
Auch wenn Eowyn nicht wusste, was sonst geschehen mochte. Aber sie würde nicht zulassen, dass Ian sein Leben verlor, nur weil er auf sie gestoßen war, und so würde es doch sein. Und sie würde es nicht zulassen, weil sie es nicht ertragen würde. Da hatte Ian Recht... Sie würde es nicht ertragen. Und niemand würde für sie da sein, denn da war niemand, den sie so gut kannte. Niemand würde es verstehen.
Aber es brauchte niemand da sein, denn es würde nicht geschehen. Eowyn konnte es sich nicht vorstellen. Selbst wenn sie versuchte, es rational, objektiv zu sehen. Es ergab keinen Sinn, die Jedi waren keine Mörder... Sie töteten keine Sith, die keine Sith mehr waren, nicht wegen einer Unterschrift.
Nein, die Jedi nicht, sagte die kleine, leise Stimme in ihr, aber die Republik schon. Wenn die Jedi Ian der Republik übergaben... aus dem flauen Gefühl wurde ein Gefühl der Übelkeit. Die Republik würde daraus entweder einen öffentlichen Prozess machen, um seiner Bevölkerung zu zeigen, dass sie diese Macht hatten... oder aber sie würden Ian im Dunkeln verschwinden lassen, schnell, ohne Aufmerksamkeit. Jetzt, wo der Frieden so wackelig war, da war das eine Möglichkeit, die durchaus in Frage kam. So oder so, die Republik würde für seinen Tod sorgen, und im Rechtssystem hatte sie keine Chance mehr, irgendetwas auszurichten.
Daraus folgte, dass die Jedi Ian nicht der Gerichtsbarkeit der Republik übergeben durften. Sie durften einfach nicht.
Wer gibt dir das Recht, darüber zu entscheiden, du Hüterin des Friedens, des Lichts, der Gerechtigkeit? fragte die Stimme weiter. Eowyn schloss die Augen. Du hütest das Recht, du achtest darauf, dass es nicht verletzt wird. Du hast aber nicht das Recht, über Strafe und Erlösung zu entscheiden. Das ist nicht deine Aufgabe. Du beschützt, du achtest die Regeln, du hütest. Nicht mehr.

Dann tat sie dieses Mal eben mehr. Punkt. Dann überschritt sie ihren Kompetenzbereich. Weil es wichtig war. Und weil es
richtig war. Man konnte sich nicht immer an die Regeln halten, sie schon gar nicht. Sie würde mit aller Macht verhindern, dass Ian den Einfluss der Jedi verlassen würde, mit aller Macht, die sie aufbringen konnte. Das stand fest, und das war völlig unabhängig davon, was weiterhin noch geschehen würde.
Du wirst nicht sterben, ich lasse es nicht zu, flüsterte sie schließlich und öffnete die Augen. Du wirst nicht sterben, weil die Jedi keine Scharfrichter sind, fügte sie mit aller Überzeugung die sie aufbringen konnte, an. Und sie werden sehen, was auch ich sehe. Egal, was sie sagen würde, sie wusste, es würde ihn nicht beruhigen. Diese Angst würde weiter über ihm schweben wie ein Schwert, das dann zuschlagen würde, wenn sie Lianna erreichten. Und wenn ich es warum auch immer nicht verhindern werden können sollte... Sie schüttelte den Kopf. Sie würde es nicht an sich heranlassen, nicht jetzt, es ging nicht. Für mich wäre es ohnehin vermutlich schon zu spät. Wenn es geschehen sollte... er konnte nicht wissen, dass diese Gedanken nun auch schon ein Weilchen in ihrem Kopf herumspukten. Ian, unabhängig davon, was weiter geschieht, was heute Nacht geschehen ist. Ich... würde es vermutlich ohnehin nicht ertragen, alleine das Wissen, alleine zu wissen, dass es falsch wäre. Es gibt auch Dinge, die du von mir nicht weißt, und dazu gehört, dass es Zeiten gab, in denen ich keine Jedi mehr war. Das hatte seine Gründe. Und egal, ob du mich weiter fortschiebst oder nicht, sollte so etwas geschehen... sie ließ es offen, sie konnte es nicht aussprechen, aber es war deutlich genug. Sie würde nicht wissen, ob sie nach einer solchen Tat noch immer eine Jedi sein könnte. Auch wenn sie wusste, dass sie gleichzeitig auch nicht keine Jedi sein konnte. Also brauchst du dir zumindest um mich keine Sorgen zu machen. Sie versuchte zu lächeln, ahnte aber, dass es vermutlich nicht sonderlich gut funktionierte, und setzte sich wieder in Bewegung. Bewegung half gegen die aufsteigenden Ängste, gegen die Übelkeit, gegen das Verkrampfen in ihrem Bauch. Denn für mich würde es nicht mehr viel ändern. Vielleicht doch ein bisschen. Vielleicht hatte er nicht Unrecht... Und selbst wenn doch... flüsterte sie, es ist nicht anmaßend. Kurz und intensiv, du erinnerst dich?
Für ihn. Was es für ihn bedeutete... das konnte sie nicht sagen. Und sie konnte verstehen, dass er nicht mehr konnte. Dass alles zu viel war. Dass die Angst ihn so im Griff hatte, dass sie alles andere verdrängte. Sie konnte sich vermutlich nicht einmal vorstellen, wie es ihm ging. Sie redete davon, dass er sie respektieren sollte, aber sie selber tat es mit diesem Gespräch nicht. Nicht, nachdem er nun offen mit ihr geredet hatte und sie ihn immer noch von irgendetwas zu überzeugen versuchte... sie wusste selbst noch nicht einmal genau, von was eigentlich.

