EINE WOCHE WAR seit Ries vergangen und die Wunden, die das Blutkonstrukt geschlagen hatten, waren verheilt. Zusammen mit der Eselin Wanda standen Thuêban und Guikut auf einem alten, heruntergewirtschafteten Hof, eine Wegstunde von der nächsten großen Siedlung entfernt. Benachbarte Bauern hatten die beiden Hexenjäger erkannt, als sie vorbeigezogen waren, und sie hatten das ungleiche Paar gebeten, bei der alten Perol vorbei zu schauen. Auf ihrem Grund, so sagten sie, ging es nicht mit rechten Dingen zu.
So standen sie nun vor der kleinen, dicklichen Frau, die krumm vor ihnen aus einem faltigen Gesicht blinzelte, die abgewetzten Holzschuhe voller Staub der von der Sommersonne erhitzten Straße. Zahnlos kaute sie einige Worte, während Thuêban und Guikut prüfend umherblickten. Ein übler Gestank lag in der Luft, wie wenn in der Nähe etwas großes gestorben war.
Doch so schlimm heruntergewirtschaftet sah das alte Bauernhaus auch nicht aus. Die kleine Scheune, in die nicht einmal zwei Ochsenkarren passen würden, hatte Löcher im Dach, ja. Aber es liefen einige Hühner herum und von irgendwoher hörten die Hexenjäger sogar eine meckernde Ziege.
"Des ist ganz schlimm," jammerte die alte Perol. "Weil seit einigen Wochen ist schon dieser Geruch da... ich weiß nicht, ob Sie den jetzt riech'n können... und des ist wirklich schlimm und ich weiß nicht, woher der kommt. Wenn's nur der Geruch wär', dann würd' ich sagen, da ist halt irgendwo eine Katz' oder so..."
Sie verzog das Gesicht gequält und Thuêban schüttelte leicht ihren Kopf. Nein, der Geruch war um einiges schlimmer. Eine tote Katze konnte das nicht bewerkstelligen.
"...das halt ein Miezerl irgendwo g'storb'n ist und jetzt langsam vor sich hin..." Sie stockte. "...in der Sonne, wissen's. Aber ich seh' auch Nachts... wenn ich raus geh und noch Arbeiten erledigen muss... dann seh' ich manchmal bei der alten Scheune..." Sie deutete mit einem dicken, von Gicht geplagten Finger auf das nahe Gebäude. "...da seh' ich immer Schatten. Wissen's, das macht mir schon..." Die alte Perol unterbrach sich selbst. "Ich bin alt. Ich hab nicht so viel, wo ich mich da drauf verlassen kann, dass mich irgendjemand beschützt, wenn Nachts was passiert. Und man hört ja immer wieder was von Orks oder auch von... ja, selbst ein Goblin könnte mir ziemlich gefährlich werden, wemma... und die Ausländer...!"
Thuêban und Guikut tauschten verstohlene, vielsagende Blicke aus. Wen von den beiden meinte die Alte nun? Oder meinte sie etwas völlig anderes? Aber die alte Perol bemerkte davon gar nichts und sprach einfach weiter.
"Ja, wissen's, wenn's nur der Schatten wäre, dann könnt' ich mich halt Nachts einsperren und könnt' zum Paragon beten, dass Er mich beschützt und alle Engel über mich wachen. Aber gestern aufd Nacht da hat's halt den Bellbert erwischt..."
Guikut bog seinen Stiel zur Seite, legte seinen Pilzhut schief.
"Ja, ich hab ihn jetzt..." Die Alte Perol sah sie mit zitternden Augen an. "Ich hab ihn jetzt beerdigt, hinten im Gemüsebeet. Aber des... wissen's? Der war die letzten..." Ihre Stimme brach. "...die letzten elf Jahr' war der mein einziger Freund." Tränen sammelten sich in den Falten ihres Gesichtes. "Der hat immer zu mir g'halten. Und der Bellbert, wissen's wie ich den heut' Morgen g'funden hab? Des war richtig..." Die Alte schluchzte. "Des war ned schön."
