[Äußerer Rand | Braxant-Sektor | Sartinaynian-System | Bastion || Bastion Center | Stadtzentrum | Admiralität || Trakt der Personalplanung | Herren-WC | Lieutenant Noak Fremyn]
Ganz langsam zog der junge Mann den Kamm durch sein pechschwarzes Haar. Die leicht glänzende Pomade, die er zuvor ganz sorgsam auf das mit feinen „Zähnen“ versehene Werkzeug geschmiert hatte, sorgte dafür, dass seine natürliche Lockenpracht – ganz im Stil der cygnischen Jugend – im Zaum gehalten wurde. Während er wieder und wieder mit langsamen Bewegungen durch sein Haar strich, betrachtete er sich aufmerksam in dem an der Wand angebrachten Spiegel. Die Bräune, die er bei seinem mehrwöchigen Besuch auf Argai abbekommen hatte, war längst verschwunden; ersetzt durch die gewöhnliche bakuranische Blässe, die er seit seiner Geburt besaß. Ebenso waren nach der langen Zeit die recht dunklen Ringe unter seinen dunkelbraunen Augen verschwunden, die er noch beim Verlassen von Sah Gosta – genau wie die Ankunft zuvor eine reine Nacht- und Nebelaktion – gehabt hatte. Eine beiläufige Handbewegung ließ plötzlich eiskaltes Wasser aus dem Hahn sprudeln und während er seinen Kamm von der klebrigen, leicht duftenden Substanz befreite, gingen seine Gedanken auf Wanderschaft.
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Sobald der lokale Stern hinterm Horizont hinter dem zerklüfteten Horizont verschwunden war, der rote Himmel sich allmählich schwarz gefärbt hatte und eine Vielzahl an kleiner, weißer Punkte am scheinbar endlosen Firmament funkelten, herrschte mit einem Mal ein eisiger Wind über die karge Landschaft. Keine Spur mehr von der trockenen, glühenden Hitze, die bloß Stunden zuvor noch Sah Gosta – gleich einem Backofen – fest im Griff hatte. Der junge, drahtige Bakuraner, der im Verlauf der letzten Standardwochen ziemlich braun geworden war und sich – hauptsächlich Dank seiner Begleiter – zunehmend wie ein Einheimischer verhielt, ließ ein letztes Mal seinen Blick auf den jüngsten Unterschlupf der Imperialen fallen. Nachdem aus heiterem Himmel der Deal mit Lifera (Etara) sowie deren Handlanger geplatzt war, hatte Brennan Diar’mon sofort entschieden nicht nur die bisherige Unterkunft zu verlassen, sondern bis zum Entsatz durch den Imperialen Geheimdienst in mehr oder weniger unregelmäßigen Abständen durch die Stadt zu ziehen.
So war Noak Fremyn, bakuranischer Jungspund, Lieutenant der Imperialen Flotte und offiziell als „Capitaine de Corvette Rowan Karsteen“ ein Mitglied der cygnischen Delegation, am Ende seines Argai-Aufenthalts in einem äußerst billigen Stundenhotel gelandet. Obwohl sich Diar’mons Gruppe und er nur ein paar Tage an den ranzigen Zimmern aufgehalten hatten und der Offizier durch seine Zeit an der Sektorakademie zu Bakura allerhand gewöhnt war, hatte er schon jetzt den Entschluss gefasst, dass er diesen Ort keine einzige Sekunde seines weiteren Lebens vermissen würde. Argai im Ganzen hatte – zumindest seit seiner Gefangennahme durch die ehrlosen Kriminellen sowie den verhunzten Einbruch in die Forschungseinrichtung – seinen Reiz verloren. Mit jedem weiteren Tag, den er hier hatte verbringen müssen, hatte er sich mehr und mehr nach der „Alièstra“, Cygnus und seiner Heimat, Bakura, gesehnt.
Durchdringende, rubinrote Augen, eine dunkelblaue, samtweiche Haut, volle Lippen – Für einen kurzen Moment hatte der junge Bakuraner auf einmal Lifera vor Augen wie sie sich beim Einbruch in die argai’sche Forschungseinrichtung gemeinsam unter den Schreibtisch geflüchtet hatten und sich dabei näher gekommen waren. Ihr betörender Duft sowie ihre säuselnde Stimme waren noch immer lebhaft in seiner Erinnerung; genauso wie die Schmerzen, die sie ihm beim Verhör in dem zerfallenen Bürogebäude zugefügt hatte. Während ihm unwillkürlich die Röte ins Gesicht schoss, rieb er sich beiläufig den Hals, wo eine verblassende Brandnarbe zu sehen war. Nein, Argai würde er in der Tat nicht vermissen. Und so atmete er erleichtert auf als ein unscheinbarer Schwebegleiter auf dem Parkplatz vor dem Hotel hielt, dessen Fahrer kurz darauf das vereinbarte Lichtzeichen gab und Brennan Diar’mon die Gruppe zum sofortigen Aufbruch antrieb.