Aber es ist in Ordnung, fügte sie also noch einmal leise und mit belegter Stimme an, obwohl es schmerzte, so sehr, dass es die Übelkeit beinahe verdrängte. Aber es war richtig so. Es war sein Wunsch, und den würde sie achten. Und alles auf sich beruhen lassen. Abstand. Wie sie dieses Wort mittlerweile hasste. Am Besten... lass uns diese Nacht und alles, was geschehen ist, einfach vergessen.

Dschungelmond von Va'art, unterwegs, mit Ian
 
Dschungelmond von Va'art, unterwegs, mit Eowyn

Woher sie wissen sollte, ob er ihr vertraute? Fast hätte Ian geseufzt, aber sicher war es besser, zu erklären und das, obwohl eigentlich keine Erklärung nötig sein sollte. Wahrscheinlich war er einfach zu unfähig es bisher bewiesen zu haben. „Ich dachte, ich hätte es irgendwie zeigen können,“ ließ sich zu sagen dennoch nicht vermeiden. Er hatte sich von ihr in Tiefschlaftrance setzten lassen und sie hatte seinen Widerstand sicher gespürt. Mehr noch, hatte er ihr gestern seine Vergangenheit offenbart, hatte ihr von Tahiri erzählt, wie niemand anderem und sie zweifelte an seinem Vertrauen? Ihr Satz hätte ihn beinahe ernüchtert, aber da glaubte Ian zu erkennen. Sie zweifelte nicht an ihm, sondern an sich und schon ihr nächster Satz bestätigte genau das. Ian hob Eowyn nicht auf ein Podest, aber sie untergrub sich, mehr noch, als er Ian es mit sich selbst tat. Sie war keine Mörderin, sie war kein schlechter Mensch. Warum ließ sie nicht zu, dass sie etwas war? Und es war nicht das erste Mal, dass sie erklärte, dass er sie auf ein Podest hob. Damals hatte sie sich anderer Worte bedient, aber die Aussage war exakt die Gleiche gewesen. Es war absurd, dass sie sich mit einem ähnlichem Problem herum schlugen und das keiner von beiden Einsicht zeigen würde oder konnte.
„Müsste ich dich nicht genau das gleiche fragen?“, erwiderte er leise. Es war erstaunlich, wie weit sie davon entfernt waren, sich zu streiten. Waren das nicht genau die Gespräche die sonst laut und hitzig geworden wären? Die jetzt leise wurden? Die nicht nur ins Ohr, sondern direkt ins Herz drangen? Vielleicht bildete Ian sich all das auch nur ein.
„Und es ist einfach es zu sagen. Sieh mich doch an.“ Warum hatte seine Familie ihn nie geliebt? Warum Alisah ihn betrogen? Warum hatte Torryn sich von ihm abgewandt? Die Antwort war zu offensichtlich… Und wäre Tahiri noch am Leben, auch sie hätte sich von ihm abgewandt und erkannt, dass er der letzte Mensch war, mit dem man Kontakt pflegen oder den man gar lieben sollte.

„Und ich stelle dich nicht auf ein Podest, aber vielleicht solltest auch du nicht genau das Gegenteil oder schlimmeres davon tun und vielleicht… vielleicht weiß ich nicht, was du verdienst, aber ich weiß, definitiv, was du nicht verdienst.“ Was er kaum wiederholen musste und auch nicht wiederholen würde. Sie verdiente jemand Besseren. Keinen Mörder sondern jemand der ihr wieder zeigte, wo ihre Heimat war, jemand, durch den sie ihre Heimat wieder fand. Oder jemand… in dem sie ihre Heimat wieder fand. Das, was sie verdiente, war schlicht ein Mensch, der das Gegenteil on ihm war.