Sprach sie von einem Hund? Mitfühlend verströmte Guikut einige Sporen, die die alte Perol etwas beruhigten. Sie griff nach ihrer Schürze, die über dem mehrlagigen Rock hing und schnäuzte sich lautstark hinein.
"Ich hab' schon viel von Ihnen g'hört, aber..." Sie schniefte. "Ich hab nicht viel, aber Sie können's gern ham, wenn's einfach schau'n, was da los ist. Und Paragon bewahre, wenn's an Bellbert ausgrab'n müssen, um da zu schau'n, dann mach'n's des. Aber ich trau' mich nimma in den Schuppen nei und ich trau mich auch irgendwie nimma aus'm Haus 'naus."
Thuêban nickte. "Es tut mir leid. Aber ich denke, wir müssen uns wirklich den Bellbert erst einmal anschauen."
"Ja... dann kommen's mit."
Guikut zögerte, sah nachdenklich Thuêban an.
...Schuppen anschauen...?
"Ist halt Tag." Die Hexenjägerin zuckte mit ihren Schultern. "Aber Du kannst ihn Dir gerne anschauen, während ich mit Frau Perol..."
"Mei wissen's, wenn's wirklich mit dem Schatten zu tun hat," unterbrach die alte Perol Thuêban. "Der kommt wirklich nur Nachts naus und jetzt ist ja noch am hellichten Tag, da hab' ich noch nirgendwas g'sehn, außer an Fuchs, der Hühner stehlt. Aber des ist ja normal. Wissen's, der Bellbert hat den Fuchs immer vertrieben..."
Nun waren sich die beiden wirklich sicher, dass es sich bei Bellbart um den Hund der alten Perol gehandelt hatte.
Kurz sah Frau Perol zur Mittagssonne empor, murmelte einige Worte. Dann: "Kommen's einfach mit."
Sie führte die beiden hinter das kleine Bauernhaus, wo ein schöner Garten am Rande des nahen Waldes lag. Ein kleiner Hocker stand dort zwischen den Beeten, auf ihm lag eine kleine, sichtbar oft benutzte Pfeife. Nur einen Meter neben dem Hocker war ein frisch aufgeworfener Erdhaufen.
Guikut erzeugte eine kleine Sporenwolke, die nur ihn und Thuêban umhüllte.
...besorgen wir alter Frau neuen Hund...? kann Hund Kläffbert nennen...
"Bei den Nachbarn kann man ja nach dem Auftrag mal fragen," flüsterte Thuêban dem Mycnoiden zu. Dann lauter zur alten Perol: "Habt Ihr eine Schaufel?"
"Brauchen's eine?"
"Das wäre besser."
"Ich hol' Ihnen a Schaufel, warten's."
Die Alte ging kurz mit kleinen, watschelnden Schritten zur Hintertüre, verschwand im Inneren und kam nur wenige Augenblicke später mit dem erfragten Werkzeug zurück in den Garten. Trockene Erde klebte noch am Schaufelblatt.
Die Mittagssonne stand hoch und schien warm aufs Land, als Thuêban mit dem Graben begann. Schnell war sie bis zu einer alten Decke vorgedrungen, griff ins flache Grab und schlug den rauen Stoff zur Seite. Darunter lag ein großer Mischlingshund... oder besser, was davon übrig war. Von der Schulter bis zum Bauchraum war das Fleisch aufgerissen worden, Knochen zerfetzt oder abgenagt. Die Organe im weit offenliegenden Bauchraum fehlten gänzlich.
Die alte Perol fing erneut an zu weinen und Thuêban sah leicht genervt gen Himmel. Warum hatte die Alte unbedingt neben ihnen stehen müssen, während sie den Kadaver untersuchten?
Guikut beugte sich mit seinem langen, dürren Körper nach vorne und ließ Sporen ins Grab rieseln. Sie begannen leicht zu glühen.
...magische Rückstände... langsam schwindend... aber verdreht... dunkel...
Dann blickte der Pilzmann genauer auf die Spuren des Angriffes, der Bellbert das Leben gekostet hatte. Kein Wolf oder Düsterwolf hatte diese Wunden gerissen. Die meisten Risse und Schnitte sahen eher nach klauenartigen Fingernägeln aus, als nach Krallen. Aber wer konnte solche Rillen in Haut und Fleisch hinterlassen? Ein Ork?