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Nachdem der Lieutenant sein Gesicht noch einmal kurz mit etwas kaltem Wasser abgespritzt und es danach abgetrocknet hatte, kehrte er in das gut gefüllte Wartezimmer zurück. Als er dafür am Tresen der Rezeption vorbei ging, lächelte ihn der diensthabende Sekretär, ein einfacher Mannschaftler, freundlich an, obwohl die Wartezeit – entgegen der zu Beginn treuherzig gesäuselten Behauptung, ein Bearbeiter sei „gleich“ verfügbar – inzwischen schon drei Standardstunden betrug. Derweil er beim Hinsetzen geübt einen Glimmstängel aus deren Papierverpackung fischte, ließ er seinen Blick abermals durch den Raum schweifen. In diesem Zimmer saßen ausschließlich Jungoffiziere – vom Ensign bis zum Lieutenant. Sie teilten sein Schicksal: Der Großteil würde demnächst die Leitung einer (Unter-)Sektion auf einem Kriegsschiff übertragen bekommen. Ein paar konnten darauf hoffen als Ressort- oder Wachoffizier zum Einsatz zu kommen. Und nur die Crème de la Crème konnte auf ein eigenes Kommando – in der Regel in Form eines flinken Patrouillen- oder Kanonenbootes, einer trägen Sterngalone oder gar einer schnittigen Korvette – hoffen. Nahm man den einen oder anderen Uniformierten etwas genauer in Augenschein, der gemeinsam mit dem jungen Bakuraner in diesem Raum saß, konnte man diese Hoffnung in dessen Augen sehen. Bei dem blassen Lieutenant war es jedoch nicht so. Denn er hatte allenfalls im Namen des Cygnischen Sternenimperiums die eine oder andere Heldentat vollbracht.
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Blecherne Fanfaren kündigten sein Eintreffen lautstark an. Obgleich Noak Fremyn nicht zum ersten Mal an einem cygnischen Ball im Königlichen Palast teilnahm, zuckte er trotz allem unwillkürlich zusammen – und erhielt dafür prompt von Captain Manius Selgorias einen leichten, aber dennoch disziplinierenden Klaps zwischen auf die gewölbte Wirbelsäule. Der schnurrbärtige Kommandant der “Gladius“ sah ihn mit ernster Miene an und schüttelte tadelnd den Kopf. Danach reckte er das Kinn in Richtung der königlichen Familien. Deren Vertreter waren bis gerade eben in ein Gespräch mit Grand Amiral Karsteen, Admiral Nerethin und Botschafter Van Milaris vertieft gewesen. Doch nun sahen sie alle gemeinsam zu den beiden uniformierten Neuankömmlingen. Puterrot färbten sich mit einem Mal die Wangen des Bakuraners aus einfachen Verhältnissen.
Der Captain, der spätestens seit der Ankunft der Dritten Gefechtsflotte im Cygnus-System vermehrt in das unmittelbare Gefolge der Admiral aufgestiegen war, gab dem Lieutenant einen leichten Stoß und dirigierte ihn anschließend zu dem kleinen Grüppchen. Auf dem Weg dahin organisierte er dem Lieutenant und sich selbst sogar noch ein Glas mit prickelndem Schaumwein. Höflich prosteten die beiden Imperialen den Anwesenden zu – der höfischen Etikette entsprechend beginnend bei König Aguro Quan IV. Samick. Der beleibte Monarch, der einen altmodischen Backenbart zur Schau trug, nickte jovial den beiden Uniformierten zu. Seinen Blick ruhte dabei einen Tick zu lang auf Noak – So jedenfalls der Eindruck des jungen, unsicheren Bakuraners. Da aber auch die Kronprinzessin des kleinen Sternenreichs im Mid-Rim zugegen war, ließ er den Gedanken überaus zügig fallen. Seit ihrer ersten Begegnung an Bord der sterbenden „Confidence“ hatte sie ihm zweifelsohne das Herz gestohlen. War er zuvor schon nervös gewesen, sich abermals in der Gesellschaft der High Society von Cygnus aufhalten zu müssen, ließ ihn Illriana Anara II. schlagartig zu einem recht harmlosen, bedauernswerten Nervenbündel werten.