Seine nächsten Worte gingen nicht spurlos an ihr vorbei und Ian brauchte nicht einmal die Macht, um das zu erkennen. Nein, sie holte Luft, deutlich sichtbar und sie hielt inne. Es war das erste Mal, dass er sehr offen ansprach, was zu erwarten er glaubte. Die Todesstrafe. Und wenn Eowyn nur einen Moment ins ich hineinhorchte, musste sie wissen, dass von allen Strafen genau diese am nächsten lag. Wegen dem Virus. Wegen dem, was er auf Telos getan hatte. Aber Eowyn wollte weiter daran festhalten, dass sie seinen Tod verhindern konnte. Aber sie war eine Jedi. Keine Richterin. Keine Vertreterin der Republik.

Nicht sie würde entscheiden und auch nicht der Rat. Ian war ein Verbrecher und es stand nicht dem Orden zu, über sein Schicksal zu entscheiden. Wenn das Virus ausbrach… wen die ersten Menschen starben, war es zu spät. Dann hatte er sich millionenfach schuldig gemacht.
„Eowyn, nicht die Jedi werden darüber entscheiden, sondern dir Republik.“ Sie konnte sich nicht gegen die Republik stellen und sie durfte sich nicht gegen die Jedi stellen. Beides war absolut undenkbar. Sie durfte es nicht, schlicht und einfach. Sie durfte es nicht. So wenig wie sie ihre nächsten Worte hätte sagen dürfen. Sie wusste doch nicht von was sie sprach, sie wusste, sie wusste doch nicht von was sie sprach!Eowyn, bitte“, versuchte er sie eindringlich zu warnen. Aber vor was? Davor, dass sie besser sofort aufhörte zu viel in ihre Verbindung zu legen? Das Band noch dichter zu knüpfen? Hatte sie nicht selbst gesagt, dass es dafür bereits schon zu spät war? Zerstörerische Worte… er brauchte doch nur zerstörerische Worte. Aber da waren keine und selbst wenn da welche gewesen wären, er hätte sie nicht sagen können.

Da waren Zeiten gewesen, in denen sie keine Jedi gewesen war? Wirklich schockieren konnte Ian das nicht, er konnte sich lebhaft vorstellen, wie Eowyn in mehr als nur eine Sinnkrise geraten war. Spätestens nach der Zerstörung von Coruscant. Eine Krise, aus der sie sich wahrscheinlich alleine gekämpft hatte. Ihre nächsten Worte hingegen, wenn auch unvollendet, schockierten Ian sehr wohl. Und diesmal war er derjenige, der innehielt, als Eowyn sich schon wieder in Bewegung gesetzt hatte. Wie schon einmal, hielt er sie auf, hielt sie fest, mit dem Unterschied, dass er sie dieses Mal nicht gleich wieder los ließ.
Beide Hände legte er auf ihre Schultern, suchte ihren Blick und sie musste ihm zuhören, musste ihn dabei ansehen.
„Eowyn bitte, ich flehe dich an,... versprich mir“ und sie musste erkennen, wie ernst ihm bei der Sache war, „versprich mir, dass du niemals, niemals wieder den Jedi den Rücken kehrst. Coruscant war einst deine Heimat. Die Jedi waren deine Heimat. Bitte, das musst du mir versprechen.“ Wenn er starb und sie ging, wer würde dann Acht auf sie geben? Wer würde dann noch da sein? Sie vertraute dem Rat, es waren ihre eigenen Worte gewesen und der Rat konnte kaum zulassen, dass sie wieder etwas verlor. Dass sie sich selbst verlor.

Sich keine Sorgen um sie machen? Er schüttelte den Kopf, noch immer unfähig, seine Hände von ihren Schultern zu nehmen. Es war unmöglich sich keine Sorgen um sie zu machen
. „Kurz und intensiv ist grausam, dass weißt du. Coruscant.“ Warum konnte sie nicht damit aufhören? Warum konnte sie nicht aufhören? Und sie machte es noch schlimmer. Ian ließ die Arme sinken, schüttelte hilflos den Kopf.
„Was soll ich vergessen Eowyn?“ Sein Blick wurde intensiver und auch wenn seine Stimme ein einziges Flüstern war, war sie eindringlicher, wie sie nicht hätte sein können. „Meine Vergangenheit? Die Morde? Das Virus? Die Tatsache, dass du mir etwas bedeutest? Was soll ich vergessen, was? Das mich der Gedanke, was mit dir nach Lianna passiert wahnsinnig macht? Ich kann nicht. Und du weißt so gut wie ich, dass ich nicht davor davon laufen kann. Eben… eben hast du es selbst gesagt, also tu du es auch nicht, tu du es bitte auch nicht.“



Dschungelmond von Va'art, unterwegs, mit Eowyn
 
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