Aber nein, die Bissspuren an den Knochen stimmten nicht mit denen des alten Volkes überein, das immer wieder kleine Streifzüge in die zivilisierten Landstriche machte. Nein, es waren die Abdrücke eines Schrates, erkannte Guikut schlagartig. Aber lag auf dem Schrat ein dunkler Spruch, der auf sein Opfer abgefärbt hatte? Oder hatte der Schrat selbst dunkle Mächte genutzt?
Angespannt sah der Mycnoid für lange Zeit ins Leere, dann nickte er Thuêban ernst zu. Die blickte zu Frau Perol, die nun leicht wippend und vor sich hinmurmelnd auf ihrem Gartenhocker saß, die kalte Pfeife in ihrem Schoß.
"Wir können den guten Bellbert jetzt wieder zudecken. Danach würden wir uns die Scheune anschauen..."
Die alte Frau erhob sich seufzend. "Des kömma gern mach'n. Aber bitte helfen's ma im Namen vom Paragon und vom St. Piad und allen anderen guten Göttern."
Sie gruben den Hund wieder ein, dann sprach Frau Perol noch ein leises, unverständliches Gebet. Schließlich blickte sie die beiden Hexenjäger mit Hoffnung in den entzündeten Augen an, ging dann wortlos zur Hintertüre ihres Hauses und schloss hinter sich ab.
Guikut drehte sich zu Thuêban und Sporen schwebten durch die warme Sommerluft.
...Schrat... aber verfluchter Schrat... verzauberter Schrat... Schrat mit Problemen...
Thuêban runzelte ihre Stirn. Schrate waren entfernt mit Orks verwandt, das wusste sie. Sie waren bulliger als der alte Feind der Zivilisation, in ihrer Zahl geringer. Die wenigen Stämme, die sich in Tarleen aufhielten, waren im wilden Grenzland beheimatet, mehr in Farthing und im Hohen Norden. Aber selbst da waren sie dank ihrer eher kleinen Stammesstrukturen in der Unterzahl und in den letzten Jahrhunderten vergleichsweise friedlich.
"Ein Schrat? In dieser Gegend?" Sie überlegte. "Seltsam... schauen wir uns die Scheune an."
Zusammen schritten sie ums Haus und erkannten, dass Wanda nicht mehr in der Mitte des Hofes stand. Die Eselin hatte sich zur Hausvorderseite zurückgezogen und stand dort, geschützt von einem kleinen Zaun und einigen Büschen. Sie hielt die Scheune im Auge, drehte ihre langen Ohren immer wieder in deren Richtung. Besorgt ging Guikut zu ihr und pflückte am Wegesrand einige Brennnesseln, hielt sie der nervösen Eselin unter die Schnauze. Zögerlich fraß Wanda, die meiste Aufmerksamkeit aber wurde immer noch der Scheune geschenkt, die auf der anderen Seite des Hofes stand.
Thuêban stand vor dem baufälligen Gebäude, in einer Hand immer noch die Schaufel der alten Perol, die andere in der Nähe ihrer Axt Banirr, die griffbereit an ihrem Gürtel hing. Als Guikut zu ihr aufschloss, immer noch einen Brennnesselstängel in der dürren Hand, wagten sie sich näher an das doppelflügelige Scheunentor heran. Es quietschte, als die Hexenjägerin es aufzog.
Ein Schwarm von Fliegen und ein Sinne betäubender Gestank empfing sie. Das Mittagslicht fiel durch große Löcher im Dach und Ritzen, die zwischen den Brettern der Wand entstanden waren, und im ersten Moment erkannten sie nur Gerümpel, das hier abgestellt worden war: Ersatzräder für einen großen Karren, von dem jede Spur fehlte. Altes Zaumzeug. Ein zweiter Boden, der drei Meter über ihnen auf der rechten Seite der Scheune gezogen worden war und auf dem Stroh lag, in dem einige Federn steckten. In der linken, hinteren Ecke ein großer Haufen gammeliges Heu, aus dem immer und immer mehr Fliegen stoben und sich weiter dröhnend verteilten.