Doch der Moment, in dem Lieutenant Noak Fremyn am liebsten augenblicklich im Boden versunken wäre, kam erst noch: Kaum hatte man ein paar Schlücke Schaumwein genossen, mehrere gereichte Häppchen probiert und sich auf dem Parkett tanzend zur Musik bewegt, da ließ der König plötzlich das laufende Programm unterbrechen. Dafür hatte er nur ein paar Mal mit seiner zierlichen, aus feinstem Silber gefertigten Kuchengabel gegen das prunkvoll mit Gold und Edelsteinen verzierte Flötenglas tippen müssen. Erwartungsvoll schauten alle Anwesenden – darunter natürlich auch der junge Bakuraner – zu dem cygnischen Monarchen. Mit der Würde, die nur jemand von seiner edlen Herkunft haben konnte, forderte er nach einer huldigenden Rede den blassen Bakuraner auf, zu ihm (in die Mitte des Ballsaals) zu kommen. Nachdem sich Noak Fremyn vor dem cygnischen König so verbeugt hatte wie es ihm Captain Selgorias seit dem ersten Tag in diesem System hunderte Male eingebläut hatte, trat die Kronprinzessin zu ihrem royalen Vater, ließ sich das Rapier der Familie reichen und schlug den Imperialen kurzerhand zum ‚Chevalier du Roi‘. Ihre Stimme glich in diesem Moment denen der Engel von Iego gleichen musste.
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Dass man hier, auf der Thronwelt des Galaktischen Imperiums, von dieser Zeremonie gehört hatte, war eher unwahrscheinlich. Das Cygnische Sternenimperium mochte zwar ein Vasall von Bastion sein – und aufgrund der Anwesenheit von Elysa Nerethins Dritter Gefechtsflotte lag mit Sicherheit ein gewisses Augenmerk auf dieser Region –, aber vor allem die blutige Revolte der Yevethaner ließ die Aufmerksamkeit der imperialen Öffentlichkeit an ganz anderen Orten verweilen. Und dennoch konnte der uniformierte Imperialen den vagen Eindruck nicht gänzlich abstreifen, dass man ihn mit verstohlenen Blicken mustern würde. Zumindest eine Person in diesem Raum schien ihn wieder und wieder – stets in scheinbar unbeobachteten Momenten – zu taxieren. Der Kerl war hoch gewachsen, breitschultrig und trug einen dichten Schnauzer. Die Zugehörigkeit zum Imperialen Militär sah man diesem Mann zweifelsohne an. Dass es sich in Wahrheit aber um einen Mitglied des Imperialen Geheimdienstes handelte, der Edward Vâne hieß, sollte der junge Bakuraner erst später, viel später herausfinden.
Gerade als er den ominösen Fremden ebenso mustern wollte, knackten die Lautsprecher und die sonore Stimme des Sekretärs an der Rezeption war zu hören. [Lieutenant Noak Fremyn, bitte gehen Sie in Raum Vier-Fünf-Neun.] Statisches Rauschen war kurz zu hören. [Ich wiederhole: Lieutenant … N-O-A-K ... F-R-E-M-Y-N, bitte gehen Sie in Raum … VIER-FÜNF-NEUN.]
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Einige Wochen nach dem großen Ball im Königlichen Palast, als die unliebsame Aufmerksamkeit der cygnischen Gesellschaft endlich zum Großteil nachgelassen hatte, hatte Noak Fremyn wahrlich den Mut aufgebracht, einen Antrag auf Heimaturlaub zu stellen. Viel zu viele Monate waren in der Zwischenzeit vergangen seit man ihn plötzlich von der im Bakura-Sektor patrouillierenden Nebulon B-Fregatte „Aerie“ abgezogen und ihn stattdessen dem über Rendili stationierten corellianischen Kanonenboot „Silver Bullet“ zugewiesen hatte. Seither hatte er seiner Mutter oft geschrieben und – soweit es der Sold zuließ – sogar per Holo-Verbindung kurz gesprochen, aber mittlerweile war das Heimweh groß. Wann hatte er eigentlich das letzte Mal die warme bakuranische Sonne auf seiner Haut gespürt? Die bakuranische Landluft eingeatmet? Oder sogar in einen saftigen bakuranischen Pfirsich gebissen? Verblasste Erinnerungen; mehr nicht. Umso größer war dementsprechend seine Enttäuschung als man ihm zwar Urlaub gewährte, dieser aber – auf Weisung der Admiralität (und Botschafter Van Milaris’ Fürsprache) – auf der Thronwelt zu verbringen sei.
Nur mit einem einfachen, prall gefüllten Seesack als Gepäck – und sowohl weiterhin in Begleitung seines persönlichen Steward als auch in der Gesellschaft des Botschafters – bestieg der Lieutenant wenige Tage später einen Jagdkreuzer der modernen Enforcer-Klasse, ließ sich als Passagier ein kleines Quartier für die Reise in den imperialen Raum zuweisen und schrieb dann ein paar Zeilen an seine geliebte, in der Ferne wartende Mutter. Die Enttäuschung, die sie bei seiner Ankündigung, nicht nach Bakura zu kommen, verspüren musste, mochte sich Noak Fremyn in diesem Augenblick nicht vorstellen wollen. Viel mehr stellte er sich schon jetzt darauf ein, den erzwungenen Bastion-Besuch so schnell wie nur möglich hinter sich zu bringen. Mit der Zeit klammerte er sich insgeheim sogar an die vage Hoffnung, dass man ihn nur auf die Thronwelt holte, um ihn nach seinem Urlaub zurück nach Bakura zu schicken. Womöglich hatte ja irgendein Bearbeiter in der Admiralität ein kleines Bisschen Mitleid mit dem einfachen Lieutenant.
Aus dem bei der Abreise gesetzten Vorsatz, bis zur Ankunft in Bastions Orbit einfach in dem ihm zugewiesenen Quartier zu bleiben, wurde leider nichts. Denn bei jeder sich bietenden Gelegenheit – mochte ihr Vorwand auch noch so klein und fadenscheinig sein – sucht der imperiale Botschafter seine Gesellschaft. Dinner im Salon des Kreuzerkommandanten? Noak bekam eine Einladung über Caspar van Milaris. Ein abendlicher Umtrunk in der Offiziersmesse? Noak bekam eine Einladung über Caspar van Milaris. Eine Partie Schach, um sich am Nachmittag die Zeit zu vertreiben? Noak bekam eine Einladung über Caspar van Milaris. Schon nach nicht einmal einer Standardwoche im Hyperraum fühlte sich der Bakuraner von diesem Würdenträger Bastions regelrecht verfolgt. Und dessen abschätzige, süffisante Art machte es nicht besser. Der bakuranische Flottenoffizier konnte ihn einfach nicht leiden. Punkt. Aus. Schluss.
Umso verstörender war der Abschied vor gut vier Stunden: Die Fähre des Kommandanten hatte sie aus dem Beiboothangar des Jagdkreuzers zügig zur Planetenoberfläche – nach Bastion Center – gebracht. Und während sich vor der ausgefahrenen Fährenrampe vier schneeweiße Sturmtruppen routiniert zum Ehrenspalier aufstellten und ein kleiner imperialer Beamter ein letztes Mal an seiner hellgrauen Uniform zupfte, um das Kleidungsstück notdürftig in Ordnung zu bringen, trat plötzlich der Botschafter neben den Lieutenant, legte (beinah kameradschaftlich) die rechte Hand auf dessen Schulter und sagte – mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen: „Fremyn, Sie haben mich in der Tat überzeugt." Das Lächeln wurde breiter, raubtierhafter. Mit seinem Blick nagelte er ihn förmlich an Ort und Stelle fest. „Mit großem Interesse werde ich Ihren weiteren Werdegang verfolgen. Machen Sie es gut … und passen Sie auf sich auf."
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Der uniformierte Bakuraner musste nur an diese letzten Worte des Botschafters denken und schon hatte er einen dicken Kloß im Hals. Und obwohl er eigentlich so schon aufgeregt genug war, schlug nun auch noch sein Herz mit einem Mal einen Tick schneller in seiner Brust. Auf dem Weg zu dem ihm zugewiesenen Büro, tupfte er nervös mit dem Ärmel seiner Dienstuniform die sich allmählich auf seiner Stirn bildenden Schweißperlen ab. Mit jedem Schritt, den er auf dem langen Korridor tat, kam die schiefergraue Tür näher, immer näher. In großen, schwarzen Ziffern war über der Bürotür zu lesen: Vier. Fünf. Neun. Ein letztes Mal hielt der schwarzhaarige Lieutenant inne, hauchte kurz auf sein rechteckiges Dienstgradabzeichen und beseitige abschließend rasch die Fingerabdrücke, die er sich auf dem blanken Metall einbildete. Nachdem er dumpf ein brummendes „Herein!“ gehört hatte, betätigte er den Knopf neben dem Türrahmen, ließ die schiefergraue Tür zischend zur Seite gleiten und trat ein.
Zur Begrüßung hörte der junge Mann: „Ah, Lieutenant Fremyn. Kommen Sie ruhig zu mir … und nehmen Sie Platz.“
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