Angeekelt zog Thuêban ihren Kragen vors Gesicht, atmete nur noch flach und schlug mit ihrem Ärmel Fliegen von Augen Stirn. Guikut, nicht im geringsten durch den Zustand der Scheune beeinträchtigt, griff mit langen Fingern zur verrosteten Heugabel, die neben dem Tor an die Wand gelehnt worden war, ging damit dann zum modrigen Haufen. Er deutete auf eine Stelle, die nicht ganz so nass und matschig wie der Rest wirkte. Jemand oder etwas hatte hier vor nicht allzu langer Zeit gegraben.
...such in anderer Ecke... diese Pilzsporen sind nicht gut für Dich...
Thuêban nickte ihrem Gefährten dankbar zu, ging dann zu den Ersatzrädern und rollte sie mit leichten Schaufelbewegungen zur Seite. Mäusekadaver lagen dort, zur Hälfte verspeist und beinahe bis zum Knochen herunter genagt. Rattenkadaver. Taubenkadaver. Kadaver von ein oder zwei Katzen. Sie sah alarmiert zu Guikut zurück, der damit begonnen hatte, das schlickige Heu mit dem ächzenden Werkzeug abzutragen.
Maden fielen ihm vor die weißen Pilzfüße und immer mehr und mehr Fliegen versuchten, dem Umbruch ihrer Heimat zu entkommen. Dann kamen die ersten dunklen Klumpen ans Tageslicht. Wenn es Fleisch war, erkannte man es nicht mehr wirklich. Es hatte eine Art von Venen und Adern, roch intensiver als faulige Erde. Dickere Maden bohrten sich aus seinem Inneren hervor.
Schließlich kam der mit Holzplanken ausgelegte Scheunenboden zum Vorschein und unter der nun abgetragenen Stelle im Heuhaufen wurde ein Loch sichtbar. Eine der Bretter war weggebrochen worden und nur Schatten sah Guikut gerade dort unten. Die zwei anschließenden Planken schienen bereits mehrfach weggebogen worden zu sein und würde man sich diese Arbeit machen, würde sich ein durchaus von einem Schrat begehbarer Eingang auftun.
...Loch im Boden...
Thuêban eilte an Guikuts Seite und half dem Mycnoiden dann beim Weghebeln der beiden Bretter. Kaum waren sie fertig, als ein gurgelndes Fauchen aus der Tiefe erklang. Instinktiv machte Thuêban einen Schritt zurück.
Guikut aber rückte näher an das Loch heran und seine Lamellen fingen an zu leuchten, wurden heller und warfen ihr seltsam blasses Licht gegen die Schatten. Und in diesen Schatten blitzten milchige Augen auf. Dort unten lauerte ein Schrat, Lippen und Zahnfleisch blass und zurückgezogen, die Nase flach und fast vollends weg gefault. Das Fell war an vielen Stellen abgeschabt, wirkte ansonsten feucht und verklebt. Das goblinoide Wesen wirkte genauso ungesund wie die Fleischklumpen, die im Heu gelegen hatten. Mit einem Zischen zog es sich zurück in die Dunkelheit.
Tiefer beugte sich Guikut hinab, ließ einlullende Sporen in die Schwärze schweben. Einige unglaublich lange Augenblicke passierte nichts, während der Mycnoid über dem Tunneleingang hing. Plötzlich schoss ein halb verwester Arm hervor, griff den Hexenjäger mit verkrusteten Krallen und zog ihn mit einem Ruck unter den Boden. Nur eine kleine Sporenwolke blieb, die von der Angst und dem Entsetzen Guikuts Kunde tat.
"Djar'hi..."
Thuêban ließ die Schaufel fallen, zog Arra und Banirr und sprang in den engen Tunnel hinein und ihrem Gefährten nach. Mit ihren schweren Stiefeln traf sie den Schädel des Schrats, der gerade versuchte, den um sich schlagenden Guikut zu umklammern. Nur zwi Meter ging der Gang nach unten, dann machte er einen Knick und führte beinahe horizontal weiter ins Erdreich. Hier war der Gestank noch schlimmer.
Als Sohle modrige Haut und Schädel traf, gab das alte Gewebe nach und morscher Knochen brach weg. Thuêban rutschte auf der glitschigen Masse zur Seite und fiel neben dem Schrat auf den Tunnelboden, während der Schrat seinen nun halb weggebrochenen Kopf gar nicht wirklich wahrzunehmen schien.
Kurz wurde das Leuchten von Guikuts Lamellen schwächer, als sich ein kräftiger Stoß aufbaute, dann wurde der Schrat gegen die unregelmäßige Tunnelwand geschleudert, als sich die Druckwelle des Mycnoiden gegen den Angreifer entlud. Mit einem glitschenden Geräusch brach die Schulter des Schrates in den Brustkorb ein, Haut und stinkende Muskeln folgten ohne Widerstand.
Thuêban versuchte sich aufzurappeln, während der Schrat ein langes, gurgelndes Geräusch von sich gab und sich ihr zuwandte. Er hatte keinen Bauch und einen großteils leeren Brustkorb, die Knochen der Beine waren beinahe blank. Es gab keinen Zweifel, dass der Goblionoid, aus dessen Mund faules Fleisch flockte und kleine, beinahe transparente Spinnen krabbelten, untot war.
Nur so groß wie ein Daumennagel waren die seltsamen Krabbler, die sich über Gesicht und Nackenfell in Richtung Rücken retten wollten, weg vom Glimmen der Pilzlamellen und weg von den Blicken der beiden Hexenjäger.
...Spinnen... magisch...
Arra behielt sie in der Hand, während Thuêban Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand abspreizte und einen feinen Säurestrahl aus den Fingerspitzen beschwor. Die kochende Flüssigkeit spritzte zischend gegen die Tunnelwand, als sich der untoten Schrat unter dem Angriff hinweg duckte. Lediglich zwei Spinnen, die mittlerweile auf der Wand saßen, wurden durch die Säure zerfressen.
Gebückt sprang der Schrat nun nach vorne und rammte Thuêban, drückte sie gegen das bröselnde Erdreich, kratzte und schlug, versuchte die Hexenjägerin mit seinem stinkenden Maul zu beißen. Ihre Rüstung hielt den Klauen und Hieben stand, dennoch verzog Thuêban schmerzerfüllt das Gesicht.
...Spinnen... Feuer...
Mit einem langen Schritt näherte sich Guikut dem Untoten, erzeugte mit purer Willenskraft feine Pilzfäden in seiner Handfläche und griff dann in Richtung des Schrates. Der Mycnoid wusste, dass die heilenden Kräfte mitunter zerstörerische Wirkung auf untotes Fleisch hatten, doch ließ sich der Schrat zur Seite fallen, zog die überraschte Thuêban mit zu Boden. Guikuts Berührung verfehlte ihn nur um Haaresbreite.
Die liegende und sich windende Hexenjägerin stieß den Schrat von sich weg, holte mit Arra aus und versenkte das Axtblatt tief im Schädel ihres Widersachers. Der gurgelte und schlug weiter um sich, traf sie mit morschen Armknochen an der Stirn und leicht betäubt durch den Stoß versuchte sich Thuêban aufzurichten. Doch der Schrat hielt sie neben sich am Boden, festigte seinen Griff wie einen Schraubstock.
Eine neue Sporenwolke legte sich auf alles und mit einem kurzen Zucken ließ der Schrat locker. Die Lamellen Guikuts verdunkelten sich langsam, konnte der Mycnoid doch nicht all zu viele seiner Kräfte gleichzeitig einsetzen und im schwachen Licht, das von der Scheune in den Tunnel fiel, blieb der Schrat auf seinem Rücken liegen. Nur die milchigen Augen bewegten sich suchend.
Thuêban drehte sich zum Untoten und griff mit einer Hand auf das geschundene, eingefallene Gesicht. Säure fraß sich durch den Schädel, scharf riechend und erzürnt brodelnd. Beißender Rauch kräuselte sich in die Scheune empor und nun sahen die beiden Hexenjäger, dass sich mehr und mehr Spinnen, die noch im Körper des Schrates Schutz gesucht hatten, im Zauber Thuêbans auflösten.
Ein seltsames Geräusch wehte durch den Tunnel, wie ein Quieken ohne Stimme. Einen Herzschlag später antwortete ein klägliches Hauchen aus der Finsternis. Die restlichen Spinnen flohen in den dunklen Tunnel hinein, dem körperlosen Geräusch entgegen.
"Raus..." Thuêban sprang auf ihre Beine.
Guikut trat den Schrat, doch kam keine Reaktion vom nun gänzlich toten Körper und kurz funkelte der Mycnoid ihn vorwurfsvoll an.
...bleib tot...
Zusammen flohen sie aus dem dunklen Tunnel und in die mit Fliegen verseuchte Scheune, Thuêban immer noch leicht angeschlagen und Guikut mit den langen Pilzarmen nach dem Rand des Loches tastend. Kurz atmeten sie erschöpft durch.
"Wir brauchen frisches Öl." Sie schützte erneut Mund und Nase mit ihrem Kragen und die Worte kamen nur gedämpft hervor, doch fehlte ihnen nicht an Dringlichkeit. "Alles, was Frau Perol hat! Ich kümmere mich um das Stroh. Entweder das Feuer erledigt das Biest oder wir müssen nachher noch einmal rein..."
Ohne zu zögern lief Guikut los, auf den Hof und zum alten Bauernhaus. Er sah, dass sich Wanda noch weiter von der Scheune entfernt hatte und nun schon halb im nahen Wald stand, immer noch ängstlich in ihre Richtung schauend. Guikut war stolz auf die kluge Eselin.
Auch sah er, dass die alte Perol ihn zwischen den Gardinen hervor beobachtete und kurz winkte er ihr zu. Das Gesicht der Alten verschwand, dann wurde die Vordertüre aufgesperrt und Frau Perol trat ihm gebückt entgegen.
"Mei, wo is'n die nette Frau von eben? Geht's ihr gut?"
...brauchen Öl... müssen Scheune abbrennen...
"Abbrennen?" Die alte Perol sah Guikut alarmiert an. "Ich weiß ja nicht. Na, abbrennen, des ist nicht so gut."
Trotz ihres Einspruches humpelte sie in die Stube zurück und griff ein kleines Fässchen vom halb gefüllten Vorratsregal. Zwei Liter Lampenöl waren es ungefähr, die die Alte Guikut in die dünnen Arme drückte. Der Mycnoid rannte los, bemerkte aber nach einigen langen Schritten, dass Frau Perol ihm besorgt folgte.
...keine gute Idee... gefährlich...
Vor Aufregung zitternd blieb die Alte stehen und sah Guikut hinterher. "Mei, versuchen'ses bitte ohne Abbrennen."
…
wir versuchen...
Als Guikut zurück in die Scheune stürmte, war Thuêban gerade dabei, das Stroh vom zweiten Boden mit der alten Heugabel in den Tunnel zu werfen. Ohne einen weiteren Herzschlag zu verschwenden, entkorkte Guikut das Ölfässchen und goss die glucksende Flüssigkeit hinab in die Dunkelheit. Dort saßen mehrere kleine Spinnen am Rand der Schatten, die vom Tageslicht geworfen wurden, und mit erhobenen Vorderbeinen drohten sie den Hexenjägern. Doch kletterten sie nicht näher auf sie zu und kurz blickte Guikut zum beschädigten Dach der Scheune. Trauten sich die Spinnen nicht ins Tageslicht? Konnte es ihnen sogar schaden?
Thuêban hatten aber schon ihren Feuerstein und den Feuerschläger herausgezogen, kniete über einem Fetzen Zunder und entfachte mit einigen schnell geschlagenen Funken eine kleine Flamme. Das nun brennende Stroh warf sie in das Loch und sofort schossen ihnen Feuerzungen entgegen, begleitet vom hellen Fiepen der verbrennenden Spinnen. Beide machten einen Schritt zurück.
Kurz meinten sie, ein leises, zischendes Flehen zu hören, während das Feuer stärker und stärker wurde, glimmende Strohteile im warmen Aufwind nach oben tanzten.
"Lasst Zarnay nicht verbrennen..." hauchte es. "Nicht Zarnay." Leise und wie vom Wind geflüstert. "Nicht Zarnay."
Höher schlugen die Flammen und leckten schon am undichten Dach, als Guikut die Schaufel griff und den Tunnel mit modrigem Heu zu verschließen begann. Sogleich half ihm Thuêban mit der alten Heugabel und nach wenigen Augenblicken war der Eingang zum Tunnel beinahe vollends verstopft. Sollten das Feuer und der Rauch dort unten ihre Arbeit vollenden...
Lange wachten sie neben dem dampfenden Heu, das von der Hitze des Feuers noch mehr stank, als sie für möglich gehalten hatten. Als der Abend kam, blieb Guikut in der Scheune, während Thuêban im Schaukelstuhl der alten Perol vor dem Kamin die Nacht verbringen durfte.
***
Am nächsten Morgen schaufelten sie das mordige, immer noch feuchte Heu erneut vom Loch. Es roch von unten stark nach Rauch und die Tunnelwände waren verrußt und von kleinen Rissen durchzogen.
Vorsichtig stiegen sie unter die Erde und wieder leuchteten Guikuts Lamellen hell auf. Im Schein seines Pilzschirmes sahen sie die Überreste des Strohs und den verkohlten Leichnam des Schrates. Er lag noch dort, wo ihn Guikut am Vortag mit seinen Sporen erstarren hatte lassen, sein Schädel nur noch eine leere, von der Säure ausgefressene Schale.
Leise, Schritt für Schritt, folgten sie dem engen Tunnel um eine Kurve und standen nach etwa zehn Metern schon am Ende des Ganges. Dort ragte ein seltsamer Schrein aus dem Boden, aus Fleisch und Knochen geformt, das taschenähnliche Innere wie ein aufgerissener Kokon heraus gestülpt und mit kleinen, toten Spinnen gefüllt. Auf dem Schrein lag eine nackte, verdrehte Frau, glatzköpfig und an ihrer rechten Seite ohne Arm und Bein. Stattdessen ragten dort vier Spinnengliedmaßen aus dem sonst recht schönen Körper, hart und schwarz, mit borstigen Haaren versehen, verkrampft im qualvollen Tod.
Mit Arra stupste Thuêban das verendete Monster an. Kein Zucken. Kein Atemzug. Das Feuer hatte vor vielen Stunden die letzte Luft im Tunnel gefressen und die Kreatur war über ihrer Brut zusammengebrochen, zu schwach, um Zauber zu weben oder zu kämpfen.
...haben Spinnenhexe umgebracht...
"Eine Überlebende aus dem Krieg." Thuêban nickte.
Zusammen holten sie einige große Decken und wickelten darin die tote Hexe, den Schrat und den Fleischschrein ein, schleppten sie auf einen nahen Acker und verbrannten die unheiligen Überreste unter dem wachsamen Blick der Sommersonne. Nichts davon wollten sie der alten Perol zeigen, hatte die Frau doch genug Schrecken erlebt und Angst erlitten.
Nur von ihrem Sieg wollten sie der Alten berichten und sich dann auf die Suche nach einem geeigneten Ersatz für Bellbert machen...
***
Mit Wanda standen sie vor dem Haus der Gerychs. Tomal Gerych hielt ihnen einen jungen Welpen entgegen, der mit großen Augen und wedelndem Schwanz den Handel über sich ergehen ließ. Kläffbert sollte ein guter Ersatz für den toten Hund der alten Perol werden.
Thuêban drückte Herrn Gerych einige Münzen in die Hand, während unweit des Hofes einige dünne Finger die zur Seite geschobenen Zweige und Blätter zurück an ihren Platz gleiten ließen. Sie hatte genug gesehen. Hatte sich zum Glück beherrschen können. Gewartet. Sie würde planen. Warten. Vorbereiten.
Ihre Zeit würde kommen.